S. 284 / Nr. 73 Obligationenrecht (d)

BGE 62 II 284

73. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Dezember 1936 i. S.
Beverag gegen Bau- und Entschuldungskasse A.-G.

Regeste:
1. Als Liquidator einer Aktiengesellschaft kann auch eine juristische Person
ernannt werden; Art. 666 OR. Erw. 1.

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2. Bundesrätliche Verordnung über die Kreditkassen mit Wartezeit, Art. 49,
Abs. 2. Zuständigkeit des Aufsichtsamtes, zum Zweck der Bestandesübertragung
Nachzahlungen auf die nicht voll liberierten Aktien einzufordern. Erw. 2.

A. ­ Auf Grund des Art. 46 der bundesrätlichen Verordnung über die
Kreditkassen mit Wartezeit vom 5. Februar 1935 (im nachfolgenden mit VKW
abgekürzt) verlangte das eidgenössische Aufsichtsamt die Sanierung der
Beklagten, worauf ihre Generalversammlung am 30. Juli 1935 die Liquidation
beschloss. Als Liquidatorin wurde nach Massgabe des Art. 50 VKW durch das
Aufsichtsamt die Fides Treuhand-Vereinigung in Zürich ernannt.
B. ­ Am 4. Oktober 1935 forderte die Liquidatorin von der Klägerin als
Hauptaktionärin der Beklagten eine Einzahlung von 60000 Fr. auf das noch nicht
voll liberierte Aktienkapital.
C. ­ Im Laufe des über die Einzahlungsforderung angehobenen
Aberkennungsprozesses fand auf Veranlassung der Klägerin eine
ausserordentliche Generalversammlung der beklagten Gesellschaft statt. Es
wurde beschlossen, dem Art. 3 Abs. 1 der Gesellschaftsstatuten folgende neue
Fassung zugeben: «Die Einforderung weiterer Einzahlungen auf das nicht
liberierte Aktienkapital kann nur durch Beschluss der Generalversammlung
erfolgen. Auf sämtlichen Aktien sind dabei im Verhältnis zum Nominalwert
gleich hohe Einzahlungen zu fordern. Die nunmehrige Fassung dieser Bestimmung
ist auch anwendbar auf bereits eingeforderte Einzahlungen, sofern diese noch
nicht geleistet sind.»
Aus den Erwägungen:
1. ­ Vorweg erbebt sich die Frage, ob die Fides Treuhand-Vereinigung Zürich,
eine juristische Person (Aktiengesellschaft), überhaupt als Liquidatorin einer
andern Aktiengesellschaft eingesetzt werden konnte.
Da der Liquidator einer Aktiengesellschaft die Funktionen der Verwaltung,
allerdings lediglich im Hinblick auf die Beendigung der Gesellschaft, ausübt,
mag es naheliegend

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scheinen, die Frage, ob eine juristische Person Liquidator sein könne, gleich
zu behandeln wie die verwandte Frage, ob sie Mitglied des Verwaltungsrates
einer Aktiengesellschaft sein könne. Zumal in der Schweiz sind denn auch
bisher beide Probleme regelmässig einheitlich behandelt worden.
Das geltende OR nimmt zu der Frage, ob juristische Personen Mitglieder von
Verwaltungsräten in Aktiengesellschaften zu sein vermögen, nicht ausdrücklich
Stellung. Die Gerichtspraxis verhält sich in Übereinstimmung mit der
herrschenden Auffassung in der Doktrin ablehnend (vgl. BGE 58 I 378 ff. und
dortige Literaturhinweise; s. ferner aus der neuesten Literatur auch noch
KOLB, Die rechtliche Stellung der Mitglieder der Verwaltung nach
schweizerischem Aktienrecht, S. 31 f.). Dass diese Einstellung dem Willen
jedenfalls des heutigen Gesetzgebers entspricht, erhellt aus dem Entwurf zu
einem Bundesgesetz über die Revision der Titel XXIV bis XXXIII des OR. Denn
trotzdem es an Stimmen für eine gegenteilige Lösung nicht fehlte (vgl.
namentlich SCHAEFER, Die Aktiengesellschaft als Mitglied und als Organ von
Handelsgesellschaften, S. 138 ff. und dortige Zitate), wird nun in Art. 707
Abs. 3 des Entwurfes, wie er in der Fassung der Redaktionskommission vom 26.
November 1936 vorliegt, ausdrücklich erklärt: «Ist an der Gesellschaft eine
juristische Person oder eine Handelsgesellschaft beteiligt, so ist sie als
solche nicht als Mitglied der Verwaltung wählbar; dagegen können an ihrer
Stelle ihre Vertreter gewählt werden». Damit lehnt das künftige OR die Wahl
juristischer Personen als solcher in Verwaltungsräte von Aktiengesellschaften
unmissverständlich ab.
Die Ablehnung juristischer Personen als Verwaltungsratsmitglieder von
Aktiengesellschaften führt nun aber

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entgegen der in der Schweiz verschiedentlich vertretenen Auffassung (vgl. etwa
ZELLER, Kommentar zum OR, Art. 666 Anm. 4, sowie METTLER, Die Bestellung und
Abberufung von Liquidatoren der Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, sowie
der Aktiengesellschaft, nach schweizerischem OR und in Berücksichtigung der
Entwürfe, S. 23, Ziff. 2) nicht notwendig dazu, deren Eignung auch für das Amt
eines Liquidators abzulehnen. Juristische Personen sollen vorab deshalb nicht
Mitglieder von Verwaltungsräten sein können, weil diese Posten
Vertrauensposten seien und deshalb keine wie immer geartete Vertretbarkeit
zuliessen (vgl. FISCHER in Ehrensbergs Handbuch für Handelsrecht, 3, 1.
Abtlg., S. 213 f. und 239, sowie COHN, Der Aufsichtsrat, Leipzig 1907, S. 68),
bezw. weil es Bedenken rufe, «an die Stelle des konkreten Individuums, zu dem
man Vertrauen hat, eine farblose Geldmacht mit wechselnden Organen zu setzen»
(vgl. LEHMANN, Verhandlungen des 31. Deutschen Juristentages 1912, 1, 539).
Alle diese Einwände, die im Hinblick auf Verwaltungsräte einer gewissen
Berechtigung nicht entbehren mögen, treten bei den Liquidatoren stark in den
Hintergrund oder spielen dort überhaupt keine Rolle. Vorweg ist in
Berücksichtigung zu ziehen, dass die Liquidatoren von vornherein nur ein
eingeengtes Tätigkeitsfeld haben; sie haben nur die mit der Auflösung einer
Aktiengesellschaft verbundenen Geschäfte zu besorgen. Das führt notwendig auch
zu einer zeitlichen Einschränkung ihrer Betätigung. Abgesehen davon besteht
dann bei der Besetzung der Liquidatorenstelle ­ im Gegensatz zu den
Verhältnissen bei den Verwaltungsratsstellen ­ ein grosses praktisches
Bedürfnis für die Zulassung juristischer Personen. Ja meistens sind gerade sie
die geeignetsten und erfahrensten Liquidatoren (man denke in erster Linie an
Treuhandgesellschaften). Es wäre deshalb eine durch nichts gerechtfertigte
einschränkende Gesetzesauslegung, wenn juristische Personen nicht als
Liquidatoren von Aktiengesellschaften zugelassen würden.

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Man könnte nun allerdings vielleicht versucht sein, zu argumentieren, die
Tatsache, dass der Entwurf zu einem neuen OR juristische Personen nicht
ausdrücklich als Liquidatoren zulasse, spreche für deren Ausschluss. Dem ist
indessen entgegenzuhalten, dass in der Expertenkommission zwei Mitglieder
ausdrücklich hervorhoben, juristische Personen seien als Liquidatoren
bestellbar, ohne dass von irgendeiner Seite Widerspruch erhoben worden wäre
(vgl. Protokoll über die Sitzung vom 15. April 1925, S. 411). In einem
neuesten Erlass des Bundesrates vom 17. April 1936 ­ über die Sanierung von
Banken ­ wird ausdrücklich gesagt (Art. 2, 2. Satz), die Aufgabe eines
Kommissärs, der ja ganz ähnliche Funktionen hat wie der Liquidator, könnte
auch einer juristischen Person, insbesondere einer Treuhand- oder
Revisionsgesellschaft, übertragen werden.
Auch im Auslande bricht sich die Auffassung, dass juristische Personen als
Liquidatoren von Aktiengesellschaften zugelassen werden sollten, immer mehr
und mehr Bahn (vgl. die Hinweise bei SCHAEFER, a.a.O. S. 160 Fussnote 1 i.
f.). Der Hauptwiderstand (vgl. darüber insbesondere STAUB, Komm. zum deutschen
Handelsgesetzbuch, 2, S. 541) wird auf ein Argument gestützt, das in der
Schweiz jedenfalls zur Zeit und auch nach Massgabe des Entwurfes aktueller
Bedeutung entbehrt. Nach §§ 312 f. des deutschen Handelsgesetzbuches sind
nämlich Liquidatoren bei Pflichtverletzungen u. U. strafbar. In der Schweiz
fehlen dagegen zur Zeit einheitliche schweizerische Strafbestimmungen nach
dieser Richtung hin, und deshalb braucht man sich auch nicht mit der Frage
auseinanderzusetzen, ob die mangelnde strafrechtliche Verantwortlichkeit der
juristischen Person ihrer Ernennung zu Liquidatoren entgegenstehen.
Die Ernennung der Fides Treuhand-Vereinigung Zürich zum Liquidator der Bau-
und Entschuldungskasse A.-G. Zürich ist daher rechtsbeständig.

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2. ­ Art. 49 Abs. 2 VKW räumt dem Aufsichtsdienst ausdrücklich die Kompetenz
ein, anzuordnen, dass der Vertragsbestand einer sich in Liquidation
befindlichen Kasse ganz oder teilweise auf eine andere Unternehmung, die sich
dazu bereit erkläre, übertragen werde. Im vorliegenden Falle scheint nun
allerdings der Liquidator das Abkommen mit der den Vertragsbestand
übernehmenden Tilgungskasse für Bau- und Hypothekarkredite A.-G. getroffen zu
haben. Dieses ist aber ausdrücklich vom Aufsichtsamt für Kreditkassen mit
Wartezeit genehmigt worden, und in dieser Genehmigung liegt eine Anordnung im
Sinne des Art. 49 Abs. 2 VKW.
Da das Aufsichtsamt ohne Einschränkung befugt erklärt worden ist, in
Liquidationsfällen Bestandesübertragungen anzuordnen, so muss angenommen
werden, dass es dies auch dort tun darf, wo eine solche Transaktion nur
möglich ist auf Grund von Nachzahlungen auf die nicht voll liberierten Aktien.
Daraus folgt, dass das Aufsichtsamt als Kontrollstelle des Liquidators auch
das Recht haben muss, solche Nachzahlungen im Umfange dessen, was zur
Erreichung des erwähnten Zweckes nötig ist, anzuordnen. Ist das aber so, dann
erscheint es unzulässig, dass eine Generalversammlung der Aktiengesellschaft
Nachzahlungen in einer den Anordnungen des Aufsichtsamtes widersprechenden Art
und Weise regelt. Selbst dort, wo nach den Statuten einer Aktiengesellschaft
die Generalversammlung das zuständige Organ ist, um über die Frage der
Nachzahlungen auf nicht voll liberierte Aktien zu erkennen, tritt diese
Kompetenz mithin im Anwendungsgebiet der Verordnung über die Kreditkassen mit
Wartezeit gegenüber derjenigen des Aufsichtsamtes zurück. Allerdings wird auf
diese Weise das gewöhnliche Aktienrecht, nach dem die Generalversammlung auch
im Liquidationsstadium noch weiter amten kann, nach einer bestimmten Richtung
eingeschränkt. Das vorzuschreiben, war indessen der Bundesrat gestützt auf den

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Bundesbeschluss über die Kreditkassen mit Wartezeit (sog. Bausparkassen und
ähnliche Kreditorganisationen) vom 29. September 1934 ohne jeden Zweifel
zuständig; vgl. Art. 1 lit. c i. f.
Information de décision   •   DEFRITEN
Document : 62 II 284
Date : 01 janvier 1936
Publié : 15 décembre 1936
Source : Tribunal fédéral
Statut : 62 II 284
Domaine : ATF - Droit civil
Objet : 1. Als Liquidator einer Aktiengesellschaft kann auch eine juristische Person ernannt werden; Art...


Répertoire des lois
CO: 666
Répertoire ATF
58-I-378 • 62-II-284
Répertoire de mots-clés
Trié par fréquence ou alphabet
liquidateur • société anonyme • personne morale • question • paiement de l'arriéré • défendeur • ordonnance concernant les caisses de crédit à terme différé • emploi • fonction • hameau • conseil fédéral • capital-actions • société commerciale • organe de révision • entreprise • autorisation ou approbation • statuts • décision • liquidation • crédit hypothécaire • doute • volonté • société fiduciaire • conseil de surveillance • poussière • transaction financière • société en commandite • doctrine • conseil d'administration • commission d'experts • littérature • maître • citation littérale • valeur nominale • période d'attente • arrêté fédéral sur les caisses de crédit à terme différé • cellule
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