S. 204 / Nr. 57 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 61 III 204

57. Entscheid vom 13. Dezember 1935 i. S. Keel.

Regeste:
Abkommen über den deutsch-schweizerischen Verrechnungsverkehr: Wird der Arrest
auf ein Guthaben eines Deutschen (Einwohner Deutschlands) an einem Schweizer
(Einwohner der Schweiz) bewilligt, so ist er zwar zu vollziehen; doch ist
sofort von Amtes wegen die Schweizerische Verrechnungsstelle anzufragen, ob
sie das Guthaben für den Verrechnungsverkehr in Anspruch nehme, und wenn dies
zutrifft, so ist der Arrest wieder aufzuheben.
Accord pour la compensation des paiements germano-suisses.
Lorsqu'un séquestre a été ordonné sur une créance appartenant à un Allemand
(une personne habitant l'Allemagne) contre un Suisse (une personne habitant la
Suisse), ce séquestre doit être exécuté. Toutefois le préposé interpellera ex
officio l'Office suisse de compensation pour savoir si cet organe revendique
ladite créance pour le trafic de compensation. Si tel est le cas, le séquestre
sera annulé.
Accordo di compensazione dei pagamenti germano-svizzeri.
Ove un sequestro sia stato accordato su un credito spettante ad un tedesco
(una persona domiciliata in Germania) contro uno svizzero (persona domiciliata
in Svizzera), il sequestro sarà eseguito, ma l'ufficio svizzero di
compensazione sarà immediatamente interpellato ex officio per sapere se esso
rivendica il credito sequestrato per il traffico di compensazione. In questo
caso, il sequestro sarà annullato.

A. - Auf das Gesuch des Karl Keel in Basel bewilligte ihm die Arrestbehörde
Basel-Stadt am 7. Dezember 1934 für eine Forderung von 4770 Fr. aus:Darlehen
(scil.: vom Jahre 1925) an Paul Weber in Siegen, Westfalen, einen Arrest auf
eine «Forderung des Schuldners aus Warenlieferung (scil.: vom November 1934)
in Höhe von 500 RM

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gegenüber Buss A.-G., Basel», und am 9. April 1935 wurde dieses Guthaben
gepfändet. Als die Buss A.-G. darauf hinwies, sie müsse zur Auszahlung an eine
in der Schweiz wohnende Person oder Firma die Zustimmung der Schweizerischen
Verrechnungsstelle, Abteilung Clearing Deutschland, haben, und daraufhin das
Betreibungsamt bei der Schweizerischen Verrechnungsstelle anfragte, ob die
Buss A.-G., ohne die Vorschriften des Verrechnungsverkehrs zu verletzen, an
das Betreibungsamt für den in Basel wohnenden Arrestgläubiger Zahlung leisten,
und ob es das Geld ohne weiteres an diesen weiterleiten könne, antwortete die
Verrechnungsstelle, dass gemäss einem Entscheid des Eidgenössischen
Volkswirtschaftsdepartements eine Arrestierung clearingpflichtiger Forderungen
nicht zulässig sei, da der öffentlichrechtliche Anspruch auf Überweisung eines
clearingpflichtigen Betrages im deutschschweizerischen Verrechnungsverkehr dem
privatrechtlichen Anspruch vorgehe; der vom Drittschuldner an das
Betreibungsamt zu bezahlende Betrag sei im deutschschweizerischen
Verrechnungsverkehr nach Deutschland zu transferieren; eine Verwendung des
Betrages in der Schweiz sei nicht zulässig. Unter diesem Vorbehalt bezahlte
die Buss A.-G. den Gegenwert von 400 RM mit 493 Fr. 60 Cts. an das
Betreibungsamt. Darauf schrieb das Betreibungsamt an den Vertreter des
Arrestgläubigers Keel: «Da nach dem Abkommen über den deutschschweizerischen
Verrechnungsverkehr die Finanzgläubiger schlechter gestellt sind als die
Warengläubiger, verstösst die Vollziehung des Arrestes und der Pfändung gegen
den Grundgedanken des Verrechnungsabkommens. Ihr Klient würde als
Finanzgläubiger eine Forderung gedeckt erhalten zum Schaden schweizerischer
Warengläubiger... Wir werden daher unter Aufhebung von Arrest und Pfändung den
von der Firma Buss A.-G. einbezahlten Betrag von 493 Fr. 60 Cts. der
Schweizerischen Verrechnungsstelle überweisen, sofern Sie nicht binnen 10
Tagen bei der Aufsichtsbehörde Beschwerde erheben». Binnen dieser Frist führte
Keel

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Beschwerde mit dem Antrag, das Betreibungsamt sei anzuweisen, ihm den
gepfändeten Barbetrag von 493 Fr. 60 Cts. zur Verfügung zu stellen.
B. - Die kantonale Aufsichtsbehörde hat am 18. November 1935 die Beschwerde im
Sinne der Erwägungen abgewiesen.
C. - Diesen Entscheid hat Keel an das Bundesgericht weitergezogen mit dem
Antrag, die Zahlung an die Schweizerische Verrechnungsstelle sei als
unzulässig zu erklären, und das Betreibungsamt sei anzuweisen, das
Widerspruchsverfahren einzuleiten, eventuell den Betrag von 493 Fr. 60 Cts.
dem Rekurrenten auszuzahlen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
zieht in Erwägung:
Die Abkommen über den deutsch-schweizerischen Verrechnungsverkehr vom 26. Juli
1934 und 17. April 1935 bestimmen, dass der gesamte Zahlungsverkehr zwischen
Deutschland und der Schweiz vorbehaltlich gewisser, hier unstreitig nicht
zutreffender Ausnahmen ausschliesslich durch Vermittlung (jetzt) der Deutschen
Verrechnungskasse und der Schweizerischen Nationalbank abgewickelt werden;
Zahlungen von Deutschland nach der Schweiz können... sowohl in Reichsmark auf
ein bei der Deutschen Verrechnungskasse zugunsten der Schweizerischen
Nationalbank geführtes Sammelkonto, als auch in Schweizerfranken aus den
Beständen eines bei der Schweizerischen Nationalbank zugunsten der Deutschen
Verrechnungskasse geführten Sammelkontos geleistet werden, beides nur mit
Genehmigung einer deutschen Devisenstelle; Zahlungen von der Schweiz nach
Deutschland können... sowohl in Schweizerfranken auf das bei der
Schweizerischen Nationalbank zugunsten der Deutschen Verrechnungskasse
geführte Sammelkonto als auch in Reichsmark aus den Beständen des bei der
Deutschen Verrechnungskasse zugunsten der Schweizerischen Nationalbank
geführten Sammelkontos geleistet werden; gemäss diesen Bestimmungen

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sind sämtliche Verbindlichkeiten deutscher Schuldner gegenüber schweizerischen
Gläubigern zu erfüllen...; Verbindlichkeiten aus dem Kapitalverkehr, die
gemäss dem deutschen Gesetz über Zahlungsverbindlichkeiten gegenüber dem
Ausland vom 9. Juni 1933 an die Konversionskasse für deutsche Auslandsschulden
zu zahlen sind, werden nach Massgabe besonderer Vereinbarungen transferiert
oder fundiert; gemäss jenen Bestimmungen sind ebenfalls sämtliche
Verbindlichkeiten schweizerischer Schuldner gegenüber deutschen Gläubigern aus
dem Warenverkehr..., insbesondere sämtliche Zahlungen für aus Deutschland in
die Schweiz eingeführte Waren, zu erfüllen; die bei der Schweizerischen
Nationalbank gemäss diesen Bestimmungen zur Verfügung stehenden Guthaben
werden in ziffermässig bezw. prozentual genau festgestellter Weise aufgeteilt
bezw. verwendet.
Diese Regelung des Zahlungsverkehrs zwischen Deutschland und der Schweiz
ordnet eine öffentlichrechtliche Beschlagnahme der von ihr betroffenen
Forderungen zugunsten der Gesamtheit der schweizerischen Gläubiger an und
schreibt ausserdem vor, wie die einzelnen schweizerischen Gläubiger an der
Summe der derart eingezogenen Forderungen anteilsberechtigt sind. Insoweit
danach ein schweizerischer Schuldner keine Zahlung mehr an seinen deutschen
Gläubiger leisten darf, so kann es ungeachtet des Fehlens eines ausdrücklichen
Verbotes auch einem - schweizerischen oder ausländischen - Gläubiger jenes
Deutschen nicht gestattet sein, solche Forderungen durch Arrestierung und
Pfändung dem unter Ausserachtlassung seiner Sonderinteressen angeordneten
Verrechnungsverkehr zu entziehen und seiner eigenen Befriedigung dienstbar zu
machen anstatt der Befriedigung der durch das Verrechnungsabkommen
begünstigten Gläubiger. Insbesondere kann die mit der Durchführung dieses
öffentlichrechtlichen Beschlages betraute Stelle nicht darauf verwiesen
werden, ihn gegenüber Arrest oder Pfändung gleichwie ein ihnen
entgegenstehendes ziviles oder allfällig

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anderes Sonderrecht im Widerspruchsverfahren zur Geltung zu bringen, was
gegenüber dem zwar für das gegenwärtige Rekursverfahren verspäteten, aber,
weil eine Rechtsverweigerung des Betreibungsamtes in Frage käme, bis zum
Abschluss des Betreibungsverfahrens jederzeit noch zulässigen Antrag auf
Einleitung des Widerspruchsverfahrens ein- für allemal abgeklärt werden soll.
Wird im Einzelfalle streitig, ob ausnahmsweise die vom Verrechnungsabkommen
angeordnete öffentlichrechtliche Beschlagnahme nicht zutreffe und daher der
Verwertung des arrestierten Guthabens für den Arrestgläubiger nicht im Wege
stehe, so ist dies einzig dem Umstand zuzuschreiben, dass jenes Guthaben nicht
clearingpflichtig ist; die Entscheidung hierüber eignet sich aber nicht für
die Beurteilung durch die Zivilgerichte und ist gegebenenfalls der
schweizerischen Verrechnungsstelle selbst vorzubehalten.
Freilich sollten schon die Arrestbehörden selbst, soweit es mit der
Dringlichkeit der Arrestierung vereinbar ist, nach Möglichkeit vom
Arrestgläubiger verlangen, dass er glaubhaft mache, die zu arrestierende
Forderung werde vom Verrechnungsabkommen nicht ergriffen. Insoweit ein Arrest
nichtsdestoweniger bewilligt worden ist, bleibt freilich den Betreibungsämtern
nichts anderes als dessen vorsorgliche Vollziehung übrig. Ebensowenig wie die
Gerichte können die Aufsichtsbehörden über die Betreibungsämter im
Beschwerdeverfahren darüber entscheiden, ob die Arrestierung mit dem
Verrechnungsabkommen vereinbar sei oder nicht. Vielmehr hat das
Betreibungsamt, sofern nicht ausser allem Zweifel steht, dass eine der
Ausnahmen zutrifft, sofort nach dem Arrestvollzug die Frage der
Schweizerischen Verrechnungsstelle vorzulegen (und hiefür allfällig notwendige
Erhebungen zu machen), und deren Entscheidung muss als für das weitere
Verfahren verbindlich anerkannt werden. Nimmt die Verrechnungsstelle das
arrestierte Guthaben für den Verrechnungsverkehr in Anspruch, so hat das
Betreibungsamt einem späteren Pfändungsbegehren keine Folge zu geben, im
Gegenteil

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den Arrestvollzug nachträglich wieder aufzuheben, da mit seiner
Aufrechterhaltung weder für den Arrestgläubiger noch für die
Verrechnungsstelle irgend etwas gewonnen wäre, für den ersteren nicht, weil
eine Verwertung der arrestierten Forderung zu seinen Gunsten als gegen das
Verrechnungsabkommen verstossend ja doch nicht zulässig wäre. Inzwischen an
das Betreibungsamt geleistete Zahlungen sind ohne weiteres an die
Verrechnungsstelle abzuliefern.
Dies hat auch für den vorliegenden Fall zu gelten (mit der Massgabe, dass auch
die inzwischen bereits vollzogene Pfändung aufzuheben ist), obwohl nur der
betreibende Gläubiger den angefochtenen Entscheid weitergezogen hat, welcher
den Arrest und die Pfändung als solche aufrecht erhalten wollte, um dem
Rekurrenten einen allfälligen Anspruch gegen die Verrechnungsstelle auf Grund
seines Arrestes vorzubehalten. Ein solcher Anspruch hat vor dem
Verrechnungsabkommen keinen Bestand, und dieses ist zwingendes Recht, und
übrigens ist der Entscheid der Vorinstanz gegenüber der Verrechnungsstelle,
die keine Ausfertigung erhalten hat, noch gar nicht in Rechtskraft getreten.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 61 III 204
Datum : 01. Januar 1935
Publiziert : 13. Dezember 1935
Quelle : Bundesgericht
Status : 61 III 204
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Abkommen über den deutsch-schweizerischen Verrechnungsverkehr: Wird der Arrest auf ein Guthaben...


BGE Register
61-III-204
Stichwortregister
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