S. 86 / Nr. 12 Gleichheit vor dem Gesetz (Rechtsverweigerung) (d)

BGE 61 I 86

12. Urteil vom 15. März 1935 i.S. Dr. Grüninger und Dr. Kramer und Gen. gegen
Basel-Stadt.

Regeste:
Frage der Verletzung der Rechtsgleichheit durch einen kantonalen
Gesetzeserlass, speziell durch die einem Steuergesetz beigefügte
Rückwirkungsklausel.
Eine volle Rückwirkung eines Steuergesetzes liegt nicht vor, wenn es auf
Steuern angewendet wird, für die die Veranlagung erst nach seinem
Inkrafttreten stattfindet (Erw. 7).

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Zulässigkeit der Rückwirkung eines Steuergesetzes auf die im Jahre seines
Erlasses veranlagten Steuern für das vorhergehende Jahr (Erw. 8).
Unzulässigkeit der Rückwirkung, wenn sie in zahlreichen Fällen wegen Todes
oder Wegzuges der Steuerpflichtigen nicht durchgeführt werden kann (Erw. 8)?

A. - Das basel-städtische Gesetz betreffend die direkten Steuern vom 6. April
1922 enthält in § 17 folgende Bestimmungen:
Abs. 1: «Steuerbar ist der Gesamtbetrag jeder Art von Einkommen, Erwerb und
Gewinn, namentlich: ....
(Pos. 4) Kapitalgewinn und Kapitalzuwachs auf Vermögensobjekten, ...»
Abs. 3: «Bei Ausmittlung des Gesamteinkommens können abgezogen werden: ...
(Pos. 5) die im Laufe des Steuerjahres erlittenen Kapitalverluste, sowie die
geschäftsmässig begründeten
Abschreibungen auf Vermögensobjekten...»
Abs. 6: ...
Seit einigen Jahren schliessen die Staatsrechnungen des Kantons Basel-Stadt
mit grossen Defiziten ab. In der Grossratssitzung vom 1./2. Februar 1934 wurde
daher anlässlich der Budgetberatung eine Kommission beauftragt, u. a. zu
prüfen, ob die Vorschrift des Steuergesetzes, durch welche der Abzug von
Kapitalverlusten am Einkommen gestattet wird, aufzuheben sei. Der Grosse Rat
erliess dann am 25. Oktober 1934 ein Gesetz, wodurch die erwähnten
Gesetzesvorschriften folgendermassen abgeändert wurden:
Abs. 1 (Pos. 4): ...
Abs. 3 (Pos. 5): «vom Ertrag wirtschaftlicher Unternehmungen, welche zur
Führung kaufmännischer Bücher verpflichtet sind oder solche führen, die
geschäftsmässig begründeten Abschreibungen».
Ferner wurde neu eingefügt:
§ 17 a: «Von allfälligen Kapitalgewinnen und vom Kapitalzuwachs im Sinne von §
17 Abs. 1, sowie von

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allfälligem Einkommen aus dem Vermögen können die im Verlaufe des Steuerjahres
erlittenen Kapitalverluste abgezogen werden...
Als abziehbare Kapitalverluste gelten nur solche Verluste, welche bei
Veräusserung von Vermögensobjekten oder bei einem Todesfalle in Erscheinung
treten oder welche offensichtlich als dauernd betrachtet werden müssen. Nicht
abziehbar sind solche Verluste, die sich nur aus der Minderbewertung von
Vermögensobjekten ergeben; vorbehalten bleibt § 17, Abs. 3, Pos. 5, betreffend
geschäftsmässig begründete Abschreibungen...»
Dieser Gesetzesrevision wurde unter Ziff. III folgende Bestimmung beigefügt:
«Dieses Gesetz tritt sofort in Kraft; es erhält Rückwirkung auf den 1. Januar
1934.
Soweit an der Einkommenssteuer pro 1933 und pro 1934 Abzüge vorgenommen worden
sind, welche nach dem gegenwärtigen Gesetze unzulässig sind und den Betrag von
2000 Fr. übersteigen, ist die Steuerveranlagung neu vorzunehmen.»
B. - Gegen dieses Gesetz haben eine Anzahl Einwohner des Kantons Basel-Stadt,
nämlich Dr. Grüninger und 6 Genossen ..., Dr. Kramer und 89 Genossen ... die
staatsrechtliche Beschwerde ergriffen.
Dr. Grüninger und Konsorten beantragen: «Es sei Ziff. III des Gesetzes ...,
soweit darin die Einkommenssteuertaxationen pro 1933 als ungültig erklärt und
Neuveranlagungen pro 1933 vorgeschrieben werden, wegen Verletzung von Art. 2
und 4 der Bundesverfassung aufzuheben».
Dr. Kramer und Konsorten beantragen: «Es sei Ziff. III des ... Gesetzes ...,
soweit darin die Rückwirkung auf den 1. Januar 1934 festgelegt und bestimmt
wird, dass die Steuerveranlagungen für die Einkommenssteuer pro 1933 und 1934
wieder aufgehoben werden, als verfassungswidrig aufzuheben».
Dr. Grüninger und Konsorten begründen ihren Antrag

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im wesentlichen folgendermassen: Nach dem baselstädtischen Steuergesetz (§ 18)
seien die Steuererklärungen alljährlich im Monat März «für Einkommen und
Erwerb des verflossenen Kalenderjahres» einzugeben. Die Taxation durch die
Steuerverwaltung erfolge dann im April ... Soweit sich die Rückwirkungsklausel
der Steuergesetznovelle vom 25. Oktober 1934 auf das steuerbare Einkommen pro
1934 beziehe, sei sie daher selbstverständlich. Soweit sie aber das steuerbare
Einkommen pro 1933 betreffe, das von der Steuerverwaltung im April 1934
ordnungsgemäss eingeschätzt worden sei, werde die willkürliche
Ausnahmebehandlung einer kleinen Zahl von Steuerpflichtigen versucht. Von der
Rückwirkung seien nämlich alle jene Einkommenssteuerpflichtigen ausgenommen,
die nicht mehr als 2000 Fr. an ihrer Einkommenssteuer wegen Kapitalverlusten
abgezogen hätten. Da - bei Zugrundelegung des höchsten Steuersatzes - ein
Steuerabzug von 2000 Fr. einem abgezogenen Einkommen von 16000 Fr. entspreche,
gehe der Wohltat des bisherigen Gesetzes nur jene kleine Zahl von
Steuerpflichtigen verlustig, die an ihrem steuerbaren Einkommen einen
Kapitalverlust von mehr als 16000 Fr. abzuziehen genötigt gewesen seien. Eine
Rückwirkung, die eine so offenbare Rechtsungleichheit zur Folge habe,
widerspreche dem Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV. Da sich die Rückwirkung bis Anfang 1933, also auf
einen Zeitraum von über 1 3/4 Jahre, erstrecke, liege nicht - wie im Falle
Fölmli (BGE 47 I S. 15 ff.) - eine «mässige Rückwirkung» vor. Ein weiterer
Unterschied zum Falle Fölmli bestehe auch insofern, als im vorliegenden Falle
der Gesetzesentwurf nicht auf die Zeitspanne seiner Rückwirkung zum voraus
bekannt gewesen sei. Bei der Anwendung der Rückwirkungsklausel trete eine
Rechtsungleichheit insofern ein, als die neue Veranlagung bei jenen
Steuerpflichtigen, die seit dem 1. Januar 1933 nach andern Kantonen verzogen
sind, fraglich, in Todesfällen und insbesondere bei nach dem Ausland
Verzogenen völlig illusorisch sei. Mit dem Hinweis darauf, dass eine mässige
Rückwirkung unter

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gewissen Voraussetzungen nicht willkürlich sei, lasse sich die angefochtene
Klausel auch deshalb nicht halten, weil es sich nicht um eine neue oder
vermehrte Steuer auf dem Einkommen des Jahres 1933, sondern um die
nachträgliche Aufhebung der im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen
erlassenen und in Rechtskraft erwachsenen Steuerverfügungen pro 1933 handle...
Dr. Kramer und Konsorten ... führen ... folgendes aus: ... Die Anwendung der
angefochtenen Rückwirkungsklausel führe auch zu einer rechtsangleichen
Behandlung der Steuerzahler. Wer nach der Zahlung der Einkommenssteuer für
1933 von Basel fortgezogen sei, könne keiner nachträglichen Veranlagung mehr
unterliegen. Ähnlich verhalte es sich bezüglich der im Jahre 1934
Verstorbenen. Von den ausserhalb des Kantons Basel-Stadt wohnenden Erben könne
die in der Steuergesetznovelle vorgesehene Nachzahlung nicht verlangt
werden...
C. - Der Regierungsrat beantragt die Abweisung beider Beschwerden; er führt im
wesentlichen folgendes aus:
Nach dem bisherigen basel-städtischen Steuerrecht sei es zulässig gewesen,
nicht nur die effektiv durch Verkauf von Aktiven entstandenen, sondern auch
die lediglich aus ihrer niedrigern Bewertung sich ergebenden Kapitalverluste
vom Gesamteinkommen, gleichgültig ob dieses aus Vermögen oder Erwerb herrühre,
abzuziehen. Ein Steuerpflichtiger, dessen Vermögen im Laufe eines Jahres
infolge Sinkens der Börsenkurse von einer Million Franken auf 900000 Fr.
zurückgegangen sei, habe bis anhin auch dann keinen Rappen an Einkommenssteuer
zu bezahlen gehabt, wenn er im betreffenden Jahre ausser dem Vermögensertrag
von 40000 Fr. durch Erwerbstätigkeit noch 55000 Er. verdient habe. Es gebe im
Kanton Basel-Stadt zehn Steuerpflichtige, die ein Einkommen von mehr als
100000 Franken besitzen und im Jahre 1934 keinen Rappen Einkommenssteuer
bezahlt haben. Dies sei stossend... Der Gesetzgeber habe jene Fälle, in denen
die Abzüge

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2000 Fr. nicht übersteigen, von der Revision ausschliessen dürfen. Hiebei
handle es sich nicht, wie von den Beschwerdeführern angenommen werde, um
Abzüge an der Steuer, sondern um Abzüge an dem zur Steuer deklarierten
Einkommen. Die Steuerveranlagung desjenigen, der weniger als 2000 Fr.
Kapitalverlust am Einkommen abgezogen habe, sei - wie sich aus den Beratungen
ergebe - der Revision deshalb nicht unterstellt worden, weil die Durchführung
einer Revision sich in solchen Bagatellfällen gar nicht lohne und weil man
gleichzeitig auch habe Rücksicht nehmen wollen auf die kleinen Leute, die im
Jahre 1933 speziell auf ihren Volksbankanteilen Verluste erlitten hätten. Von
den Beschwerdeführern werde behauptet, die Steuergesetzesnovelle habe nicht
nur Rückwirkung auf den l. Januar 1934, sondern auf den 1. Januar 1933, da die
im Jahre 1934 bezahlte Einkommenssteuer die Steuer «pro 1933» sei. Eine solche
Argumentation sei nicht verständlich. Eine solide Einkommenssteuer werde sich
stets auf das effektive Einkommen eines abgeschlossenen Jahres stützen und
könne -wenn dies z. B. das Jahr 1933 sei - als Einkommenssteuer «pro» 1933
bezeichnet werden. Gleichwohl sei sie dann die Steuer «des» Jahres 1934 und
werde auch in der Basler Staatsrechnung pro 1934 gebucht. Der Bundesbeschluss
betreffend die Krisenabgabe stelle auf die zwei letzten, dem Beginn der
Abgabepflicht (1. Januar 1934) vorangegangenen Jahre ab und doch könne man
nicht sagen, er habe Rückwirkung auf den 1. Januar 1932. Wolle man einen
Unterschied zwischen mässiger und übermässiger Rückwirkung machen, so müsse
die Anwendung eines im Jahre 1934 beschlossenen Steuererlasses auf die in
diesem Jahr zahlbaren Steuern als mässig bezeichnet werden. Möglich sei, dass
der eine oder andere Steuerpflichtige, der das Kantonsgebiet im Jahre 1934
verlassen habe, zur Revision der Steuerveranlagung nicht mehr herangezogen
werden könne. Dies lasse sich nicht vermeiden.

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
6.- Auf Grund von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV kann das Bundesgericht gegen einen kantonalen
Gesetzeserlass nicht schon dann einschreiten, wenn dieser auf
gesetzgebungspolitischen Erwägungen beruht, die es für materiell unzutreffend
erachtet, sondern nur dann, wenn der Erlass sich nicht auf ernsthafte,
sachliche Gründe stützen lässt (BGE 49 I S. 230), sinn- und zwecklos ist (vgl.
z. B. BGE 48 I S. 268) oder rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein
vernünftiger Grund aus den tatsächlichen Verhältnissen schlechterdings nicht
abgeleitet werden kann (vgl. z. B. BGE 38 I S. 372/3). Nach diesen Grundsätzen
ist auch die einem Steuergesetz beigefügte Rückwirkungsklausel zu beurteilen,
wenn sie unter Berufung auf Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV angefochten wird (vgl. BLUMENSTEIN, Der
Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, Vierteljahresschrift für Steuer- und
Finanzrecht, Bd. IV (1930) S. 343, Anm. 61; nicht publizierter Entscheid i. S.
Gasparini v. 25. Nov. 1933, Erw. 4). Auf einen andern Boden hat sich das
Bundesgericht auch im Falle Fölmli (BGE 47 I S. 15 ff.) nicht gestellt. Es hat
damals lediglich erklärt, dass die mässige Rückwirkung eines Steuergesetzes
auf Tatbestände, die schon vor seinem Inkrafttreten existent geworden seien,
jedenfalls dann nicht gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV verstosse, wenn das Gesetz während der
Zeitspanne der Rückwirkung in Beratung stand und eine Umgehung des Gesetzes
durch die Rückwirkung verhindert werden kann. Damit ist aber nicht gesagt,
dass einzig beim Vorliegen dieser Voraussetzungen die einem Steuergesetz
beigefügte Rückwirkungsklausel vor Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV standhalte. Es ist vielmehr in
jedem einzelnen Falle unter Berücksichtigung aller Verhältnisse zu prüfen, ob
die Beifügung der Klausel eines haltbaren Grundes entbehrt, sinn- und zwecklos
ist oder Rechtsungleichheiten schafft, die sich durch keine vernünftigen
Gründe rechtfertigen lassen.

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7.- Im Kanton Basel-Stadt wird das Einkommen auf Grund des im Steuerjahr
effektiv erzielten Einkommens besteuert. Die Veranlagung erfolgt in der Regel
im Monat April nach Ablauf des Steuerjahres (§ 18 des Steuergesetzes). Hernach
ist die Steuer in drei Raten zu bezahlen, wovon die erste im April, die zweite
im August und die dritte im November fällig wird (§ 13 der
Vollziehungsverordnung). Nur wenn ein Steuerpflichtiger vor Eintritt dieser
Termine stirbt oder aus dem Kanton Basel-Stadt fortzieht, wird die Steuer
früher, nämlich nach dem Todestage, vor der Verteilung der Erbschaft, bezw. am
Tage vor dem Wegzuge, fällig und daher auch dann - wenn dies noch nicht
geschehen ist - bestimmt. Für die grosse Mehrzahl der Steuerpflichtigen wurde
daher die Einkommenssteuer pro 1933 erst im Jahre 1934 fällig und festgesetzt.
Gleichwohl ist aber hiebei das Einkommen des Jahres 1933 nicht blosse
Bemessungsgrundlage, sondern Steuerobjekt. Dadurch unterscheidet sich die
Basler Einkommenssteuer wesentlich von der eidgenössischen Krisensteuer; bei
dieser sind die Vorjahreseinkommen nur Bemessungsgrundlage.
Die Steuergesetznovelle vom 25. Oktober 1934 soll nach der ihr beigefügten
Übergangsbestimmung sowohl auf die Einkommenssteuer pro 1933, wenigstens
soweit deren Veranlagung erst nach dem 1. Januar 1934 stattgefunden hat oder
stattfindet, wie auch auf die - für die grosse Mehrzahl der Steuerpflichtigen
erst im Jahre 1935 fällig werdende - Einkommenssteuer pro 1934 Anwendung
finden.
Die Beschwerde von Dr. Kramer und Konsorten kann nun jedenfalls, soweit damit
die Wirkung auf die Steuer für 1934 angefochten wird, nicht gutgeheissen
werden. Diese Steuer wird für die Beschwerdeführer erst nach Inkrafttreten des
Gesetzes vom 25. Oktober 1934 veranlagt und fällig, da sie alle in diesem
Zeitpunkt im Kanton Basel-Stadt wohnhaft waren und auch nicht etwa behaupten,
eine im Laufe des Jahres 1934 im Kanton Basel-Stadt

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verstorbene Person beerbt zu haben. Eine volle Rückwirkung eines
Steuergesetzes - auf einen bereits abgeschlossenen Tatbestand - liegt aber
nicht vor, wenn es auf Steuern angewendet wird, für die die Veranlagung erst
nach seinem Inkrafttreten stattfindet; denn ein konkreter Steueranspruch
entsteht erst mit der Veranlagung, auch wenn die diese begründenden Tatsachen
schon vorher bestehen (BGE 33 I S. 696; 34 I S. 27; 50 I S. 362). Betrachtet
man aber auch die Anwendung der Steuergesetznovelle auf die Einkommenssteuer
der Beschwerdeführer für 1934 als Rückwirkung, so ist sie jedenfalls dermassen
mässig, dass sich eine Aufhebung nur dann rechtfertigen würde, wenn sich aus
dieser Rückwirkung Rechtsungleichheiten ergeben würden, die sich in keiner
Weise rechtfertigen liessen. Dies trifft aber nicht zu, wie für die
Steuerjahre 1933 und 1934 gemeinschaftlich unter Ziff. 8 ausgeführt werden
wird.
8.- Die Einkommenssteuer für 1933 wurde für die grosse Mehrzahl der
Steuerpflichtigen erst im Laufe des Jahres 1934 veranlagt und fällig und
diente dann insoweit auch zur Deckung der Staatsausgaben dieses Jahres. Sie
gehört daher in einem gewissen Sinne doch erst dem Jahre 1934 an. Dann aber
liegt darin, dass auf sie eine noch in diesem Jahre in Kraft getretene
Steuergesetznovelle angewendet wird, eine Rückwirkung, die nicht schon einzig
und allein wegen ihrer Dauer gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV verstösst. Ein solcher Verstoss
läge nur dann vor, wenn sich keine beachtenswerten Gründe für diese Massnahme
anführen liessen oder wenn sie zu stossenden Rechtsungleichheiten führen
würde.
Für die Rückwirkung auf die Steuer pro 1933 lassen sich nun aber
beachtenswerte Gründe anführen. Die Rechnungen des Kantons Basel-Stadt
schliessen seit mehreren Jahren mit grossen Defiziten ab. Auch das Budget pro
1934 sah wiederum ein bedeutendes Defizit vor. Massnahmen zur Sanierung der
Staatsfinanzen waren daher dringend geworden. Dann durfte aber ein diesem
Zweck dienendes Steuergesetz, das gegen Ende des Jahres 1934

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erlassen wurde, auf die in diesem Jahre veranlagten Steuern anwendbar erklärt
werden. Wenn es in einer Zeit der Budgetdefizite zulässig ist, für die
Sanierung des Staatshaushaltes notwendige Erlasse, die in normalen Zeiten der
Volksabstimmung unterstellt werden müssen, in Notverordnungen zu kleiden und
auf diese Weise der Volksabstimmung zu entziehen (vgl. z. B. den nicht
publizierten Entscheid i. S. Hardegger und Konsorten vom 22. September 1933
Erw. 4), so muss es auch zulässig sein, eine auf dem Gesetzgebungswege
erlassene Massnahme dieser Art rückwirkend in Kraft zu setzen. Die
eidgenössischen Räte haben in den letzten Jahren wiederholt Beschlüsse, die
eine Vermehrung der Staatseinnahmen bezweckten, rückwirkend in Kraft gesetzt
(vgl. z. B. den Bundesbeschluss betreffend die Erhöhung der Tabakzölle vom 24.
Juni 1921, AS Bd. 37 S. 517 ff.). Für die Beifügung der Rückwirkungsklausel
sprach im vorliegenden Falle auch noch der Umstand, dass die Unbilligkeiten,
die die Gesetzesnovelle beseitigen wollte, in den Jahren 1933 und 1934 infolge
des allgemeinen Sinkens der Börsenkurse besonders deutlich hervortraten und
sich daher gerade für diese Jahre eine Abänderung der Vorschriften über den
Abzug der Kapitalverluste aufdrängte.
Die Steuergesetznovelle schreibt eine Revision nur für jene
Steuerveranlagungen pro 1933 und 1934 vor, bei denen die nach der Novelle
nicht mehr zulässigen Abzüge den Betrag von 2000 Fr. übersteigen. Die
Zulässigkeit dieser Einschränkung bestreiten die Beschwerdeführer für den
Fall, dass nur jene Steuerpflichtigen neu veranlagt würden, die pro 1933
(eventuell 1934) nach der Gesetzesnovelle eine um 2000 Fr. höhere
Einkommenssteuer zu bezahlen hätten als nach der bisherigen Gesetzgebung.
Damit unterstellen aber die Beschwerdeführer der Novelle einen unrichtigen
Sinn. Da diese nur Abzüge vom Einkommen und nicht von der Einkommenssteuer im
Auge hat, können die Worte: «Soweit an der Einkommenssteuer pro 1933 und pro
1934 Abzüge vorgenommen worden sind...» nur den

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Sinn haben: «Soweit bei der Veranlagung zur Einkommenssteuer pro 1933 und pro
1934 Abzüge vorgenommen worden sind». Ob aber das Gesetz, wenn es die pro 1933
und 1934 der Revision unterliegenden Steuerpflichtigen in dieser Weise
umschreibt, gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV verstösst, braucht - da diese Frage von den
Beschwerdeführern gar nicht aufgeworfen wird - nicht geprüft zu werden.
Übrigens wäre die Frage zu verneinen. Denn es lassen sich dafür, dass die
Fälle, in denen der Abzug weniger als 2000 Fr. beträgt, nicht in die Revision
einbezogen werden, beachtenswerte Gründe anführen, wie sich aus den im
tatsächlichen Teil wiedergegebenen Ausführungen des Regierungsrates ergibt.
Die Steuergesetznovelle soll nach dem Wortlaut der ihr beigefügten
Rückwirkungsklausel auf die seit dem 1. Januar 1934 vorgenommenen
Steuerveranlagungen pro 1933 und 1934 auch Anwendung finden, wenn der
Steuerpflichtige vor dem Inkrafttreten der Novelle aus dem Kanton Basel-Stadt
weggezogen oder gestorben ist und die Erben ausserhalb des Kantons wohnhaft
sind. Doch dann ist entweder die von der Gesetzesnovelle vorgesehene
Zusatzsteuer nicht erhältlich oder die Zulässigkeit ihrer Auflage doch sehr
zweifelhaft, abgesehen von den Fällen, wo der Steuerpflichtige oder seine
Erben noch Vermögen im Kanton besitzen. Ein Steuergesetz dürfte kaum auf
Personen angewendet werden, die zur Zeit seines Inkrafttretens der Hoheit des
betreffenden Gemeinwesens in keiner Weise mehr unterstehen. Wären diese Fälle
zahlreich, in denen die durch die Rückwirkungsklausel vorgeschriebene Revision
nicht durchgeführt werden kann, so wäre es freilich fraglich, ob die Klausel
sich vor Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV halten liesse. Es geht kaum an, dass einem Steuergesetz in
derart weitgehendem Masse rückwirkende Kraft beigelegt wird, dass ein
wesentlicher Teil der darnach Steuerpflichtigen infolge der inzwischen
eingetretenen Änderungen (Wegzug, Tod etc.) nicht mehr erfasst werden kann.
Doch die Beschwerdeführer behaupten nicht, dass in zahlreichen

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Fällen die Revision der Steuerveranlagungen pro 1933 und 1934 nicht mehr
möglich sei. Es ist dies auch nicht anzunehmen. Jene Steuerpflichtigen, die
grössere (2000 Fr. übersteigende) Kapitalverluste erleiden, gehören wohl
durchwegs zu jener Bevölkerung, die ihren Wohnsitz selten wechselt. Handelt es
sich aber nur um vereinzelte Fälle, so kann dies nicht zur Aufhebung der
Rückwirkungsklausel führen. Denn sonst könnte kaum je einem Steuergesetz
rückwirkende Kraft beigelegt werden. Beinahe immer wird es einige Personen
geben, die in der Zeitspanne der Rückwirkung - mag diese auch noch so kurz
sein - das Gebiet des betreffenden Gemeinwesens verlassen und daher nicht mehr
erfasst werden können. Wollte man in solchen Fällen die Rückwirkungsklausel
als ungültig betrachten, so müsste sie im vorliegenden Falle auch insoweit
aufgehoben werden, als sie sich auf die vor dem Inkrafttreten der
Steuergesetznovelle vorgenommenen Veranlagungen für das Steuerjahr 1934
bezieht. Es wäre nun aber höchst unbefriedigend, wenn die Übergangsbestimmung,
auch soweit sie sich auf die für die grosse Mehrzahl der Steuerpflichtigen
erst im Jahre 1935 fällig werdende Steuer pro 1934 bezieht, aufgehoben werden
müsste. Dies fühlt auch ein Teil der Beschwerdeführer. Dr. Grüninger und
Konsorten betrachten die Übergangsbestimmung, soweit sie sich auf das Jahr
1934 bezieht, als unanfechtbar.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerden werden abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 61 I 86
Datum : 01. Januar 1935
Publiziert : 15. März 1935
Quelle : Bundesgericht
Status : 61 I 86
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Frage der Verletzung der Rechtsgleichheit durch einen kantonalen Gesetzeserlass, speziell durch die...


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BGE Register
33-I-689 • 38-I-341 • 47-I-12 • 48-I-262 • 49-I-228 • 61-I-86
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
aufhebung • auflage • ausserhalb • basel-stadt • beginn • begründung des entscheids • berechnung • budget • bundesgericht • bundesverfassung • dauer • deckung • entscheid • erbe • erwachsener • frage • gesetzesentwurf • inkrafttreten • kapitalgewinn • kauf • lohn • mass • monat • nachzahlung • rechtsgleiche behandlung • regierungsrat • sprache • staatsrechnung • staatsrechtliche beschwerde • stelle • steuererlass • steuermass • steuerobjekt • tag • termin • tod • veranlagungsverfahren • veranlagungsverfügung • verhalten • verlust • weiler • willkürverbot • zahl • änderung