S. 230 / Nr. 47 Staatsverträge (d)

BGE 62 I 230

47. Auszug aus dem Urteil vom 6. November 1936 i. S. Wittmer gegen Daege.

Regeste:
Art. 2 Ziff. 2 des Vollstreckungsabkommens mit Deutschland Rechtliche
Bedeutung und Tragweite einer in einem zivilrechtlichen

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Vertrag enthaltenen Gerichtstandsklausel. Sie gilt auch für Streitigkeiten
darüber, ob der Vertrag wegen absichtlicher Täuschung unverbindlich sei und
welche Ansprüche daraus für die getäuschte Partei entstehen. Die Ungültigkeit
des Vertrages zieht nicht ohne weiteres die Ungültigkeit der
Gerichtstandsvereinbarung nach sich.

A. - Am 24. Februar 1933 schloss der Rekursbeklagte Daege in Berlin mit dem
Rekurrenten Wittmer, der in Basel wohnt, einen Vertrag ab, wodurch jener sich
verpflichtete, sich bei der Verwertung einer Erfindung des Wilhelm Hotz betr.
eine automatische Zugsicherung mit Kapital zu beteiligen und zwar vorläufig
mit ungefähr 70000 Fr. Der Vertrag enthält folgende Klausel: «Als Gerichtstand
ist zwischen uns Berlin vereinbart worden». Der Rekursbeklagte bezahlte den
erwähnten Betrag und später noch weitere 10000 RM. Im Dezember 1934 erhob er
vor dem Landgericht in Berlin Klage auf Zahlung von 82000 Fr. gegen den
Rekurrenten und vier andere Personen. Er machte geltend, dass er durch Betrug
der Beklagten zur Beteiligung bei der Verwertung der Erfindung veranlasst
worden sei. Der Rekurrent und die übrigen Beklagten, die sich am Verfahren
beteiligten, erhoben die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des
Landgerichtes Berlin. Dieses erklärte sich jedoch für die Klage gegen einzelne
Beklagte, darunter den Rekurrenten, zuständig. Es verpflichtete am 2. Januar
1936 den Rekurrenten und einen andern Beklagten, dem Rekursbeklagten als
Gesamtschuldner 70000 Fr. Schadenersatz zu bezahlen, indem es davon ausging,
dass Betrug vorliege.
Der Rekursbeklagte leitete für die Forderung von 70000 Fr. nebst Zins zu 5%
seit 14. Juni 1936 in Basel die Betreibung ein gegen den Rekurrenten. Nachdem
dieser Rechtsvorschlag erhoben hatte, gewährte das Dreiergericht des Kantons
Basel -Stadt dem Rekursbeklagten auf Grund des Urteils des Landgerichtes
Berlin am 17. August 1936 die definitive Rechtsöffnung.
B. - Gegen diesen Entscheid hat Wittmer die staatsrechtliche Beschwerde
ergriffen mit dem Antrag, er sei

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aufzuheben und das Rechtsöffnungsbegehren abzuweisen. Der Rekurrent macht
geltend: Das Dreiergericht habe die Rechtsöffnung gewährt gestützt auf die
Gerichtstandsklausel des Vertrages vom 24. Februar 1933 und Art. 2 Ziff. 2 des
deutsch-schweizerischen Vollstreckungsabkommens. Durch die erwähnte Klausel
habe der Rekurrent für Streitigkeiten über Ansprüche aus dem Vertrag vom 24.
Februar 1933 und über die Auslegung dieses Vertrages auf den Richter seines
Wohnsitzes verzichtet. Ausgehend von den Entscheiden des Bundesgerichtes i. S.
Tobler gegen Blaser & Söhne vom 7. Oktober 1933 und i. S. Brütsch gegen Krick
vom 23. Juni 1933 habe das Dreiergericht angenommen, dass diejenigen, die in
einem Vertrag einen Gerichtstand vereinbart hätten, diesem für sämtliche mit
dem Vertrag zusammenhängenden Rechtsbeziehungen unterworfen seien. Der in
Berlin geführte Rechtsstreit habe aber mit dem Vertrag vom 24. Februar 1933
nur in der entferntesten Weise etwas zu tun. Der Rekursbeklagte habe nicht auf
Nichtigkeit des Vertrages und Rückgabe seiner Leistungen geklagt, sondern
behauptet, dass er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte, wenn er nicht durch
absichtliche Täuschung vom Rekurrenten dazu bewogen worden wäre, habe also
eine neben dem Vertrag laufende unerlaubte Handlung geltend gemacht. Die
Handlung unter Betrug sei einem Handeln ohne Urteilsfähigkeit oder
Handlungsfähigkeit oder unter Zwang, wofür das Bundesgericht eine Ausnahme
gemacht habe, völlig gleichzustellen. Die Gerichtstandsklausel in einem
zivilrechtlichen Vertrage, die nur im Zusammenhang mit diesem einen Sinn habe,
könne sich nicht auf den Fall einer Betrugsklage, wie die vorliegende,
beziehen. Für die Auslegung eines Vertrages, der sich vorsichtig abfassen
lasse, könne eine Partei ohne Bedenken eine Gerichtstandsvereinbarung
abschliessen. Niemand wolle aber auf den Schutz des einheimischen Richters für
den Fall verzichten, dass ihm Betrug vorgeworfen und deshalb Schadenersatz
verlangt werde. Für eine solche Klage könne

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«jede wilde Behauptung aufgestellt werden» und dann wäre der Beklagte «jeder
Willkür ausgeliefert».
C. - ......................
Der Rekursbeklagte hat die Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge
beantragt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
...
2.- Der Rekurrent gibt zu, dass er sich durch die Gerichtstandsklausel des
Vertrages vom 24. Februar 1933 für Streitigkeiten über Ansprüche aus diesem
Vertrag oder über dessen Auslegung dem Berliner Richter im Sinne des Art. 2
Ziff. 2 des Vollstreckungsabkommens unterworfen hat. Dagegen bestreitet er,
dass sich die Gerichtstandsklausel auf eine Betrugsklage, wie sie gegen ihn in
Berlin erhoben worden ist, beziehe. Allein aus dem Wortlaut der Klausel ergibt
sich eine solche Einschränkung ihres Inhaltes nicht; danach ist allgemein für
Streitigkeiten zwischen den Parteien der Gerichtstand Berlin vereinbart
worden. Wenn auch daraus, dass die Klausel im Vertrag vom 24. Februar 1933
enthalten ist, folgt, dass sie sich nur auf Streitigkeiten über das durch
diesen Vertrag begründete zivilrechtliche Verhältnis bezieht, so muss doch
mangels einer ausdrücklichen oder unzweideutigen andern Einschränkung ihres
Inhaltes angenommen werden, dass sie auch für Streitigkeiten über die
Gültigkeit des Vertrages gelte, speziell darüber, ob dieser wegen
absichtlicher Täuschung unverbindlich sei und welche Ansprüche daraus für die
getäuschte Partei entstehen. Das Bundesgericht hat sich schon wiederholt im
gleichen Sinne ausgesprochen (BGE 59 I S. 224; Entscheid i. S. Brönnimann g.
Möbel-Pfister A. -G. vom 27. Juni 1930; vgl. auch BGE 59 I S. 179). Der
gleiche Standpunkt wird auch in der deutschen Literatur und Praxis vertreten
(KOHLER, Gesammelte Beiträge zum Zivilprozess S. 183; STEIN-JONAS,
Zivilprozessordnung für das deutsche Reich 14. Aufl. § 38 II Ziff. 1 litt. e
S. 137). Was der Rekurrent für den Ausschluss

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einer Betrugsklage vom Geltungsgebiet einer Gerichtstandsklausel der
vorliegenden Art anführt, erscheint nicht als stichhaltig.
Dass sich der Rechtsstreit vor dem Landgericht Berlin zwischen den Parteien um
die Gültigkeit des Vertrages drehte, darum, ob dieser wegen absichtlicher
Täuschung unverbindlich sei und dem Rekursbeklagten daher die auf Grund des
Vertrages geleisteten Beträge zurückzuerstatten seien, ist klar.
Die Gerichtstandsvereinbarung ist auch nicht deswegen als ungültig anzusehen,
weil nach dem Urteil des Landgerichts der Vertrag vom 24. Februar 1933
unverbindlich ist. Wie das Bundesgericht in den bereits erwähnten
Entscheidungen festgestellt hat (BGE 59 I S. 179 f., 224 f.; Entscheid i. S.
Brönnimann g. Möbel-Pfister A. -G. vom 27. Juni 1930) und auch in der
deutschen Praxis und Literatur angenommen wird (KOHLER a.a.O. S. 178 ff.;
STEIN-JONAS a.a.O.), bildet eine mit einem zivilrechtlichen Vertrag verbundene
Gerichtstandsklausel eine selbständige, von jenem rechtlich getrennte
prozessrechtliche Abrede und teilt daher nicht in jeder Hinsicht das Schicksal
des Hauptvertrages. Insbesondere zieht die Ungültigkeit dieses Vertrages nicht
ohne weiteres diejenige der Gerichtstandsvereinbarung nach sich, sondern nur
dann, wenn die Ungültigkeitsgründe den Haupt - und den Gerichtstandsvertrag
zugleich treffen. Die absichtliche Täuschung, deretwegen der Hauptvertrag über
die Beteiligung des Rekursbeklagten bei der Verwertung einer Erfindung vom 24.
Februar 1933 als unverbindlich gilt, bezog sich als ausschliesslich auf für
jene Beteiligung erhebliche Tatsachen, nicht aber auf solche, die speziell für
die Gerichtstandsklausel bestimmend waren. Es ist auch klar und unbestritten,
dass der Rekursbeklagte keineswegs durch eine absichtliche Täuschung bewogen
worden ist, der Gerichtstandsklausel, die ja in seinem Interesse in den
Vertrag aufgenommen worden ist, zuzustimmen. Die Sache verhält sich nicht
gleich, wie wenn der Rekursbeklagte

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handlungs - oder urteilsunfähig gewesen oder durch Erregung gegründeter Furcht
zur Unterzeichnung des Vertrages veranlasst worden wäre. Der Rekurrent hat
auch nicht etwa behauptet, dass er selbst durch absichtliche Täuschung zur
Gerichtstandsabrede veranlasst worden sei. Das Dreiergericht hat daher mit
Recht angenommen, dass sich der Rekurrent durch eine ausdrückliche
Vereinbarung der Zuständigkeit des Landgerichts Berlin unterworfen habe.
Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 I 230
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 06. November 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 I 230
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 2 Ziff. 2 des Vollstreckungsabkommens mit Deutschland Rechtliche Bedeutung und Tragweite einer...


BGE Register
59-I-177 • 59-I-223 • 62-I-230
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