S. 60 / Nr. 10 Sozialversicherung (d)

BGE 60 I 60

10. Urteil vom 21. Februar 1934 i. S. Wassergesellschaft Rudolfstetten und
Mitbeteiligte gegen Bundesamt für Sozialversicherung.

Regeste:
Art. 23 Verordnung I über die Unfallversicherung (vom 25. März 1916). - Ob die
Arbeiten «voraussichtlich» den für die Unterstellung erforderlichen
Mindestumfang annehmen werden, bestimmt sich nach objektiven Kriterien, nicht
nach der Meinung des Unternehmers.

A. - Die Wassergesellschaft Rudolfstetten beschloss Ende 1932 die Fassung
neuer Quellen und die Zuleitung ihres Wassers in das bestehende Reservoir. Die
Arbeit sollte in Regie durchgeführt werden bei einem Kostenaufwand von
ungefähr 5000 Fr. Projektpläne und Kostenvoranschlag bestanden nicht.
Am 26. Dezember wurde die Arbeit aufgenommen. Am 27. Dezember fiel ein
aufgeworfener Graben ein, wobei der Vorarbeiter Emil Schabrun getötet und der
Arbeiter Leonz Fröhli verletzt wurde.
In der von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt durchgeführten
Untersuchung erklärte der Präsident der Wassergesellschaft Rudolfstetten,
Landwirt Hüsser in Rudolfstetten, dass nach seiner Auffassung die Arbeit mit
10 bis 15 Arbeitern ungefähr drei Wochen gedauert hätte bei einer Lohnsumme
von ca. 2000 Fr. Der nach dem Unfall von einem Fachmann ausgearbeitete
Voranschlag dagegen sah 6910 Fr. Gesamtkosten vor und

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tatsächlich beliefen sich die Kosten dann trotz Vereinfachungen auf 7939 Fr.
35 Cts., wovon 4570 Fr. auf Arbeitslöhne entfielen.
Mit Entscheid vom 1. Februar 1933 hat die SUVAL die Unterstellung der
Wassergesellschaft Rudolfstetten für die Quellfassungsarbeiten unter die
obligatorische Versicherung abgelehnt. Ein von der Gesellschaft, der Witwe des
Emil Schabrun und von Leonz Fröhli eingereichter Rekurs ist am 26. April 1933
vom Bundesamt für Sozialversicherung abgewiesen worden, gestützt auf die
Erklärung des Präsidenten der Wassergesellschaft Rudolfstetten und eine
Berechnung der Kreisagentur Aarau der SUVAL, die von 2500 Fr. Lohnsumme
ausgehend bei durchschnittlich zwölf Arbeitern auf zwanzig Arbeitstage kommen.
B. - Dagegen richtet sich diese verwaltungsgerichtliche Beschwerde ans
Bundesgericht.
C. - Das Bundesamt für Sozialversicherung schliesst auf Abweisung.
D. - Die vom Instruktionsrichter des Bundesgerichtes eingeholte Expertise
kommt zum Schluss: «Bei dem zur Zeit des Unfalles in Ausführung begriffenen
Projekte war bei Beschäftigung von regelmässig fünf Mann schon nach der
ungenügenden Kostenschätzung von 5000 Fr. der Wassergesellschaft Rudolfstetten
mit ca. 3 Monaten Arbeitsdauer zu rechnen, während das detaillierte Projekt
mit Kostenvorschlag von Grossrat Huber, Hägglingen, bei Beschäftigung von
regelmässig fünf Mann ca. vier Monate Arbeitsdauer erfordert hätte. - Bei
Beschäftigung von durchschnittlich acht Mann, welche Zahl einer zweckmässigen
Baudurchführung entspricht, hätten die Arbeiten in beiden Fällen weniger als
100 Tage erfordert.»
Der Expertenbericht wurde den Parteien zur Rückäusserung zugestellt. Das
Bundesamt bemerkte dazu, dass die Feststellungen und Schlussfolgerungen des
Sachverständigen es nicht veranlassten, auf seinen Entscheid zurückzukommen.

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2.- Art. 23 der Verordnung I über die Unfallversicherung bestimmt:
«Führt jemand Arbeiten, die sachlich unter Art. 13-17 hiervor fallen, auf
eigene Rechnung aus, ohne dass die Merkmale einer Unternehmung vorliegen, so
sind die hiebei beschäftigten Angestellten und Arbeiter versichert, sofern
voraussichtlich während eines Monats regelmässig mindestens fünf Personen
beschäftigt werden, oder sofern die Arbeit wenigstens 100 Arbeitstage
erfordert.»
Dass die von der Wassergesellschaft Rudolfstetten ausgeführten
Quellfassungsarbeiten sachlich unter Art. 13-17 der Verordnung I fielen, wird
von keiner Seite bestritten. Fraglich ist nur, ob sie «voraussichtlich»
während eines Monats regelmässig mindestens fünf Personen beschäftigten, oder
wenigstens 100 Arbeitstage erforderten, d. h. ob bei Beginn der Arbeiten mit
einem solchen Arbeitsumfang zu rechnen war.
Für die Entscheidung dieser Frage ist die Aussage des Präsidenten der
Wassergesellschaft Rudolfstetten in dem von der SUVAL durchgeführten
Untersuchungsverfahren nur insofern massgebend, als vorerst festgestellt
werden muss, welche Arbeiten überhaupt ausgeführt werden wollten (weil ein
ausgearbeitetes Projekt nicht bestand). Mit welcher Arbeitszeit dabei zum
voraus gerechnet werden musste, kann dagegen nur nach objektiven Kriterien
beurteilt werden; d. h. massgebend hiefür ist die Meinung nicht der damaligen,
nicht sachverständigen Organe der Wassergesellschaft, sondern des Fachmanns.
Es ist deshalb Sache des Experten zu bestimmen, ob das zur Zeit des Unfalles
in Ausführung begriffene Projekt «voraussichtlich» den Arbeitsaufwand
erforderte, der nach Art. 23 VO I die Unterstellung der Wassergesellschaft
Rudolfstetten unter die obligatorische Unfallversicherung bedingte.

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Die vom Instruktionsrichter des Bundesgerichtes eingeholte, unter Faktum D in
ihren Schlüssen wiedergegebene Expertise kann nicht beanstandet werden. Sie
stellt fest, dass zur Zeit des Unfalls damit habe gerechnet werden müssen,
dass das damals in Ausführung begriffene Projekt zum mindesten während eines
Monats regelmässig mindestens fünf Personen beschäftigen werde.
Die damals bei den Quellfassungsarbeiten der Wassergesellschaft Rudolfstetten
beschäftigten Angestellten und Arbeiter waren also nach Art. 23 VO I bei der
SUVAL versichert.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 60 I 60
Datum : 01. Januar 1934
Publiziert : 21. Februar 1934
Quelle : Bundesgericht
Status : 60 I 60
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 23 Verordnung I über die Unfallversicherung (vom 25. März 1916). - Ob die Arbeiten...


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