BGE 61 II 138
32. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Februar 1935 i. S.
Arquint gegen Gebrüder Tüscher & Co.
Regeste:
Patentrecht, Legitimation des Lizenznehmers zur Nichtigkeitsklage; Einrede der
Arglist.
A. - Der Beklagte, Ingenieur Hans Arquint in Pasing bei München, ist Inhaber
der schweizerischen Patente Nr. 125848 u. 151544 für Fahrzeugaufbauten. Durch
Lizenzvertrag vom 29. Oktober 1930 räumte er der Klägerin, Fa. Gebr. Tüscher &
Cie in Zürich, für das Gebiet
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der Schweiz das alleinige Recht ein, Fahrzeugaufbauten nach seinen
Patentsystemen herzustellen und zu vertreiben.
Im Herbst 1931 und Frühjahr 1932 beschwerte sich die Klägerin beim Beklagten,
dass verschiedene schweizerische Karosseriewerke Stahlgerippe herstellen, die
im wesentlichen seinen Patenten entsprechen. Sie forderte den Beklagten auf,
gegen diese Firmen Klage wegen Patentverletzung zu erheben und erklärte, als
das nicht geschah, den Rücktritt vom Lizenzvertrag.
Der Beklagte erhobe am 12. August 1932 in München, als dem im Lizenzvertrag
vorgesehenen Gerichtsstand, Klage auf Erfüllung des Vertrages.
B. - Hierauf hat die Klägerin am 30. November 1932 in Bern auf
Nichtigerklärung der beiden Patente Nr. 125828 u. 151544 geklagt.
Der Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt, in erster Linie mit der
Begründung, dass die Klägerin als Lizenznehmerin nach Treu und Glauben nicht
zur Anfechtung der Patente legitimiert sei.
C. - Diese Einrede des Beklagten ist vom Handelsgericht des Kantons Bern und
hernach vom Bundesgericht verworfen worden, von letzterem aus folgenden
Erwägungen:
Nach Art. 16 Abs. 3
SR 232.14 Bundesgesetz vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG) - Patentgesetz PatG Art. 16 - Patentbewerber und Patentinhaber schweizerischer Staatsangehörigkeit können sich auf die Bestimmungen des für die Schweiz verbindlichen Textes der Pariser Verbandsübereinkunft vom 20. März 188349 zum Schutz des gewerblichen Eigentums berufen, wenn jene günstiger sind als die Bestimmungen dieses Gesetzes. |
Interesse nachweist. Dieses Interesse ist beim Lizenznehmer, der ja den
Lizenzvertrag um des Patentgegenstandes willen abgeschlossen hat, füglich
nicht zu leugnen.
Dagegen kann natürlich der nach Art. 16 Klageberechtigte zum Patentinhaber in
einem Verhältnis stehen, das nach den Grundsätzen von Treu und Glauben einen
Angriff auf das Patent nicht zulässt. So wird der frühere Patentinhaber, der
das Patent einem andern verkauft hat, nicht als legitimiert erachtet, gegen
den Erwerber die Nichtigkeitsklage zu erheben (BGE 38 II 88 Erw. 2; 55 II 279
ff). Im gleichen Sinne scheinen das englische
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und amerikanische Recht die Nichtigkeitsklage des Lizenznehmers schlechtweg
auszuschliessen. Für das schweizerische Recht kann diese weitgehende
Auffassung nicht anerkannt werden. Wie man den Lizenzvertrag auch definieren
mag, so enthält er nach unserer Rechtsordnung in seiner typischen Gestalt
nichts weiteres, als dass. der Patentinhaber seine Rechte aus dem Patent in
kleinerem oder grösserem Umfange auf den Lizenznehmer überträgt. Darin allein
kann aber noch kein Grund erblickt werden, welcher der Nichtigkeitsklage des
Lizenznehmers entgegenstünde (WEIDLICH und BLUM, Das schweizerische
Patentrecht S. 303; übereinstimmend für das deutsche Recht, KOHLER, Handbuch
des deutschen Patentrechtes, S. 379 f.; PIETZKER, Patentgesetz, S. 356 lit.
e).
Es kann also nur darauf ankommen, ob durch die besondere Ausgestaltung des
Lizenzvertrages im einzelnen Falle ein Treueverhältnis begründet worden ist,
mit dem die Nichtigkeitsklage des Lizenznehmers unvereinbar wäre. Die
Vorinstanz stellt mit Pietzker (a.a.O.) darauf ab, ob der Lizenzvertrag in
concreto gesellschaftähnlichen Charakter habe. Gegen die Anwendung dieses
Kriteriums ist grundsätzlich nichts einzuwenden, doch vermag es die zu
entscheidende Frage nicht in allen Fällen zu lösen. Denn neben den gemeinsamen
Interessen der Gesellschaft als solcher bestehen immerhin die Eigeninteressen
der einzelnen Gesellschafter fort, und wie die Klage auf Auflösung der
Gesellschaft aus wichtigen Gründen beweist (Art. 545 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 545 - 1 Die Gesellschaft wird aufgelöst: |
|
1 | Die Gesellschaft wird aufgelöst: |
1 | wenn der Zweck, zu welchem sie abgeschlossen wurde, erreicht oder wenn dessen Erreichung unmöglich geworden ist; |
2 | wenn ein Gesellschafter stirbt und für diesen Fall nicht schon vorher vereinbart worden ist, dass die Gesellschaft mit den Erben fortbestehen soll; |
3 | wenn der Liquidationsanteil eines Gesellschafters zur Zwangsverwertung gelangt oder ein Gesellschafter in Konkurs fällt oder unter umfassende Beistandschaft gestellt wird; |
4 | durch gegenseitige Übereinkunft; |
5 | durch Ablauf der Zeit, auf deren Dauer die Gesellschaft eingegangen worden ist; |
6 | durch Kündigung von seiten eines Gesellschafters, wenn eine solche im Gesellschaftsvertrage vorbehalten oder wenn die Gesellschaft auf unbestimmte Dauer oder auf Lebenszeit eines Gesellschafters eingegangen worden ist; |
7 | durch Urteil des Gerichts282 im Falle der Auflösung aus einem wichtigen Grund. |
2 | Aus wichtigen Gründen kann die Auflösung der Gesellschaft vor Ablauf der Vertragsdauer oder, wenn sie auf unbestimmte Dauer abgeschlossen worden ist, ohne vorherige Aufkündigung verlangt werden. |
unter Umständen der Vorrang gegenüber jenen eingeräumt werden.
Wie es sich im vorliegenden Fall mit der Interessenverknüpfung verhält, kann
dahingestellt bleiben. Es fällt in Betracht, dass der Beklagte schon vor
Anhebung der Nichtigkeitsklage durch die Klägerin gegen diese in München einen
Prozess auf Erfüllung des Lizenzvertrages angestrengt, ferner dass sich die
Klägerin wegen Patentverletzungen durch Dritte im Genuss des
Lizenzgegenstandes bedroht gefühlt und den Beklagten wiederholt
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aufgefordert hat, diese Verletzungen gerichtlich zu verfolgen, ohne dass der
Beklagte den Aufforderungen nachgekommen wäre. Bei diesem Sachverhalt hatte
die Klägerin ein berechtigtes Interesse, die Rechtsbeständigkeit der Patente
abklären zu lassen, und dazu blieb ihr schlechterdings kein ebenso geeignetes
Mittel wie die Erhebung der Nichtigkeitsklage beim zuständigen schweizerischen
Richter. Angesichts der von der Klägerin geltend gemachten Patentverletzungen
war ein Rechtsstreit über die Patente ohnehin unvermeidbar geworden. Das
anerkennt im Grunde genommen auch der Beklagte, wenn er sich in der
Klageantwort darauf beruft, dass auf eine von der Klägerin erhobene
Verletzungsklage hin die Rechtsbeständigkeit der Patente sozusagen automatisch
geprüft worden wäre. Die Behauptung aber, die Klägerin hätte solche
Patentverletzungsklagen selber erheben können, bedeutet geradezu eine
Bösgläubigkeit seitens des Beklagten, hat er sich doch in der ganzen
Korrespondenz und noch in einem Schreiben vom 30. September 1932 vorbehalten,
gegebenenfalls selber gegen die Patentverletzungen vorzugehen. Unbegründet ist
ferner auch der Einwand, die Klägerin habe ihm die für die
Patentverletzungsklagen nötigen Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt. Die
Klägerin hat ihm durch Schreiben vom 4. Juni, 16. September und 5. Oktober
1932 die jeweilen verlangten Angaben gemacht, war aber noch am 1. November
1932 ohne Bescheid über die Entschliessung des Beklagten und setzte ihm daher
an diesem Tage eine letzte achttägige Frist zur Anhebung der
Patentverletzungsklage gegen die Schweiz. Waggonfabrik in Schlieren an. Statt
dass dann die Entscheidung getroffen worden wäre, ersuchte der Vertreter des
Beklagten die Klägerin am 5. November, die Frist um mindestens einen Monat zu
erstrecken, da der Beklagte bis Ende November im Ausland abwesend sei. Darauf
ging die Klägerin nicht ein, was verständlich ist, wenn man bedenkt, dass sich
die Verhandlungen schon seit dem Herbst 1931 hingezogen
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hatten und der Beklagte offensichtlich wenig Eifer zeigte, die Verfolgung der
Patentverletzungen aufzunehmen, während der Klägerin an einer raschen
Abklärung der Verhältnisse gelegen sein musste.
Die Nichtigkeitsklage kann somit der Klägerin nicht als Verrat am Genossen
ausgelegt werden, weshalb die vom Beklagten erhobene Einrede der Arglist
abzuweisen ist.