S. 267 / Nr. 56 Motorfahrzeugverkehr (d)

BGE 63 II 267

56. Urteil den I. Zivilabteilung vom 13. Juli 1937 i. S. Dickson gegen
«Nordstern» Allgemeine Versicherungs - A.-G.


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Regeste:
Betrieb des Motorfahrzeugs, Art. 37 Abs. 1 MFG.

A. - Der Kläger, Farlie Dickson, schickte sich am 10. Dezember 1933 etwa um 23
Uhr vor der Righini-Bar in Zürich 1 an, mit Bekannten in einem Taxameter-Auto
der Firma Gebrüder Frey nach Hause zu fahren. Beim Einsteigen (durch die
hintere Türe) umfasste er den Mittelbalken der Karosserie. In diesem Moment
wurde die vordere Türe zugeschlagen und dadurch dem Kläger der Zeigefinger der
rechten Hand zerquetscht; der Finger musste in der Folge bis auf das
Grundglied amputiert werden.
B. - Unter Hinweis auf Art. 37 und 49 MFG belangte der Kläger vor
Bezirksgericht Zürich die Beklagte, «Nordstern», Allgemeine Versicherungs -
A.-G., bei der die Firma Gebrüder Frey für ihre Haftpflicht als Autohalterin
versichert war, auf Bezahlung eines Betrages von Fr. 15000.- nebst 5% Zins
seit 10. Dezember 1933 als Schadenersatz und Genugtuung, welche Forderung er
im Verlaufe des Prozesses auf Fr. 7000.- nebst entsprechendem Zins
herabsetzte.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage, weil der Unfall nicht durch den
Betrieb des Motorfahrzeugs verursacht worden sei; eventuell bestritt sie die
Forderung der Höhe nach.
C. - Das Bezirksgericht Zürich wies die Klage durch Urteil vom 8. November
1935 ab.
Das Obergericht des Kantons Zürich, an welches der Kläger die Sache weiterzog,
bestätigte durch Urteil vom

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13. November 1936 das abweisende Erkenntnis des Bezirksgerichtes. Es schloss
sich der Auffassung an, die im Kommentar Strebel, N. 8 ff zu Art. 37 ,
vertreten wird. Obwohl der Ausdruck «Betrieb» in Anlehnung an Art. 1 EHG
gewählt worden sei, decken sich die beiden Begriffe nicht. Der Betriebsbegriff
des Art. 37 MFG müsse aus dieser Bestimmung selbst und den gesetzgeberischen
Motiven gewonnen werden. Dabei komme man grundsätzlich zum sogenannten
maschinentechnischen Begriff, wonach das Motorfahrzeug im Betrieb sei, wenn
die die Maschine bewegenden Kräfte auf dieselbe einwirken. Um auch praktisch
ein befriedigendes Resultat zu erzielen und der ratio legis gerecht zu werden,
müsse aber noch etwas über den gewöhnlichen Begriff des Maschinenbetriebs
hinaus gegangen werden. Einmal sei der Bewegung des Fahrzeuges durch
motorische Kraft die Fortbewegung durch seine eigene Kraft gleichzustellen,
sodann könne der Betrieb nicht schon dann als beendet angesehen werden, wenn
Fahrzeug und Motor zum Stillstand gekommen seien, sondern erst dann, wenn auch
die andern Einrichtungen maschineller Art, welche die charakteristische
Gefahrenquellen des Automobilbetriebes darstellen, zu funktionieren aufgehört
haben. Darnach bilde also die Haftungsgrenze des Art. 37 nicht der Gegensatz
von Gefährlichkeit und Ungefährlichkeit, sondern derjenige von
Betriebszugehörigkeit und Betriebsfremdheit. Im vorliegenden Falle sei nicht
ganz abgeklärt, ob der Motor im Augenblicke, als der Kläger den Türpfosten
erfasst habe, im Gang gewesen sei. Hingegen stehe ausser Frage, dass der
Unfall weder auf die Bewegung des Autos nach auf eine solche des Motors
zurückzuführen sei. Vielmehr habe der Kläger sich beim Einsteigen bücken
müssen und sich dabei am Türpfosten gehalten, worauf beim Zuschlagen der Türe
der Finger eingeklemmt worden sei. Diese Tatsachen hätten mit dem Betrieb des
Motorfahrzeugs gemäss Art. 37 MFG nichts zu tun, sondern seien lediglich
bedingt gewesen durch die Konstruktion

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des Autos. Die Haftpflicht der Beklagten aus Art. 37 sei daher zu verneinen.
Erwägungen darüber, ob eine Haftung aus allgemeinen Verschuldensgrundsätzen in
Betracht käme, seien nicht anzustellen, da der Kläger hiefür nichts
vorgebracht habe.
D. - Gegen das obergerichtliche Urteil hat der Kläger die Berufung an das
Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Aufhebung des Urteils und Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz zur Festsetzung des Quantitativs.
Die Beklagte hat Abweisung der Berufung beantragt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Der Halter eines Motorfahrzeugs haftet nach Art. 37 Abs. 1 MFG für den
Schaden, wenn durch den Betrieb des Fahrzeugs ein Mensch getötet oder verletzt
oder Sachschaden verursacht wird.
Dieser Betriebsbegriff kann auf jeden Fall nicht identisch sein mit demjenigen
des Art. 1 EHG, wenn, auch feststeht, dass der Ausdruck aus dieser Bestimmung
herübergenommen wurde. Unter Betrieb im Sinne von Art. 1 EHG wird nicht der
Betrieb eines Eisenbahnzuges oder eines einzelnen Wagens verstanden, sondern
der (technische) Betrieb der ganzen Eisenbahnunternehmung, die Summe der
Einzeltätigkeiten, die der Beförderung von Personen und Sachen auf dem
Schienenweg oder der unmittelbaren Vorbereitung hiezu dienen (BGE 60 II 373
und dort angeführte Entscheidungen; Strebel, N. 6 zu Art. 37 MFG). Bei Art. 37
MFG dagegen kommt der Natur der Sache nach überhaupt nur der Betrieb des
einzelnen Fahrzeugs in Betracht.
Mit der Vorinstanz und Strebel, N. 8 ff zu Art. 37, ist grundsätzlich davon
auszugehen, dass das Motorfahrzeug sich dann im Betrieb befindet, wenn seine
maschinellen Einrichtungen, welche die dem Motorfahrzeugverkehr eigentümliche
Gefahrenquelle darstellen, also namentlich Motor und Scheinwerfer, im Gange
sind, wobei der Fortbewegung des Fahrzeugs durch den Motor

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diejenige durch die eigene Schwerkraft zum mindesten bei bewusster Ausnutzung
gleichgestellt werden muss. Damit hat aber der vorliegende Unfall nichts zu
tun. Er ereignete sich bei stillestehendem Wagen und weist auch sonst weder
mit dem Betrieb des Motors - sofern dieser überhaupt angelassen war - noch
einer andern maschinellen Einrichtung des Fahrzeugs irgendwelchen Zusammenhang
auf, sondern ist allein darauf zurückzuführen, dass sich der Kläger beim
Einsteigen mit der Hand am Türpfosten hielt und ein anderer Wageninsasse in
diesem Augenblick die Türe zuschlug. Der Kläger will darin trotzdem einen
Betriebsunfall sehen, weil das Einsteigen infolge der im allgemeinen niedern
Bauart der Automobile in gebückter Haltung zu erfolgen habe, weil ferner die
Türen beim Schliessen «geschletzt» werden müssen und weil sie mit scharfen
Kanten versehen seien. Allein die Vorinstanzen weisen mit Recht daraufhin,
dass diese Bauart keine Besonderheit der Automobile bilde, sondern z. B. auch.
schon bei den Pferdedroschken vorhanden gewesen sei. Aber auch abgesehen
hievon, handelt es sich dabei auf jeden Fall nicht um maschinelle
Einrichtungen, von denen die für die Motorfahrzeuge charakteristischen und für
die Anwendbarkeit des Art. 37 MFG massgebenden Verkehrsgefährdungen ausgehen.
Die Haftung der Beklagten nach Art. 37/49 MFG ist somit zu verneinen.
Dass die Beklagte als Haftpflichtversicherer der Taxameterfirma unter
irgendwelchen andern Gesichtspunkten für den Unfall einzustehen habe, hat der
Kläger auch vor Bundesgericht nicht geltend gemacht.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Zürich vom 13. November 1936 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 63 II 267
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 13. Juli 1937
Quelle : Bundesgericht
Status : 63 II 267
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Betrieb des Motorfahrzeugs, Art. 37 Abs. 1 MFG.


Gesetzesregister
EHG: 1  37
BGE Register
60-II-372 • 63-II-267
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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