BGE 63 II 199
44. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. Juni 1937 i. S.
Troller gegen Schenker.
Regeste:
Art. 100 KUVG. Der Anspruch der Suval gegen den Dritten, der für den Unfall
haftet, ist kein originärer, sondern beruht auf Subrogation, die nur in dem
Umfange eintritt, in dem die Suval ihre Leistungspflicht gegenüber dem
Geschädigten tatsächlich erfüllt.
A. - Der Kläger stiess am 26. November 1932 auf seinem Motorrad mit dem
Automobil des Beklagten zusammen und wurde dabei schwer verletzt. Er war als
Arbeiter der Firma A. Kiefer A. G., Baugeschäft in Olten, bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt obligatorisch versichert. Diese
bezahlte ihm ein Krankengeld in der Höhe von Fr. 1424.50, für die
Heilungskosten einen Betrag von Fr. 1175.60 und für vorübergehende
Teilinvalidität eine Abfindungssumme von Fr. 205.80.
Bei Berechnung der Abfindung für Invalidität ging die Suval aus von einer
theoretischen Invalidität von 20% für drei Monate und von 10% für weitere
sechs Monate. Sie teilte dem Kläger die so errechnete Abfindungssumme mit und
eröffnete ihm gleichzeitig gemäss Art. 9 a
Seite: 200
der bundesrätlichen Verordnung II über die Unfallversicherung für den Fall der
Nichtannahme eine sechsmonatige Klagefrist. Der Kläger machte indessen von
seinem Klagerecht keinen Gebrauch.
B. - Dagegen beschritt der Kläger den Rechtsweg gegen den Beklagten, indem er
von ihm Bezahlung eines Betrages von Fr. 19360.70 verlangte, wovon Fr.
15744.10 unter dem Titel Erwerbseinbusse infolge dauernder Invalidität und Fr.
16.- für eine Zahnarztrechnung.
Die Klage wurde vom Amtsgericht Sursee bis zum Betrage von Fr. 4000.-, vom
Obergericht des Kantons Luzern bis zum Betrage von Fr. 4540.- geschützt.
C. - Gegen das obergerichtliche Urteil vom 24. Februar 1937 ergriff der
Beklagte die Berufung an das Bundesgericht.
Aus den Erwägungen:
Der Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation des Klägers mit der Begründung,
alle diejenigen Forderungen, die dem Kläger gemäss dem KUVG gegenüber der
Suval zugestanden haben, seien auf letztere übergegangen, und der Kläger könne
nicht mehr darüber verfügen. Diese Einrede bezieht sich auf die Posten
Invaliditätsentschädigung und Zahnarztrechnung. Diese beiden Forderungsrechte
sollen automatisch nach Gesetz auf die Suval übergegangen sein; beim Kläger
sei nur ein Forderungsrecht geblieben für diejenigen Beträge, für die ihm nach
dem KUVG die Suval nicht Schuldnerin geworden sei. Der Anspruch des Klägers
gegenüber der Suval beruhe auf Art. 73 KUVG. Gemäss Art. 100 des gleichen
Gesetzes trete die Suval schon im Momente des Unfalles in die Rechte des
Versicherten ein bis zur Höhe der nach dem Gesetz von ihr zu machenden
Leistungen; dem Verunfallten seien sie endgültig entzogen. Die Ansprüche
stünden der Suval kraft eigenen Rechtes zu, und der Suvalversicherte könne
hinsichtlich dieser Ansprüche nicht frei wählen, ob er sich an die Suval oder
an den
Seite: 201
Haftpflichtigen halten wolle. Die Suval selbst teile diese Auffassung, sie
entspreche übrigens der ratio legis; diese Auffassung allein verbürge die
Rechtssicherheit und verhindere, dass der Geschädigte sich zweimal bezahlt
mache oder dass die Suval um ihre Regressansprüche komme.
Das Obergericht des Kantons Luzern hat diese Auffassung abgelehnt. Mit Recht.
Nach dem klaren Wortlaut des Art. 100 KUVG handelt es sich bei dem darin
beschriebenen Vorgang um einen Eintritt der Suval in die Rechte des
Versicherten, also um eine Subrogation, nicht um die Entstehung eines neuen,
selbständigen Anspruches. Der Suval gegenüber können alle Einreden geltend
gemacht werden, die dem Versicherten und Verunfallten entgegengehalten werden
können. Diese Ansicht entspricht der überwiegenden Mehrheit des Schrifttums
und der ständigen bundesgerichtlichen Praxis (GIORGIO und NABHOlZ, Die
schweizerische obligatorische Unfallversicherung S. 379/ 80; BGE 53 II 180 ff.
und die dortigen zahlreichen Zitate). Max Sauser nimmt in einer Zürcher
Dissertation vom Jahre 1919 an, dass es sich bei Art. 100 KUVG um einen der
Suval auf Grund öffentlichen Rechtes zustehenden, originären Anspruch handle,
«eine Art obligatio ex lege», wie er sich ausdrückt (s. S. 114 ff.). Die
Ausführungen Sausers sind aber keineswegs schlüssig und gehen völlig am
Wortlaut der Bestimmung des Art. 100 vorbei.
Obige Frage ist indessen nicht bedeutsam für die Entscheidung. Ob es sich um
eine Sutrogation, eine cessio ex lege oder um einen selbständigen Anspruch der
Suval handle, so erwirbt sie die Rechte des Versicherten zweifellos nur
insoweit, als sie die ihr obliegende Leistungspflicht erfüllt. Art. 100
spricht unzweideutig vom Eintritt in die Rechte «bis auf die Höhe ihrer
Leistungen». Davon ist die Frage unabhängig, ob die Legalzession eintrete mit
dem Zeitpunkt der Zahlung oder ob sie zurückbezogen werden müsse auf den Tag
des Unfalles. Die Einwendung des Beklagten bleibt denn
Seite: 202
auch nicht bei dieser unstrittenen Frage stehen, sie bezieht sich vielmehr auf
den Inhalt der übergehenden Rechte; der Beklagte behauptet, der
Forderungsübergang oder die Entstehung der originären Forderung trete
unbekümmert um die Frage der effektiven Leistung ohne weiteres ein im ganzen
Umfange der theoretischen Leistungspflicht der Suval, und deshalb sei dafür
der Tag des Unfalles massgebend. Hievon kann angesichts des Wortlautes von
Art. 100 nicht die Rede sein. Art. 100 stimmt inhaltlich überein mit Art. 72
des Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag, und beide Gesetzesstellen
bilden auf besonderer Vorschrift beruhende Spezialfälle der allgemeinen
Subrogation gemäss Art. 110
SR 220 Première partie: Dispositions générales Titre premier: De la formation des obligations Chapitre I: Des obligations résultant d'un contrat CO Art. 110 - Le tiers qui paie le créancier est légalement subrogé, jusqu'à due concurrence, aux droits de ce dernier: |
|
1 | lorsqu'il dégrève une chose mise en gage pour la dette d'autrui et qu'il possède sur cette chose un droit de propriété ou un autre droit réel; |
2 | lorsque le créancier a été prévenu par le débiteur que le tiers qui le paie doit prendre sa place. |
Voraussetzung für den Eintritt der Subrogation der Vollzug der Leistung. Eine
andere Auffassung ist unserem Rechte fremd, und es hätte in Art. 100 KUVG
ausdrücklich gesagt werden müssen, wenn der Verunfallte in dem Masse, als er
versichert ist, schon allein mit der Tatsache des Unfalles seiner Rechte
zugunsten der Suval hätte verlustig erklärt werden wollen. Die Rechte
verbleiben beim Geschädigten, solange und soweit er nicht befriedigt wird, und
ihm kommt die Wahl zu, wen er einklagen will. Diese Auffassung ist auch die
allein billige und praktisch anwendbare, da dem Verunfallten nicht zugemutet
werden kann, zwei Prozesse zu führen: einmal gegen die Suval und sodann für
den von ihr nicht zu prästierenden Rest gegen den Schadensstifter. Da zudem
die Leistungspflicht der Suval nicht von vorneherein fest steht, sondern sehr
oft erst im Prozesse abgeklärt werden muss, wüsste der Verunfallte zunächst
überhaupt nicht, was er gegenüber dem Schadensstifter einzuklagen hätte. Das
KUVG ist letzten Endes im Interesse der Kranken und Verunfallten eingeführt
worden, nicht zur Erleichterung der Stellung der Schadenstifter. Das
Obergericht hat durchaus recht, wenn es ausführt, die soeben erörterte
Auffassung ergebe sich als die selbstverständliche Meinung des
Seite: 203
Bundesgerichtes aus der Entscheidung in BGE 51 II 520 (ferner zu vergleichen
BGE 54 II 468; 58 II 232 ff; 60 II 34 und 157; Strebel, Kommentar zum MFG, N
30 ff zu Art. 56). Auch die Suval ist übrigens nicht anderer Ansicht, wie dies
der Beklagte aus einer Zuschrift der Suval an ihn schliessen will. Sie schrieb
ihm am 22. Dezember 1932, dass sie ihn bei Gefahr der Doppelzahlung davor
warne, mit dem Kläger eine Abmachung zu treffen, da eine solche von ihr nicht
anerkannt würde. Damit will die Suval nur in richtiger Weise zum Ausdruck
bringen, dass durch Abmachungen unter den Parteien die Frage des Umfanges
ihrer Leistungspflicht und ihres Regressrechtes gegenüber dem Beklagten nicht
berührt werde; sie stellt sich aber keineswegs auf den Standpunkt, dem Kläger
stehe überhaupt kein Recht gegenüber dem Beklagten zu.
Dem Kläger sind also grundsätzlich seine Ansprüche, soweit sie nicht
befriedigt wurden, verblieben, und er klagt sie aus eigenem Recht gegenüber
dem Beklagten ein.
Damit erledigt sich auch die Verjährungs- oder Verwirkungseinrede des
Beklagten, die lediglich dahin ging, der Kläger habe mangels Klageerhebung
gegenüber der Suval die Verjährung oder Verwirkung seiner Ansprüche eintreten
lassen, damit seien diese Ansprüche endgültig untergegangen und können auch
dem Beklagten gegenüber nicht wieder aufleben oder von der Suval auf den
Kläger rückübertragen werden. Eine Verjährungseinrede gegenüber dem
selbständigen Klageanspruch des Klägers, sowie er unmittelbar gegenüber dem
Beklagten besteht, ist nicht erhoben worden und fände auch in den Akten keine
Stütze.