S. 143 / Nr. 31 Staatsverträge (d)

BGE 62 I 143

31. Auszug aus dem Urteil vom 9. Oktober 1936 i. S. Roth & Cie gegen Golodetz.

Regeste:
Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedsprüche vom 26.
September 1927: Vorbehalt des Ordre public; Vollstreckbarkeit eines englischen
Schiedspruchs in der Schweiz trotz fehlender schriftlicher Motivierung.

Die Firma L. Roth & Cie in Liestal hatte im September 1934 von M. Golodetz in
London eine Lieferung Zucker gekauft. Bei der Bezahlung ergaben sich
Schwierigkeiten, weshalb die Angelegenheit gemäss einer im Vertrag enthaltenen
Schiedsgerichtsabrede dem Council of the Refined Sugar Association in London
als Schiedsrichter überwiesen wurde. Am 10. April 1935 entschied diese
Instanz, dass die Beklagte schw. Fr. 669.75 an den Kläger zu bezahlen und
ausserdem die Verfahrenskosten von £ 12.12.0 zu tragen habe.
Gestützt hierauf leitete Golodetz gegen die Firma Roth & Cie Betreibung ein
für den ihm zugesprochenen Betrag nebst Zins und Kosten. Die Betriebene erhob
Rechtsvorschlag, da sie keine schriftliche Begründung des Schiedspruches
erhalten habe. Im nachfolgenden Rechtsöffnungsverfahren legte Golodetz
Bescheinigungen der Refined Sugar Association, sowie einer Londoner
Solicitorfirma ein, dass nach englischer Übung Schiedsprüche nicht begründet
würden. Der Gerichtspräsident von Liestal gewährte die verlangte
Rechtsöffnung. Er stellte fest, dass

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nach dem Genfer Abkommen über die Vollstreckung ausländischer Schiedsprüche
von 1927, dem sowohl Grossbritannien als die Schweiz beigetreten seien, die
Rechtsöffnung für einen englischen Schiedspruch nicht wegen fehlender
schriftlicher Begründung des Entscheides verweigert werden dürfe.
Mit rechtzeitig eingereichter staatsrechtlicher Beschwerde beantragte die
Firma Roth & Cie, der Rechtsöffnungsentscheid vom 4. Juli 1936 sei aufzuheben.
Die schriftliche Begründung der Urteile und Schiedsprüche sei nach
schweizerischer Auffassung ein wesentliches Erfordernis des öffentlichen
Rechts, könnte doch sonst die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, anderweitig
nicht weiterziehbare willkürliche Entscheide staatlicher Gerichte und privater
Schiedsrichter beim Bundesgericht anzufechten, durch Verschweigen der
Entscheidungsmotive praktisch unwirksam gemacht werden. Die Vollstreckung
eines ausländischen Schiedspruchs, der nicht schriftlich begründet sei,
verstosse daher gegen den schweizerischen Ordre public und dürfe nach Art. 1
lit. e des Genfer Abkommens nicht bewilligt werden.
Dem darauf ergangenen bundesgerichtlichen Urteil ist zu entnehmen:
«Die Einrede der Rekurrentin, dass der gegen sie ergangene Schiedspruch wegen
mangelnder schriftlicher Begründung in der Schweiz nicht vollzogen werden
könne, erweist sich auf Grund des massgebenden Genfer Abkommens zur
Vollstreckung ausländischer Schiedsprüche vom 26. September 1927 als nicht
stichhaltig.
Ausser Betracht fallen von vornherein die Gründe für eine Verweigerung der
Vollstreckung, die sich aus Art. 1 lit. a-d und Art. 2 des Abkommens ergeben
(Fehlen einer Schiedsabrede, einer endgültigen Entscheidung, unzureichende
Kenntnisgabe vom Verfahren an den Beklagten usw.). Dasselbe gilt von Art. 3
des Abkommens, wo von den Fällen die Rede ist, in denen der Schuldner die
Gültigkeit

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des Schiedspruches nach den auf das Schiedsverfahren anwendbaren
Rechtsvorschriften aus andern als den eben genannten Gründen bestreitet. Der
Mangel einer schriftlichen Begründung im Schiedspruch des Council of the
Refined Sugar Association entspricht einer Übung, die im massgebenden
englischen Recht sowohl für die privaten Schiedsprüche, als auch für die
Urteile staatlicher Gerichte befolgt wird (CURTI, Englands Zivilprozess S.
105/6).
Der danach verbleibende Vorbehalt des Ordre public ist in Art. 1 lit. e des
Abkommens wie folgt gefasst: «Zur Anerkennung oder Vollstreckung ist . . . . .
. notwendig: e) dass die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedspruchs
nicht der öffentlichen Ordnung oder den Grundsätzen des öffentlichen Rechts
des Landes, in dem er geltend gemacht wird, widerspricht.»
Nachdem die formellen Anforderungen an einen vollstreckbaren Schiedspruch,
soweit sie nicht schon dem für das Schiedsverfahren anwendbaren Recht
entspringen (Art. 3), in Art. 1 a-d und Art. 2 des Abkommens umschrieben sind,
liegt die Annahme nahe, dass sich der Vorbehalt des Ordre public in Art. 1
lit. e lediglich auf materielle Verstösse des Schiedspruchs gegen die
öffentliche Ordnung des Vollstreckungslandes beziehe. Ob die Bestimmung
gleichwohl darüber hinaus unter Umständen auch bei Mängeln angerufen werden
kann, die an den Vorschriften der inländischen Rechtsordnung gemessen dem
ausländischen Verfahren oder der Form des Schiedspruchs anhaften, ist fraglich
(vgl. BGE 57 I S. 435 Erw. 4; BGE vom 6. März 1936 i. S. Dewald Erw. 3). Auf
keinen Fall darf aber die Vollstreckung eines englischen Schiedspruchs in der
Schweiz wegen fehlender schriftlicher Begründung verweigert werden.
Der Grundsatz, dass weder staatliche Urteile noch private Schiedsprüche mit
einer schriftlichen Begründung versehen werden, war von jeher als eine
Eigentümlichkeit des englischen Prozesses bekannt (CURTI l. c. S. 105/ó). Wenn
daher die Schweiz dem auch von Grossbritannien

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unterzeichneten Abkommen von 1927 beitrat, obschon dieses weder in Art. 1 noch
in Art. 2 die schriftliche Begründung der Schiedsprüche als unerlässliche
Vollstrekkungsvoraussetzung nennt, so kann das nur dahin verstanden werden,
dass der Mangel einer schriftlichen Begründung im Verhältnis zu jenem Land
kein Hindernis für die Vollstreckung bilden soll.
In den kantonalen Prozessordnungen werden übrigens, soweit sie überhaupt die
schriftliche Begründung der Schiedsprüche irgendwie anordnen, in der Regel
abweichende Parteivereinbarungen vorbehalten (vgl. zürch. ZPO § 368, bern. ZPO
Art. 387; FRITZSCHE, Schiedsgerichte in Zivilsachen nach schweiz. Recht, im
Internationalen Jahrbuch für Schiedsgerichtswesen Bd. II S. 59). In Baselland
wird für die Form des Verfahrens auf den Entscheid der Parteien, eventuell der
Schiedsrichter verwiesen (§ 275 ZPO), woraus gleichfalls die Zulässigkeit
eines Verzichts auf schriftliche Begründung folgt. Ein solcher wäre
möglicherweise darin zu erblicken, dass sich die Rekurrentin in ihrem
Kaufvertrag mit dem Rekursbeklagten einem englischen Schiedsgericht
unterworfen hat, von dem sie wusste oder hätte wissen müssen, dass es seine
Entscheide nicht schriftlich begründet.
Wenn die Rekurrentin befürchtet, dass bei Zulassung nicht motivierter
Schiedsprüche das Recht des Unterlegenen auf die staatsrechtliche Beschwerde
vereitelt werden könnte, so übersieht sie, dass nach bundesgerichtlicher
Praxis Entscheide privater Schiedsgerichte der staatsrechtlichen Anfechtung
nicht unterliegen (BGE 31 I S. 112; 32 I S. 46; 34 I S. 323; 43 I S. 52) und
dass das Argument auf ausländische Schiedsprüche ohnehin nicht zutreffen
würde. Zudem hat das Bundesgericht sogar bei Urteilen staatlicher Gerichte
einen Anspruch auf Bekanntgabe der Motive nur insoweit als verfassungsmässig
anerkannt, als er entweder in der Verfassung selber enthalten ist oder aus dem
kantonalen Gesetz abgeleitet werden muss (BGE 28 I S. 11).

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In Deutschland ist nach § 1041 Ziff. 5 ZPO der Mangel einer schriftlichen
Begründung ein gesetzlicher Grund für die Aufhebung eines Schiedspruchs,
sofern nicht die Parteien etwas anderes vereinbart haben (§ 1041 Abs. 2).
Dagegen wird in § 1044 in der Neufassung des Jahres 1930, zu welcher das
Genfer Abkommen Anlass gab, für die Vollstreckung ausländischer Schiedsprüche
wohl verlangt, dass sie nach dem für das Schiedsverfahren geltenden Recht
verbindlich sind und einige weitere formelle Erfordernisse erfüllen, das
Vorhandensein einer schriftlichen Begründung aber nicht vorausgesetzt; dies
offenbar deshalb, weil auch in Deutschland das Abkommen hinsichtlich der
Frage, ob der Schiedspruch mit Motiven versehen sein muss, in dem hier
vertretenen Sinne ausgelegt wird (vgl. JONAS, Die Novelle zum
schiedsrichterlichen Verfahren, sowie besonders VOLKMAR, Genfer Abkommen von
1927, im Internationalen Jahrbuch für Schiedsgerichtswesen Bd. II S. 137;
NUSSBAUM, Deutsches internationales Privatrecht S. 471/2).»
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 I 143
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 09. Oktober 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 I 143
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedsprüche vom 26. September 1927: Vorbehalt des...


BGE Register
28-I-9 • 31-I-111 • 57-I-424 • 62-I-143
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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