S. 41 / Nr. 12 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 63 III 41

12. Entscheid vom 25. März 1937 i. S. Gubler,

Regeste:
Anfechtbarkeit der durch einen urteilsfähigen Unmündigen vorgenommenen
Betreibungshandlung.
Die von einem urteilsfähigen Unmündigen vorgenommene Betreibungshandlung wird
gültig wenn vor der rechtskräftigen Aufhebung die Genehmigung seitens des
gesetzlichen Vertreters ausgesprochen wird.
Annulation de la poursuite exercée par un mineur capable de discernement.
L'acte de poursuite fait par le mineur capable de discernement est valable dès
lors qu'il a été ratifié par le représentant légal avant d'avoir été annulé.
Annullamento di un atto d'esecuzione compiuto da un minorenne capace di
discernimento.
Un atto d'esecuzione compiuto da un minorenne capace di discernimento è
valido, se vien approvato dal rappresentante legale prima che sia annullato.

Am 10. Juli 1936 liess die 19 1/2 jährige Marie Rippstein in Kienberg,
vertreten durch ihren Anwalt, dem Emil Gubler, ebenda, einen Zahlungsbefehl
für Fr. 6500.- zu

Seite: 42
stellen. Am 23. Dezember 1936 verlangte der Anwalt des Schuldners Aufhebung
der Betreibung, da er mangels Handlungsfähigkeit der Gläubigerin ungültig sei.
Der Betreibungsbeamte antwortete, dass gemäss Art. 410
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 410 - 1 Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
1    Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
2    Der Beistand oder die Beiständin erläutert der betroffenen Person die Rechnung und gibt ihr auf Verlangen eine Kopie.
ZGB der gesetzliche
Vertreter der Gläubigerin angefragt werde, ob er die eingeleitete Betreibung
genehmige. Nachdem diese Genehmigung seitens der Mutter der Gläubigerin, die
vom 15. Juli 1936 datierte, dem Betreibungsamt vorgelegt worden war, wies es
durch Zuschrift vom 7. Januar 1937 das Begehren des Schuldners zurück. Der
Schuldner erhob hiergegen Beschwerde und berief sich auf einen Entscheid des
Bundesgerichtes in Archiv VI N 3, wonach die vom Handlungsfähigen selbständig
angehobene Betreibung ungültig sei. Die Vorinstanz lehnte diese Auffassung als
durch das ZGB überholt ab, da das ZGB dem urteilsfähigen Unmündigen eine
beschränkte Handlungsfähigkeit zuerkenne, so dass seine Betreibungshandlungen
nicht absolut nichtig seien, sondern durch nachträgliche Genehmigung des
gesetzlichen Vertreters gemäss Art. 410
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 410 - 1 Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
1    Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
2    Der Beistand oder die Beiständin erläutert der betroffenen Person die Rechnung und gibt ihr auf Verlangen eine Kopie.
ZGB konvaleszieren (JAEGER, Art. 67 N.
5).
In seinem Rekurs gegen diese Entscheidung rügt der Schuldner, dass die
Vorinstanz auf das Betreibungsverfahren materiellrechtliche Vorschriften
anwende. Dieses verlange ebenso wie das Prozessrecht, dass die Legitimation
zum Verfahren bei Vornahme der betreffenden Verfahrenshandlung vorliege, und
schliesse eine nachträgliche Genehmigung aus.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
zieht in Erwägung:
Insoweit als das Zivilrecht einer Person Handlungsfähigkeit zuerkennt, ist
auch ihre Prozessfähigkeit und damit ihre Fähigkeit, Betreibung anzuheben und
betrieben zu werden, gegeben. Denn die - Prozessfähigkeit ist nach
schweizerischer Auffassung Teil der Handlungsfähigkeit und keiner von ihr
abweichenden Regelung zugänglich, BGE 42 II 555 . Nun bestimmt Art. 410, dass
der

Seite: 43
urteilsfähige Bevormundete mit vorheriger Zustimmung oder nachträglicher
Genehmigung Verpflichtungen eingehen und Rechte aufgeben kann. Dass er damit
im Zusammenhang stehende Rechte erwerben kann, folgt aus der Zweiseitigkeit
der meisten Verpflichtungsgeschäfte. Die Bestimmung räumt ihm also unter
Mitwirkung des Vormundes Geschäftsfähigkeit schlechtweg ein, so dass darunter
auch Prozess- und Betreibungshandlungen fallen, an die sich im allgemeinen
Rechte und Pflichten knüpfen. Ob freilich das Genehmigungsverfahren gemäss
Art. 410 al. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 410 - 1 Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
1    Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
2    Der Beistand oder die Beiständin erläutert der betroffenen Person die Rechnung und gibt ihr auf Verlangen eine Kopie.
ZGB in einem Prozess- oder Betreibungsverfahren nach der Natur
derselben Platz hat, ist fraglich, mag aber hier dahingestellt bleiben.
Jedenfalls kann eine Prozess- oder Betreibungshandlung von der zuständigen
Behörde nicht mehr aufgehoben werden, wenn vor der rechtskräftigen Aufhebung
die Genehmigung seitens des gesetzlichen Vertreters ausgesprochen worden ist.
Diese Prozessfähigkeit des Urteilsfähigen mit Zustimmung oder Genehmigung des
gesetzlichen Vertreters ist übrigens keine Besonderheit des schweizerischen
Rechtes. Die deutsche ZPO lässt die Prozesshandlungen jedes Handlungsunfähigen
durch nachträgliche Genehmigung des gesetzlichen Vertreters heilen (vgl. STEIN
DCPO § 54 I al. 3) und ähnlich ist die französische Praxis (vgl. PLANIOL et
RIPERT, Droit civil I No. 267 und dortige Citate); dies obschon beide
Gesetzgebungen nicht bloss Anfechtbarkeit, sondern Nichtigkeit der Prozessakte
des Handlungsunfähigen annehmen.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer . Der Rekurs wird
abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 63 III 41
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 25. März 1937
Quelle : Bundesgericht
Status : 63 III 41
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Anfechtbarkeit der durch einen urteilsfähigen Unmündigen vorgenommenen Betreibungshandlung.Die von...


Gesetzesregister
ZGB: 410
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 410 - 1 Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
1    Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
2    Der Beistand oder die Beiständin erläutert der betroffenen Person die Rechnung und gibt ihr auf Verlangen eine Kopie.
BGE Register
42-II-553 • 63-III-41
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
gesetzliche vertretung • betreibungshandlung • schuldner • nichtigkeit • vorinstanz • bewilligung oder genehmigung • prozesshandlung • handlungsfähigkeit • verfahren • schuldbetreibung • betreibungsamt • schweizerisches recht • legitimation • archiv • wiese • genehmigungsverfahren • stelle • schuldbetreibungs- und konkursrecht • betreibungsbeamter • stein
... Alle anzeigen