S. 132 / Nr. 22 Sachenrecht (d)

BGE 59 II 132

22. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. Februar 1933 i. S.
Amstad gegen Matter u. Konsorten.

Regeste:
Nachbarrecht, Immissionen; Art. 684
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
1    Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
2    Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597
ZGB.
Dancings und Restaurants mit Musikbetrieb in der Nähe eines Kurhotels an einem
Fremdenort. Unzulässige Störungen des Hotelbetriebs durch Musiklärm. Erw. 1.
Abhilfemassnahmen. Erw. 2.
Schadenersatz wegen Überschreitung des Eigentumerechtes; Art. 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
1    Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
2    Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584
ZGB.
Legitimation zum Schadenersatzanspruch. Erw. 3.

Auszug aus dem Tatbestand:
A. - Die Klägerin ist Eigentümerin des Hotels Müller & Hoheneck in Engelberg.
Das Hotel hat ca. 80 Betten und liegt am obern Ende der Dorfstrasse, an der
sog. Gant. In den Jahren 1926-1930 hatte die Klägerin noch

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die unweit des Hotels und ebenfalls unmittelbar an der Dorfstrasse gelegene
Villa Maria, mit ca. 30 Betten, gemietet und als Dependance betrieben.
In der nächsten Umgebung, teils neben, teils gegenüber diesen Liegenschaften
befinden sich die Etablissemente der Beklagten, nämlich die beiden
Konditoreien Matter und Nirwana, der Gasthof Alpenklub und das Hotel und
Restaurant Viktoria.
Im Jahre 1926 baute der Beklagte Matter seine Konditorei zu einem modernen
Tea-room mit Dancing aus, wo während der Saison regelmässig konzertiert sowie
des Nachmittags und Abends getanzt wird. Ebenso wurde im Jahre 1928 in der
Konditorei Nirwana, die schon vorher Konzertmusik gehabt hatte, ein Dancing
eingerichtet. Im Restaurant Alpenklub spielte während ca. 14 Tagen des Monats
August 1928 eine Tanzmusik. Im Frühjahr 1929 wurde dann ein grosses Grammophon
mit Lautsprecher angeschafft, das seither im Betrieb ist. Im Restaurant
Viktoria werden die Gäste teils durch ein Orchester, teils durch ein
Grammophon mit Lautsprecher unterhalten; eine Zeit lang war auch ein
elektrisches Klavier da.
B. - Mit vorliegenden Klagen wurde verlangt:
1. es dürfe in den Lokalen der Beklagten zwischen 2 und 4 Uhr nachmittags und
abends nach 10 Uhr keine Konzert- und Tanzmusik gemacht werden;
2. es seien zweckmässige Vorkehren zu treffen, um die Immissionen überhaupt
auf ein Minimum zu reduzieren;
3. die Beklagten haben der Klägerin insgesamt 45000 Fr. Schadenersatz zu
bezahlen.
Zur Begründung machte die Klägerin geltend, dass der von den Lokalen der
Beklagten ausgehende Musiklärm die Ruhe der Hotelgäste in unerträglicher Weise
störe und damit den Betrieb des Hotels schwer beeinträchtige.
Das Kantonsgericht wies die Klage im wesentlichen als unbegründet ab.
Das Obergericht ordnete eine Expertise an. Die Experten stellten zunächst
fest, dass bereits verschiedene

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Vorkehren getroffen worden seien, um die Störungen zu mildern. Sie selber
schlugen dann noch eine Reihe weiterer Massnahmen vor, so das Verglasen der
Vorhallen in der Konditorei Nirwana und im Gasthof Alpenklub, das Aufstellen
eines Stoffparavents neben dem Musikpodium in der Konditorei Matter, das
Schliessen der Fenster während der Musikveranstaltungen, das Verlegen der
Musikkapellen und Grammophone auf diejenige Seite der Lokale, wo die
Schallwirkung gegen das Hotel der Klägerin zu am geringsten sei, u. a. m.
In seinem Urteil vom 8. /9. August und 25. Oktober 1932 ordnete das
Obergericht einen Teil der von den Experten vorgeschlagenen Abhilfemassnahmen
an und wies die Klagen im übrigen ab.
C. - Gegen dieses Urteil erklärte die Klägerin rechtzeitig die Berufung an das
Bundesgericht. Sie beantragt, es seien alle in der Expertise vorgeschlagenen
Abhilfemassnahmen anzuordnen und die Schadenersatzansprüche seien
gutzuheissen. Die Beklagten schlossen sich der Berufung an mit dem Antrag, die
Klagen seien gänzlich abzuweisen.
Aus den Erwägungen:
1.- Die Vorinstanz hat anlässlich ihres Augenscheins die Musikveranstaltungen
in den Lokalen der Beklagten für das Hotel der Klägerin nicht als wirklich
störend empfunden. Sie anerkennt aber, dass nicht allein auf diese Wahrnehmung
abgestellt werden könne und dass die Einwirkungen bei unkontrolliertem Betrieb
und zur Nachtzeit wahrscheinlich lästiger seien. Nach den Feststellungen des
Kantonsgerichtes, auf welche die Vorinstanz im übrigen verweist, sind krasse
Fälle von störenden Einwirkungen vorgekommen und zahlreiche Reklamationen
erhoben worden. Es ist tatsächlich auch gar nicht anders möglich, als dass der
Kurhotelbetrieb der Klägerin durch den Musiklärm, welcher von den darum herum
gelegenen Etablissementen der Beklagten ausgeht,

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gestört werden muss. Schon allein der grosse Musikapparat mit Lautsprecher in
dem unmittelbar gegenüber liegenden Gasthof Alpenklub wäre bei offenen
Fenstern geeignet, die Ruhe aufs empfindlichste zu beeinträchtigen; kommen
dann noch die Tee- und Tanzkapellen in den beiden Konditoreien sowie das
Orchesterkonzert oder die gleichfalls durch einen Lautsprecher verstärkte
Grammophonmusik im Restaurant Viktoria hinzu, so mag dieser Lärm von den
Hotelgästen, besonders zur Ruhezeit, tatsächlich als unerträglich empfunden
werden.
Fraglich ist aber, ob die Einwirkungen nach Art. 684
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
1    Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.
2    Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597
ZGB auf Grund des
Ortsgebrauchs oder der Lage und Beschaffenheit der Grundstücke hingenommen
werden müssen. Ein derartiger allgemeiner Ortsgebrauch liegt auf jeden Fall
nicht vor. Obwohl Dancings und Restaurants mit Musikbetrieb den Bedürfnissen
eines modernen Kur- und Touristenortes wie Engelberg entsprechen, so machen
sie doch nicht wesentlich den Charakter der Ortschaft aus, wie etwa Fabriken
denjenigen eines Industrieortes. Vielmehr gehören auch zu einem modernen
Fremdenort in erster Linie immer noch die Hotels und Pensionen, wo den Gästen
Quartier geboten wird und wo sie Anspruch auf angemessene Ruhe haben. Auf
dieses Ruhebedürfnis muss jeder Fremdenort in seinem eigenen Interesse
Rücksicht nehmen, sodass ein schrankenloser Musikbetrieb auch nicht mit der
Konkurrenz anderer Orte begründet werden kann.
Die Beklagten verweisen jedoch noch mit Nachdruck auf die besondere Lage des
der Klägerin gehörenden Hotels hart an der verkehrsreichsten Strasse des
Dorfes. Allein wenn das Hotel stark dem Strassenlärm ausgesetzt ist, so folgt
daraus nicht, dass die Nachbarn diesen Lärm noch um jeden beliebigen andern
vermehren dürfen.
Die Klagen sind daher grundsätzlich berechtigt.
2.- Nicht zuzumuten wäre den Beklagten, dass sie auf die heute von den Gästen
lebhaft geforderten Unterhaltungsmittel verzichteten und damit ihre eigene

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Existenz gefährdeten. Die Klägerin verlangt das auch nicht. Sie hat ferner das
Begehren, es dürfte zwischen 2 und 4 Uhr nachmittags sowie nach 10 Uhr abends
keine Konzert- und Tanzmusik gemacht werden, vor Bundesgericht fallen
gelassen. Im Streite liegen nur noch die im Gutachten aufgeführten Massnahmen
zur Milderung der störenden Immissionen.
Diese Massnahmen sind durchaus am Platze. Die Klägerin hat ein Recht darauf,
dass alle technischen Mittel angewendet werden, welche, ohne
unverhältnismässig grosse Kosten zu verursachen, geeignet sind, die Störungen
abzuschwächen. Das hat die Vorinstanz übersehen, indem sie nur einen Teil der
im Gutachten angeführten Vorkehren anordnete. Nicht vorgeschrieben hat sie das
Verglasen der Vorhallen in der Konditorei Nirwana und im Restaurant Alpenklub
sowie das Aufstellen eines Stoffparavents neben dem Musikpodium in der
Konditorei Matter. Es besteht kein Zweifel, dass diese Massnahmen geeignet
sind, die Störungen noch weitergehend zu mildern; dann müssen sie aber, da
daraus für die Beklagten keine untragbaren Kosten entstehen, auch ausgeführt
werden.
Die Anschlussberufung, welche sich gegen die von der Vorinstanz angeordneten
Vorkehren richtet, ist demnach abzuweisen und die Berufung, soweit damit die
Durchführung auch der übrigen im Gutachten erwähnten Massnahmen verlangt wird,
gutzuheissen.
Dass die Massnahmen beizubehalten sind, welche die Beklagten schon von sich
aus getroffen haben und welche die Vorinstanz in ihrem Urteil festhält,
versteht sich unter diesen Umständen von selbst. Die Beklagten haben sich
übrigens auch gar nicht dagegen verwahrt.
3.- Für den Schaden, welcher der Klägerin durch die von den Beklagten
betriebenen Veranstaltungen entstanden sein soll, verlangt sie Ersatz gemäss
Art. 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
1    Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
2    Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584
ZGB.
Hiezu ist die Klägerin, entgegen der Ansicht der Beklagten, auch als
seinerzeitige Mieterin der Villa Maria

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legitimiert. Die Ansprüche gegen den Grundeigentümer, der sein Eigentumsrecht
überschreitet, stehen jedermann zu, der dadurch geschädigt wird, also nicht
bloss dem Eigentümer des Nachbargrundstückes, sondern auch sonstigen dinglich
oder obligatorisch Berechtigten, z. B. dem Mieter oder Pächter.
In der Sache selber erklärt aber die Vorinstanz, dass die Klägerin einen
Schaden gar nicht nachzuweisen vermocht habe. Dabei stützt sie sich auf die
Aufstellungen der ersten Instanz und fügt bei, dass in diesem Punkte von der
Einholung einer Expertise umso eher abgesehen werden könne, als die
Aufstellungen im Appellationsverfahren nicht angefochten worden seien. Die
Klägerin rügt diese Bemerkung unter Hinweis auf ihre Appellationserklärung als
aktenwidrig. Wie es sich damit verhält, kann dahingestellt bleiben; denn die
Vorinstanz stützt sich im wesentlichen nicht darum auf die erwähnten
Aufstellungen, weil diese nicht angefochten worden seien, sondern unabhängig
von der Stellungnahme der Klägerin schon deswegen, weil sie dieselben als
richtig und schlüssig betrachtet. Die Feststellung, es sei kein Schaden
nachgewiesen, ist deshalb für das Bundesgericht verbindlich, ohne dass für die
Anordnung einer Expertise noch Raum bliebe (Art. 81
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
1    Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
2    Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584
OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass ausser den von der Vorinstanz
vorgeschriebenen Abhilfemassnahmen auch noch das Verglasen der Vorhallen in
der Konditorei Nirwana und im Restaurant Alpenklub sowie das Aufstellen eines
Stoffparavents neben dem Musikpodium in der Konditorei Matter angeordnet wird;
im übrigen wird die Berufung und ebenso die Anschlussberufung abgewiesen und
das Urteil des Obergerichtes des Kantons Unterwalden ob dem Wald vom 8./9.
August und 25. Oktober 1932 bestätigt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 59 II 132
Date : 01. Januar 1932
Published : 24. Februar 1933
Source : Bundesgericht
Status : 59 II 132
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Nachbarrecht, Immissionen; Art. 684 ZGB.Dancings und Restaurants mit Musikbetrieb in der Nähe eines...


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