S. 136 / Nr. 23 Sachenrecht (d)

BGE 59 II 136

23. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. März 1933 i; S. Zytkiewicz gegen
Schweizerische Bundesbahnen.


Seite: 138
Regeste:
«Verloren» im Sinn von Art. 720 f
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 720 - 1 Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.
1    Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.
2    Zur Anzeige an die Polizei ist er verpflichtet, wenn der Wert der Sache offenbar 10 Franken übersteigt.
3    Wer eine Sache in einem bewohnten Hause oder in einer dem öffentlichen Gebrauch oder Verkehr dienenden Anstalt findet, hat sie dem Hausherrn, Mieter oder den mit der Aufsicht betrauten Personen abzuliefern.
. ZGB ist eine Sache auch dann, wenn sie vom
Besitzer absichtlich, aber ohne den Willen, sein Recht daran aufzugeben,
irgendwo niedergelegt oder versteckt worden ist (Erw. 1).
Der Finder ist berechtigt, mit der Benachrichtigung gleich die Rückgabe zu
verbinden oder sogar die Sache ohne weitere Förmlichkeit und besondere
Benachrichtigung dem bekannten Verlierer zurückzugeben; eine Pflicht, vorher
die Weisungen des Verlierers abzuwarten, besteht nicht, es wäre denn, dass die
Rückgabe zu dem vom Finder gewählten Zeitpunkt oder an diesem Ort berechtigte
Interessen des Verlierers verletzen würde und dies dem Finder bekannt ist oder
sein muss (Erw. 2 und 3).
Keine Pflicht zur Rücksichtnahme auf den Verlierer, wenn der Finder dadurch in
Konflikt mit der in- oder ausländischen Rechtsordnung (in casu: mit einem
ausländischen Devisenausfuhrverbot) geriete (Erw. 3).
Art. 720
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 720 - 1 Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.
1    Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.
2    Zur Anzeige an die Polizei ist er verpflichtet, wenn der Wert der Sache offenbar 10 Franken übersteigt.
3    Wer eine Sache in einem bewohnten Hause oder in einer dem öffentlichen Gebrauch oder Verkehr dienenden Anstalt findet, hat sie dem Hausherrn, Mieter oder den mit der Aufsicht betrauten Personen abzuliefern.
und 721
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 721 - 1 Die gefundene Sache ist in angemessener Weise aufzubewahren.
1    Die gefundene Sache ist in angemessener Weise aufzubewahren.
2    Sie darf mit Genehmigung der zuständigen Behörde nach vorgängiger Auskündung öffentlich versteigert werden, wenn sie einen kostspieligen Unterhalt erfordert oder raschem Verderben ausgesetzt ist, oder wenn die Polizei oder eine öffentliche Anstalt sie schon länger als ein Jahr aufbewahrt hat.
3    Der Steigerungserlös tritt an die Stelle der Sache.
ZGB.

A. - Am 30. Dezember 1931 reiste der Kläger im Arlbergexpress
Wien-Zürich-Paris. In Buchs, das der Zug nachts passierte, wurde er von den
österreichischen Grenzorganen zum Verlassen des Zuges und zur Rückreise nach
Feldkirch aufgefordert, wo er dann verhaftet wurde. Bei der Grenzkontrolle
hatten die Zollbeamten auf einem im gleichen Zug reisenden Dr. Keil, in einer
Rasiercrèmetube versteckt, einen Scheck der Schweizerischen Bankgesellschaft
in Zürich über 30000 Fr. gefunden, der auf der Rückseite u. a. die
Unterschrift des Klägers trug. Das hatte den letztern den Zollbehörden der
Beihilfe zum Devisenschmuggel verdächtig gemacht und sie zur Festnahme sowohl
des Klägers als des Dr. Keil veranlasst. Als der Schlafwagenschaffner das vom
Kläger innegehabte Schlafwagenabteil aufräumte, fand er in dessen Bett unter
dem Leintuch versteckt österr. S. 121000 in Banknoten. Er machte hievon dem
Zugführer dienstliche Meldung, und das Geld wurde in Basel bei den SBB
abgegeben

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Gleichen Tages begleitete der Zugführer einen Zug nach Buchs und erzählte auf
dem Bahnsteig daselbst dem Bahnhofvorstand, der in der Nacht vorher dienstfrei
gewesen war, über die Beanstandung der beiden Reisenden und über den Fund der
S. 121000 im Bett des einen. Dieses Gespräch wurde von einem österreichischen
Zollbeamten belauscht und an seinen Vorgesetzten weitergegeben, worauf der
Zollamtsvorstand in Buchs noch am 31. Dezember unter Hinweis darauf, dass «es
sich um Schmuggelgut handelt, welches wegen Abfahrt des Zuges L 129 in Buchs
vor Beendigung unserer Amtshandlung nicht mehr beschlagnahmt werden konnte»,
um Herausgabe des Geldes ersuchte. Nach der Darstellung der SBB verfügte der
Chef der Rechtssektion des Kreises III, die Angelegenheit als gewöhnliche
Fundsache zu behandeln und das Geld zu Handen der Berechtigten gegen Quittung
an die Verhaftungsbehörde auszuliefern. Die Übergabe erfolgte laut Eintrag im
Quittungsbuch der Station Buchs am 4. Januar 1932 an das österreichische
Zollamt Buchs, das den Betrag an das Landesgericht Feldkirch weitergab. Nach
einer nicht bei den Akten befindlichen, aber von beiden Parteien anerkannten
Bescheinigung vom 6. Januar 1932 hat die Gefangenenhausverwaltung Feldkirch
die S. 121000 «für die Untersuchungsgefangenen Dr. H. Keil und J. Zytkiewicz
übernommen», und am 7. Januar stellte das österreichische Zollamt Buchs dem
dortigen Bahnhofvorstand folgende Quittung aus: «Die gefertigte Amtsstelle
bestätigt, am 4. Januar 1932 vom Bahnhofvorstand in Buchs zu Handen der
Berechtigten S. 121000 erhalten zu haben. Dieser Betrag wurde nach Meldung des
Vorstandes als Fundgegenstand bei ihm eingeliefert, der gefunden wurde im
Schlafwagenabteil des am 30. Dezember 1931 in Feldkirch verhafteten
Zytkiewicz». Auf eine Anfrage der Beklagten (Rechtssektion des Kreises III)
vom 24. Februar, ob der Betrag inzwischen dem Kläger ausgehändigt worden sei,
antwortete das Landesgericht Feldkirch am 25. Februar, das Geld sei seinerzeit
«unter Sperre bei der

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Sparkasse der Stadt Feldkirch eingelegt» und «der Bezirkshauptmannschaft
Feldkirch zur Verfügung gestellt» worden, und diese letztere Amtsstelle teilte
der Beklagten am 26. Februar mit, der Betrag sei «für den von der
Bezirkshauptmannschaft festgenommenen Johann Eduard Zytkiewicz aus Warschau
übernommen», diesem aber inzwischen nicht ausgehändigt worden.
In der Folge wurde zwar die Untersuchung gegen den Kläger wegen Beihülfe zum
Devisenschmuggel des Dr. Keil aufgehoben, der Kläger selbst jedoch wegen der
verbotenen Ausfuhr der S. 121000 mit S. 4000 gebüsst und die ganzen S. 121000
konfisziert. Im Gnadenwege wurden ihm nachträglich wieder S. 50000
freigegeben.
Bereits mit Schreiben vom 5. Januar 1932 an das Fundamt Basel hatten die
Rechtsanwälte Dres. Weiss und Ender in Feldkirch in Vertretung des Klägers,
der damals in Untersuchungshaft sass und der Untersuchungsbehörde gegenüber
leugnete, dass die in seinem Bett gefundenen S. 121000 ihm gehörten,
geschrieben, dass selbstverständlich nur ihr Klient über den Betrag
verfügungsberechtigt sei und dass er rechtzeitig seine Dispositionen treffen
werde; bis dahin sei das Geld zu seiner Verfügung zu verwahren und
Dispositionen von dritter Seite ohne schriftliche Vollmacht des Klägers nicht
zuzulassen. Auf die Mitteilung der SBB hin, das Geld sei bereits den
österreichischen Behörden zu Handen des Berechtigten ausgeliefert worden,
wurden sie durch eine weitere Zuschrift des Advokaten Dr. Schwendener in Buchs
für allen Schaden verantwortlich gemacht, der dem Kläger erwachsen werde, «da
Sie ohne dessen Einverständnis, ja ohne ihm den Fund nur irgendwie bekannt zu
geben, die Aushändigung an den österreichischen Fiskus, von welchem das Geld
voraussichtlich beschlagnahmt werden wird, vorgenommen haben».
B. - Mit der vorliegenden, direkt beim Bundesgericht anhängig gemachten Klage
wird dieser Ankündigung Folge gegeben. Die Streitfrage lautet:

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«1. Ist die Beklagte verpflichtet, an den Kläger den im Arlbergexpress am 31.
Dezember 1931 zwischen Buchs und Basel gefundenen und auf dem Fundamt Bahnhof
SBB Basel deponierten Betrag von österr. S. 121000 in der Schweiz
auszuliefern?
2. Ist die Beklagte verpflichtet, 6% Zinsen von österr. S. 121000 vom 6.
Januar 1932 an, umgerechnet zum Kurs von 62 Fr. = S. 100 dem Kläger zu
bezahlen?
3. Ist die Beklagte eventuell verpflichtet, dem Kläger 75020 Fr. entsprechend
österr. S. 121000 Kurs von 62 nebst 6% Zinsen davon seit 6. Januar 1932 zu
bezahlen?
4. Ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger einen allfälligen Kursverlust auf
österr. S. 121000 = 75020 Fr. zwischen dem Kurs vom 6. Januar 1932 und dem Tag
der Herausgabe des S-Betrages bezw. der Zahlung durch die Beklagte zu
vergüten? Alles unter Vorbehalt weiterer Ansprüche des Klägers, insbesondere
aus Schadenersatz und Genugtuung.» Die im Gnadenweg freibekommenen S. 50000
werden den SBB zur Verfügung gestellt.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass das Fundrecht auf das Rechtsverhältnis
zur Anwendung zu kommen habe (720 f. ZGB). Darnach hätten die SBB den
Verlierer von dem Funde benachrichtigen und das Geld für denselben verwahren
sollen. Beides hätten die Bundesbahnen nicht getan, sondern sie hätten auf
erste Aufforderung hin das Geld den österreichischen Zollbehörden
bedingungslos ausgeliefert, bevor sie nur genau wussten, wer der Verlierer
sei, und obschon sie mit der Beschlagnahme durch die Zollbehörde hätten
rechnen müssen. Es werde bestritten, dass damals die Ablieferung zuhanden des
Berechtigten geschehen sei; wenn es auch geschehen wäre, so könnten sich die
SBB darauf nicht berufen, denn die Rückgabe an einen Dritten zuhanden des
Berechtigten sei dem Finder nicht gestattet. Der Finder stehe unter den
Verpflichtungen des Geschäftsführers ohne Auftrag und habe gemäss 419 OR das
Geschäft so zu führen, wie es dem Vorteile und der mutmasslichen Absicht

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des andern entspreche. Hier habe auf der Hand gelogen, dass die übereilte
Ablieferung des Fundes an eine österreichische Behörde der Absicht des
Verlierers zuwider gewesen sei. Infolgedessen hafteten die Schweizerischen
Bundesbahnen gemäss Art. 420
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 420 - 1 Der Geschäftsführer haftet für jede Fahrlässigkeit.
1    Der Geschäftsführer haftet für jede Fahrlässigkeit.
2    Seine Haftpflicht ist jedoch milder zu beurteilen, wenn er gehandelt hat, um einen dem Geschäftsherrn drohenden Schaden abzuwenden.
3    Hat er die Geschäftsführung entgegen dem ausgesprochenen oder sonst erkennbaren Willen des Geschäftsherrn unternommen und war dessen Verbot nicht unsittlich oder rechtswidrig, so haftet er auch für den Zufall, sofern er nicht beweist, dass dieser auch ohne seine Einmischung eingetreten wäre.
OR auch für den Zufall. Auch vom Gesichtspunkte
des Fiskalvergehens aus wären die SBB zu ihrer Handlungsweise nicht berechtigt
gewesen. Abgesehen davon, dass für Fiskalvergehen keine Auslieferung und
infolgedessen auch keine Beschlagnahme stattfinde, wäre eine solche
Angelegenheit auf diplomatischem Wege und nicht durch untergeordnete Organe zu
erledigen gewesen.
C. - Die SBB beantragen Abweisung der Klage. Sie verweisen auf die Quittungen,
wonach die Auslieferung des Fundgegenstandes «zuhanden der Berechtigten»
erfolgt sei. Über den Berechtigten sei nach dem Fundort und den Umständen
niemand auch nur einen Moment im Zweifel gewesen und es sei denn auch der
zurückgegebene Betrag von der Untersuchungsbehörde tatsächlich für Zytkiewicz
in Empfang genommen und verwahrt worden wie die andern Effekten des
Verhafteten auch. Die Auffassung, dass sich der Finder nicht einer Drittperson
zur Rückgabe des Fundes bedienen dürfe, sei unhaltbar. Bei einem Grossbetriebe
wie den SBB mit hunderttausenden von Fundgegenständen im Jahre sei man auf die
Mitwirkung von Behörden und andern Institutionen zur Ermittlung der Verlierer
und Rückgabe an dieselben unbedingt angewiesen. Hier hätten das Zollamt und
die Verhaftungsbehörde in Anspruch genommen werden dürfen, die für die
Ablieferung an den Verhafteten alle Gewähr geboten haben. Die sofortige
Rückgabe habe auch die besondere Benachrichtigung unnötig gemacht. Ob der
Fundgegenstand nach österreichischem Recht der Beschlagnahme verfallen könnte,
darum hätten sie sich als Finder nicht zu kümmern gebraucht. Sie könnten nicht
dafür verantwortlich gemacht werden, dass dann das Geld aus Gründen, die der
Kläger selbst gesetzt hatte,

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in das Strafverfahren einbezogen wurde. Übrigens hätten die Beschlagnahme und
die Verfallserklärung den bereits zurückgegebenen Gegenstand betroffen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass der Streit nach dem
Fundrecht des ZGB zu beurteilen sei. Das ist insofern nicht ganz
selbstverständlich, als «finden»ein «verlieren» voraussetzt, worunter
jedenfalls im gewöhnlichen Sprachgebrauch der Tatbestand verstanden wird, bei
dem der Besitzer einer Sache ungewollt um den Besitz gekommen ist. Allein das
ZGB fasst den Begriff des Verlierens bewusst weiter als der gewöhnliche
Sprachgebrauch. Den Rechten der Berner Gruppe folgend, wollte der Gesetzgeber
als «verloren» jede Sache behandelt wissen, von welcher der Finder
vernünftigerweise annehmen muss, dass sie einen Eigentümer habe und nicht mit
Absicht weggeworfen worden sei (vgl. Erläuterungen, 2. Ausg., II S. 122;
ferner GIERKE, Deutsches Privatrecht, II 533 A. 41, der für das Verlieren
ebenfalls von der Unfreiwilligkeit der Besitzaufgabe absieht). Darunter fallen
dann auch Sachen, die vom Besitzer absichtlich, aber ohne den Willen, sein
Recht daran aufzugeben, irgendwo niedergelegt oder versteckt worden sind, wie
das hier gerade mit den S. 121000 geschehen ist.
2.- Gemäss Art. 720
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 720 - 1 Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.
1    Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.
2    Zur Anzeige an die Polizei ist er verpflichtet, wenn der Wert der Sache offenbar 10 Franken übersteigt.
3    Wer eine Sache in einem bewohnten Hause oder in einer dem öffentlichen Gebrauch oder Verkehr dienenden Anstalt findet, hat sie dem Hausherrn, Mieter oder den mit der Aufsicht betrauten Personen abzuliefern.
ZGB ist der Finder verpflichtet, den Eigentümer vom Fund
zu benachrichtigen (besser wäre hier statt vom Eigentümer vom Verlierer die
Rede -vgl. § 969 BGB-; denn auch wenn der Verlierer einmal nicht der
Eigentümer sein sollte, so hat doch die Rückgabe an ihn befreiende Wirkung,
sofern der Finder wenigstens nicht weiss und nicht wissen muss, dass jener
kein Recht zum Besitz habe). Diese Benachrichtigung soll den Verlierer instand
setzen, die Sache zurückzuholen. Es muss aber dem Finder freistehen, ein
Mehreres zu tun, und mit der Benachrichtigung gleich die Rückgabe zu

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verbinden oder sogar die Sache ohne weitere Förmlichkeit und besondere
Benachrichtigung einfach zurückzugeben. Hier war nun der Verlierer bekannt. Es
war ganz unzweifelhaft der im Rapport des Schlafwagenführers so bezeichnete
Reisende polnischer Nationalität, der einzige Fahrgast des Schlafwagenabteils
19/20, der das Bett No. 19, die Fundstelle, innegehabt hatte und der in Ruchs
von den österreichischen Zollorganen aus dem Zug geholt worden war und sich
nun in Feldkirch in Haft befand. Allerdings ist nach der eigenen Darstellung
der Beklagten die Auslieferung des Geldes seinerzeit «zu Handen der
Berechtigten» verfügt worden, in welchem Sinn dann auch die Quittung vom 7.
Januar 1932 formuliert wurde; woraus man schliesslich auf eine gewisse
Unsicherheit über die Person des wirklich Berechtigten schliessen mag. Allein
nach den Umständen kam für alle Beteiligten ausser dem Kläger als Berechtigter
höchstens noch jener Dr. Keil in Betracht - es bestand damals ja der Verdacht,
der Kläger stecke mit demselben bei einer Devisenschieberei unter einer Decke
-, und dass Dr. Keil in Wirklichkeit je Anspruch auf die S. 121000 erhoben
habe, hat auch der Kläger nie behauptet. Dem Vorwurf des Klägers, die Beklagte
habe das Geld ausgeliefert, ohne sich über die Person des Verlierers im Klaren
gewesen zu sein, käme übrigens nur dann eine rechtserhebliche Bedeutung zu,
wenn das Geld deswegen an eine falsche Adresse gelangt wäre. Das war jedoch
nicht der Fall; denn es steht fest, dass im weiteren Verlauf der Angelegenheit
auch die österreichischen Behörden nur den Kläger als Eigentümer und Verlierer
des Geldes behandelt haben: Entscheidend ist in dieser Beziehung die letzte
der in Betracht fallenden Quittungen der österreichischen Behörden, diejenige
der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 26. Februar 1932, wonach die S.
121000 von dieser Amtsstelle «für den festgenommenen Johann Eduard Zytkiewiez
übernommen wurden». Allerdings hat der Kläger das Geld nicht in seine eigenen
Hände erhalten, weil er sich in Haft befand.

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Aber die Gefangenenhausverwaltung oder die Sparkasse der Stadt Feldkirch hat
das Geld für ihn in Verwahrung genommen; das ist der Übergabe an ihn
persönlich gleichzuhalten; Damit erledigt sich auch die Behauptung des
Klägers, die Beklagte habe das Geld am 4. Januar der österreichischen
Zollbehörde bedingungslos, also nicht zu Handen des Klägers übergeben: Selbst
wenn das der Fall gewesen sein sollte- die Beklagte bestreitet es -, so hat
die Beklagte jedenfalls nachträglich eine bestimmte Verwendung des Geldes («zu
Handen des Klägers») vorgeschrieben und die österreichischen Behörden haben
sich dem unterzogen. Dass der Kläger einstweilen nicht über das Geld verfügen
konnte, ändert nichts daran, dass die genannten Verwahrungsstellen den Besitz
für ihn ausübten. Und der Umstand, dass der ganze Betrag in der Folge
beschlagnahmt wurde, vermag diese Rückgabe nicht ungeschehen zu machen; die
Beklagte nimmt mit Recht den Standpunkt ein, dass die Beschlagnahme den
bereits zurückerstatteten Gegenstand betroffen habe.
3.- Zu Unrecht versucht der Kläger, aus Art. 721
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 721 - 1 Die gefundene Sache ist in angemessener Weise aufzubewahren.
1    Die gefundene Sache ist in angemessener Weise aufzubewahren.
2    Sie darf mit Genehmigung der zuständigen Behörde nach vorgängiger Auskündung öffentlich versteigert werden, wenn sie einen kostspieligen Unterhalt erfordert oder raschem Verderben ausgesetzt ist, oder wenn die Polizei oder eine öffentliche Anstalt sie schon länger als ein Jahr aufbewahrt hat.
3    Der Steigerungserlös tritt an die Stelle der Sache.
ZGB eine Pflicht des Finders
herzuleiten, vor Ablieferung der gefundenen Sache die Weisung des ihm
bekannten Verlierers abzuwarten. Die im Gesetz statuierte Pflicht, die
gefundene Sache in angemessener Weise aufzubewahren, trifft den Finder nur,
solange er, sei es weil ihm der Verlierer nicht bekannt ist, sei es aus einem
andern Grund, nicht zurückgegeben hat; nicht aber will das Gesetz damit die
spontane Rückgabe an den bekannten Verlierer verhindern. Damit eine solche die
Stellung des Finders unter Umständen empfindlich belastende Verpflichtung
angenommen werden könnte, bedürfte es einer ausdrücklichen Vorschrift, die
aber hier fehlt und zwar aus naheliegenden Gründen: Verlieren und Finden
schafft zwischen Finder und Verlierer ein Rechtsverhältnis, das gegenseitig
Rechte und Pflichten erzeugt. Wenn dem Finder einerseits die Rückgabepflicht
auferlegt wird, so obliegt dem Verlierer anderseits die Pflicht, den Finder
nach

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Möglichkeit zu entlasten, insbesondere durch Rücknahme des Fundes, sobald
jener ihn anbietet. Das folgt namentlich daraus, dass der Finder ohne eigenes
Interesse zum Vorteil des Verlierers handeln muss. Vor allem hat das im Fall
des Anstaltsfundes und bei einem Betrieb wie demjenigen der Beklagten zu
gelten, welche täglich in zahlreichen Fällen von Gesetzes wegen in die Rolle
des Finders gedrängt wird. Ihr zu verwehren, die Fundgegenstände an bekannte
oder durch Vermittlung feststellbare Verlierer sofort und ohne weitere
Förmlichkeit zurückzugeben, würde sie in unerträglicher Weise belasten und
läge zudem auch in den wenigsten Fällen im Interesse der Verlierer selbst.
Ein Vorbehalt muss hier lediglich für die Fälle angebracht werden, wo die
Rückgabe zu dem vom Finder gewählten Zeitpunkt oder an diesem Ort berechtigte
Interessen des Verlierers verletzen würde und dies dem Finder bekannt ist oder
sein muss (vgl. Art. 420
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 420 - 1 Der Geschäftsführer haftet für jede Fahrlässigkeit.
1    Der Geschäftsführer haftet für jede Fahrlässigkeit.
2    Seine Haftpflicht ist jedoch milder zu beurteilen, wenn er gehandelt hat, um einen dem Geschäftsherrn drohenden Schaden abzuwenden.
3    Hat er die Geschäftsführung entgegen dem ausgesprochenen oder sonst erkennbaren Willen des Geschäftsherrn unternommen und war dessen Verbot nicht unsittlich oder rechtswidrig, so haftet er auch für den Zufall, sofern er nicht beweist, dass dieser auch ohne seine Einmischung eingetreten wäre.
OR). Hier vermag sich jedoch der Kläger überhaupt
nicht auf schutzwürdige Interessen zu berufen, jedenfalls nicht auf solche,
die vor denjenigen der Beklagten Berücksichtigung verdienten:
Es ist klar und auch zugestanden, dass der Kläger die sofortige Entgegennahme
des Geldes in Österreich nur deswegen ablehnte, weil er die S. 121000 in
Übertretung des österreichischen Devisenausfuhrverbotes über die Grenze
gebracht hatte und sich nun den Erfolg dieser Übertretung durch Verhinderung
der Rückverbringung des Geldes auf österreichisches Gebiet sichern wollte.
Hätte die Beklagte das Geld, wie der Kläger es verlangt, bis zum Eintreffen
seiner Weisungen zurückbehalten und dann diesen Weisungen entsprechend
verwendet (wobei natürlich Weisungen verstanden sind, die keinen Zugriff der
österreichischen Behörden ermöglicht hätten), so wäre das gewissermassen eine
Begünstigung der rechtswidrigen Handlung des Klägers gewesen. Dazu brauchte
aber die Beklagte nicht Hand zu bieten. Es mag dahingestellt

Seite: 147
bleiben, ob sie, wie sie behauptet, durch den Staatsvertrag der Schweiz mit
Österreich vom Jahre 1872 verpflichtet ist, auf den Stationen Buchs und St.
Margrethen auch die österreichischen Fiskalinteressen zu wahren; auch wenn das
nicht der Fall sein sollte, so bestand doch für sie keine Rechtspflicht, eine
vom österreichischen Staat unter Strafe gestellte Handlung zu begünstigen. Das
Gesetz will den Finder nicht zu einem Verhalten verpflichten, das ihn in
Konflikt mit der Rechtsordnung, sei es nun der inländischen oder der
ausländischen, bringt. Das muss zumal dann gelten, wenn der «Verlierer» einen
Dritten mit Wissen und Willen aus Gründen seines eigenen Vorteils in die Rolle
des Finders gedrängt hat und wenn es sich beim Finder, wie hier, um eine
Staatsbahn handelt, die in den internationalen Verkehr eingegliedert ist.
4.- Die Beklagte war daher zu dem von ihr gewählten Vorgehen berechtigt; sie
hat dadurch dem Kläger gegenüber keinerlei vertragliche oder gesetzliche
Pflichten verletzt, so dass die Klage im vollen Umfang abgewiesen werden muss.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird abgewiesen.
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Document : 59 II 136
Date : 01. Januar 1932
Published : 23. März 1933
Source : Bundesgericht
Status : 59 II 136
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : «Verloren» im Sinn von Art. 720 f. ZGB ist eine Sache auch dann, wenn sie vom Besitzer absichtlich...


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