S. 5 / Nr. 2 Familienrecht (d)

BGE 62 II 5

2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Februar 1936 i. S.
Vogel gegen Reiser.

Regeste:
Genugtuung bei Ehescheidung. Es gibt keine Verzeihung zum voraus, und ein
Verzicht auf Genugtuung für allfällige künftige schwere Verletzung in den
persönlichen Verhältnissen ist ungültig.
Vereinbarungen der Parteien über die vermögensrechtlichen Nebenfolgen der
Ehescheidung bilden eine Einheit und können daher vom Richter nur in ihrer
Gesamtheit genehmigt werden. Hält der Richter eine Änderung für geboten (z. B.
die Gewährung weiterer Ansprüche, die nach dem Inhalt der Vereinbarung als
ausgeschlossen zu gelten hätten), so ist die gesamte Regelung der
vermögensrechtlichen Ansprüche durch Urteil vorzunehmen. Abwägung der für die
eine und die andere Art der Entscheidung sprechenden Gründe.

Aus dem Tatbestand:
Das Kantonsgericht des Kantons Wallis hat die Ehe der Parteien geschieden und
den Beklagten zu einer Genugtuungssumme von 2000 Fr. und zu monatlichen
Unterhaltsbeiträgen von 30 Fr. an die Klägerin verurteilt,

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im übrigen aber die von den Parteien schon vor Einleitung des Prozesses
abgeschlossene Vereinbarung genehmigt, wodurch sie sich über das Geschäfts-
und Wohnungsinventar auseinandergesetzt hatten und wonach der Beklagte der
Klägerin das Geschäft in Brig ohne die damals bestehenden Schulden überlassen
und sich zudem zur Bezahlung von 1000 Fr. - davon 200 Fr. sofort und 800 Fr.
bis zum 1. Januar 1935, verbürgt durch Peter Vogel - verpflichtet hatte.
Der Beklagte zieht dieses Urteil an das Bundesgericht weiter mit dem Antrag
auf Aufhebung der der Klägerin zuerkannten Genugtuungs- und
Unterhaltsforderungen. Die Klägerin beantragt Bestätigung des
kantonsgerichtlichen Urteils.
Aus den Erwägungen:
2.- Die Genugtuungsverpflichtung wird vom Beklagten mit Unrecht beanstandet.
Dass ihm die Klägerin am 4. Januar 1934 gegen das Versprechen, sich zu
bessern, erklärte, ihm «alles, was er ihr angetan hat, zu verzeihen», steht
diesem Anspruch nicht entgegen. Auch wenn diese Verzeihung als eine unbedingte
betrachtet wird, ist eben zu berücksichtigen, dass der Beklagte die Klägerin
im Sommer 1934 neuerdings in betrunkenem Zustande misshandelt und bedroht hat.
Die Verzeihung ist im Januar 1934 nur für damals bereits geschehenes Unrecht
ausgesprochen worden und sie konnte nicht für zukünftiges Unrecht gelten; eine
Verzeihung zum voraus gibt es nicht. Im übrigen ist der Inhalt jener
gegenseitigen Erklärungen - wobei entgegen den Vorbringen des Beklagten
Aktenwidrigkeit kantonaler Feststellungen nicht in Frage kommt - unerheblich.
Der streitige Anspruch ist auch durch die erwähnte Vereinbarung vom 24.
Februar 1934 über die vermögensrechtliche Auseinandersetzung nicht
ausgeschaltet worden. Die Klägerin hat darin freilich «in vermögensrechtlicher
Beziehung auf alle weiteren Ansprüche verzichtet, auch im Fall einer
Scheidungsklage»

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(die dann im September 1934 eingereicht worden ist). Allein ein Verzicht auf
künftige Genugtuungsansprüche für schwere Verletzung in den persönlichen
Verhältnissen ist gar nicht zulässig. Niemand kann auf die Achtung seiner
Persönlichkeit verzichten und einem andern einen Freibrief für solche
Verletzungen ausstellen. Wenn Art. 100
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 100 - 1 Eine zum voraus getroffene Verabredung, wonach die Haftung für rechtswidrige Absicht oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein würde, ist nichtig.
1    Eine zum voraus getroffene Verabredung, wonach die Haftung für rechtswidrige Absicht oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein würde, ist nichtig.
2    Auch ein zum voraus erklärter Verzicht auf Haftung für leichtes Verschulden kann nach Ermessen des Richters als nichtig betrachtet werden, wenn der Verzichtende zur Zeit seiner Erklärung im Dienst des anderen Teiles stand, oder wenn die Verantwortlichkeit aus dem Betriebe eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes folgt.
3    Vorbehalten bleiben die besonderen Vorschriften über den Versicherungsvertrag.
OR es nicht zulässt, dass die Haftung
für rechtswidrige Absicht oder grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Erfüllung
vertraglicher Pflichten wegbedungen werde, so ist es um so weniger zulässig,
die Haftung für Verletzungen der von Gesetzes wegen geschützten Persönlichkeit
wegzubedingen. Wäre wirklich eine Vereinbarung dieses Inhaltes von den
Parteien getroffen worden, so müsste sie demnach als ungültig erachtet werden.
Nun ist aber die angeführte Klausel nicht so zu verstehen; von einer Abfindung
für künftiges Unrecht ist nicht die Rede. Daher besteht der
Genugtuungsanspruch neben der Vereinbarung vom 24. Februar 1934 und unabhängig
von deren Schicksal. Was das Mass anbelangt, hat das Kantonsgericht der
gegenwärtigen bedrängten Lage des Beklagten Rechnung getragen; angesichts der
Schwere seiner Verfehlungen gegen die Ehe und ihrer Bedeutung für die
Scheidung ist die Summe von 2000 Fr. nicht übersetzt.
3.- Die weitere Entscheidung des Kantonsgerichtes, wonach die Vereinbarung vom
24. Februar 1934 genehmigt, der Klägerin aber zudem ein Unterhaltsbeitrag
zuerkannt wurde, lässt sich nicht aufrechthalten. Der Ausschluss von
Unterhaltsansprüchen gehört zum wesentlichen Inhalt der Vereinbarung, die als
Gesamtregelung der vermögensrechtlichen Ansprüche eine Einheit bildet. Das
Gericht musste entweder die Vereinbarung genehmigen und demgemäss den
Unterhaltsanspruch ablehnen oder die Vereinbarung verwerfen, um eine
sachentsprechende andere Ordnung an deren Stelle zu setzen. Indem es der
Klägerin eine Unterhaltsrente zuerkannte, hat es eine der Genehmigung der
Vereinbarung widersprechende Entscheidung getroffen, m.a.W. die Vereinbarung
gar nicht,

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so wie sie abgeschlossen war, genehmigt. Die Vereinbarung ist aber zu
genehmigen und demzufolge die Unterhaltsrente aufzuheben. Gewiss kann die
wirtschaftliche Zukunft der Klägerin durch das übernommene kleine Geschäft
nicht als gesichert gelten; doch bietet es ihr immerhin eine Erwerbsquelle,
und anderseits ist ihr ein Barbetrag von 800 Fr. sichergestellt worden. Wenn
sie gegen diese bescheidenen, aber sicheren Leistungen auf weitere, unsichere
glaubte verzichten zu sollen, so besteht kein Grund, der Vereinbarung die
richterliche Genehmigung zu versagen: es ist zweifelhaft, ob es in ihrem
wahren Interesse läge, die Vereinbarung rückgängig zu machen und ihr dafür
eine Unterhaltsrente von höherem Kapital-Nennwert, jedoch ohne Sicherheit
zuzusprechen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird teilweise gutgeheissen in dem Sinne, dass Ziff. 3 des
Urteils des Kantonsgerichtes des Kantons Wallis vom 23. Oktober 1935
aufgehoben, die Vereinbarung vom 24. Februar 1934 genehmigt und die
Unterhaltsforderung der Klägerin abgewiesen wird.
Im übrigen wird die Berufung, soweit darauf eingetreten werden kann,
abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichtes bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 II 5
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 13. Februar 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 II 5
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Genugtuung bei Ehescheidung. Es gibt keine Verzeihung zum voraus, und ein Verzicht auf Genugtuung...


Gesetzesregister
OR: 100
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 100 - 1 Eine zum voraus getroffene Verabredung, wonach die Haftung für rechtswidrige Absicht oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein würde, ist nichtig.
1    Eine zum voraus getroffene Verabredung, wonach die Haftung für rechtswidrige Absicht oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein würde, ist nichtig.
2    Auch ein zum voraus erklärter Verzicht auf Haftung für leichtes Verschulden kann nach Ermessen des Richters als nichtig betrachtet werden, wenn der Verzichtende zur Zeit seiner Erklärung im Dienst des anderen Teiles stand, oder wenn die Verantwortlichkeit aus dem Betriebe eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes folgt.
3    Vorbehalten bleiben die besonderen Vorschriften über den Versicherungsvertrag.
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62-II-5
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