S. 226 / Nr. 39 Obligationenrecht (d)

BGE 59 II 226

39. Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. Mai 1933 i. S. Graf gegen Grethen.

Regeste:
Recht des Schuldners zur Hinterlegung der von ihm geschuldeten Leistung wogen
unverschuldeter Ungewissheit über die Person des Gläubigers gemäss Art. 96
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 96 - Kann die Erfüllung der schuldigen Leistung aus einem andern in der Person des Gläubigers liegenden Grunde oder infolge einer unverschuldeten Ungewissheit über die Person des Gläubigers weder an diesen noch an einen Vertreter geschehen, so ist der Schuldner zur Hinterlegung oder zum Rücktritt berechtigt, wie beim Verzug des Gläubigers.
OR.
Kriterien für das Vorliegen einer solchen Ungewissheit.- Massgebend sind die
Verhältnisse, wie sie im Zeitpunkte, da die Hinterlegung vorgenommen wurde,
bestanden haben.

A. - Die Klägerin, Madeleine Grethen-Mehr, heiratete im Jahre 1922 in St.
Gallen den luxemburgischen

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Staatsangehörigen Lambert Grethen, dem sie schon vor Abschluss der Ehe laut
einer von ihm am 6. April 1922 ausgestellten Quittung rund 50000 Fr. als
Darlehen zu Geschäftszwecken überlassen hatte. Nach der Behauptung der
Klägerin kauften die Eheleute Grethen-Mehr im Dezember 1922 auf den Namen des
Lambert Grethen, aber aus Mitteln der Klägerin, die Liegenschaft
Bahnhofstrasse 15 in St. Gallen. Daselbst richtete die Klägerin, wiederum aus
eigenen Mitteln, einen Herren- und Damencoiffeursalon ein, in welchem sie
ihren schon früher betriebenen Beruf ausübte.
Am 17. November 1924 stellte Lambert Grethen der Klägerin eine Urkunde aus,
wonach er alle seine Aktiven als ausschliessliches Eigentum der Klägerin
anerkannte und für den Fall einer Auflösung der Ehe durch Scheidung keinen
Anspruch auf Vermögensteile zu machen erklärte, damit seine Ehefrau jedwede
vorsorgliche Disposition über ihr Vermögen frei treffen könne. Des fernern
stellte er ihr am 30. Oktober 1929 eine Generalvollmacht aus, laut der er sie
berechtigte, Rechtshandlungen jeder Art für sie vorzunehmen.
Gestützt auf diese Generalvollmacht verkaufte die Klägerin dem Beklagten,
Jakob Graf in St. Gallen, die erwähnte Liegenschaft Bahnhofstrasse 15 in St.
Gallen zum Preise von 190000 Fr., wovon 165000 Fr. durch Übernahme bestehender
Grundpfandschulden und 25000 Fr. durch Errichtung einer neuen
Grundpfandverschreibung beglichen wurden. Der Beklagte verpflichtete sich, die
neu errichtete Grundpfandverschreibung durch jährliche, jeweils am 1. Mai
fällige Abzahlungen von 5000 Fr. in fünf Jahren zu tilgen. Am gleichen Tage
(4. Februar 1929) verkaufte die Klägerin dem Beklagten im eigenen Namen das
von ihr im Hause Bahnhofstrasse 15 betriebene Herren- und
Damencoiffeurgeschäft zum Preise von 20000 Fr., zahlbar auf 1. Mai 1930. Dabei
vereinbarten die Parteien aber, dass, falls es dem Beklagten nicht möglich
sein sollte, auf den genannten Zeitpunkt den ganzen Kaufpreis

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zu entrichten, ein allfälliger Differenzbetrag, der aber 10000 Fr. unter
keinen Umständen übersteigen dürfe, ab 1. Mai 1930 zu 7% zu verzinsen und auf
den 1. November 1930 zu bezahlen sei. Diese Zahlungsbedingungen wurden dann am
15. Februar 1930 nach der Sachdarstellung der Klägerin auf Veranlassung ihres
Ehemannes, durch folgenden Nachtrag abgeändert: «Herr J. Graf bezahlt auf 1.
Mai 1930 den Betrag von 5000 Fr., ferner im weiteren jeden Monat 1000 Fr. bis
zur gänzlichen Erlöschung der Kaufsumme von 20000 Fr. Die jeweilige Restschuld
wird mit 7% verzinst, bei jährlicher Abrechnung.»
Der Beklagte zahlte in der Folge der Klägerin auf Rechnung des Geschäftskaufes
insgesamt 11000 Fr., indem er die am 1. Mai 1930 fällige Anzahlung von 5000
Fr. und die in den Monaten Juni bis November 1930 zahlbaren Teilbeträge von je
1000 Fr. entrichtete.
Im Herbst 1930 erhob der Ehemann Grethen in Luxemburg, wohin die Ehegatten
inzwischen ihren Wohnsitz verlegt hatten, gegen die Klägerin Klage auf
Ehescheidung. Die Klägerin stellte widerklageweise ein Begehren gleichen
Inhalts, worauf die Ehe am 7. April 1932 durch das luxemburgische Obergericht
in Gutheissung der Widerklage geschieden wurde. Für die güterrechtliche
Auseinandersetzung, die nach den in Luxemburg geltenden Vorschriften nicht
durch das Gericht, sondern durch einen Notar vorzunehmen ist, erklärte das
Obergericht das schweizerische Recht als anwendbar, während die untere Instanz
das luxemburgische Recht als anwendbar erachtet hatte.
Kurz nach Einleitung des Scheidungsprozesses- am 4. November 1930 - liess der
Ehemann Grethen dem Beklagten durch seinen Anwalt, Dr. Vetsch in St. Gallen,
folgende Mitteilung zugehen: «Herr Lambert Grethen hat uns mit der Wahrung
seiner Interessen beauftragt. Er lässt uns mitteilen, seine Ehefrau habe in
einer vollständig gegen seine Interessen verstossenden Weise die Liegenschaft.
Bahnhofstrasse 15 samt Mobiliar an Sie verkauft.

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Herr Grethen hat seiner Frau die Vollmacht entzogen. Er behält sich wegen
dieses Verkaufes alle Rechte vor. Auf alle Fälle ist seine Frau nicht mehr
berechtigt, direkt oder indirekt irgendwelche Zahlungen entgegenzunehmen. Mein
Klient teilt mir mit, Liegenschaft und Mobiliar seien von Ihnen noch nicht
bezahlt. Ich fordere Sie deshalb auf, irgendwelche Zahlungen ausser an Herrn
Grethen zu unterlassen, damit Sie nicht die Gefahr einer zweimaligen Zahlung
laufen.» Auf dieses Schreiben hin stellte der Beklagte die Zahlungen an die
Klägerin vorläufig ein.
Im weiteren Verlaufe des Scheidungsprozesses wurde zwischen den Ehegatten
Grethen-Mehr am 13. April 1931 folgende, von ihnen selbst und ihren Anwälten
unterzeichnete Vereinbarung über die der Klägerin von ihrem Ehemann während
des Scheidungsprozesses zu leistenden Unterhaltsbeiträge getroffen: «1. Herr
Grethen ermächtigt seine Ehefrau Lena Mehr, bei Herrn Graf Jakob in St. Gallen
einen Kostenvorschuss von zweitausend belgischen Franken (2000.-) zu erheben.
2. Ausserdem ermächtigt Herr Grethen seine Ehefrau, bei besagtem Herrn Graf
eine monatliche Rente von zweitausend belgischen Franken (2000.-) ab 15. April
1931 bis zur definitiven Erledigung der Ehescheidungsklage zu erheben, diese
Rente vorauszahlbar am 15. eines jeden Monats. 3. Besagte Vorschüsse sind auf
den Frau Grethen eventuell zustehenden Anteil an der Güterverbindung zu
verrechnen. 4. Besagte Zahlungen sind zu leisten zu Handen des Herrn Dr. jur.
Paul Dieudonné, Rechtsanwalt in Luxemburg, der bevollmächtigt ist, gültige
Quittung zu erteilen.» In der Folge ersuchte der Anwalt des Beklagten den
Luxemburger Anwalt des Ehemannes Grethen, Dr. Leibfried, um eine Auslegung
dieser Vereinbarung, worauf letzterer ihm am 23. April 1931 folgende vom
Luxemburger Anwalt der Klägerin, Dr. Dieudonné, unterschriftlich genehmigte
Erklärung zugehen liess: «In Beantwortung Ihres Schreibens vom 22. April und
nach Rücksprache mit dem Anwalte der Dame Lena Grethen geb. Mehr, Herrn Dr.

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Paul Dieudonné, Rechtsanwalt in Luxemburg, beehre ich mich, Ihnen zu
bestätigen, dass der Vergleich vom 13. April 1931 so auszulegen. ist, dass
Herr Graf mittels Zahlung des Kostenvorschusses von 2000.- belgischen Franken
und einer monatlichen Alimentenrente von 2000.- belgischen Franken keine
weiteren Zahlungen aus den Verkäufen (Geschäfts- und Hausverkauf) der Frau
Grethen weder dieser noch Herrn Grethen aushändigen darf, dritte Personen
mitinbegriffen und dass es ihm jederzeit freisteht, die restierenden und zu
erfallenden Summen nebst Zinsen, wie rechtens zu deponieren bis zur
definitiven Erledigung der Ehescheidungsklage vor den zuständigen
luxemburgischen Gerichten.»
Unter Berufung auf die vorerwähnte Vereinbarung und die daran anknüpfende
Erklärung hinterlegte der Beklagte bei der St. Gallischen Kantonalbank, die
ihm vom Bezirksgerichtspräsidenten von St. Gallen als Hinterlegungsstelle
angewiesen worden war, folgende Beträge:
a. die ausstehenden Zahlungen aus dem Verkauf des Coiffeurgeschäftes der
Klägerin im Betrage von 9000 Fr. nebst Zins, abzüglich der an die Klägerin
gemäss Vereinbarung der Eheleute Grethen-Mehr vom 13. April 1931 bezahlten
monatlichen Unterhaltungsbeiträge u.s.w. Auch die in der Folge geleisteten
Unterhaltsbeiträge wurden auf seine Weisung diesem Konto belastet.
b. Die fälligen Zinsen zweier auf der Liegenschaft Bahnhofstrasse 15 lastenden
Schuldbriefe von 15000 Fr. und 25000 Fr.
c. Die fälligen Zinsen und die Amortisationszahlungen aus der anlässlich des
Verkaufes der Liegenschaft Bahnhofstrasse 1,5 an ihn errichteten
Grundpfandverschreibung von 25000 Fr.
B. - Am 8. April 1931 erhob die Klägerin Klage gegen den Beklagten mit den
Rechtsbegehren:
«Ist nicht gerichtlich zu erkennen, der Beklagte habe der Klägerin folgende
Beträge anzuerkennen und zu bezahlen:

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a) Fr. 1000.- fällig gewesen am 30. November 1930
b) Fr. 1000.- » » 31. Dezember 1930
c) Fr. 1000.- » » 1. Februar 1931
d) Fr. 1000.- » » 1. März 1931
e) Fr. 1000.- » » 1. April 1931
--- ------
Fr. 5000.- total, nebst 7% Zins seit 4. Februar 1930
unter Kostenfolge? ferner:
der Beklagte sei pflichtig, der Klägerin die weiteren Raten gemäss Vertrag vom
4. /15. Februar 1930, nämlich je Fr. 1000.- per 1. Mai, 1. Juni, 1. Juli, 1.
August 1931, total Fr. 4000.-, nebst 7% Zins seit 4. Februar 1931 anzuerkennen
und zu bezahlen, alles gemäss Vertrag vom 4. /15. Februar 1930, unter
Kostenfolge.»
C. - Das Obergericht des Kantons St. Gallen sprach dem Beklagten die
Berechtigung zur Hinterlegung ab und schützte die Klage mit der Abänderung,
dass die bis 1. April 1931 fällig gewordenen Raten zu 7% ab 1. Mai 1930 zu
verzinsen seien, die folgenden Raten ab 4. Februar 1931.
D. - Hiegegen hat der Beklagte am 30. März 1933 die Berufung an das
Bundesgericht erklärt mit dem Begehren um Aufhebung des angefochtenen
Entscheides und Abweisung der Klage; eventuell sei vom Klagebetrage von noch
9000 Fr. dasjenige in Abzug zu bringen, was der Beklagte bereits an die
Klägerin bezahlt habe, nämlich ein Beitrag von 6638 Fr. 10 Cts., und es sei in
diesem Betrage die Klage auf alle Fälle abzuweisen, eventuell auch in einem
höhern Betrage, wenn höhere Zahlungen in Betracht kommen sollten.
Die Klägerin beantragt die Abweisung der Berufung und Bestätigung des
angefochtenen Entscheides.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- ...
2.- Der Beklagte leitet seine Befugnis zur Hinterlegung aus Art. 96
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 96 - Kann die Erfüllung der schuldigen Leistung aus einem andern in der Person des Gläubigers liegenden Grunde oder infolge einer unverschuldeten Ungewissheit über die Person des Gläubigers weder an diesen noch an einen Vertreter geschehen, so ist der Schuldner zur Hinterlegung oder zum Rücktritt berechtigt, wie beim Verzug des Gläubigers.
OR ab,
wonach ein solches Recht für den Schuldner dann besteht, wenn die Erfüllung
einer

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schuldigen Leistung infolge einer «unverschuldeten Ungewissheit über die
Person des Gläubigers» weder an diesen noch an einen Vertreter geschehen kann.
Dabei beruft er sich in erster Linie auf das am 4. November 1930 vom Anwalt
des Ehemannes Grethen an ihn erlassene Zahlungsverbot. Da in diesem nicht nur
vom Liegenschafts-, sondern auch vom Mobilienverkauf die Rede war, welch'
letzterer einen Teil des Geschäftsverkaufes bildete, ist ohne weiteres klar,
dass der Anwalt des Ehemannes Grethen das Verbot auch auf die dem Beklagten
aus dem Geschäftsverkauf noch zustehende Kaufpreisschuld ausdehnen wollte.
Seine Aufforderung am Schlusse des fraglichen Schreibens ging denn auch ganz
allgemein dahin, «irgendwelche Zahlungen ausser an Herrn Grethen zu
unterlassen». Nun ist freilich richtig, dass ein solches von einem Dritten
erlassenes Zahlungsverbot nicht immer und ohne weiteres den Schuldner zur
Hinterlegung berechtigt. Dieser hat vielmehr die Sach- und Rechtslage
sorgfältig zu prüfen, und nur dann, wenn trotzdem eine Ungewissheit bestehen
bleibt, dass ein verständiger Mann berechtigte Zweifel über die Person des
Gläubigers oder die Legitimation des Vertreters haben kann, deren Lösung auf
eigene Gefahr ihm nicht zuzumuten wäre, darf er hinterlegen (vgl. auch BECKER,
Kommentar zu Art. 96
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 96 - Kann die Erfüllung der schuldigen Leistung aus einem andern in der Person des Gläubigers liegenden Grunde oder infolge einer unverschuldeten Ungewissheit über die Person des Gläubigers weder an diesen noch an einen Vertreter geschehen, so ist der Schuldner zur Hinterlegung oder zum Rücktritt berechtigt, wie beim Verzug des Gläubigers.
OR S. 360). Die Vorinstanzen halten Jedoch dafür, eine
solche Ungewissheit habe hier für den Beklagten nicht bestanden, da die
Klägerin sich durch den von ihr persönlich abgeschlossenen Geschäftsverkauf
vom 4. Februar 1930 in aller Form als Gläubigerin der streitigen
Kaufpreisforderung ausgewiesen habe. Dieses Argument ist angesichts der
gegebenen besondern Sachlage nicht schlüssig. Die Klägerin war verheiratet und
zwar mit einem Ausländer, und es wohnten beide Ehegatten im Zeitpunkte, als
das erwähnte Zahlungsverbot erging und als die Hinterlegung stattfand, nicht
mehr in der Schweiz sondern in Luxemburg. Der Beklagte hätte daher für die
Beurteilung der streitigen Anspruchsberechtigung in erster Linie die

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Frage untersuchen müssen, welches Recht - das schweizerische oder das
luxemburgische - zur Anwendung zu bringen sei, da es bei Anwendbarkeit des
letztern zum mindesten höchst zweifelhaft erschiene, dass der Anspruch der
Klägerin und nicht ihrem Ehemanne zustehe. Nun konnte aber dem Beklagten als
einem in juristischen Dingen unbewanderten Manne nicht zugemutet werden, diese
schwierige Rechtsfrage, über die sich weder die luxemburgischen Gerichte im
Ehescheidungsverfahren, noch die beiden kantonalen Instanzen im vorliegenden
Prozesse einig waren, auf eigene Gefahr hin, von sich aus zu entscheiden, ganz
abgesehen davon, dass selbst bei Anwendbarkeit des schweizerischen Rechtes der
Beklagte nicht ohne weiteres hätte erkennen können, ob der streitige Anspruch
der Klägerin oder dem Ehemanne Grethen zustehe; denn die Doktrin ist sich
darüber nicht einig, ob, wenn die Ehefrau ein von ihr unter Zustimmung des
Ehemannes betriebenes Gewerbe aufgibt, die Vermögenswerte, welche diesem
gedient haben, oder das bezügliche Liquidationsergebnis die
Sondergutseigenschaft beibehalten oder aber eingebrachtes Gut werden (im
erstern Sinne EGGER, Kommentar zu Art. 191
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 191 - 1 Sind die Gläubiger befriedigt, so kann das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Wiederherstellung der Gütergemeinschaft anordnen.
1    Sind die Gläubiger befriedigt, so kann das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Wiederherstellung der Gütergemeinschaft anordnen.
2    Die Ehegatten können durch Ehevertrag Errungenschaftsbeteiligung vereinbaren.
ZGB Note 2 f S. 225; im letzteren
Sinne GMÜR, Kommentar zu Art. 191
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 191 - 1 Sind die Gläubiger befriedigt, so kann das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Wiederherstellung der Gütergemeinschaft anordnen.
1    Sind die Gläubiger befriedigt, so kann das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Wiederherstellung der Gütergemeinschaft anordnen.
2    Die Ehegatten können durch Ehevertrag Errungenschaftsbeteiligung vereinbaren.
ZGB II. Aufl. Note 18 S. 464). Diese
Unsicherheit, die in der abweichenden Stellungnahme der Vorinstanzen selber
klar zu Tage tritt, wurde dann aber dadurch noch verstärkt, dass die Klägerin
sich durch eine im Scheidungsprozess mit ihrem Ehemann abgeschlossene
Vereinbarung ermächtigen liess, als Vorschuss auf den ihr eventuell
zustehenden Anteil an der Güterverbindung, womit offenbar der Anteil der
Klägerin am ehelichen Vermögen gemeint war, beim Beklagten 2000.- belgische
Franken, sowie vom 15. April 1931 bis zur definitiven Erledigung des
Scheidungsprozesses einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 2000.- belgischen
Franken zu erheben, welche Vereinbarung in der Folge von den luxemburgischen
Anwälten der Eheleute Grethen dahin ausgelegt wurde:

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dass der Beklagte ausser den erwähnten Zahlungen weder an die Klägerin, noch
an deren Ehemann weitere Zahlungen machen dürfe und zwar sowohl auf Grund des
Liegenschafts- wie des Geschäftsverkaufes und dass es ihm jederzeit freistehe,
die fälligen Kaufpreisraten nebst Zinsen bis zur Erledigung der
Ehescheidungsklage auf Recht hin zu hinterlegen. Darin lag ja über die
Feststellung einer bestehenden Unsicherheit hinaus geradezu eine Anerkennung,
dass der Beklagte zur Hinterlegung berechtigt sei. Die Vorinstanz macht
freilich geltend, dieser nachträglichen Erklärung der Anwälte der Eheleute
Grethen komme nicht die Bedeutung einer Auslegung des Vergleiches vom 13.
April 1931 zu, da sie sich deutlich mit diesem in Widerspruch setze; denn
unter dem «Anteil», der Klägerin an der Güterverbindung könne nur der Anteil
am Erlös aus dem Verkauf der Liegenschaft verstanden gewesen sein, nicht aber
am Erlös des Verkaufs des Geschäftes, das ja gemäss Art. 191 Ziff. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 191 - 1 Sind die Gläubiger befriedigt, so kann das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Wiederherstellung der Gütergemeinschaft anordnen.
1    Sind die Gläubiger befriedigt, so kann das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Wiederherstellung der Gütergemeinschaft anordnen.
2    Die Ehegatten können durch Ehevertrag Errungenschaftsbeteiligung vereinbaren.
ZGB
Sondergut der Klägerin darstelle. Auch dieses Argument ist nicht schlüssig.
Wie bereits dargetan worden ist, erscheint die Frage der Sondergutsqualität
des streitigen Geschäftsverkaufserlöses keineswegs ohne weiteres abgeklärt,
und zudem liegt nichts dafür vor, dass für den Beklagten irgendwelcher Anlass
bestanden hätte, an der Richtigkeit des Inhaltes der von den Anwälten der
Eheleute Grethen gemeinsam abgegebenen, den Vergleich erläuternden Erklärung
zu zweifeln. Davon, dass er, wie die Vorinstanz erklärt, verpflichtet gewesen
wäre, sich hierüber bei der Klägerin selber zu erkundigen, kann angesichts des
Umstandes, dass deren damaliger Anwalt diese Erklärung mitunterzeichnet hatte,
keine Rede sein.
Die Vorinstanz nimmt noch den Standpunkt ein, die Klage wäre selbst dann zu
schützen, wenn der vorerörterten Erklärung eine die Klägerin verpflichtende
und den Beklagten entlastende Bedeutung zukäme. Er sei nämlich zu beachten,
dass das an den Beklagten gerichtete Zahlungsverbot nur «bis zur definitiven
Erledigung der

Seite: 235
Ehescheidungsklage» Gültigkeit besitzen sollte. Nun seien aber die Parteien
darüber einig, dass die Scheidung zwischen den Ehegatten Grethen rechtskräftig
ausgesprochen sei, so dass jedenfalls heute das Zahlungsverbot der Klage nicht
mehr entgegengehalten werden könnte. Diese Auffassung ist ebenfalls nicht zu
hören. Für die Frage, ob ein Schuldner zufolge unverschuldeter Ungewissheit
über die Person des Gläubigers zu einer Hinterlegung gemäss Art. 96
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 96 - Kann die Erfüllung der schuldigen Leistung aus einem andern in der Person des Gläubigers liegenden Grunde oder infolge einer unverschuldeten Ungewissheit über die Person des Gläubigers weder an diesen noch an einen Vertreter geschehen, so ist der Schuldner zur Hinterlegung oder zum Rücktritt berechtigt, wie beim Verzug des Gläubigers.
OR
berechtigt war, sind die Verhältnisse massgebend, wie sie im Zeitpunkte, da
die Hinterlegung vorgenommen wurde, bestanden haben. Wenn aber damals eine
solche Ungewissheit bestanden hat, so wurde der Schuldner durch die
vorgenommene Hinterlegung von seiner Schuldpflicht befreit; er kann daher
nicht verpflichtet werden, wenn die Ungewissheit nachträglich behoben wird,
die hinterlegte Sache wieder zurückzunehmen, um sie dem nunmehr feststehenden
Gläubiger zukommen zu lassen. Es spielt daher gar keine Rolle, ob nach der
Ansicht der Eheleute Grethen die Klägerin im Zeitpunkte, da die Scheidung in
Rechtskraft erwuchs, das freie Verfügungsrecht erlangen sollte. Übrigens
ergibt sich aus den Akten keineswegs, dass dies wirklich die Auffassung der
Eheleute Grethen war, so dass von einer Behebung der bestehenden Ungewissheit
auch heute noch nicht die Rede sein könnte. Die Klage ist daher abzuweisen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen und die Klage abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 59 II 226
Datum : 01. Januar 1932
Publiziert : 31. Mai 1933
Quelle : Bundesgericht
Status : 59 II 226
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Recht des Schuldners zur Hinterlegung der von ihm geschuldeten Leistung wogen unverschuldeter...


Gesetzesregister
OR: 96
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 96 - Kann die Erfüllung der schuldigen Leistung aus einem andern in der Person des Gläubigers liegenden Grunde oder infolge einer unverschuldeten Ungewissheit über die Person des Gläubigers weder an diesen noch an einen Vertreter geschehen, so ist der Schuldner zur Hinterlegung oder zum Rücktritt berechtigt, wie beim Verzug des Gläubigers.
ZGB: 191
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 191 - 1 Sind die Gläubiger befriedigt, so kann das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Wiederherstellung der Gütergemeinschaft anordnen.
1    Sind die Gläubiger befriedigt, so kann das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die Wiederherstellung der Gütergemeinschaft anordnen.
2    Die Ehegatten können durch Ehevertrag Errungenschaftsbeteiligung vereinbaren.
BGE Register
59-II-226
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • monat • ehegatte • vorinstanz • schuldner • zahlungsverbot • zins • frage • ehe • grundpfandverschreibung • bundesgericht • rechtsanwalt • kostenvorschuss • tag • schweizerisches recht • generalvollmacht • not • mann • richtigkeit • unternehmung
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