BGE 61 II 99
23. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Mai 1935 i. S. Gasser
gegen Kirchhoff.
Regeste:
Rückbürgschaft: (Art. 498 Abs. 2

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 498 - 1 Der Nachbürge, der sich dem Gläubiger für die Erfüllung der von den Vorbürgen übernommenen Verbindlichkeit verpflichtet hat, haftet neben diesem in gleicher Weise wie der einfache Bürge neben dem Hauptschuldner. |
die Bürgschaft.
Angabe des Höchstbetrages der Haftung: Verweisung auf den Schuldschein ist nur
zulässig unter der Voraussetzung, dass der Bürge den Inhalt desselben kennt.
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Aus dem Tatbestand:
Der Sohn der Beklagten, Ingenieur Werner Kirchhoff, wandte sich im Frühjahr
1925 an den Kläger mit dem Ersuchen, die Solidarbürgschaft für einen Kredit
von 5500 Fr. zu übernehmen, den er bei der Spar- und Leihkasse Bern aufnehmen
wollte. Der Kläger erklärte sich hiezu bereit, sofern sich die Beklagte
verpflichtete, ihn für allfällige Verluste aus der Bürgschaft schadlos zu
halten. Persönliche Verhandlungen zwischen dem Kläger und der Beklagten fanden
nicht statt; dagegen überbrachte Werner Kirchhoff am 4. März 1925 dem Kläger
die folgende, vom gleichen Tag datierte schriftliche Erklärung der Beklagten:
«Ich verbürge mich dafür, dass Ihnen aus der Bürgschaft, die Sie heute für
meinen Sohn, Ingenieur Werner Kirchhoff unterzeichnen, keinerlei Schaden
erwachsen soll».
Auf Grund dieser Erklärung übernahm der Kläger noch am gleichen Tage gegenüber
der Spar- und Leihkasse Bern die Solidarbürgschaft für den dem Ingenieur
Kirchhoff eröffneten Kredit von 5500 Fr.
Nachdem der Kläger im Jahre 1934 aus der Solidarbürgschaft hatte 5632 Fr.
bezahlen müssen, belangte er die Beklagte als Rückbürgerin für den Betrag von
5000 Fr. Sämtliche Instanzen haben die Klage mangels Gültigkeit der
Rückbürgschaft abgewiesen, das Bundesgericht mit der folgenden
Erwägung:
Die Rückbürgschaft ist gemäss Art. 498 Abs. 2

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 498 - 1 Der Nachbürge, der sich dem Gläubiger für die Erfüllung der von den Vorbürgen übernommenen Verbindlichkeit verpflichtet hat, haftet neben diesem in gleicher Weise wie der einfache Bürge neben dem Hauptschuldner. |
Regressforderung des Bürgen gegen den Hauptschuldner; sie bezweckt, den Bürgen
gegen die Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners zu sichern. Es gelten für
sie die gleichen Grundsätze, wie für die Bürgschaft selbst. Auch bei ihr muss
deshalb im Sinne von Art. 493

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 493 - 1 Die Bürgschaft bedarf zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Erklärung des Bürgen und der Angabe des zahlenmässig bestimmten Höchstbetrages seiner Haftung in der Bürgschaftsurkunde selbst. |
Rückbürge auf dem Regresswege vom Bürgen in Anspruch
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genommen werden kann. Dass dieser Höchstbetrag im Rückbürgschein selbst
ziffermässig angegeben sei, ist allerdings nicht erforderlich, sondern nach
den für die Bürgschaft selbst gemäss ständiger Praxis des Bundesgerichtes
geltenden Grundsätzen genügt es, wenn der Rückbürge im Zeitpunkt der Übernahme
seiner Verpflichtung aus den im Rückbürgschein enthaltenen Angaben durch
logische Überlegung oder durch einfache rechnerische Operation den
Höchstbetrag seiner Haftung ohne weiteres mit Sicherheit bestimmen kann, und
ebenso genügt eine in den Rückbürgschein aufgenommene Verweisung auf die
Bürgschafts- oder Hauptschuldurkunde, sofern in dieser selber entweder ein
bestimmter Betrag genannt oder im oben umschriebenen Sinne feststellbar ist
und sich aus diesen sämtlichen Angaben der Höchstbetrag der Haftung in
eindeutiger Weise ergibt (BGE 57 II S. 526, 50 II S. 291 und dort erwähnte
frühere Entscheidungen).
Die erste dieser beiden Möglichkeiten scheidet ohne weiteres aus, da in der
von der Beklagten am 4. März 1925 ausgestellten Erklärung selber weder ein
bestimmter Haftungsbetrag genannt, noch die erforderlichen Unterlagen für
dessen Berechnung angegeben sind, und überdies weder der Name des Gläubigers
der Hauptschuld, noch die Art und Höhe der letzteren aus der Urkunde
ersichtlich sind. Es kann sich deshalb einzig noch fragen, ob aus dem
Rückbürgschein zusammen mit dem Hauptschuld- und Bürgschaftsschein, auf den er
Bezug nimmt, die Beklagte den Höchstbetrag ihrer Haftung ableiten konnte.
Selbstverständliche Voraussetzung hiefür ist nun, dass die Beklagte vom Inhalt
des Schuldscheins, auf den ihre Erklärung verweist, Kenntnis hatte (REICHEL,
SJZ 20 S. 177); denn nur dann ist dem Zweck der Vorschrift des Art. 493

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 493 - 1 Die Bürgschaft bedarf zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Erklärung des Bürgen und der Angabe des zahlenmässig bestimmten Höchstbetrages seiner Haftung in der Bürgschaftsurkunde selbst. |
nämlich der Verhinderung leichtsinniger Bürgschaftsübernahme ohne Überblick
über deren Tragweite, Genüge getan. An dieser Kenntnis fehlte es jedoch der
Beklagten im vorliegenden Falle nach den tatsächlichen, nicht als aktenwidrig
angefochtenen und daher für das Bundesgericht
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gemäss Art. 81

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 493 - 1 Die Bürgschaft bedarf zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Erklärung des Bürgen und der Angabe des zahlenmässig bestimmten Höchstbetrages seiner Haftung in der Bürgschaftsurkunde selbst. |
Bürgschaftsakt konnte die Beklagte ihrer Verpflichtung vorgängig gar nicht zu
Gesicht bekommen, da er ja erst nachher erstellt wurde; mit dem Kläger hat die
Beklagte nicht verhandelt, und auf Grund der Angaben ihres Sohnes war sie, wie
die Vorinstanz im Wege der Beweiswürdigung als glaubwürdig bezeichnet, der
Auffassung, es handle sich um einen Kredit von nur ca. 3000 Fr. Unter diesen
Umständen ist daher die Rückbürgschaftserklärung der Beklagten mangels Angabe
eines Höchstbetrages der Haftung ungültig, wie die Vorinstanz mit Recht
entschieden hat; da es sich hiebei um eine vollständige Nichtigkeit handelt,
so kann die Beklagte auch nicht etwa für einen Betrag von 3000 Fr. haftbar
gemacht werden, für den sie zur Übernahme der Rückbürgschaft bereit gewesen
wäre.