S. 64 / Nr. 11 Organisation der Bundesrechtspflege (d)

BGE 60 I 64

11. Urteil des Kassationshofs vom 22. Januar 1934 i. S. Birkhäuser gegen
Polizeidepartement Basel-Stadt.


Seite: 64
Regeste:
Art. 157 OG: Wann in den unmittelbar durch Bundesgesetz den Kantonen zur
Beurteilung überlassenen Fällen die Kosten dem Angeschuldigten auferlegt
werden können, bestimmt sich (im Gegensatz zu den Fällen nach Art. 156) nach
kantonalem Recht.

A. - Der Kassationskläger ist verantwortlicher Leiter der Verlagsfirma E.
Birkhäuser & Cie. in Basel, welche die Zeitschrift «Die Schweizer Hausfrau»
herausgibt.
In No. 37 des Jahrgangs 1933 dieser Zeitschrift erschien ein Aufruf an die
Leser zur Werbung neuer Abonnenten, mit der Zusicherung einer Provision von 2
Fr. für jeden neuen Abonnenten und von Barprämien, die unter den Vermittlern
mit gleichem Werbeerfolg ausgelost werden sollten.
In diesem Aufruf erblickte die Eidg. Steuerverwaltung eine Übertretung des
Bundesgesetzes vom 8. Juni 1923 betr. die Lotterien und die gewerbsmässigen
Wetten. Das Polizeigericht von Basel-Stadt seinerseits nahm in seinem Urteil
vom 10. November 1933 an, der Kassationskläger habe wohl den objektiven, nicht
aber den subjektiven Tatbestand der Übertretung dieses Bundesgesetzes erfüllt.
Es sprach ihn deshalb von Schuld und Strafe frei, legte ihm aber gemäss § 201
der baselstädtischen StPO die Kosten des Verfahrens mit Einschluss von 20 Fr.
Urteilsgebühr auf, weil er immerhin fahrlässig gehandelt habe.

Seite: 65
B. - Dagegen erhob der Kassationskläger rechtzeitig und formrichtig die
Kassationsbeschwerde ans Bundesgericht.
C. - Das baselstädtische Polizeidepartement schliesst auf Nichteintreten, weil
die Verurteilung zu den Kosten sich auf kantonales Prozessrecht stütze.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Das angefochtene Urteil des Polizeigerichts Basel-Stadt ist nicht
Gegenstand eines ordentlichen kantonalen Rechtsmittels, das der kantonalen
Oberinstanz (Appellationsgericht) die Kompetenz zur freien Beurteilung der
Strafsache im Rahmen der Appellationsbegehren gegeben hätte. Die
Kassationsbeschwerde ist deshalb gemäss Art. 162 OG zurecht gegen das
Polizeigerichtsurteil eingereicht worden. Es ist auf sie einzutreten.
2.- Da der Kassationskläger vom Polizeigericht freigesprochen worden ist, so
kann dessen Kassationsbeschwerde sich nur noch gegen die mit dem Freispruch
verbundene Kostenauflage richten, und zwar mit der Begründung, dass zu Unrecht
kantonales statt eidgenössisches Recht auf die Kostenfrage angewendet worden
und dass nach eidgenössischem Recht die Kostenauflage an den Kläger hier
unzulässig sei. (Die Legitimation des Freigesprochenen zur
Kassationsbeschwerde nur im Kostenpunkt ist in BGE vom 2. März 1928 in Sachen
Bundesanwaltschaft gegen Schwyz und vom 23. November 1931 i. S.
Bundesanwaltschaft gegen Ackermann und Mitbeklagte anerkannt worden). Diese
Rüge ist denn auch erhoben worden, aber sie ist unbegründet.
Das Bundesgericht hat in BGE vom 23. November 1931 i. S. Bundesanwaltschaft
gegen Ackermann und Mitbeteiligte erkannt, dass in den nach Bundesrecht zu
beurteilenden Strafprozessen, die der Bundesrat an die kantonalen Gerichte
weist, die Kostenfrage ebenfalls nach Bundesrecht sich beurteilt, und zwar
nach Art. 166 OG; denn dieser regelt die Kostenfrage nicht nur inbezug auf

Seite: 66
das Verhältnis zwischen dem eidgenössischen und dem kantonalen Fiskus, sondern
auch inbezug auf dasjenige zwischen dem Fiskus und dem Angeschuldigten. Er
bestimmt, wann die Kosten dem Angeschuldigten auferlegt werden können, und
dass sie andernfalls dem Kanton vom Bund zurückzuvergüten sind.
Hier dagegen handelt es sich um eine nach eidgenössischem Recht zu
beurteilende Strafsache, die durch das Gesetz selber den kantonalen Gerichten
zur Beurteilung überwiesen ist. Für diesen Fall gilt nicht Art. 156 , sondern
Art. 157 OG, der bloss bestimmt, dass diesfalls eine Kostenvergütung durch den
Bund nicht stattfindet und die Bussen dem Kanton zufallen. Eine Vorschrift
darüber, wann die Kosten dem Angeschuldigten überbunden werden können, enthält
Art. 157 OG nicht. Mithin entscheidet sich diese Frage gemäss Art. 146 OG nach
kantonalem Recht. Denn Art. 146 sieht die Anwendung des kantonalen
Prozessrechts auf die den kantonalen Gerichten überwiesenen Bundesstrafsachen
für alle Fälle vor, wo das Bundesrecht nicht selbst eine Vorschrift aufstellt.
Die Kostenfrage ist mithin vom Polizeigericht des Kantons Basel-Stadt zu Recht
in Anwendung kantonalen Prozessrechts beurteilt worden. Die Anwendung des
kantonalen Rechts durch die kantonalen Gerichte aber kann vom Kassationshof
nicht überprüft werden.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Kassationsbeschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 60 I 64
Date : 01. Januar 1934
Published : 22. Januar 1934
Source : Bundesgericht
Status : 60 I 64
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : Art. 157 OG: Wann in den unmittelbar durch Bundesgesetz den Kantonen zur Beurteilung überlassenen...


Legislation register
OG: 146  156  157  162  166
BGE-register
60-I-64
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
basel-stadt • court of cassation • police court • cantonal law • hamlet • federal court • criminal matter • cantonal remedies • federal law on judicature • judicial agency • statement of reasons for the adjudication • advertising • legitimation • coincidence • forfeit • acquittal • federal council of switzerland • relationship between • sentencing • criminal proceedings • director • intermediary • housewife • language • undertaking • question
... Don't show all