S. 271 / Nr. 57 Patentrecht (d)
BGE 63 II 271
57. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Juni 1937 i. S.
Philips' N V. Gloeilampenfabrieken gegen Betschard und Astron A.-G.
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Regeste:
Patentrecht. Erfindungshöhe: Die Anforderungen an die geistige Tätigkeit und
den technischen Fortschritt sind, in Abweichung von der früheren Praxis, höher
zu spannen. Das Fehlen des Gebrauchsmusterschutzes in der Schweiz rechtfertigt
nicht, diese Anforderungen niedrig zu halten.
2.... Ob eine Erfindung und die Erfindungshöhe im Sinne des Patentgesetzes
vorliege, ist eine Rechtsfrage und somit vom Bundesgericht zu überprüfen,
wobei allerdings betont werden muss, dass, wie stets, auch hier Momente
tatsächlicher Natur hineinspielen, insbesondere was die Frage anbelangt,
inwieweit das Problem und dessen Lösung nahelagen. Die Vorinstanz hat ihrer
Beurteilung der Patentwürdigkeit eine von der bisherigen Rechtssprechung
abweichende, strengere Auffassung über die Kennzeichen der Erfindung, den
Begriff der Erfindungshöhe, zu Grunde gelegt.
Nach der vom Bundesgericht seit Jahrzehnten geübten Rechtssprechung liegt eine
Erfindung dann vor, wenn auf Grund einer eigenartigen, «schöpferischen», Idee
ein technischer Nutzeffekt und damit ein technischer Fortschritt erzielt wird
(BGE 43 II S. 522; 48 II S. 293; 49 II S. 145). In diesen Entscheidungen hat
das Bundesgericht dabei bald das Erfordernis eines wesentlichen oder
erheblichen technischen Fortschrittes aufgestellt, bald nur einen Fortschritt,
eine Bereicherung der Technik schlechthin verlangt. Auf jeden Fall wurde
gesagt, dass die Neuerung nicht von weittragender Bedeutung zu sein
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brauche, und hinsichtlich der sogenannten schöpferischen Idee, dass das hiezu
erforderliche Mass geistiger Tätigkeit ein grösseres oder geringeres sein
könne, also keine entscheidende Rolle spiele (BGE 49 II S. 138). Mit diesem
letzteren Entscheid war man für die an den Begriff der Erfindung zu stellenden
Anforderungen an der untersten Grenze angelangt; immerhin verlangt auch dieser
Entsoheid noch das Vorliegen einer originellen Idee, grenzt diesen Begriff
dann aber nach unten dadurch ab, dass er nur der handwerksmässigen
Verbesserung oder Massnahme die. Erfindungshöhe versagt. So ist es zu
erklären, dass der Kommentar von WEIDLICH: und BLUM zum schweizerischen
Patentrecht, S. 85, zu der allgemeinen Formulierung gekommen ist, dass jeder
technische Fortschritt, welcher sich nicht einfach als Folge einer
konstruktiven fachmännischen Tätigkeit, also einer handwerksmässigen
Massnahme, darstelle, die Voraussetzungen für die Erteilung des
schweizerischen Patentschutzes erfülle. Der Ausgangspunkt für diese die
Anforderungen auf ein so geringes Mass herabschraubende bundesgerichtliche
Praxis lag bekanntlich in der Überlegung, dass es nicht wohl angehe, an die
erfinderische Gestaltungskraft hohe Anforderungen zu stellen, weil in der
Schweiz ein Gebrauchsmusterschutz fehle und das Patentrecht hier also
gewissermassen in die Lücke zu treten habe (BGE 43 II S. 524; 49 II S. 138).
Das Bundesgericht hat dabei nicht etwa den Erfindungsschutz auf die
Gebrauchsmuster schlechthin ausgedehnt, sondern es hat nur eine möglichst
weitherzige Auslegung des Erfindungsbegriffes für richtig gehalten. In seiner
neuesten Praxis hat das Bundesgericht dann allerdings bei der Prüfung der
Erfindungshöhe doch wieder mehr Gewicht auf die Frage des erfinderischen
Gedankens gelegt. So wird in BGE 58 II S. 80 auf Grund einlässlicher Prüfung
das Vorliegen eines originellen Gedankens festgestellt, durch den etwas
erreicht werde, was durchaus nicht nahegelegen habe. In einem späteren
Entscheid, BGE 58 II S. 272, wurde in diesem
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Zusammenhang lediglich noch bemerkt, dass es sich bei der Wertung der
Originalität des Gedankens nicht um eine grosse Erfindungsidee zu handeln
brauche. Durch den Entscheid BGE 59 II S. 330 endlich wurde ein Patent mangels
Erfindungshöhe nichtig erklärt, weil die Erfindungsidee nahelag, und durch BGE
61 II S. 53 wurden die Akten an die Vorinstanz zurückgewiesen zu dem Zwecke,
die Frage des Vorliegens einer Bereicherung der Technik zu untersuchen und im
Anschluss daran zu prüfen, ob zur Erzielung des allenfalls vorhandenen
technischen Fortschrittes eine schöpferische Geistestätigkeit erforderlich
gewesen sei.
3.- Es fragt sich nun, ob diese Tendenz, an die Erfindungshöhe strengere
Anforderungen zu stellen, weiter zu verfolgen sei, oder ob nicht gegenteils
wieder zu der von der früheren Praxis geübten weitherzigeren Beurteilung
zurückgekehrt werden solle. Für die Entscheidung dieser Frage ist es von
Nutzen, zunächst die Stichhaltigkeit des Hauptargumentes zu untersuchen, mit
welchem die bisherige Praxis gerechtfertigt wurde, des Argumentes nämlich,
dass durch entsprechende Tiefhaltung der Anforderungen an die Erfindungshöhe
bis zu einem gewissen Grade das Fehlen des Gebrauchsmusterschutzes im
schweizerischen Recht wettgemacht werden sollte.
Diese Auffassung erklärt sich zu einem wesentlichen Teil historisch; sie
beruht auf der Rechtslage, wie sie unter der Herrschaft des alten
Patentgesetzes vom 29. Juni 1888 (AS NF 10 S. 764 ff). bestand. Nach Art. 1
dieses Gesetzes konnte nämlich nur Gegenstand einer patentfähigen Erfindung
sein, was durch ein Modell darstellbar und dargestellt war. Der äusseren
Erscheinung nach näherte sich also die Erfindung dem Gebrauchsmuster; dieses
bildete die Fortsetzung nach unten. Damit lag die Ausdehnung des gesetzlichen
Schutzes in der vom Bundesgericht angeführten Weise nahe; die Grenzlinie war
eine fliessende. Durch das heute geltende
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Patentgesetz vom 21. Juni 1907 wurde aber der Patentschutz unter Preisgabe des
Erfordernisses der modellmässigen Darstellbarkeit ausgedehnt auf die
Erfindungen von Verfahren und von reinen Erzeugnissen. Dieses ganze, neu
hinzugekommene Gebiet liegt dem Gegenstand des Gebrauchsmusters völlig fern,
und es ist nicht einzusehen, mit welcher Berechtigung dem Schutze des
letzteren zuliebe jener bei weitem überragende Teil der Erfindungen ebenfalls
mit geringer Strenge geprüft werden soll.
Das Gebrauchsmuster, oder was ihm nahekommt, kann aber auch seinem Wesen nach
nicht einen so weitreichenden Schutz beanspruchen wie die wirkliche Erfindung.
Das Gebrauchsmusterrecht befasst sich mit der F o r m von
Gebrauchsgegenständen, sein Gegenstand ist die blosse räumliche
Formgestaltung, die dem Gebrauchswert von Gegenständen dient; Erfindung
dagegen ist eine zum technischen Ausdruck gebrachte Ideenschöpfung. Die
geistige Tätigkeit und die Errungenschaft des Urhebers sind hier und dort der
Qualität und dem Grade nach verschieden. Darnach ist auch der Schutz, der dem
einen und dem andern Gegenstand gebührt, ein durchaus verschiedener. Die
Länder, die neben dem Erfindungsschutz auch den Schutz des Gebrauchsmusters
kennen, gewähren diesem einen bedeutend beschränkteren Schutz als der
Erfindung. Ein Schutz von 15 Jahren, der sich zudem nicht nur zivil- sondern
auch strafrechtlich auswirkt, soll aber grundsätzlich doch nur dem Produkte
gewährt werden, das wegen seiner sich heraushebenden Art dieses Schutzes
würdig ist, und technische Neuerungen, die letzten Endes der Allgemeinheit zu
dienen bestimmt sind, sollen nicht 15 Jahre hindurch dem Gemeingebrauch
entzogen werden können, wenn sie nur einen geringen geistigen Aufwand
erfordern und mehr eine neue Gestaltung als eine neue technische Wirkung
betreffen.
Die Gewährung des Erfindungsschutzes ist in der Schweiz eingeführt worden, um,
wie der Bundesrat in
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seiner Botschaft zum Gesetz von 1888 einleitend ausführte, «den Erfindergeist
zu fördern» (BBl. 1888 I S. 242), also nicht nur im Interesse des Erfinders,
sondern auch in demjenigen der Allgemeinheit. Die nachherige Entwicklung ist
dann einen zum Teil etwas unerwarteten Weg gegangen; zu leichte
Patentgewährung infolge des Systems des blossen Anmeldeverfahrens legten der
gesunden und wünschbaren Konkurrenz unnötige Hemmungen auf und verleiteten zum
Missbrauch des Patentschutzes. Mit vollem Recht weist die Vorinstanz in diesem
Zusammenhang darauf hin, dass der Patentschutz infolgedessen zu einer für die
Industrie immer schwerer tragbaren Fessel geworden ist, weil die Leistung des
Erfinders dem ihm vom Gesetzgeber gewährten Schutz nicht voll entspricht. Dies
gilt in ganz besonderem Masse für eine Zeit wie die heutige, in der durch die
ausserordentliche Vermehrung der Zahl der Patente die Bewegungsfreiheit auf
industriellem Gebiete stark eingeschränkt ist, und in der sich allmählich eine
eigentliche Bekämpfung der sich konkurrenzierenden Unternehmungen auf
wirtschaftlichem Gebiet vermittelst des Patentschutzes herausgebildet hat.
Diesen unerwünschten Auswirkungen ist nicht zuletzt auch im Interesse des
Wesens des Patentschutzes und der Erfindung selbst entgegenzutreten. Auch die
Technik wird es schliesslich dem Richter danken, wenn er Erfindung und
Erfindungsschutz aus dem Gebiete des blossen wirtschaftlichen Kampfes in die
reinere Sphäre des geistigen Wettstreites erhebt, ohne dass man dabei
verkennen wollte, dass das Interesse am wirtschaftlichen Erfolg auch für die
Erfindertätigkeit eine Rolle spielt oder sogar deren Triebfeder bedeutet.
Für eine Verschärfung der Anforderungen spricht sodann auch noch, dass nicht
nur die Technik selbst, sondern auch der Kreis der in ihr ausgebildeten und
beschäftigten Menschen innert der vergangenen Dezennien eine sehr grosse
Erweiterung erfahren hat. Das technische Bildungsgut ist durch die aus
öffentlichen
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Mitteln errichteten Anstalten immer weiter verbreitet worden. Die
Errungenschaften, die durch die blosse Anwendung dieses allen zugänglichen
Bildungsgutes jetzt oder in Zukunft erreicht werden, sollen nicht
monopolisiert werden können. Der Erfindungsschutz muss also auf einen
Gegenstand beschränkt werden, der sich in klar erkennbarer Weise über das
Niveau dieses allgemeinen Bildungsgutes hinaushebt. Diese Anforderungen müssen
naturgemäss strenger werden, je mehr sich die allgemeine technische Bildung
vertieft und verfeinert.
Alle diese Überlegungen lassen es daher als richtig erscheinen, dem von der
Rechtssprechung des Bundesgerichtes bereits eingeschlagenen Weg der Anlegung
eines strengeren Masstabes weiter zu folgen und sich für den Erfindungsbegriff
wieder in vermehrtem Masse auf die Anforderungen an die geistige Tätigkeit zu
besinnen. Die Originalität des Erfindungsgedankens ist wieder mehr in den
Vordergrund zu rücken und damit von der Tätigkeit des Erfinders etwas
qualitativ anderes zu verlangen, als vom bloss geschickten Fachmann; es muss
zum mindesten gefordert werden, dass Problem und Lösung nicht derart
nahelagen, dass ihre Auffindung nur noch eine technische Fortbildung
darstellte, die schon dem gutausgebildeten Fachmann möglich war. Ebenso sind
die Anforderungen hinsichtlich des technischen Fortschrittes, der Bereicherung
der Technik wieder höher zu spannen; wenn auch nicht gefordert werden kann,
dass jede Erfindung von überragender Bedeutung sei, so muss doch der
technische Fortschritt ein klar erkennbarer und innerhalb des betreffenden
Gebietes wesentlicher sein.