S. 7 / Nr. 3 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 62 III 7

3. Entscheid vom 18. Februar 1936 i. S. Kunst & Spiegel A.-G.


Seite: 7
Regeste:
Die Retentionsurkunde fällt, auch bei Rechtsvorschlag gegen das
Retentionsrecht, nicht dahin, wenn der Vermieter (Verpächter) zunächst nur
Rechtsöffnung und allfällig erst nach Erledigung dieses Verfahrens
gerichtliche Klage auf Feststellung des Retentionsrechts erhebt.
L'inventaire des objets soumis au droit de rétention demeure en force même en
cas d'opposition à la poursuite, si le bailleur se borne à requérir d'abord la
mainlevée et intente, le cas échéant seulement après cette procédure l'action
tendant à faire constater son droit de rétention.
L'inventario degli oggetti colpiti dal diritto di ritenzione esplica i suoi
effetti anche se fu fatta opposizione all'esecuzione e il locatore si limita a
chiedere il rigetto dell'opposizione riservandosi di promuovere solo dopo la
fine della prefata procedura l'azione giudiziale volta a far riconoscere il
suo diritto di ritenzione.

A. - In einer Mietzinsbetreibung der Rekursgegnerin gegen die Rekurrentin
erhob letztere Rechtsvorschlag und zwar sowohl gegen die Forderung als gegen
das Retentionsrecht. Auf das binnen zehn Tagen gestellte
Rechtsöffnungsbegehren der Rekursgegnerin hin entschied das Bezirksgericht
Zürich (Einzelrichter im summarischen Verfahren): «Der Klägerin wird ...
provisorische Rechtsöffnung erteilt für 8750 Fr. nebst 5% Zins seit 1. April
1934, sowie Betreibungs-, Retentions- und 1/2 der umstehenden
Rechtsöffnungskosten. Auf das Begehren um Beseitigung des Rechtsvorschlages
gegen das Retentionsrecht wird nicht eingetreten». Den Entscheidungsgründen
ist zu entnehmen: «Das Rechtsöffnungsverfahren ist nicht der ordentliche Weg
zur Beseitigung des Rechtsvorschlages, sondern der Rechtsvorschlag muss
regelmässig auf dem Prozesswege beseitigt werden, und nur für die gesetzlich
vorgesehenen, abschliessend aufgezählten Fälle von SchKG Art. 80 ff. ist ein
Ausnahmeverfahren statuiert. Dieses Ausnahmeverfahren, dessen Bereich nicht
durch extensive Auslegung erweitert werden darf, hat nach dem Wortlaut des
Gesetzes nur die Forderung als solche zum Gegenstand.

Seite: 8
Dass der Rechtsöffnungsrichter nicht über das Retentionsrecht an sich
entscheiden kann, ist ohne weiteres klar; er darf aber auch nicht auf einen an
der Retention haftenden Rechtsschein abstellen, da dieser nicht gesetzlich als
Rechtsöffnungstitel statuiert ist.» Darauf erhob die Rekursgegnerin binnen
zehn Tagen gerichtliche Klage auf Feststellung ihres Retentionsrechtes.
Demgegenüber verlangte die Rekurrentin vom Betreibungsamt Freigabe der
retinierten Gegenstände mit der Begründung: «Es ist daher durch
rechtskräftigen Entscheid festgestellt, dass die Gläubigerin innert der
zehntägigen Frist zur Prosequierung der Retentionen kein Begehren um
Beseitigung des Rechtsvorschlages gegen das Retentionsrecht bei dem dazu
zuständigen Gericht eingereicht hat. Demgemäss sind die Retentionen gemäss
Kreisschreiben des Bundesgerichtes vom 12. Juni 1901 dahingefallen».
B. - Der vorliegende Rekurs richtet sich gegen die Abweisung der daherigen
Beschwerde durch die kantonale Aufsichtsbehörde (Entscheid vom 23. Januar
1936).
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Auf der Abschrift der Retentionsurkunde wird dem Vermieter entsprechend dem
angeführten Kreisschreiben mitgeteilt: «Erhebt der Schuldner gegen die
Betreibung Rechtsvorschlag, so ist der Gläubiger gehalten, binnen zehn Tagen
seit dessen Mitteilung Rechtsöffnung zu verlangen oder die Klage auf
Anerkennung seines Forderungsrechtes oder seines Retentionsrechtes
anzustellen. Wird der Gläubiger im Rechtsöffnungsverfahren abgewiesen, so hat
er binnen zehn Tagen nach Mitteilung des Entscheides die Klage einzuleiten.
Der Retentionsbeschlag fällt für die betreffende Forderung dahin, wenn der
Gläubiger die bezeichneten Fristen nicht einhält, wenn er die angehobene Klage
oder Betreibung zurückzieht oder erlöschen lässt, oder wenn er mit seiner
Klage vom Gericht endgültig abgewiesen wird». Ob der Retentionsbeschlag
dementsprechend

Seite: 9
dahingefallen sei, kann, gleichwie ähnliche Fragen, ungeachtet der
Prozesspendenz von den Betreibungsbehörden entschieden werden. Der Bejahung
dieser Frage steht das Bedenken entgegen, dass das Formular für die
Abschriften der Retentionsurkunde (und das einschlägige Kreisschreiben) keine
klare, unzweideutige Androhung der Verwirkung des Retentionsbeschlages für den
Fall enthält, dass der Schuldner Rechtsvorschlag ausdrücklich auch gegen das
Retentionsrecht erhoben hat und der Gläubiger dann nicht sofort binnen zehn
Tagen seit dessen Mitteilung Klage auf Anerkennung seines Retentionsrechtes
anstellt, es also vorerst mit einem blossen Rechtsöffnungsbegehren probiert.
Und es besteht auch kein zureichender Grund, um die ausgesprochene Androhung
in diesem Sinn auszulegen oder allfällig für die Zukunft zu ergänzen. In der
Pfandverwertungsbetreibung finden gemäss Art. 153 Abs. 3
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 153 - 1 Die Ausfertigung des Zahlungsbefehls erfolgt gemäss Artikel 70.
1    Die Ausfertigung des Zahlungsbefehls erfolgt gemäss Artikel 70.
2    Das Betreibungsamt stellt auch folgenden Personen einen Zahlungsbefehl zu:
a  dem Dritten, der das Pfand bestellt oder den Pfandgegenstand zu Eigentum erworben hat;
b  dem Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder dem eingetragenen Partner des Schuldners oder des Dritten, falls das verpfändete Grundstück als Familienwohnung (Art. 169 ZGB303) oder als gemeinsame Wohnung (Art. 14 des Partnerschaftsgesetzes vom 18. Juni 2004304) dient.
2bis    Die in Absatz 2 genannten Personen können Rechtsvorschlag erheben wie der Schuldner.306
3    Hat der Dritte das Ablösungsverfahren eingeleitet (Art. 828 und 829 ZGB), so kann das Grundstück nur verwertet werden, wenn der betreibende Gläubiger nach Beendigung dieses Verfahrens dem Betreibungsamt nachweist, dass ihm für die in Betreibung gesetzte Forderung noch ein Pfandrecht am Grundstück zusteht.307
4    Im Übrigen finden mit Bezug auf Zahlungsbefehl und Rechtsvorschlag die Bestimmungen der Artikel 71-86 Anwendung.308
SchKG im allgemeinen
mit Bezug auf Zahlungsbefehl und Rechtsvorschlag die Bestimmungen der Art. 71
bis
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 153 - 1 Die Ausfertigung des Zahlungsbefehls erfolgt gemäss Artikel 70.
1    Die Ausfertigung des Zahlungsbefehls erfolgt gemäss Artikel 70.
2    Das Betreibungsamt stellt auch folgenden Personen einen Zahlungsbefehl zu:
a  dem Dritten, der das Pfand bestellt oder den Pfandgegenstand zu Eigentum erworben hat;
b  dem Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder dem eingetragenen Partner des Schuldners oder des Dritten, falls das verpfändete Grundstück als Familienwohnung (Art. 169 ZGB303) oder als gemeinsame Wohnung (Art. 14 des Partnerschaftsgesetzes vom 18. Juni 2004304) dient.
2bis    Die in Absatz 2 genannten Personen können Rechtsvorschlag erheben wie der Schuldner.306
3    Hat der Dritte das Ablösungsverfahren eingeleitet (Art. 828 und 829 ZGB), so kann das Grundstück nur verwertet werden, wenn der betreibende Gläubiger nach Beendigung dieses Verfahrens dem Betreibungsamt nachweist, dass ihm für die in Betreibung gesetzte Forderung noch ein Pfandrecht am Grundstück zusteht.307
4    Im Übrigen finden mit Bezug auf Zahlungsbefehl und Rechtsvorschlag die Bestimmungen der Artikel 71-86 Anwendung.308
86 SchKG Anwendung. Ob dies bedeute, dass der Gläubiger auch gegenüber dem
gegen das Pfandrecht gerichteten Rechtsvorschlag die provisorische
Rechtsöffnung verlangen könne, wenn das Pfandrecht auf einer durch öffentliche
Urkunde festgestellten oder durch Unterschrift bekräftigten Pfandanerkennung
beruht, ist bestritten (neuestens wieder z. B. von BLUMENSTEIN,
Schweizerisches Steuerrecht II S. 606, im Gegensatz zu Handbuch S. 518), wird
aber neuerdings vom Obergericht des Kantons Bern bejaht (Zeitschrift des
Bernischen Juristenvereins 68 S. 392) und schon längst vom Obergericht des
Kantons Zürich (Blätter für zürcherische Rechtsprechung 7 Nr. 164, 2), jedoch
ohne dass sich, wie gerade der vorliegende Fall zeigt, die unteren Instanzen
ausnahmslos daran halten; vielmehr ist die zürcherische Praxis nach Angabe der
unteren Aufsichtsbehörde schwankend. Mangels eines zutreffenden
eidgenössischen Rechtsmittels besteht keine Möglichkeit, in dieser Beziehung
eine einheitliche Rechtsanwendung herbeizuführen. Indessen hätte

Seite: 10
die eidgenössische Oberaufsichtsbehörde ihrerseits keine Veranlassung, einer
solchen Rechtsprechung als nicht bundesrechtsgemäss entgegenzutreten, soweit
es an ihr liegt. Offenbar liegt diese Ansicht auch dem Art. 93 der Verordnung
über die Zwangsverwertung von Grundstücken zugrunde, wonach, wenn in der
Grundpfandverwertungsbetreibung mit Ausdehnung der Pfandhaft auf die Miet- und
Pachtzinsforderungen (Miet- und Pachtzinsensperre) der Schuldner oder der
Pfandeigentümer Rechtsvorschlag erhoben hat, das Betreibungsamt den Gläubiger
auffordert, innerhalb zehn Tagen entweder direkt Klage auf Anerkennung der
Forderung oder Feststellung des Pfandrechts anzuheben oder ein
Rechtsöffnungsbegehren zu stellen und, wenn dieses abgewiesen werden sollte,
innerhalb zehn Tagen seit rechtskräftiger Abweisung den ordentlichen Prozess
auf Feststellung der Forderung oder des Pfandrechts einzuleiten, und zwar mit
der Androhung, dass, wenn diese Fristen nicht eingehalten werden, die Miet-
bezw. Pachtzinsensperre aufgehoben wird. Hier soll also auch gegenüber dem
Rechtsvorschlag des Dritteigentümers des Pfandes, der sich überhaupt nur auf
das Pfandrecht beziehen kann, das blosse Rechtsöffnungsbegehren zum Schutz
gegen die Verwirkung der Ausdehnung der Pfandhaft auf die Miet- und
Pachtzinsforderungen genügen (und die Rekurrentin würde wohl angesichts dieser
Fassung nicht zu behaupten wagen, ein Rechtsöffnungsbegehren sei zur
Rechtswahrung nicht tauglich, wenn es nicht eigentlich abgewiesen wird,
sondern wenn sich der Rechtsöffnungsrichter nicht damit abgeben will, weil er
das Institut der provisorischen Rechtsöffnung als auf den Rechtsvorschlag
gegen das Pfandrecht unanwendbar erachtet). Allerdings werden gerade bei der
Miet- und Pachtzinsbetreibung die Voraussetzungen für die provisorische
Rechtsöffnung gegenüber dem Rechtsvorschlag gegen das Retentionsrecht kaum je
vorliegen, weil das Retentionsrecht des Vermieters oder Verpächters, das eine
Art gesetzlichen Pfandrechtes ist, nur ganz

Seite: 11
ausnahmsweise einmal durch öffentlich beurkundete oder unterschriebene
Anerkennung (des Retentionsrechtes) ausgewiesen sein dürfte.
Nichtsdestoweniger darf den Vermieter, welcher vorerst ein
Rechtsöffnungsbegehren gestellt hat, damit aber aus dem angegebenen Grund
nicht hat zum Ziel gelangen können, und erst nachträglich Klage auf
Feststellung des Retentionsrechtes erhebt, nicht die Verwirkung des
Retentionsbeschlages treffen. Und zwar nicht nur mangels einer unzweideutigen
daherigen Androhung, sondern weil es unerwünscht wäre, den Vermieter sofort
auf den Weg der eigentlichen gerichtlichen Klage zu drängen. Müsste er wegen
des Retentionsrechtes sofort gerichtliche Klage erheben, so würde er wohl von
vorneherein auch bezüglich der Forderung von der Einschlagung des summarischen
Verfahrens absehen und die Forderung in die gerichtliche Klage einbeziehen, um
nicht gleichzeitig zwei nebeneinanderhergehende Verfahren einleiten zu müssen,
zumal auf die Gefahr hin, dass er, bei Abweisung im summarischen Verfahren,
vielleicht nachher noch eine zweite gerichtliche Klage anheben müsste, der
zudem die logische Priorität vor der ersterhobenen zuerkannt werden müsste;
das eine wie das andere widerspräche der Prozessökonomie. Freilich entspricht
es der Prozessökonomie auch nicht, wenn auf ausgesprochene Rechtsöffnung hin
der Mieter bezüglich der Forderung auf Aberkennung klagt, während bezüglich
des Retentionsrechtes erst noch der Vermieter Klage erheben muss; allein ein
derartiges Auseinanderfallen der Rechtsvorkehren wird sich verhältnismässig
viel seltener ereignen und kann darum eher in den Kauf genommen werden. Somit
ist dem Vermieter zuzugestehen, dass er mit der Retentionsrechtsklage unter
allen Umständen ohne Gefahr des Rechtsverlustes bis nach Erledigung seines
Rechtsöffnungsbegehrens zuwarten darf, gleichgültig welches im allgemeinen die
Stellungnahme des kantonalen Richters zur Frage der Rechtsöffnung mit Bezug
auf das Pfandrecht sei, ja auch wenn das Retentionsrecht nicht einmal in das
Rechtsöffnungsbegehren einbezogen

Seite: 12
worden ist. Selbstverständlich bleibt es dem Vermieter aber unbenommen, zumal
wenn der Rechtsvorschlag ausschliesslich gegen das Retentionsrecht gerichtet
sein sollte, von jeglichem Rechtsöffnungsbegehren abzusehen und schon sofort
in den ersten zehn Tagen gerichtliche Klage auf Feststellung des
Retentionsrechtes anzuheben.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer: Der Rekurs wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 III 7
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 18. Februar 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 III 7
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Die Retentionsurkunde fällt, auch bei Rechtsvorschlag gegen das Retentionsrecht, nicht dahin, wenn...


Gesetzesregister
SchKG: 71bis  153
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 153 - 1 Die Ausfertigung des Zahlungsbefehls erfolgt gemäss Artikel 70.
1    Die Ausfertigung des Zahlungsbefehls erfolgt gemäss Artikel 70.
2    Das Betreibungsamt stellt auch folgenden Personen einen Zahlungsbefehl zu:
a  dem Dritten, der das Pfand bestellt oder den Pfandgegenstand zu Eigentum erworben hat;
b  dem Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder dem eingetragenen Partner des Schuldners oder des Dritten, falls das verpfändete Grundstück als Familienwohnung (Art. 169 ZGB303) oder als gemeinsame Wohnung (Art. 14 des Partnerschaftsgesetzes vom 18. Juni 2004304) dient.
2bis    Die in Absatz 2 genannten Personen können Rechtsvorschlag erheben wie der Schuldner.306
3    Hat der Dritte das Ablösungsverfahren eingeleitet (Art. 828 und 829 ZGB), so kann das Grundstück nur verwertet werden, wenn der betreibende Gläubiger nach Beendigung dieses Verfahrens dem Betreibungsamt nachweist, dass ihm für die in Betreibung gesetzte Forderung noch ein Pfandrecht am Grundstück zusteht.307
4    Im Übrigen finden mit Bezug auf Zahlungsbefehl und Rechtsvorschlag die Bestimmungen der Artikel 71-86 Anwendung.308
BGE Register
62-III-7
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
retentionsrecht • rechtsvorschlag • tag • provisorische rechtsöffnung • verwirkung • summarisches verfahren • frist • frage • weiler • schuldner • innerhalb • betreibungsamt • pfandhaft • pfand • rechtsmittel • zahl • richterliche behörde • begründung des entscheids • gerichts- und verwaltungspraxis • angabe
... Alle anzeigen