S. 46 / Nr. 13 Prozessrecht (d)

BGE 62 II 46

13. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Februar 1936 i.S.
Suter gegen Raess.


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Regeste:
Berufung, Anschlussberufung, Art. 65 u . 70 OG.
Eine Partei, die vom Rechte der Berufung Gebrauch gemacht hat, kann nicht
nachher, wenn auch die Gegenpartei Berufung eingelegt, noch den Anschluss an
die gegnerische Berufung erklären. Ebensowenig ist der Anschluss an eine
Anschlussberufung möglich.

Durch Urteil vom 28. Juni 1935 hat das Handelsgericht des Kantons Zürich die
vorliegende Klage teilweise gutgeheissen und den Beklagten verpflichtet, dem
Kläger 2074 Fr. 85 Cts. nebst 5% Zins seit 5. Dezember 1934 zu zahlen.
Gegen dieses, den Parteien am 4. September 1935 zugestellte Urteil haben beide
Parteien die Berufung an das Bundesgericht ergriffen, der Beklagte am 20.
September 1935 mit dem Antrag, die Klage vollständig abzuweisen, der Kläger am
24. September 1935 mit dem Antrag, der Beklagte sei zur Zahlung einer Summe
von 3574 Fr. 85 Cts. nebst 5% Zins seit 5. Dezember 1934 zu verpflichten.
Durch Eingabe vom 10. Oktober 1935 hat der Kläger noch den «Anschluss» an die
Berufung des Beklagten erklärt mit dem Antrag, es seien ihm weitere 2000 Fr.
nebst 5% Zins seit dem 22. September zuzusprechen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Der Kläger stützt sich für seine «Anschlussberufung» auf Art. 70 OG, in
seiner Stellung als Berufungsbeklagter gegenüber der auch vom Beklagten
ergriffenen Hauptberufung.

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Dieser «Anschlussberufung» müsste, da sie noch innert der in. Art. 70 OG
vorgesehenen Frist von 10 Tagen seit dem Empfang der Mitteilung der
gegnerischen Hauptberufung erklärt worden ist, ohne weiteres die gesetzliche
Folge gegeben werden, wenn nicht der Kläger bereits auch seinerseits die
Hauptberufung ergriffen hätte. Nachdem er aber letzteres getan, stellt sich
seine Anschlussberufung als zweimalige Beanspruchung des Rechtes zur
Weiterziehung dar. Eine solche Doppelspurigkeit ist weder dem Gesetz noch der
bisherigen Praxis bekannt. Freilich wäre es dem Kläger nicht verwehrt gewesen,
innerhalb der gesetzlichen Frist für die Hauptberufung (den 20 Tagen des Art.
65 OG) an seinen Berufungsanträgen noch Ergänzungen anzubringen; aber nachdem
diese Frist abgelaufen war, konnte er das nicht mehr tun. Er hatte sich vor
Ablauf dieser Frist zu entscheiden, ob er es darauf ankommen lassen wolle,
dass das handelsgerichtliche Urteil etwa vom Gegner angefochten werde oder
nicht; liess er es hierauf ankommen, so stand ihm für den Fall der
gegnerischen Berufung die Anschlussberufung offen, wogegen im andern Falle das
Urteil nach Ablauf der zwanzigtägigen Berufungsfrist des Art. 65 OG in
Rechtskraft erwuchs. Die ihm nach dem Gesetz zustehende Wahl hat nun der
Kläger durch Einlegung der eigenen Hauptberufung im Sinne der einen der beiden
Alternativen getroffen, und er kann, nachdem er dies getan, nicht mehr
nachträglich auf die andere überspringen und so die Rechtsmittel in seiner
Hand kumulieren. Dass eine solche Kumulation von Hauptberufung und
Anschlussberufung in einer Hand dem Gesetze fremd ist, ergibt sich auch aus
folgender Erwähnung:
Gemäss der vom Gesetze gewährten Wahl zwischen selbständiger Berufung und
blosser Anschlussberufung hätte sehr wohl der Fall eintreten können, dass der
Gegner von dieser letztern Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich also darauf
beschränkt hätte, seine Weiterziehungsanträge lediglich auf dem Wege des
Anschlusses an die klägerische Hauptberufung anzubringen. In diesem Falle wäre
der

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Kläger mit einer nachträglichen Ergänzung seiner Hauptberufungsanträge (nach
Ablauf der zwanzigtägigen Frist des Art. 65 OG) selbstverständlich wiederum
ausgeschlossen gewesen, es wäre denn, dass man auch an eine Anschlussberufung
noch einen Anschluss gestatten wollte. Allein das muss abgelehnt werden;
angesichts der Fassung des Art. 71 OG kann von einem Anschluss an eine blosse
Anschlussberufung nicht die Rede sein. Wieso nun aber einem
Hauptberufungskläger weitergehende Rechte zur Amplifikation seiner Berufung
zustehen sollten, je nachdem sein Gegner eine selbständige oder eine blosse
Anschlussberufung eingereicht hat, ist nicht einzusehen.
Es kann somit auf die Anschlussberufung des Klägers nicht eingetreten werden.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 II 46
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 11. Februar 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 II 46
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Berufung, Anschlussberufung, Art. 65 u. 70 OG.Eine Partei, die vom Rechte der Berufung Gebrauch...


Gesetzesregister
OG: 65  65u  70  71
BGE Register
62-II-46
Stichwortregister
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