S. 173 / Nr. 33 Pressfreiheit (d)

BGE 64 I 173

33. Urteil vom 1. Juli 1938 i. S. von Felten gegen X.

Regeste:
Der Kreis der durch Art. 55 BV gedeckten Äusserungen ist unabhängig von der
kantonalen Gesetzgebung nach dem Zwecke dieser Verfassungsnorm zu bestimmen.
Dass die Berichterstattung über die Strafrechtsprechung der Gerichte in einem
konkreten Fall den Tatbestand der

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strafbaren Ehrverletzung nicht erfüllt, steht gewissen an die Veröffentlichung
geknüpften Sanktionen - wie einer Prozesskostenauflage - bundesrechtlich nicht
entgegen, wenn die verfassungsmässigen Grenzen der freien Meinungsäusserung
nicht eingehalten werden.
Die Nennung oder Kenntlichmachung des Angeklagten ist nur unter besonderen
Umständen und beim Vorhandensein eines schutzwürdigen allgemeinen Interesses
gestattet.

A. - In Nr. 477 der «Basler Nationalzeitung» vom 15. Oktober 1935 erschien ein
vom Rekurrenten herrührender Bericht mit der Überschrift «Gangster und
Devisenschieber» über zwei vor dem Zürcher Obergericht öffentlich verhandelte
Straffälle, wovon der zweite den Rekursbeklagten anging. Der betreffende Teil
des Artikels erzählt zunächst unter einem Untertitel, mit dem der
Rekursbeklagte als Devisenschieber bezeichnet wird, wie dieser nach einem für
ihn unglücklich verlaufenen Geschäft mit deutschen Zahlungsmitteln von einer
Finanzgesellschaft, die ihm Mark verkauft hatte, Schadenersatz in Höhe von Fr.
10000.- verlangt hatte, unter der Drohung, andernfalls die Angelegenheit in
der Presse zu veröffentlichen, wie er deshalb der Erpressung angeklagt, vom
Zürcher Obergericht aber unter Auferlegung der Kosten freigesprochen worden
sei, weil das für dieses Vergehen erforderliche Merkmal der Gefährlichkeit der
Drohung fehle. Es wird dann ausgeführt, der Mann, der mit seiner von der
Heimatgemeinde unterstützten Familie in X wohne, habe früher bessere Tage
gesehen: er sei Leiter eines grossen Verkaufsgeschäftes gewesen, wegen
Unregelmässigkeiten zu Gefängnis und zur Bezahlung einer grossen Geldsumme
verurteilt worden und darauf beim selbständigen «Geschäfteln» zweimal in
Konkurs gekommen. Er habe es dann mit einem en gros-Handel probiert, der aber
offenbar auch nicht floriert habe, denn er habe in seinem Zivilprozess, mit
dem er von der erwähnten Finanzgesellschaft flüssige Mittel zu erhalten
gehofft habe, das Armenrecht nachgesucht.
Wegen dieser Einsendung erhob der Rekursbeklagte

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gegen den Rekurrenten, der sich als Verfasser bekannte, Strafklage wegen
Ehrverletzung und Kreditschädigung.
Durch Urteil vom 28. November 1935 wies das Strafgericht von Basel-Stadt die
Klage ab, unter Verweisung der Entschädigungs- und Genugtuungsforderung des
Klägers auf den Zivilweg, legte aber dem Beklagten (heutigen Rekurrenten) in
Anwendung vom § 220 II der kantonalen StPO einen Teil der Kosten in Form einer
Gerichtsgebühr von Fr. 50.- auf. Durch den eingeklagten Artikel sei in für
Dritte ersichtlicher Welse der Kläger als derjenige bekanntgegeben worden, der
unter der Anschuldigung der Erpressung vor dem Zürcher Obergericht gestanden
habe. Denn es dürfe ohne weiteres angenommen werden, dass der mit seinem
Vornamen genannte, als Leiter der ebenfalls namentlich erwähnten
Verkaufsunternehmung bezeichnete Kläger von den Angestellten und Arbeitern
dieses Unternehmens und einem weiteren Kreis von Geschäftsleuten, die mit
diesem in Verbindung gestanden seien, habe erkannt werden müssen. Was sodann
den Inhalt der eingeklagten Stelle betreffe, so bestreite der Kläger die
Behauptung nicht, dass er Devisenschieber sei, ebensowenig die zweimalige
Verurteilung und dass er in Zürich im Armenrecht habe prozessieren müssen.
Auch die Angabe, dass er zweimal in Konkurs gekommen sei, könne nicht als
unwahr, und der Ausdruck «Geschäfteln» für die Operationen, die zu den beiden
Konkursen geführt hätten, nicht als unberechtigt angesehen werden. Dagegen
gehe die Bemerkung «mit seiner von der... Heimatgemeinde unterstützten
Familie» zu weit. Denn nach der Auskunft der Armenpflege sei der Kläger
letztmals im Februar 1934 unterstützt worden. In rechtlicher Beziehung scheide
von vornherein das Vergehen der Verleumdung (§ 131 StGB) aus, weil ein
wissentliches Behaupten unwahrer Tatsachen nicht habe nachgewiesen werden
können. Auch der Tatbestand der üblen Nachrede (§ 130 ebenda) treffe nicht zu,
da die Wahrheit der behaupteten Tatsachen, die geeignet wären, den Kläger
verächtlich zu machen oder

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in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, habe dargetan werden können. Die
einzige unwahre Behauptung, der Kläger werde von der Heimatgemeinde
unterstützt, berühre nicht dessen Ehre, sondern höchstens seinen Kredit. Sie
hätte daher gemäss § 130 nur bei wissentlich unwahrem Vorbringen eventuell als
Verleumdung im Sinne der Kreditschädigung bestraft werden können. Es könne
deshalb dahingestellt bleiben, ob dem Angeklagten in diesem Punkte allenfalls
Unbesonnenheit zur Last fallen würde. Im übrigen sei seine Erklärung, er habe
den Artikel getreu nach dem Verlaufe der Gerichtsverhandlung abgefasst,
durchaus glaubhaft. Ebensowenig liege Beschimpfung nach den §§ 129 und 133
vor; in der etwas sensationellen Aufmachung des Artikels könne noch keine
ehrenkränkende Handlung oder Äusserung erblickt werden und beschimpfende
Ausdrücke seien nicht gebraucht worden.
«Dagegen rechtfertigt es sich, dem Angeklagten einen Teil der Kosten
aufzulegen. Denn wenn auch eine strafbare Handlung nicht vorliegt, so war doch
die Art und Weise der Aufmachung des Artikels dazu angetan, Sensation zu
erregen, was den Kläger begreiflicherweise ärgern musste und ihn veranlasste,
Klage zu erheben. Das Gericht geht dabei von folgenden grundsätzlichen
Erwägungen aus: Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung ist nach den
meisten Prozessordnungen anerkannt. Es soll damit dem Volke die Möglichkeit
gegeben werden, die Rechtsprechung der Gerichte zu kontrollieren. Aus diesem
Grunde hat auch die Presse freien Zutritt; sie soll die Praxis der Gerichte
einem weiteren Publikum bekanntgeben. Dieser Aufgabe wird sie am besten dann
gerecht, wenn sie möglichst sachlich über eine Gerichtsverhandlung berichtet
und damit dem Leser ein möglichst getreues Bild verschafft. Nicht verwehrt mag
es ihr sein, im Hinblick auf das anerkannte Recht der freien Meinungsäusserung
und die Pressefreiheit ihrem Berichte eine sachliche Kritik anzufügen. Dagegen
ist die Öffentlichkeit der

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Gerichtsverhandlung nicht eingeführt worden, um dem Publikum Stoff zu
Sensationen zu geben, und hier geht nun die Presse heute vielfach zu weit,
indem sie ihre Gerichtsberichterstattung feuilletonistisch sensationell
aufmacht und damit die Fälle, über die sie berichtet, verzerrt und jede
objektive Beurteilung durch das Publikum verunmöglicht. Besonders verwerflich
ist diese Art der Berichterstattung dann, wenn der Namen des Beurteilten
genannt wird und damit diesem der Wiederaufbau seiner Existenz unnötig
erschwert wird. Das Gericht selbst veröffentlicht den Namen eines Beurteilten
in der Regel nicht, es sei denn bei Verhängung von Zuchthausstrafen, wo eine
Veröffentlichung zum Schutze der Öffentlichkeit geboten erscheint. An diese
Praxis sollten sich auch die Gerichtsberichterstatter halten. Zu missbilligen
ist es ferner, wenn, wie im vorliegenden Falle, unter Kenntlichmachung der
Person des Beurteilten dessen Vorstrafen erwähnt werden. An dem allgemein
anerkannten Grundsatz, dass einem Beurteilten seine Vorstrafen, die hinter ihm
liegen und die er abgebüsst hat, nicht bei jeder Gelegenheit sollen
vorgehalten werden, hat sich auch die Presse zu halten.»
Beide Teile appellierten an das Appellationsgericht. Durch Urteil vom 24.
Januar 1936 bestätigte dieses indessen das erstinstanzliche Erkenntnis ohne
selbständige Begründung (nach § 264 der kant. StPO erfolgt eine solche nur,
wenn das Appellationsgericht den erstinstanzlichen Entscheid abändert). Als
zweitinstanzliche Kosten wurden dem Kläger eine Gerichtsgebühr von Fr. 20.-
und dem Angeklagten eine solche von Fr. 10.- auferlegt.
§ 220 II der baselstädtischen StPO lautet:
«Die unterliegende Partei hat die Prozesskosten zu tragen... Hat jedoch der
Angeklagte die Erhebung der Anklage durch sein Verhalten veranlasst, so können
ihm diese Kosten, auch wenn er freigesprochen wird, ganz oder teilweise
auferlegt werden.»

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B. - Mit rechtzeitig erhobener staatsrechtlicher Beschwerde hat der Rekurrent
beim Bundesgericht das Begehren gestellt, das Urteil des Appellationsgerichts
sei aufzuheben, soweit es ihm trotz Freisprechung einen Teil der Kosten
überbindet. Als Beschwerdegründe werden Verletzung der Pressfreiheit und von
Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV (Willkür und Rechtsverweigerung) geltend gemacht.
C. - Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hat die Abweisung der
Beschwerde beantragt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Im Urteil in Sachen Wildi c. Fahrländer (BGE 24 I 564) hat das Bundesgericht
ausgesprochen, dass der eines Pressvergehens Beschuldigte wegen einer
Veröffentlichung, die sich inhaltlich und der Form nach in den Grenzen der
verfassungsmässigen Pressfreiheit (Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV) hält, nicht bloss nicht
bestraft, sondern auch mit keinen Gerichts" (Verfahrens-) Kosten belegt werden
dürfe, denn diese Kostenauflage würde in der Wirkung häufig einer Bestrafung
gleichkommen, zumal bei den bekanntlich nicht selten bedeutenden Kosten von
Pressprozessen. Vor Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV zulässig wäre sie deshalb in solchen Fällen
nur, soweit der Beklagte die Kosten durch die Art seiner Prozessführung
verursacht haben sollte, nicht mit Rücksicht auf das Presserzeugnis selbst, d.
h. gestützt auf die Erwägung, dass dieses dem Kläger «begründete Veranlassung
zur Klage gegeben» habe. Das Urteil steht im Widerspruch zur früheren
Rechtsprechung, die es als mit der Pressfreiheit nicht unvereinbar betrachtet
hatte, auch bei Beleidigungen durch die Presse die allgemeinen kantonalen
Bestimmungen für den Ehrverletzungsprozess anzuwenden, die es gestatten,
selbst dem freigesprochenen Angeklagten die Kosten ganz oder teilweise zu
überbinden, wenn der Kläger Grund hatte, den Schutz des Richters anzurufen,
«insbesondere, wenn die Äusserung so gefasst war, dass sie im Publikum als
beleidigend aufgefasst werden konnte» (BGE 16 S. 479 E. 3). Es ist denn auch
nicht

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unangefochten geblieben (BURCKHARDT, Kommentar S. 520). Dagegen ist nicht
richtig, wenn hier behauptet wird, das Gericht sei seither in dem nicht
veröffentlichten Entscheide vom 4. Juli 1918 in Sachen Pauchard zur früheren
Praxis zurückgekehrt; obwohl einige Stellen der Erwägungen dieses Entscheides
so gedeutet werden könnten, ist schliesslich die Abweisung der
staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Kostenauflage damals entscheidend doch
darauf gestützt worden, dass die eingeklagte Äusserung als unbesonnene, ohne
die gebotene Prüfung vorgenommene Aufstellung einer unrichtigen Behauptung
über das der Presse Erlaubte hinausgegangen sei. Die im Entscheide Pauchard
erwähnten weiteren Urteile vom 28. Februar 1913 in Sachen Gutknecht und vom
30. September 1915 in Sachen Läubli sodann haben mit der Frage überhaupt
nichts zu tun; sie betreffen die Vergütung der Parteikosten des
freigesprochenen Angeklagten, die auch nach dem Urteil Wildi c. Fahrländer aus
Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV nicht beansprucht werden kann.
Auch heute braucht nicht entschieden zu werden, ob an dem Grundsatz des
letzteren Urteils hinsichtlich der Gerichtskosten festzuhalten sei. Denn der
Artikel, der Gegenstand der Strafklage gegen den Rekurrenten bildete,
überschritt jedenfalls, selbst bei Wahrheit des darin Berichteten, nach
bestimmten Richtungen die Schranken der Pressfreiheit, sodass eine daran
anschliessende Kostenbelastung nicht wegen Missachtung dieser
Verfassungsgarantie angefochten werden kann. Dass er nach der Feststellung der
kantonalen Gerichte keine strafbare Ehrverletzung enthielt, ist hiefür
unerheblich. Sowenig das Vorliegen einer nach kantonalem Rechte strafbaren
Handlung die Anrufung von Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV ausschliesst, sowenig steht das Fehlen
eines solchen Straftatbestandes anderen an die Veröffentlichung geknüpften
Sanktionen - wie einer Prozesskostenauflage - bundesrechtlich entgegen, wenn
die verfassungsmässigen Grenzen der freien Meinungsäusserung vom Betroffenen
nicht eingehalten

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worden waren. Der Kreis der durch Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV gedeckten Äusserungen ist
vielmehr gemäss feststehender Rechtsprechung unabhängig von der kantonalen
Gesetzgebung nach dem Zwecke dieser Verfassungsnorm selbst zu bestimmen, der
Presse die ungehinderte Erfüllung ihrer besonderen Aufgabe zu gewährleisten,
nämlich die Öffentlichkeit über Tatsachen und Fragen von allgemeinem Interesse
in sachlicher Weise zu unterrichten.
In den Rahmen dieser Aufgabe fällt zwar gewiss an sich auch die
Berichterstattung über die Strafrechtsprechung der Gerichte, mit Einschluss
einer sachlichen Kritik ihrer Ergebnisse. Dies nicht nur, weil die Ausübung
der Strafgerichtsbarkeit einen Zweig der Verwaltung der öffentlichen
Angelegenheiten bildet und die Unterrichtung darüber deshalb als Teil der
staatsbürgerlichen Aufklärung angesehen werden kann, sondern auch wegen der
allgemeinen moralischen, soziologischen und gesetzgebungspolitischen
Folgerungen und Lehren, die sich aus den gefällten Entscheidungen allenfalls
ziehen lassen und die dem Publikum nahezulegen oder vorzutragen der Presse
nicht verwehrt werden darf. Allein dem insoweit anzuerkennenden allgemeinen
Interesse an derartigen Veröffentlichungen ist doch vollauf genügt, wenn der
Tatbestand der einzelnen vor den Gerichten verhandelten Fälle gleichsam
abstrakt nach seinen charakteristischen Merkmalen, losgelöst von der Person
des Täters dargestellt wird und auch allfällige Werturteile und Belehrungen
nur an eine solche Schilderung angeknüpft werden. Die Nennung oder
Kenntlichmachung des Angeklagten ist dazu nicht erforderlich. Sie kann bei den
schwerwiegenden Wirkungen, die damit für den Betroffenen verbunden sind,
jedenfalls nur unter besonderen Umständen durch ein höheres öffentliches
Interesse als gedeckt betrachtet werden, das die Rücksicht auf die
beeinträchtigte private Interessensphäre überwiegt: so beispielsweise, wenn
ein Vergehen, dessen Täter zunächst unbekannt geblieben war, nach seiner Art
allgemeine

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Beunruhigung erregt hatte und daher im Publikum der Ruf nach dem Schuldigen
laut geworden war, sodass gleich der Mitteilung der Ermittlung des
vermutlichen Täters auch die Bekanntgabe des Ausganges des Strafverfahrens
gegen ihn einem berechtigten Streben nach Aufklärung zur Beruhigung der
Gemüter entspricht (s. das Urteil vom 21. Mai 1937 in Sachen Bloch: kurz
aufeinanderfolgende mehrfache Brandstiftungen in einer Ortschaft). Oder wenn
der Täter Träger eines öffentlichen Amtes oder doch eine im öffentlichen Leben
stehende Person ist und sich deshalb grundsätzlich der öffentlichen
Besprechung, im ersten Fall auch seines privaten Verhaltens, soweit es für die
Eignung zum Amte von Bedeutung ist, im zweiten Falle wenigstens derjenigen
Tätigkeit unterziehen muss, mit der er sich an die Öffentlichkeit wendet (BGE
42 I S. 91; 50 I S. 218 E. 4; BURCKHARDT, Kommentar, S. 510 Abs. 3, S. 513
Abs. 2). Es mag auch abgesehen hievon in der blossen Bekanntgabe der Person
des Angeklagten bei einer sonst erlaubten Berichterstattung eine
Überschreitung der Pressefreiheit noch nicht gesehen werden, wenn durch das
Vergehen (wie z. B. beim Zusammenbruch von Kreditinstituten) so weite
Personenkreise geschädigt worden sind, dass die Personen, gegen die deshalb
ein Strafverfahren eingeleitet wurde, ohnehin sozusagen allgemein bekannt sind
und daher durch die Meldung von dessen Ausgang mit Nennung ihres Namens
gegenüber dem bereits Bekannten nicht mehr wesentlich getroffen zu werden
vermögen, oder wenn die Namen der Täter eines Aufsehen erregenden Vergehens
bereits durch amtliche (polizeiliche) Mitteilungen der Öffentlichkeit
preisgegeben worden waren. Bei dem Falle, wegen dessen sich der Kläger vor den
zürcherischen Gerichten unter der Anklage der Erpressung zu verantworten
hatte, lag indessen offensichtlich keine dieser besonderen Voraussetzungen
vor, die die Besprechung unter Kenntlichmachung des Beurteilten als durch Art.
55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV gedeckt erscheinen lassen könnten. Und es ist auch die Annahme des
kantonalen Richters nicht zu

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beanstanden, geschweige denn, wie der Rekurrent behauptet, willkürlich, dass
eine solche Kenntlichmachung hier stattgefunden habe. Wenn nicht durch die
Überschrift, geschah sie jedenfalls durch den Hinweis auf die frühere, nicht
allzuweit zurückliegende Stellung des Angeklagten als Leiters des mit Namen
genannten Verkaufsunternehmens und auf das an die Entlassung daraus
anknüpfende Strafverfahren. Denn es liegt auf der Hand, dass infolgedessen zum
mindesten die zahlreichen Personen, welche mit dem Rekursbeklagten in jener
Stellung in Berührung gekommen waren, von vorneherein nicht darüber im
Ungewissen sein konnten, wer der durch das Zürcher Strafverfahren Betroffene
sei. Nur das und nicht, dass der Fall unter Angabe des Namens des Beurteilten
veröffentlicht worden sei, hat aber das Strafgericht in seinem vom
Appellationsgericht bestätigten Urteil festgestellt. War demnach schon für die
Besprechung der vor den Zürcher Gerichten verhandelten Erpressungssache selbst
unter Kenntlichmachung des Beurteilten kein durch Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV umfasstes
schutzwürdiges allgemeines Interesse gegeben, so muss dies noch viel mehr
gelten für den unter solcher Kenntlichmachung erfolgten Hinweis auf frühere
Vorstrafen, die mit dem in Zürich beurteilten Vergehen in keinem Zusammenhang
standen. Der Rekurrent glaubt sich hier zwar damit verteidigen zu können, dass
er der Gerichtsberichterstattung auch die Aufgabe zuweist, das Publikum vor
Existenzen wie dem Kläger zu «warnen». Allein damit würde sich die Presse eine
Rolle anmassen, die ihr nicht zukommen kann und die auf alle Fälle nicht in
den Schutzbereich fällt, den ihr Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV gewährleisten soll. Es ist Sache
der staatlichen Gesetzgebung und der zu deren Anwendung eingesetzten Behörden,
darüber zu befinden, ob und inwiefern mit der Bestrafung weitere Massnahmen
verbunden werden sollen, die bestimmt sind, das Publikum womöglich vor
künftiger Gefährdung und Schädigung durch den Verurteilten zu bewahren. Wo sie
eine solche Warnung durch amtliche Veröffentlichung des

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Strafurteils nicht vorsehen oder für angezeigt erachten, kann es der Presse
nicht zustehen, ihrerseits das Urteil durch eine entsprechende Sanktion zu
ergänzen. Darauf würde es aber hinauslaufen, wenn man ihr einzig zur Bewahrung
Dritter vor bestimmten Delinquenten gestatten wollte, diese durch Meldung
gegen sie ergangener Strafurteile mit Kenntlichmachung des Betroffenen in der
öffentlichen Meinung gewissermassen zu ächten. Dass auch die fraglichen
Vorstrafen in der Verhandlung der Erpressungssache vor Zürcher Obergericht zur
Sprache gekommen waren, berechtigte aus den bereits angeführten Gründen noch
nicht dazu, sie einer weitern Öffentlichkeit in der Presse zur Kenntnis oder
in Erinnerung zu bringen. Und ebensowenig genügte dazu vom Standpunkte der
Pressfreiheit, dass der Betroffene sich deren Erwähnung selbst durch die
schuldhafte Verwicklung in ein neues Strafverfahren zugezogen habe.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 64 I 173
Datum : 01. Januar 1937
Publiziert : 01. Juli 1938
Quelle : Bundesgericht
Status : 64 I 173
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Der Kreis der durch Art. 55 BV gedeckten Äusserungen ist unabhängig von der kantonalen Gesetzgebung...


Gesetzesregister
BV: 4 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BGE Register
24-I-564 • 64-I-173
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
presse • gerichtsverhandlung • berichterstattung • sanktion • erpressung • bundesgericht • weiler • kreis • leiter • stelle • kenntnis • angabe • veröffentlichung • kommunikation • basel-stadt • beklagter • strafbare handlung • anklage • verhalten • beleidigung
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