S. 88 / Nr. 26 Nachlassverfahren über Banken (d)

BGE 61 III 88

26. Entscheid vom 21. Mai 1935 i. S. Bank in Zofingen in Nachlassliquidation.


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Regeste:
Verordnung des Bundesgerichtes betreffend das Nachlassverfahren von Banken und
Sparkassen, vom 11. April 1935, Art. 47:
Inwieweit ist diese Verordnung auf schwebende Liquidationen anwendbar?
Ordonnance du Tribunal fédéral concernant la procédure de concordat pour les
banques et les caisses d'épargne, du 11 avril 1935, art. 47:
Dans quelle mesure l'ordonnance est-elle applicable à des liquidations
pendantes?
Regolamento del Tribunale federale concernente la procedura di concordato per
le banche e le casse di risparmio, dell'11 aprile 19335 art. 47:
In qual misura il regolamento è applicabile a delle liquidazioni pendenti?

Die Bank in Zofingen A.-G. hat mit ihren Gläubigern
einen Nachlassvertrag abgeschlossen, wonach die Aktiven der Bank den
Gläubigern zum Zwecke... der Liquidation abgetreten werden, und die
Nachlassbehörde, das Bezirksgericht Zofingen, hat diesen Nachlassvertrag am 8.
September 1934 mit gewissen Abänderungen und unter gewissen Bedingungen
bestätigt.

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Mit Eingabe vom 15. Mai stellt der von der Nachlassbehörde eingesetzte
Liquidator der Bank in Zofingen gestützt auf Art. 47 der bundesgerichtlichen
Verordnung betreffend das Nachlassverfahren von Banken und Sparkassen vom 11.
April 1935 den Antrag, es seien Art. 23 und 27 bis 47 dieser Verordnung auf
das Nachlassverfahren der Bank in Zofingen anwendbar zu erklären, mit Ausnahme
der Vorschriften von Art. 32, welche sich mit der Verrechnung von Forderungen
aus Inhaberpapieren befassen, unter Aufhebung aller Bestimmungen des
Nachlassvertrages, welche damit in Widerspruch stehen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
zieht in Erwägung:
Die vom Gesuchsteller angerufene Verordnungsvorschrift sieht nur vor, dass das
Bundesgericht auf Antrag von Liquidatoren bestimme, welche Vorschriften der
bundesgerichtlichen Verordnung auf «altrechtliche» Banken-Nachlassverträge mit
Vermögensabtretung anwendbar seien. Inwiefern einzelne Vertragsbestimmungen
mit dem Bankengesetz und der bundesrätlichen Vollziehungsverordnung in
Einklang oder Widerspruch stehen, kann nur in konkreten Beschwerdefällen
entschieden werden.
Einzelne Vorschriften der bundesgerichtlichen Verordnung sind dadurch als
dispositiv gekennzeichnet, dass sie ausdrücklich einer abweichenden Regelung
durch den Nachlassvertrag Raum geben. Durch argumentum e contrario wird im
allgemeinen auf den zwingenden Charakter der übrigen Vorschriften zu
schliessen sein. Dieser ergibt sich auch daraus, dass die Verordnung als Teil
der Bankengesetzgebung einerseits und als Teil des Nachlassvertragsrechtes
anderseits dem öffentlichen Recht angehört. Infolgedessen darf die Prüfung der
Anwendbarkeit dieser Vorschriften auf den vor dem Inkrafttreten der
Bankengesetzgebung (1. März 1935) geschlossenen und bestätigten
Nachlassvertrag der Bank in Zofingen nicht einfach auf diejenigen

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Vorschriften beschränkt werden, welche der Liquidator angewendet wissen will.
Doch kommen die Vorschriften der Art. 1-20 über das Stundungsverfahren und das
Bestätigungsverfahren nicht mehr in Betracht, da die Bestätigung des
Nachlassvertrages lange vor dem Inkrafttreten der Bankengesetzgebung bereits
stattgefunden hatte, ebensowenig Art. 21 Abs. 1 über die Art und Weise der
Aufstellung des Vertrages, und von den folgenden Vorschriften diejenigen,
welche sich auf Stundungs- oder Prozentvergleich beziehen.
Immerhin kann nur die Prüfung jeder einzelnen Vorschrift ergeben, ob sie, wenn
sie nicht ausdrücklich auf die erwähnte Weise als dispositiv gekennzeichnet
ist, wirklich zwingend sei und abweichenden Vertragsbestimmungen
entgegenstehe. Dabei muss Richtschnur sein, dass diejenigen Vorschriften,
welche den Gläubigern bestimmte Verfahrensrechte oder materielle Rechte
einräumen, die im Nachlassvertrag selbst entweder nicht vorgesehen oder
ausdrücklich wegbedungen sind, unter allen Umständen zu gelten, und dass also
entgegenstehende Vertragsbestimmungen zu weichen haben. Umgekehrt steht nichts
entgegen, dass solche Vertragsbestimmungen bestehen bleiben, welche den
Gläubigern weitergehende Rechte einräumen, denen keine die Gläubigerrechte
einschränkenden Vorschriften der Verordnung entgegenstehen.
Im einzelnen:
Art. 21 Abs. 2 und 3 sind als dispositiv gekennzeichnet.
Art. 23 kann antragsgemäss mindestens insofern als anwendbar erklärt werden,
als er den Liquidatoren grundbuchliche Verfügungen und die Vertretung vor
Gericht einräumt.
Art. 24 litt. b: Zwingend ist der Satz, dass die spätere Ersetzung
ausscheidender Liquidatoren ausschliesslich der Nachlassbehörde zusteht. Diese
vom Nachlassvertrag der Gläubigerversammlung vorbehaltene Befugnis läset sich
nicht als weitergehendes Recht der Gläubiger aufrecht erhalten, weil die
Gläubigerversammlung von der Bankengesetzgebung

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aus Gründen unterdrückt worden ist, die keine Abweichung ertragen, nämlich
wegen der Unmöglichkeit, die zahllosen Gläubiger einer Bank auf zweckmässige
Weise in einer Versammlung zur Fassung sachdienlicher Beschlüsse
zusammenfassen zu können.
Art. 25 Abs. 1 ordnet eine materiellrechtliche Wirkung des
Liquidationsvergleiches, der sich ein pendentes Liquidationsverfahren nicht
entziehen kann.
Art. 27: Der hier angeordnete Zusatz zur bisherigen Firma «in
Nachlassliquidation» ist unerlässlich. Ebenso greift die Betreibbarkeit dieser
Firma durch. Dagegen wird die Einschränkung der Befugnisse der Liquidatoren
durch diejenigen des Gläubigerausschusses von Art. 24 litt. c der Verordnung
gedeckt.
Art. 28: Ein bereits eingesetzter Gläubigerausschuss könnte nicht abberufen
oder auch bloss ergänzt werden, weil er der in Abs. 1 aufgestellten Vorschrift
nicht entspräche. Dagegen sind Abs. 2 und 3 als Vorschriften über die
Gerichtsbarkeit und die Behördenorganisation ausschliesslich anwendbar. Auch
der Gläubiger eines «altrechtlichen» Bankennachlassvertrages hat somit das
Recht zur Beschwerde nur wegen Verletzung der ihm persönlich zustehenden
Rechte, und zur Beschwerde gegen Verwertungsmassnahmen des Liquidators
(ausgenommen solche, welche eine Liegenschaftssteigerung betreffen) nicht
direkt, sondern erst gegen den Bescheid des Gläubigerausschusses über die
bezügliche Einsprache.
Art. 29 über die Verantwortlichkeit der Liquidatoren gilt für alle seit seinem
Inkrafttreten vorgenommenen Handlungen oder unterlaufenen Unterlassungen.
Art. 30: Das Kollokationsverfahren mit dem Recht jedes Gläubigers zur
Anfechtung der Zulassung jedes anderen. Gläubigers ist eines der
wesentlichsten den Gläubigern gebotenen Verfahrensrechte und müsste daher zur
Anwendung gelangen, selbst wenn es im Nachlassvertrag nicht vorgesehen wäre.
Art. 31: Die Vorschriften über die paulianische Anfechtung

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räumen den Gläubigern von Gesetzes wegen Rechte auf (formell) massefremdes
Vermögen ein, die im allgemeinen erst durch die Konkurseröffnung entstehen,
also nur in der Konkursliquidation geltend gemacht werden können und bisher
ausserhalb des Konkurses nicht anerkannt worden sind (ausgenommen in dem hier
nicht interessierenden Falle, dass der Schuldner nicht der Konkursbetreibung
unterliegt). In diesem Punkte will die Verordnung nun aber die Liquidation
einer Bank zufolge Nachlassvertrages der Konkursliquidation annähern, sodass
auch in einer derartigen Liquidation gleichwie in einer Konkursliquidation das
Anfechtungsrecht soll ausgeübt werden können. Wieso hiefür auf den Zeitpunkt
der Eröffnung dieser Liquidation etwas entscheidendes sollte ankommen können,
ist nicht einzusehen. Selbst gegenüber einem ausdrücklichen Ausschluss des
Anfechtungsrechtes in einem «altrechtlichen» Nachlassvertrag könnte es daher
zur Durchsetzung gebracht werden. Freilich könnte nicht etwa einzelnen
Gläubigern ein von den Liquidatoren nicht ausgeübtes (nachträgliches)
Anfechtungsrecht zugestanden werden, das gemäss Art. 31 Abs. 3 der Verordnung
niemand anderem als den Liquidatoren zustehen kann.
Art. 32: Der Anwendung des letzten Satzes, welcher die Verrechnung mit
Forderungen aus Inhaberpapieren in weitergehendem Masse als das Konkursrecht
bezw. die es für den Liquidationsvergleich einigermassen abschwächende
bisherige Rechtsprechung zulässt, steht entgegen, dass die auf der bisherigen
Rechtsprechung beruhende bezügliche Klausel des Nachlassvertrages gegenüber
den meisten Gläubigern bereits zur Durchführung gelangt ist, m. a. W. dass die
meisten Schuldner der Bank, die gleichzeitig Gläubiger aus Inhaberpapieren
derselben sind, bereits von der Verrechnung abstrahiert und Zahlung, für deren
Rückforderung bezw. Rückleistung es an einem Rechtsgrund fehlen würde,
geleistet oder ihre Schuld gegenüber dem Schweizerischen Bankverein als
Zessionar der Liquidationsmasse ausdrücklich anerkannt haben. Es geht

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nicht an, dass Gläubiger aus Inhaberpapieren, die mangels Zahlung bis heute
Schuldner der Bank geblieben sind, zum Nachteil jener anderen besser behandelt
werden dürften. Dagegen sind die übrigen Vorschriften dieses Artikels sofort
auf schwebende Liquidationsverfahren anwendbar.
Art. 33 über die Erledigung der Aussonderungsansprüche ist sofort anwendbar,
unter absoluter Ausschaltung jedes (vom Nachlassvertrag fakultativ
vorbehaltenen) Gläubigerversammlungsbeschlusses aus dem zu Art. 24 angegebenen
Grunde.
Die Verwertungsvorschriften sind öffentlich-rechtlicher Natur und haben daher
für alle noch nicht vollzogenen Verwertungshandlungen Geltung, namentlich auch
die von Art. 35 den Liquidatoren eingeräumte Befugnis zur Versteigerung
pfandbelasteter Liegenschaften, selbst wenn nicht die Volldeckung der
Pfandforderungen erzielt wird. Insbesondere könnte Art. 36 auf noch nicht
verwertete bezw. nicht eingelöste Faustpfänder Geltung beanspruchen. Ebenso
kann die Abtretung von noch nicht anderweitig realisierten
Masserechtsansprüchen verlangt werden.
Ebenso sind die Verteilungsvorschriften auf künftige Verteilungen anzuwenden;
insbesondere kann die Bestimmung des Nachlassvertrages über die frühere
Kaduzierung nicht bezogener Dividenden vor Art. 42 Abs. 2 der Verordnung
keinen Bestand haben. Für die Berichterstattung über den Gang der Liquidation
greift Art. 43 der Verordnung Platz entgegen der Bestimmung des
Nachlassvertrages über die jährliche Berichterstattung an
Gläubigerversammlungen, gegen deren Einberufung der zu Art. 24 angebrachte
Grund spricht. Der Bericht ist künftig an die einzige kantonale
Bankennachlassbehörde zu richten und zwar, sofern sie darauf hält, gemäss der
Bedingung des Bestätigungsentscheides, der keine zwingenden
Verordnungsvorschriften entgegenstehen, zwei Mal jährlich.
Art. 45 über die Gebühren findet natürlich in gleicher

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Weise Anwendung auf neu zu eröffnende wie auf bereits
Demnach beschliesst das Bundesgericht:
Auf den von der Bank in Zofingen A.-G. abgeschlossenen Nachlassvertrag werden,
unter Aufhebung der entgegenstehenden Bestimmungen des Nachlassvertrages, als
anwendbar erklärt die Art. 23, 24 litt. b, 25, 27, 28 Abs. 2 und 3, 29, 30,
31, 32 mit Ausnahme des letzten Satzes, 33, 34-46 der Verordnung des
Bundesgerichtes betreffend das Nachlassverfahren von Banken und Sparkassen,
vom 11. April 1935.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 61 III 88
Datum : 01. Januar 1935
Publiziert : 21. Mai 1935
Quelle : Bundesgericht
Status : 61 III 88
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Verordnung des Bundesgerichtes betreffend das Nachlassverfahren von Banken und Sparkassen, vom 11...


BGE Register
61-III-88
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