BGE 60 II 391
64. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. Dezember 1934 i. S.
Loesch gegen Loesch geb. Kammer.
Regeste:
Leistungen bei Ehescheidung. In welchem Verhältnis steht Art. 151 zu Art. 152
ZGB?
Die Ansprüche wegen Verlustes des Unterhaltungsanspruchs aus Eherecht sind in
Art. 162
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 162 - Die Ehegatten bestimmen gemeinsam die eheliche Wohnung. |
kann vielmehr, auch wenn sich der fordernde Teil nicht in grosser
Bedürftigkeit befindet, dafür eine angemessene Entschädigung gemäss Art. 151
gesprochen werden.
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Wird eine solche Unterhaltungsentschädigung in Form einer Rente gewährt, so
soll im Urteil ein Berichtigungsvorbehalt angebracht und dem Pflichtigen die
Möglichkeit vorbehalten werden, eine Abänderung des Urteils zu beantragen,
wenn ihm die fernere Leistung zufolge gänzlich veränderter Verhältnisse ohne
Beschränkung seines eigenen und seiner Angehörigen Lebensunterhaltes nicht
mehr möglich sein sollte.
3.- Ansprüche im Sinne der Art. 151 ff . ZGB stehen nur einem schuldlosen
Ehegatten zu. Indessen erfüllt diese Voraussetzung nicht nur der absolut
schuldlose Ehegatte, sondern schon der, dem gegenüber kein auf Schuld
beruhender Scheidungsgrund vorliegt (BGE 1912 II 54). Das trifft für die
Beklagte und Widerklägerin zu. Dass sie weniger schuld ist als der Ehemann,
genügt hiefür freilich nicht ohne weiteres, denn ihr Verschulden könnte ja
trotzdem so erheblich sein, dass ein weniger schuldiger Ehepartner daraus
einen Grund zur Scheidung herleiten könnte. Das der Beklagten nachgewiesene
schuldhafte Verhalten hätte jedoch für sich allein niemals die Ehe zu
zerrütten vermocht.
Die Vorinstanz hat ihr keinen Unterhaltsanspruch gemäss Art. 152 ZGB
zuerkannt, weil sie dank ihrer Gesangsausbildung in der Lage sei, durch
Unterricht und Konzerttätigkeit ihren Unterhalt zu verdienen, wenn auch
vielleicht vorläufig noch in sehr knappem Ausmasse. Dagegen hat ihr die
Vorinstanz für die Beeinträchtigung ihrer Vermögensrechte infolge Verlustes
der ihr als Ehefrau zustehenden Unterhaltungsansprüche eine Entschädigung
gemäss Art. 151 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 162 - Die Ehegatten bestimmen gemeinsam die eheliche Wohnung. |
Mangels Ausdehnung der Anschlussberufung auf diesen Punkt steht nur die Frage
der Entschädigung nach Art. 151 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 162 - Die Ehegatten bestimmen gemeinsam die eheliche Wohnung. |
Den Unterhaltungsanspruch aus Eherecht (für die Ehefrau speziell gemäss Art.
160 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 160 - 1 Jeder Ehegatte behält seinen Namen. |
|
1 | Jeder Ehegatte behält seinen Namen. |
2 | Die Verlobten können aber gegenüber der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten erklären, dass sie einen ihrer Ledignamen als gemeinsamen Familiennamen tragen wollen.221 |
3 | Behalten die Verlobten ihren Namen, so bestimmen sie, welchen ihrer Ledignamen ihre Kinder tragen sollen. In begründeten Fällen kann die Zivilstandsbeamtin oder der Zivilstandsbeamte die Verlobten von dieser Pflicht befreien.222 |
und den Verlust desselben durch Scheidung der Ehe als Beeinträchtigung dieser
Vermögensrechte zu betrachten.
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entspricht ständiger Rechtsprechung. Bedenken, die wiederholt dagegen
geäussert wurden, rufen einer näheren Betrachtung der Rechtslage. Diese
Prüfung führt indessen grundsätzlich zu keiner andern Entscheidung.
Die erwähnte Auslegung wird zunächst durch den Wortlaut von Art. 151 Abs. 1
gedeckt. Unter den Begriff der Vermögensrechte fallen auch
Unterhaltungsansprüche. Der französische Text, der «die Vermögensrechte oder
die Anwartschaften» mit «les intérêts pécuniaires, même éventuels» widergibt,
berücksichtigt in gleicher Weise die gegenwärtige und die zukünftige
ökonomische Lage (vgl. BGE 1912 II 54). Noch allgemeiner hatte übrigens der
Entwurf von «intérêts présents ou futurs» gesprochen; mit der endgültigen
Fassung, die das Werk der Redaktionskommission zu sein scheint, wollte und
konnte nichts geändert werden. Endlich stimmt der italienische Text «i diritti
patrimoniali o le aspettative» mit dem deutschen überein. Es ist denn auch
nicht einzusehen, wieso für den Wegfall des eherechtlichen Unterhaltes nicht
ebensogut sollte Entschädigung beansprucht werden können wie für den Hinfall
des Vermögensgenusses und der Erbberechtigung.
Allerdings ist nur in Art. 152 ausdrücklich von Unterhaltsbeiträgen die Rede,
auch im Randtitel, und Art. 153 Abs. 1, der von der Festsetzung einer Rente
«als Entschädigung, Genugtuung oder Unterhalt» spricht, knüpft an diese
Terminologie an, so dass als Unterhaltsbeitrag auch dort nur die auf Art. 152
beruhende Verpflichtung bezeichnet ist. Daraus kann aber nicht gefolgert
werden, die Ansprüche wegen Wegfalles des Unterhaltes seien in Art. 162
abschliessend geordnet. Vielmehr umfasst der allgemein «Entschädigung»
gewährende Art. 151 Abs. 1 auch solche Ansprüche, und zwar eben, weitergehend
als Art. 152, über die Deckung des Notbedarfes hinaus. Wenn Art. 152 einen
Unterhaltsanspruch nur bei grosser Bedürftigkeit des Ansprechers gibt, so
deshalb, weil er anderseits im Unterschied zu Art. 151 kein Verschulden des
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Anspruchsgegners an der Scheidung voraussetzt. Dass von einem schuldlosen
Ehegatten nur unter besonderen Voraussetzungen Unterhalt verlangt werden kann,
leuchtet ein, während für eine solche Beschränkung der Ansprüche kein Grund
besteht gegenüber einem wegen Verschuldens gemäss Art. 151 haftbaren
Ehegatten. Art. 152 ist daher im Verhältnis zu Art. 151 nicht als
einschränkende, sondern als ergänzende Spezialbestimmung aufzufassen, wie es
übrigens im wesentlichen auch den Ausführungen des
Kommissionsberichterstatters im Nationalrat entspricht (Sten. Bull. XV 633).
Demnach lässt Art. 152 die weitergehenden Ansprüche aus Art. 151 auch mit
Bezug auf die Entschädigung für entgehenden Unterhalt unberührt und greift nur
dort Platz, wo mangels Verschuldens des Anspruchsgegners nicht aus Art. 151
geklagt werden kann, wo aber das Gesetz aus Billigkeitsgründen (eben bei
grosser Bedürftigkeit des gleichfalls schuldlosen andern Teiles) eine
dementsprechend beschränkte Unterhaltspflicht vorsieht. Wie ungerecht es wäre,
diese Einschränkung auch bei Schuld des Anspruchsgegners Platz greifen zu
lassen, erhellt deutlich, wenn man sich den Fall vor Augen hält, dass andere
Vermögensrechte oder Anwartschaften nicht vorhanden sind, hohe Einkünfte aber
dem schuldigen Ehegatten erlauben, grosses Haus zu führen.
Wird eine Entschädigung nach Art. 151 in Rentenform gesprochen, so fällt sie
gleich einer Unterhaltsrente im Sinne von Art. 152 dahin, wenn sich der
forderungsberechtigte Ehegatte wieder verheiratet (Art. 153 Abs. 1). Abgesehen
von diesem Falle besteht die Möglichkeit einer nachträglichen Herabsetzung
oder Aufhebung der Rente nur bei Unterhaltsrenten im Sinne des Art. 152 (Art.
153 Abs. 2). Eine für entgehenden Unterhalt nach Art. 151 gesprochene Rente
ist also abgesehen vom Falle der Wiederverheiratung des Berechtigten als
unabänderlich zu betrachten. Das entspricht dem Grundsatz, dass, unter
Vorbehalt besonderer Ausnahmen, wie sie sich aus Art. 153 ergeben die aus der
Scheidung der Ehe fliessenden
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Ansprüche des einen Ehegatten an den andern im Scheidungsurteil endgültig
bestimmt werden sollen. Es lässt sich nicht Übersehen, dass diese Ordnung
gerade bei Renten, die als Ersatz für den eherechtlichen Unterhalt zuerkannt
worden sind, zu stossenden Härten führen kann. So etwa, wenn bei einer
Scheidung junger Ehegatten der schuldige Teil zu einer solchen Rente
verurteilt worden ist und er nun in der Folge, vielleicht schon nach kurzer
Zeit, durch Unfall erwerbsunfähig wird oder seine Einkommensquelle auf andere
Weise einbüsst, während der andere Ehegatte, dem die Forderung zugesprochen
worden ist, in guten Verhältnissen lebt. Unter solchen Umständen wäre bei
Fortdauer der Ehe umgekehrt dieser Ehegatte pflichtig, den andern zu
unterhalten. Soll es ihm da (zeitlebens) gestattet sein, die Rente, die jener
kaum aufbringt, einzufordern, selbst wenn er darauf nicht angewiesen ist, und
bei Uneinbringlichkeit den andern mit Betreibungen zu bedrängen? Es kann nicht
der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, eine solche Folge zuzulassen. Daher
soll der Richter, wenn er eine Entschädigung für entgangenen Unterhalt im
Sinne von Art. 151 in Rentenform zuerkennt, in seinem Urteile einen
Berichtigungsvorbehalt machen und dem Leistungspflichtigen die Möglichkeit
vorbehalten, eine Abänderung des Urteiles zu beantragen, wenn ihm die fernere
Leistung zufolge gänzlich veränderter Verhältnisse ohne Beschränkung seines
eigenen und seiner Angehörigen Lebensunterhaltes nicht mehr möglich sein
sollte. Die allgemeinen Erwägungen für die Zulässigkeit eines solchen
Vorbehaltes, wie sie in BGE 36 II 85 dargelegt worden sind und übrigens auch
der Bestimmung von Art. 153
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 160 - 1 Jeder Ehegatte behält seinen Namen. |
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1 | Jeder Ehegatte behält seinen Namen. |
2 | Die Verlobten können aber gegenüber der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten erklären, dass sie einen ihrer Ledignamen als gemeinsamen Familiennamen tragen wollen.221 |
3 | Behalten die Verlobten ihren Namen, so bestimmen sie, welchen ihrer Ledignamen ihre Kinder tragen sollen. In begründeten Fällen kann die Zivilstandsbeamtin oder der Zivilstandsbeamte die Verlobten von dieser Pflicht befreien.222 |
Richter wird dann auf Grund der neuen Sachlage nach seinem Ermessen über eine
Unterdrückung oder allfällige Herabsetzung der Rente zu entscheiden haben.
Wird (wie es nach den folgenden Ausführungen hier zu geschehen hat) die
Entschädigung nach Art. 151 nicht in Form einer Rente, sondern als Kapital
festgesetzt, so kommt, auch wenn
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Tilgungsraten vorgesehen sind, weder ein Erlöschen der Verpflichtung nach Art.
153 Abs. 1 noch ein Vorbehalt im Sinne des soeben Gesagten in Frage. Gerade
weil eine spätere Anpassung der Kapitalschuld an veränderte Verhältnisse
ausgeschlossen ist, muss aber der Unsicherheit der künftigen Entwicklung bei
der Bemessung der Summe Rechnung getragen werden.
Bei der Bemessung der der Beklagten danach grundsätzlich zukommenden
Entschädigung sind ihre Mitschuld und die andern Umstände zu berücksichtigen.
Denn es handelt sich um einen Anspruch aus Rechtsverletzung und nicht wie bei
Bedürftigkeit im Sinne von Art. 152 um einen solchen aus Billigkeit. Der
Kläger verdient ungefähr 800 Fr. im Monat. Den Unterhalt, den die Ehefrau
gehabt hat, wird man auf 300 Fr. bewerten dürfen. Sie hatte aber den Unterhalt
nicht ohne Gegenleistung; sie musste dafür ihre Zeit dem Haushalt und der
Fürsorge für den Mann widmen. Zufolge der Auflösung der Ehe kann sie nun für
sich selbst über ihre Zeit verfügen. Der Gewinn, den sie dadurch erlangt, ist
mit dem Schaden, den sie durch den Entgang des Unterhaltes erleidet, zu
verrechnen. Er ist bei ihrer Ausbildung nicht gering anzuschlagen. Es ist sehr
wohl möglich, dass sie (in absehbarer Zeit) ein ausgezeichnetes Auskommen
findet, möglich ist freilich auch, dass sie ihre Zeit weniger gut verwerten
kann. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die wirtschaftliche Zukunft des
Klägers keineswegs als gesichert gelten kann. Endlich ist die immerhin nicht
ganz leichte Mitschuld der Beklagten in die Wagschale zu werfen.
Die Entschädigung ist in Kapitalform zu sprechen. Dadurch wird vermieden, dass
die beiden einander verhasst gewordenen Menschen zeitlebens durch
Rechtsbeziehungen aneinander gekettet bleiben. Der Betrag ist in Würdigung
aller Umstände auf 3000 Fr. zu bestimmen. Da der Kläger nicht in der Lage ist,
den ganzen Betrag sofort aufzubringen, ist die Summe in Halbjahresraten von
500 Fr. zu zerlegen, deren erste am 1. Januar 1935 verfällt.