S. 353 / Nr. 69 Personenrecht (d)

BGE 63 II 353

69. Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Dezember 1937 i. S. Hug gegen
Zentralschweizerischen Jodlerverband.


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Regeste:
ZGB Art. 70: Inwiefern kann die Angabe des Grundes des Austrittes aus dem
Verein statutarisch gefordert werden?
ZGB Art. 72: Nicht mehr zulässig ist die Ausschliessung eines bereits rite
ausgetretenen Vereinsmitgliedes; Klagrecht desselben.
Einfluss der nachtraglichen Ausschliessung durch die zuständige
Delegiertenversammlung auf die bereits erhobene Klage auf Anfechtung der
Ausschliessung durch den dazu nicht zuständigen Vorstand.

A. - Der beklagte Verband, dessen Mitglied der Kläger war, «pflegt und fördert
unsere althergebrachten Bräuche schweizerischen Volkstums ...» (Art. I der
Statuten). Ausgeschlossen (scil.: von der Aufnahme als Mitglieder) sind alle
diejenigen ... Einzelmitglieder, die obenstehende Gebräuche erwerbsmässig
betreiben ... (Art. 5 i. f.). Austritt hat durch schriftlich begründetes
Gesuch an den Verbandsvorstand zu erfolgen ... Der Ausschluss erfolgt ... b)
bei fortgesetzter Schädigung des Verbandes in finanzieller und moralischer
Hinsicht, c) bei stetem Zuwiderhandeln gegen Statuten und Ziel des Verbandes.
Ein solcher Ausschluss kann nur durch 2/3 Mehrheit der Delegiertenversammlung
erfolgen (Art. 8).
Seit einigen Jahren war der Kläger im Schosse des beklagten Verbandes
wiederholt Gegenstand von Vorwürfen über Statutenverletzungen, besonders durch
Fernbleiben von Veranstaltungen des Verbandes, berufsmässiges Arbeiten
zusammen mit Verbandsfremden oder mit ausländischen Fahnen und im Ausland,
widerliche Reklame und sonstigen unlautern Wettbewerb. An der

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Vorstandssitzung vom 6. Mai 1934 wurde dem Kläger das Versprechen abgenommen,
er sei bereit, den Statuten des Verbandes gewissenhaft nachzuleben und diese
vaterländische Eigenart, das Fahnenschwingen, nicht als Berufsfähndler,
sondern als Idealist zu pflegen und es zu fördern, im Sinne unserer
Verbandsstatuten. Indessen zog sich der Kläger auch späterhin wieder Vorwürfe
zu, und (u. a.) im Hinblick darauf beschloss die Delegiertenversammlung des
beklagten Verbandes vom 1. März 1936, dem Vorstand die Vollmacht zu erteilen,
«er möge in Zukunft von sich aus und sofort die Mitglieder von unserem Verband
endgültig ausschliessen und im Verbandsorgan publizieren, die sich trotz
Mahnungen immer wieder gegen die Statuten des Beklagten und des
eidgenössischen Oberverbandes verfehlen».
Unter Bezugnahme darauf, dass der Kläger als Fahnenschwinger gemeinsam mit
einem nicht dem beklagten Verband angehörenden Jodlerklub auftrete, was
statutenwidrig sei, und dass er anlässlich einer Veranstaltung in Marseille
«wiederholt unsere nationale Eigenart, das Fahnenschwingen, mit einer Fahne
fremder Nationalität ausgeübt» habe, schrieb ihm der Vorstand des beklagten
Verbandes am 14. Juni 1936, «dass Ihr theatralisches Gebaren und gar in der
Tracht eines Innerschweizers, mit Rücksicht auf die Heimat unserer teuer
verehrten und bodenständigen Eigentümlichkeit, auf das Gefühl jedes wahren
Eidgenossen absolut abstossend wirken muss, besonders weil sich dieser von
Ihnen durchgeführte Unfug wiederholt hat», mit dem Ersuchen, dem Vorstand bis
zum 17. Juni eine «diesbezügliche Rechtfertigung» zugehen zu lassen, worauf
dieser am 21. Juni über diese «Verletzungen unserer Grundfeste» verhandeln
werde.
Statt dessen antwortete der Kläger am 18. Juni: «Inbezug auf Ihr Schreiben vom
14. Juni teile ich Ihnen mit, dass ich hiermit aus dem Zentralschweiz.
Jodlerverband den Austritt erkläre».
Darauf beschloss der Vorstand am 21. Juni, das Austrittsgesuch des Klägers
nicht zu genehmigen, sondern ihn

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gestützt auf seine vielen und krassen Verfehlungen aus dem Verband
auszuschliessen und dessen Ausschluss im Verbandsorgan zu publizieren (und
gewissen Adressaten brieflich mitzuteilen). Dem Kläger wurde am 30. Juni
mitgeteilt, der Vorstand habe seine Austrittserklärung in seinen Ausschluss
aus dem Verband umgewandelt.
Am 29. Juli erhob der Kläger gegen den beklagten Verband die vorliegende Klage
mit den Anträgen
1. auf Aufhebung des (nichtigen und unbegründeten) Ausschlusses,
2. auf Verurteilung zur Zurücknahme der auf den Ausschluss bezüglichen
Vorkehren und insbesondere zur Urteilspublikation im Verbandsorgan auf Kosten
des beklagten Verbandes,
3. auf Zusprechung einer Schadenersatz- und Genugtuungssumme von Fr. 500.-.
Durch Beschluss der Delegiertenversammlung des beklagten Verbandes vom 8.
November 1936 wurde einstimmig bei vereinzelten Enthaltungen der Ausschluss
des Klägers «erneut beschlossen und bestätigt».
B. - Das Obergericht des Kantons Luzern hat am 19. Juni 1937 die Klage
abgewiesen.
C. - Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht
erklärt mit den Anträgen auf Rückweisung an die Vorinstanz und Gutheissung der
Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Wollte der Kläger aus dem beklagten Verband austreten, so musste er nach den
Statuten ein schriftlich begründetes Austrittsgesuch stellen. Den Statuten ist
kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass dieses Erfordernis nur für den Fall
gelten solle, dass ein Mitglied ohne Beobachtung der von Art. 70
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 70 - 1 Der Eintritt von Mitgliedern kann jederzeit erfolgen.
1    Der Eintritt von Mitgliedern kann jederzeit erfolgen.
2    Der Austritt ist von Gesetzes wegen zulässig, wenn er mit Beobachtung einer halbjährigen Frist auf das Ende des Kalenderjahres oder, wenn eine Verwaltungsperiode vorgesehen ist, auf deren Ende angesagt wird.
3    Die Mitgliedschaft ist weder veräusserlich noch vererblich.
ZGB dafür
gesetzten maximalen Frist austreten will, d. h. rascher als unter Beobachtung
einer halbjährigen Frist auf das Ende des Kalenderjahres oder, wenn eine
Verwaltungsperiode vorgesehen ist, auf deren Ende Nichts stünde nämlich der
statutarischen

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Ordnung des Austritts dahin entgegen, einen früheren als den in Art. 70
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 70 - 1 Der Eintritt von Mitgliedern kann jederzeit erfolgen.
1    Der Eintritt von Mitgliedern kann jederzeit erfolgen.
2    Der Austritt ist von Gesetzes wegen zulässig, wenn er mit Beobachtung einer halbjährigen Frist auf das Ende des Kalenderjahres oder, wenn eine Verwaltungsperiode vorgesehen ist, auf deren Ende angesagt wird.
3    Die Mitgliedschaft ist weder veräusserlich noch vererblich.
ZGB
vorgesehenen Austritt abhängig zu machen nicht nur von der Angabe des
Austrittsgrundes, sondern von der Würdigung des angegebenen Grundes durch ein
Organ des Vereins daraufhin, ob er wahrhaftig und stichhaltig sei, so zwar,
dass der vorzeitige Austritt zugelassen oder aber verweigert werden könnte.
Gestatten jedoch die Statuten, wie hier unverkennbar ist, den Mitgliedern den
sofortigen Austritt zu jeder beliebigen Zeit, legen sie ihnen aber die Pflicht
zur Grundangabe auf, so ist auch jede mit irgendeiner Grundangabe versehene
Austrittserklärung ohne weiteres sofort wirksam und insbesondere nicht von
irgendwelcher Zustimmung des Vereins abhängig; somit fehlt es an einer
spezifisch vereinsrechtlichen Sanktion der Angabe bloss vorgeschobener Gründe.
Sodann würde es auf eine unzulässige Erschwerung des freien Austrittsrechts
hinauslaufen, wenn eine besonders explizite Darlegung des Austrittsgrundes
verlangt werden wollte, an welcher der Verein übrigens ja kein erhebliches
Interesse haben kann, ausser wenn ein Mitglied eigentlich nur widerwillig aus
einem Verein austritt, dem er an und für sich gern auch weiterhin angehören
würde, sofern nicht das Vereinsleben auf irgendwelche Art gestört worden wäre.
Unter diesem Gesichtspunkt muss die Austrittserklärung des Klägers vom 18.
Juli als mit genügender Grundangabe versehen erachtet werden, wie der Vorstand
des beklagten Verbandes denn auch vorerst keine daherigen Einwendungen erhob,
als er den Austritt in die Ausschliessung umwandelte. Die Bezugnahme auf das
Schreiben des Vorstandes vom 14. Juni zeigt deutlich genug, dass es dem Kläger
darum zu tun war, einer erneuten Anprangerung auszuweichen, der er als
verbleibendes Mitglied ausgesetzt gewesen wäre, aber durch den Austritt
entgehen konnte. Freilich gibt sein Austrittsschreiben keinen Aufschluss
darüber, ob er eine allfällige Massregelung als begründet hätte anerkennen
müssen und deshalb selbst davon ausging, er könne nicht länger dem beklagten

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Verband angehören, oder ob er im Gegenteil die Haltung des Vorstandes als
sektiererisch empfand und sich über jeden Vorwurf erhaben glaubte. Indessen
ist kein Interesse des beklagten Verbandes daran ersichtlich, hierüber Näheres
in Erfahrung zu bringen. Entsprach aber die Austrittserklärung des Klägers der
statutarischen Form, insoweit diese als gesetzlich zulässig erachtet werden
kann, so hörte die Mitgliedschaft des Klägers beim beklagten Verband in dem
Zeitpunkt auf, als diesem die Austrittserklärung zuging. Dem beklagten Verband
stand kein Grund zur Seite, aus dem er den Austritt des Klägers hätte ablehnen
dürfen. Dann konnte er aber nicht noch ein paar Tage später den Kläger, der
damals gar nicht mehr Verbandsmitglied war, aus dem Verband ausschliessen. Das
Gesetz gibt dem Verein das Recht zur Ausschliessung von Mitgliedern (und
unterwirft diese der Ausschliessung) zu dem Zwecke, um das Vereinsleben
störende Elemente aus dem Verein zu entfernen. Es besteht kein zureichender
Grund, um diesen Rechtsbehelf gegenüber einem Mitglied zur Anwendung zu
bringen, das sich durch seinen Austritt bereits freiwillig aus dem Verein
entfernt hat. Insbesondere kann den Vereinen nicht zugestanden werden, die
Ausschliessung zur (privaten) Strafe für statutenwidriges oder vielleicht
sogar sonstwie zu missbilligendes persönliches Verhalten auszusprechen, wenn
ihr das fehlbare Vereinsmitglied durch seinen Austritt zuvorgekommen ist. Ist
es infolgedessen zwar nicht mehr Mitglied und kann es daher keine
Mitgliedschaftsrechte mehr ausüben, so muss ihm die gerichtliche Anfechtung
eines derartigen Beschlusses doch zum Schutz seiner Persönlichkeit zugestanden
werden.
Übrigens erweckt das angefochtene Urteil auch sonstwie Bedenken. Die Klage ist
binnen der von Art. 75
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 75 - Beschlüsse, die das Gesetz oder die Statuten verletzen, kann jedes Mitglied, das nicht zugestimmt hat, von Gesetzes wegen binnen Monatsfrist, nachdem es von ihnen Kenntnis erhalten hat, beim Gericht anfechten.
ZGB gesetzten Monatsfrist gegen den Vorstandsbeschluss
vom 21. Juni 1936 erhoben worden, nicht nur aus dem hievor als triftig
erachteten Grund, sondern auch wegen Unzuständigkeit des Vorstandes zu einer
solchen Massnahme,

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und die Vorinstanz hat zutreffend angenommen, dass trotz des Beschlusses der
Delegiertenversammlung vom 1. März 1936 nach wie vor nur diese selbst zur
Ausschliessung befugt gewesen sei, weil jener auf Statutenänderung abzielende
Beschluss den Verbandsmitgliedern, zumal dem Kläger nicht bekannt und daher
nicht etwa unanfechtbar geworden (und mit der vorliegenden Klage rechtzeitig
implizite bezw. replicando, als Präjudizialpunkt, angefochten worden) sei. Der
Umstand, dass dann später, Monate lang nach Erhebung der vorliegenden Klage,
auch noch die dazu allein zuständige Delegiertenversammlung mit der
erforderlichen qualifizierten Mehrheit die Ausschliessung des Klägers
beschlossen hat, vermag nichts daran zu ändern, dass der bezügliche
Vorstandsbeschluss vom 21. Juni zu Unrecht erfolgt und daher die dagegen
erhobene Anfechtungsklage begründet ist. Der vorliegenden Klage wäre der
nachträgliche Beschluss der Delegiertenversammlung nur dann verhängnisvoll
geworden, wenn der Kläger versucht hätte, seine Klage darin zu ändern, dass
sie auf Anfechtung (auch) dieses nachträglichen
Delegiertenversammlungsbeschlusses gerichtet sei, und eine solche
Klageänderung zugelassen worden wäre; indessen ist nichts derartiges
geschehen. Vor allem ist unverständlich, wieso die Vorinstanz unter solchen
Umständen dem Kläger die sämtlichen Kosten des Prozesses auferlegen zu sollen
geglaubt hat, den er doch, auch nach ihrer eigenen Auffassung, während des
ersten Vierteljahres der Prozessdauer mit gutem Recht führen und wegen der
Klagebefristung auch gar nicht versäumen durfte.
Erweist sich somit die Klage, wie sie gestellt und wie an ihr festgehalten
worden ist, als begründet, so gebührt dem Kläger doch kein Schadenersatz und
keine Genugtuung, weil er sich, wie die Vorinstanz mit Recht angenommen hat,
eines Ausschliessungsgrundes schuldig gemacht hatte. Zur Wiedergutmachung
genügt die verlangte Urteilspublikation.

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Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird teilweise dahin begründet erklärt, dass der
Ausschliessungsbeschluss vom 21. Juni 1936 aufgehoben wird und das
Urteilsdispositiv in angemessener Weise auf Kosten des beklagten Verbandes in
der Eidgenössischen Schwinger-, Hornusser- und Jodlerzeitung zu
veröffentlichen ist. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 63 II 353
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 16. Dezember 1937
Quelle : Bundesgericht
Status : 63 II 353
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : ZGB Art. 70: Inwiefern kann die Angabe des Grundes des Austrittes aus dem Verein statutarisch...


Gesetzesregister
ZGB: 70 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 70 - 1 Der Eintritt von Mitgliedern kann jederzeit erfolgen.
1    Der Eintritt von Mitgliedern kann jederzeit erfolgen.
2    Der Austritt ist von Gesetzes wegen zulässig, wenn er mit Beobachtung einer halbjährigen Frist auf das Ende des Kalenderjahres oder, wenn eine Verwaltungsperiode vorgesehen ist, auf deren Ende angesagt wird.
3    Die Mitgliedschaft ist weder veräusserlich noch vererblich.
75
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 75 - Beschlüsse, die das Gesetz oder die Statuten verletzen, kann jedes Mitglied, das nicht zugestimmt hat, von Gesetzes wegen binnen Monatsfrist, nachdem es von ihnen Kenntnis erhalten hat, beim Gericht anfechten.
BGE Register
63-II-353
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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