S. 300 / Nr. 68 Familienrecht (d)

BGE 61 II 300

68. Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. November 1935 i. S. Hochuli gegen
Hochuli.

Regeste:
ZGB Art. 254, Anfechtung der Ehelichkeit: Aus dem negativen Ergebnis der
Blutprobe ergibt sich nicht, dass der Ehemann der Mutter unmöglich der Vater
sein könne (Erw. 2).
ZGB Art. 257 Abs. 3: Anerkennung der Ehelichkeit? Entschuldbar verspätete
Anfechtung? (Erw. 1).

A. - Mit der vorliegenden Klage vom 9. Januar 1935 ficht der seit 1927
verheiratete Kläger die Ehelichkeit des von seiner Ehefrau am 6. Mai 1934
geborenen Knaben an auf Grund eines Gutachtens des gerichtsärztlichen
Instituts Basel über die Blutuntersuchung, das zum Ergebnis gelangt: «Da der
Faktor N, der sich im Blute des Kindes findet, weder bei der Mutter noch beim
Vater (will sagen: dem Kläger) konstatiert werden kann, so ergibt sich daraus
die zwingende Schlussfolgerung, dass das Kind seinen Blutfaktor N von anderer
Seite her ererbt hat, sodass Herr Hans Hochuli (d. i. der Kläger) unmöglich
der Vater des Kindes Hansruedi sein kann». Nach den auf die Aussagen der
Mutter gestützten Feststellungen der Vorinstanz hatte die mit dem Ehemann
zusammenlebende Mutter gegen Ende Juli und in der ersten Hälfte August 1933
mehrmals mit Ferdinand Wüest geschlechtlich verkehrt. Als diese Beziehungen
dem Ehemann wenig später hinterbracht wurden, stellte er seine Frau und den
Wüest zur Rede, die jedoch beide jeden Geschlechtsverkehr in Abrede stellten.
Als dann im Herbst 1934 wiederum ähnliche Gerüchte auftauchten, gestand die
Frau dem Mann am 29. Oktober 1934 den Geschlechtsverkehr mit Wüest zu. Im
Prozess hat sie sich der Klage unterzogen.

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B. - Das Obergericht des Kantons Solothurn hat am 9. Juli 1935 die Klage
zugesprochen.
C. - Gegen dieses Urteil hat das Kind die Berufung an das Bundesgericht
erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die von Art. 253
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 253
ZGB gesetzte Frist zur Anfechtung der Ehelichkeit, welche
mit der hier am Tage der Geburt erfolgten Kenntnis von derselben zu laufen
beginnt und drei Monate beträgt, war bei der Klagerhebung längst abgelaufen.
Indessen lässt Art. 257 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 257 - 1 Ist ein Kind vor Ablauf von 300 Tagen seit der Auflösung der Ehe durch Tod geboren und hat die Mutter inzwischen eine neue Ehe geschlossen, so gilt der zweite Ehemann als Vater.269
1    Ist ein Kind vor Ablauf von 300 Tagen seit der Auflösung der Ehe durch Tod geboren und hat die Mutter inzwischen eine neue Ehe geschlossen, so gilt der zweite Ehemann als Vater.269
2    Wird diese Vermutung beseitigt, so gilt der erste Ehemann als Vater.
ZGB nach Ablauf dieser Frist die Anfechtung zu,
wenn die Verspätung mit wichtigen Gründen entschuldigt wird (abgesehen vom
Falle, dass der Klageberechtigte arglistig zur Unterlassung der Anfechtung
bewogen worden ist, wofür das blosse gemeinsame Abstreiten ausserehelichen
Geschlechtsverkehrs seitens der Ehefrau wie auch ihres Beischläfers nicht
genügt). Wichtige Gründe können hier in der Tat darin gefunden werden, dass
der Kläger bis zum Geständnis der Ehefrau keine zureichende Veranlassung zu
Zweifeln an der Ehelichkeit des Kindes und an der Erhebung einer
Anfechtungsklage hatte. Auf das Geständnis hin aber wandte sich der Kläger
alsbald an einen Anwalt, liess auf dessen Rat die Blutuntersuchung vornehmen,
suchte nach Empfang des Gutachtens vom 14. Dezember 1934 um das Armenrecht
nach und erhob dann die Klage ohne weitere ungerechtfertigte Säumnis. Eine
stillschweigende Anerkennung der Ehelichkeit kann nicht darin gesehen werden,
dass er weiter mit seiner Ehefrau zusammenlebt, auch wenn daraus geschlossen
werden kann, er habe ihr die mehrfachen Ehebrüche verziehen.
2.- In BGE 61 II 72 hat das Bundesgericht auf Grund eines Gutachtens von
Professor Zangger, wonach bei der Untersuchung über die Vererbung der
Blutgruppeneigenschaften die Fehlergrenzen weit unter 1:1000 sind, wenn alle
Vorsichtsmassnahmen getroffen sind und die Technik

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einwandfrei ist, ausgesprochen, dass erhebliche Zweifel über die
(aussereheliche) Vaterschaft des Beklagten immer dann gerechtfertigt sind,
wenn die Blutgruppe des Kindes diesem weder von der Mutter noch vom Beklagten
vererbt worden ist. Allein während gemäss Art. 314 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
ZGB der Nachweis von
Tatsachen, die erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten
rechtfertigen, eine Vaterschaftsklage zu Fall zu bringen vermag, so kann
gemäss Art. 254
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 254
ZGB der Ehemann eine Klage auf Anfechtung der Ehelichkeit des
von der Ehefrau wie hier wenigstens 180 Tage nach Abschluss der Ehe geborenen
Kindes nur durch den Nachweis begründen, dass er «unmöglich» der Vater des
Kindes sein könne. Dieser Nachweis muss strikte geleistet werden; er ist als
gescheitert zu betrachten, solange eine noch so entfernte Möglichkeit der
Vaterschaft des Ehemannes bestehen bleibt (BGE 55 II 297 und dort zitierte
frühere Urteile). Hiefür ist regelmässig nur der Nachweis tauglich, dass die
Ehegatten während der Empfängniszeit überhaupt keinen Geschlechtsverkehr
gepflogen haben können (insbesondere wegen örtlicher Entfernung) oder
mindestens wegen Zeugungsunfähigkeit des Ehemannes oder bereits vorher
bestehender Schwangerschaft keinen zur Befruchtung führenden. Hievon abgesehen
«muss trotz dem nachgewiesenen Geschlechtsverkehr der Ehegatten während der
kritischen Zeit eine Vaterschaft des Ehemannes als unmöglich erscheinen, wenn
das Kind unzweifelhaft Rassenmerkmale aufweist, welche nach den Ergebnissen
der wissenschaftlichen Forschung mit Bestimmtheit (unter allen Umständen) eine
Erzeugung durch einen der Rasse des Ehemannes angehörigen Mann ausschliessen»
(BGE 55 II 295). Alle diese Fälle stimmen darin überein, dass die Gutheissung
der Anfechtungsklage auf Grund der richterlichen Überzeugung erfolgt, dass
überhaupt gar keine Möglichkeit der Vaterschaft des Ehemannes besteht. Eine
solche Überzeugung zu vermitteln, ist die Blutprobe wegen der ihr anhaftenden
Fehlerquellen nicht tauglich, mag die Fehlergrenze noch so eng sein.

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Beispielsweise ist es auch bei auf Zeugungsunfähigkeit oder fremde
Rassenmerkmale gestützter Anfechtungsklage freilich nicht ausgeschlossen, dass
einmal eine solche Klage zu Unrecht zugesprochen werde. Allein dann liegt der
Grund hiefür in einem unzulänglichen medizinischen Gutachten. Im Unterschied
dazu kann eine auf vorzüglichste Weise durchgeführte Blutprobe zu einem
Fehlergebnis führen, weil sich hier Fehlergebnisse einschleichen können, die
ihren Grund anderswo als in der Unzulänglichkeit des Gutachters haben. Auf
Grund der ganz verschiedenen gesetzlichen Ordnung vermag gegenüber der
Vaterschaftsklage einer unverheirateten Frau, die sich ausserehelichem
Geschlechtsverkehr hingab, eine Blutprobe, die den Beklagten als Vater des
Kindes ausgeschlossen erscheinen lässt, erhebliche Zweifel an dieser
Vaterschaft zu rechtfertigen, was nach Art. 314 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
ZGB zur Abweisung der
Vaterschaftsklage genügt. Es darf aber nicht zugelassen werden, dass je
einmal, sei es auch in noch so seltenen Fällen, eine Ehefrau, die sich keinen
Ehebruch oder ein ähnliches ehewidriges Verhalten hat zuschulden kommen
lassen, welches zu ausserehelicher Befruchtung führen konnte, der Anfechtung
der Ehelichkeit ihres Kindes ausgesetzt werde, bloss weil die nicht im
strengsten Sinne des Wortes absolut zuverlässige Blutprobe den Ehemann als
Vater ihres Kindes ausgeschlossen erscheinen lässt. Und noch weniger darf ein
als ehelich vermutetes Kind mit dem Makel der Unehelichkeit behaftet werden,
solange wegen der der Blutprobe anhaftenden, zwar nur geringen Fehlerquellen
der Richter nicht davon überzeugt sein kann, dass auch wirklich gar keine
Möglichkeit bestehe, der Ehemann der der Mutter könne doch sein Vater sein.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird begründet erklärt, das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Solothurn vom 9. Juli 1935 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 61 II 300
Datum : 01. Januar 1935
Publiziert : 22. November 1935
Quelle : Bundesgericht
Status : 61 II 300
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : ZGB Art. 254, Anfechtung der Ehelichkeit: Aus dem negativen Ergebnis der Blutprobe ergibt sich...


Gesetzesregister
ZGB: 253 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 253
254 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 254
257 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 257 - 1 Ist ein Kind vor Ablauf von 300 Tagen seit der Auflösung der Ehe durch Tod geboren und hat die Mutter inzwischen eine neue Ehe geschlossen, so gilt der zweite Ehemann als Vater.269
1    Ist ein Kind vor Ablauf von 300 Tagen seit der Auflösung der Ehe durch Tod geboren und hat die Mutter inzwischen eine neue Ehe geschlossen, so gilt der zweite Ehemann als Vater.269
2    Wird diese Vermutung beseitigt, so gilt der erste Ehemann als Vater.
314
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
BGE Register
55-II-295 • 61-II-300 • 61-II-72
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
anfechtungsklage • beendigung • begründung des entscheids • beklagter • blutprobe • bundesgericht • dauer • ehe • ehebruch • ehegatte • empfang • frist • geschlecht • geschlechtsverkehr • kenntnis • mann • medizinisches gutachten • monat • mutter • rasse • schwangerschaft • solothurn • sucht • tag • vater • vaterschaftsklage • verhalten • vorinstanz • weiler • wille • zahl • zweifel