S. 136 / Nr. 32 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 59 III 136

32. Entscheid vom 30. Mai 1933 i. S. Manhart-Müller.

Regeste:
Zulässigkeit des «Rückzuges» einer Betreibung, selbst wenn die in Betreibung
gesetzte Forderung verpfändet war und der Pfandgläubiger dem Rückzug nicht
zustimmt.
Der Rückzug ist jedoch vom Betreibungsamt nur zu beachten, wenn der
betreibende Gläubiger selbst oder eine von ihm dazu (schriftlich) ermächtigte
Person ihn dem Amt zur Kenntnis bringt; es genügt nicht, dass der Schuldner
eine Urkunde vorlegt, in welcher sich der Gläubiger dem Schuldner gegenüber
zum Rückzug verpflichtete.
La renonciation à la poursuite est valable, même si la créance qui en fait
l'objet a été donnée en nantissement et si le créancier gagiste n'y a pas
donné son assentiment.
L'office ne doit toutefois tenir compte de la renonciation que si elle lui a
été signifiée par le créancier lui-même ou par une personne en possession d'un
mandat écrit du créancier; il ne suffit pas que le débiteur produise un acte
par lequel le créancier se serait simplement obligé envers lui à renoncer à la
poursuite.
La rinuncia all' esecuzione è valida, anche quando il eredito, oggetto
dell'esecuzione, è stato dato in pegno e il creditore pignoratizio non vi ha
acconsentito.
Tuttavia l'ufficio prenderà siffatta rinuncia in considerazione solo ove gli
sia stata comunicata o dal creditore stesso o da chi vi sia legittimato da
mandato scritto del creditore; non basta che il debitore produca un atto col
quale il creditore si sarebbe semplicemente obbligato verso di lui a
rinunciare all'esecuzione.

A. - Am 20. August 1932 wurde dem Anton Rutzer der Zahlungsbefehl No. 6323 für
eine Forderung der Rekurrentin von 3899 Fr. 25 Cts. nebst Zinsen zugestellt.
Da er dagegen Recht vorschlug, wurde er von der Rekurrentin vor Vermittleramt
geladen, wo er am Vorstand vom 29. Dezember 1932 laut Protokollauszug von der
in Betreibung gesetzten und eingeklagten Forderung einen

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Teilbetrag von 1000 Fr. anerkannte. Nunmehr verlangte die Rekurrentin
Fortsetzung der Betreibung für 1000 Fr., worauf das Amt am 9. Januar 1933 die
Pfändung vollzog.
B. - Am 25. Februar 1933 führte der Schuldner Beschwerde wegen
Rechtsverweigerung mit dem Antrag, das Amt anzuweisen, die Verwertung sofort
einzustellen; er führte aus, das Amt weigere sich, die Betreibung
einzustellen, obwohl er ihm einen von der Gläubigerin am 21. Februar 1933
unterzeichneten Vergleich vorgelegt habe, durch welchen sie sich
verpflichtete, die Betreibung No. 6323 und die Pfändung vorbehaltlos
zurückzuziehen.
Die Rekurrentin machte demgegenüber geltend, der Vergleich vom 21. Februar
1933 sei für sie gemäss Art. 21
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 21 - 1 Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
1    Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
2    Die Jahresfrist beginnt mit dem Abschluss des Vertrages.
und 28
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 28 - 1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
1    Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
2    Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen.
OR unverbindlich; er sei auch deswegen
anfechtbar, weil der Pfandgläubiger, dem die in Betreibung gesetzte Forderung
seit Ende Dezember 1932 verpfändet sei, ihm nicht zugestimmt habe.
C. - Mit Entscheid vom 18. April 1933 hat die untere kantonale
Aufsichtsbehörde «das Begehren um Einstellung der Betreibung geschützt» und
die obere kantonale Instanz hat dieses Urteil im Wesentlichen aus folgenden
Gründen bestätigt: Die Gläubigerin bestreite nicht, dass, sie im Vergleich vom
21. Februar 1933 die Erklärung abgegeben habe, die Betreibung No. 6323
zurückzuziehen; mit dieser Erklärung habe der Schuldner Anspruch darauf
erhalten, dass das Amt vom Rückzug Vormerk nehme und weiteren Begehren auf
Fortsetzung nicht mehr Folge leiste, da die Betreibung mit allen ihren
Wirkungen gemäss der Willenserklärung der Gläubigerin aufgehoben worden sei.
Dass der Gläubiger eine solche Erklärung selbst auf das Amt tragen müsse, sei
nirgends gesagt. Auf die Einrede des Irrtums beim Vergleichsabschluss und der
Verpfändung der Forderung könne die Aufsichtsbehörde nicht eintreten.
D. - Diesen Entscheid hat die Rekurrentin rechtzeitig an das Bundesgericht
weitergezogen mit dem Antrag, ihn aufzuheben.

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Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
zieht in Erwägung:
Der Umstand, dass die in Betreibung gesetzte Forderung bereits verpfändet war
und der Pfandgläubiger der Rückzugserklärung nicht zugestimmt hat, ist von
Betreibungsrechts wegen ohne Einfluss auf die Gültigkeit der
Rückzugserklärung. Das Betreibungsamt hat sich nicht in Untersuchungen über
die materielle Berechtigung desjenigen einzulassen, der als betreibender
Gläubiger auftritt. Die Person, welche die Betreibung angehoben hat, ist
allein auch zum Rückzug legitimiert, es wäre denn, sie habe unterdessen die
Handlungsfähigkeit verloren oder die Forderung überhaupt abgetreten, was aber
beides hier nicht in Frage steht.
Der Rekurs muss jedoch aus einem andern Grunde gutgeheissen werden:
Durch das Abkommen vom 21. Februar 1933 verpflichtete sich die Rekurrentin
allerdings zum vorbehaltlosen Rückzug der Betreibung (d. h. zur Unterlassung
weiterer Fortsetzungsbegehren, was schliesslich zum Erlöschen der Betreibung
führen würde). Gegen die grundsätzliche Zulässigkeit eines solchen Rückzuges
bestehen keinerlei Bedenken; es werden dadurch ausschliesslich
vermögensrechtliche Interessen des Gläubigers berührt. Durch jenes Abkommen
war aber erst eine obligatorische Verpflichtung der Rekurrentin zum Rückzug
der Betreibung begründet worden, die noch einer besondern Erfüllungshandlung
bedurfte, nämlich einer entsprechenden Erklärung gegenüber dem Betreibungsamt.
Diese Erfüllungshandlung muss aber vom Verpflichteten selbst oder von einer
von ihm dazu ermächtigten Person vorgenommen werden; andernfalls darf sie vom
Amt nicht berücksichtigt werden. Allerdings steht es dem Gläubiger frei, den
Schuldner zur Abgabe dieser Erklärung in seinem Namen zu ermächtigen. Damit
jedoch das Amt vor einer klaren Situation steht, muss verlangt werden, dass

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eine solche Vollmacht ausdrücklich und schriftlich, sei es nun in der
Verpflichtungsurkunde selbst, sei es auf einem andern Schriftstück, erteilt
werde. Es kann nicht Sache der Betreibungsbehörden sein, beim Fehlen einer
solchen schriftlichen Vollmacht aus blossen Indizien auf den Bestand oder das
Nichtvorhandensein einer mündlichen oder gar nur stillschweigend erteilten
Ermächtigung zu schliessen. Im vorliegenden Fall hat übrigens der Schuldner
selbst nie behauptet, dass ihm eine solche Vollmacht von der Rekurrentin je in
irgend einer Form erteilt worden sei. Aus was für Gründen der Gläubiger seiner
Verpflichtung nicht nachkommen will, spielt für die Betreibungsbehörden keine
Rolle; für sie ist entscheidend, dass der Gläubiger dem Amt gegenüber einen
Rückzug weder selbst noch durch einen Bevollmächtigten erklärt hat. Ist die
Weigerung des Gläubigers unbegründet, so wird dieser dem Schuldner u. U.
schadenersatzpflichtig; auf keinen Fall aber darf ihm von den
Betreibungsbehörden die Erfüllung seiner Verpflichtung gegen seinen Willen
aufgezwungen werden.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird begründet erklärt und die von der Vorinstanz bestätigte
Einstellung der Betreibung No. 6323 aufgehoben.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 59 III 136
Datum : 01. Januar 1932
Publiziert : 30. Mai 1933
Quelle : Bundesgericht
Status : 59 III 136
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Zulässigkeit des «Rückzuges» einer Betreibung, selbst wenn die in Betreibung gesetzte Forderung...


Gesetzesregister
OR: 21 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 21 - 1 Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
1    Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
2    Die Jahresfrist beginnt mit dem Abschluss des Vertrages.
28
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 28 - 1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
1    Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
2    Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen.
BGE Register
59-III-136
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
schuldner • betreibungsamt • wille • fortsetzungsbegehren • schuldbetreibungs- und konkursrecht • aufhebung • entscheid • wirkung • betreibung auf pfändung • kenntnis • vormerkung • bundesgericht • irrtum • nachkomme • zahlungsbefehl • frage • weiler • vorstand • vorinstanz