S. 85 / Nr. 17 Sozialversicherung (d)

BGE 59 I 85

17. Urteil vom 22. März 1933 i. S. Koch gegen Bundesamt für
Sozialversicherung.

Regeste:
Art. 60 KUVG: Versicherungspflichtige Betriebe, Allgemeines: nicht
versicherungspflichtig ist die handwerksmässige Herstellung von Maschinen, die
gelegentlich vom Hersteller selber aufgestellt werden.

A. - Wilhelm Irion betreibt in Basel eine mechanische Werkstätte zur
Erstellung von Pendelsägen mit Motorantrieb. Die Gussbestandteile und die
Motoren werden

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fertig bezogen und in der Werkstatt lediglich angepasst und zusammengestellt.
Die Stahlwellen für die Sägen werden in der Werkstatt geschnitten und gedreht.
Das Gewicht einer Säge beträgt ca. 140-230 kg. Die Jahresproduktion schwankt
zwischen 120 und 150 solcher Sägen. Diese werden bei Schreinereien und
Zimmereigeschäften abgesetzt. Die Montage am Standort wird in der Regel vom
Bezüger vorgenommen, ausnahmsweise besorgt sie auch der Lieferant. Die
Werkstätte beschäftigt regelmässig den Betriebsinhaber und seinen Sohn,
ausserdem, mit Unterbrechungen, auch einen Arbeiter, den Beschwerdeführer
Koch. Dieser wird hauptsächlich mit Dreharbeiten beschäftigt, ausnahmsweise
einmal bei einer Montage im Elektrizitätswerk Basel.
B. - Der Arbeiter Koch, der am 14. Juli 1931 bei der Arbeit einen Unfall
erlitten hatte und sich deshalb einer Operation des linken Auges unterziehen
musste, beantragte die Unterstellung der Werkstätte Irion unter die
obligatorische Unfallversicherung, wurde aber abgewiesen, zuletzt durch
Entscheid des Bundesamtes für Sozialversicherung vom 5. Oktober 1932; dies mit
der Begründung: Die Fabrikation von Pendelsägen sei an sich keine
versicherungspflichtige Tätigkeit, das Montieren von Maschinen (Art. 60 Ziff.
3 litt . c KUVG und Art. 13 Ziff. 2 VO 1) falle nur darunter, soweit es sich um
das Aufstellen von mit Gebäuden oder mit dem Erdboden fest verbundenen
Maschinen am künftigen Standort handle. Insofern wäre die auswärtige Montage
der Pendelsägen an sich versicherungspflichtig, falle aber als Nebenbetrieb
eines nicht versicherungspflichtigen Hauptbetriebes unter die Ausnahmen nach
Art. 7 Abs. 1 VO I.
Koch beschwerte sich rechtzeitig. Er beantragt Aufhebung des angefochtenen
Entscheides und Unterstellung der Werkstätte Wilhelm Irion unter die
obligatorische Unfallversicherung - unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Zur
Begründung wird geltend gemacht: Die Praxis, wonach unter «Montieren» nur

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Arbeiten am Standort der Maschinen verstanden werden, sei willkürlich und
unvereinbar mit dem Zwecke der obligatorischen Unfallversicherung, diejenigen
Erwerbswzeige zwangsmässig gegen Unfallsgefahren zu versichern, bei denen
unselbständig Erwerbende erfahrungsgemäss Unfällen ausgesetzt seien, wobei
sich eine Beschränkung auf Montagearbeiten im Sinne der Praxis nicht
rechtfertige. Der Ausdruck «Montage» werde allgemein auch auf die Errichtung
beweglicher Maschinen angewendet. - Der Beschwerdeführer ersucht um
Bewilligung des Armenrechts.
D. - Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt Abweisung der Beschwerde
unter Kostenfolge. Der Gesetzgeber spreche in Art. 60 Ziff. 3 KUVG nicht von
Zusammensetzung und Auseinandernehmen von Maschinen, sondern von Aufstellung
und Abbruch, worin deutlich zum Ausdruck komme, dass es sich nur um Arbeiten
am Standort der Maschinen handeln könne. Eine Ausdehnung der
Versicherungspflicht im Sinne des Rekursbegehrens würde zur Unterstellung
kleiner und kleinster Betriebe führen, was dem Sinne des Gesetzes
widersprechen würde. Im Betriebe Irion seien die Montagearbeiten beim
Besteller eine seltene Ausnahme, weshalb diese Arbeiten gemäss den
Vorschriften über Nebenbetriebe von der Versicherung auszunehmen seien.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Art. 60 KUVG unterwirft, im Anschluss an die frühere
Haftpflichtgesetzgebung (vgl. Botschaft zum KUVG BBl. 1906 VI S. 312 f.) der
obligatorischen Unfallversicherung generell die Eisenbahn- und
Dampfschifffahrtsunternehmungen und die dem Fabrikgesetz unterstellten
Betriebe (Ziff. 1 und 2) und daneben speziell bezeichnete Gewerbe und Betriebe
(Ziff. 3 und 4), unter andern: «die Aufstellung oder Reparatur von Telophon-
und Telegraphenleitungen, die Aufstellung oder den Abbruch von Maschinen, die
Ausführung von Installationen

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technischer Art» (Ziff. 3 lit. c). Die besonders genannten Gewerbe
unterscheiden sich deutlich in zwei Gruppen, nämlich solche mit besonderer
Betriebsgefahr (Ziff. 4: Bearbeitung von Explosivstoffen) und Gewerbe, die
wenn nicht ausschliesslich, so doch im wesentlichen, nicht wie die
Fabrikarbeit, an feste Arbeitsplätze gebunden sind: lit. a Baugewerbe, lit. b
Transportgewerbe, lit. c die hievor erwähnten Arbeiten, lit. d Unternehmungen
für technische Bauten, die nicht unter den Begriff Baugewerbe im engern Sinne
fallen. Daraus folgt, dass unter Aufstellung und Abbruch von Maschinen, auch
wenn man diesen Ausdruck für nicht absolut eindeutig ansehen wollte, die
Errichtung der Maschinen am Standort beim Besteller und ebenso die Beseitigung
feststehender Maschinen zu verstehen ist, nämlich Arbeiten, die ihrer
Besonderheit wegen nicht fabrikmässig an festen Arbeitsplätzen vorgenommen
werden können, was in gleicher Weise zutrifft bei den übrigen unter lit. c
erwähnten Arbeiten an Telephonleitungen und Installationen, die alle an Ort
und Stelle vorgenommen werden müssen. Die Verordnung gibt daher den Sinn des
Gesetzes mit dem Ausdruck «Montage», d. h. dem Aufstellen der Maschine an
ihrem Standort zutreffend wieder. Übrigens könnte auch der vom Gesetzgeber
gebrauchte Ausdruck kaum auf andere Maschinen bezogen werden als auf solche,
die mit Grund und Boden oder doch mit einer Unterlage fest verbunden werden;
denn bewegliche Maschinen werden nicht «aufgestellt», sie werden hergestellt
oder erstellt und in fertigem gebrauchsfähigem Zustande geliefert.
«Aufstellen» dagegen bezeichnet die Arbeit am Standort der festen Maschinen,
welche Arbeit darin besteht, die Maschine dort in betriebsfähigen Zustand zu
setzen, sei es, dass sie dort aus ihren Bestandteilen zusammengesetzt, sei es,
dass sie wenigstens mit der Unterlage verbunden und ihr angepasst wird.-Auch
der Abbruch einer Maschine ist das Auseinandernehmen und Wegnehmen einer
montierten Maschine an Ort und Stelle, nicht das Auseinandernehmen einer
beweglichen Maschine in der Werkstatt.

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Der sachliche Grund der gesetzlichen Regelung liegt auf der Hand.
Werkstättearbeiten unterliegen der obligatorischen Unfallversicherung, sofern
sie fabrikmässig betrieben werden, was besonders eine durch, die
Fabrikgesetzgebung näher bestimmte Mindestzahl von Arbeitern voraussetzt, die
der Unternehmung den Charakter einer industriellen Anstalt im Sinne der
Fabrikgesetzgebung verleiht (Art. 1 FG). Der Fabrikgesetzgebung und damit der
obligatorischen Unfallversicherung nicht unterworfen sind die Kleinbetriebe
des Handwerks. Sie sind es auch nicht, wenn ihre Produktion und
Arbeitsmethoden, abgesehen von der Grösse des Betriebes, sich nicht von
denjenigen einer Fabrik unterscheiden. Das Handwerk und Kleingewerbe ist der
obligatorischen Unfallversicherung absichtlich nicht unterstellt worden,
sondern sollte der freiwilligen Versicherung vorbehalten bleiben (BBl. 1906 VI
S. 314
). Anderseits fallen Fabrikbetriebe grundsätzlich in ihrem ganzen
Umfange unter die Versicherung. Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen
versicherungspflichtigen und versicherungsfreien Stadien des
Produktionsprozesses, besonders liegt kein Anlass dafür vor, innerhalb eines
Fabrikationsvorganges das «Aufstellen» von Maschinen in dem Sinne, wie es der
Besehwerdeführer verstanden haben will, nämlich das Zusammensetzen fertiger
oder zum Teil bearbeiteter Bestandteile in der Werkstatt der
Versicherungspflicht zu unterwerfen, die vorausgehende und daneben
einhergehende Erstellung und Bearbeitung der Bestandteile aber davon
auszunehmen. Eine derartige Teilung eines Arbeitsvorganges wäre nicht nur
unverständlich, sondern auch praktisch kaum richtig durchführbar. Dagegen hat
eine Sondervorschrift über das Aufstellen und den Abbruch von Maschinen dann
einen vernünftigen Sinn, wenn darunter ein Arbeitsvorgang verstanden werden
muss, der sich ausserhalb des Fabrikbetriebes abspielt und dessen
Unterstellung unter die Versicherung ohne besondere Erwähnung im Gesetz, wenn
nicht vollständig ausgeschlossen, so doch wenigstens in gewissen Fällen
zweifelhaft wäre.

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2.- Die mechanische Werkstätte W. Irion in Basel ist der obligatorischen
Unfallversicherung entzogen, nicht weil die darin ausgeführten Arbeiten an
sich die Versicherungspflicht ausschliessen würden - es handelt sich um die
Erstellung von Arbeitsmaschinen, also um eine Produktion, die, wenn sie im
Rahmen eines Fabrikbetriebes ausgeführt würde, die Versicherungspflicht nach
sich zöge -, sondern allein deshalb, weil der Betrieb wegen seines geringen
Umfanges nicht als Fabrik charakterisiert werden kann. Er beschäftigt neben
dem Betriebsinhaber zwei Arbeitskräfte und ist deshalb ein Handwerksbetrieb,
der der obligatorischen Unfallversicherung nicht unterstellt ist. Dass die nur
ausnahmsweise vorkommenden Montagearbeiten beim Besteller die
Versicherungspflicht nicht bewirken, hat die Vorinstanz zutreffend
festgestellt und begründet.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 59 I 85
Datum : 01. Januar 1932
Publiziert : 22. März 1933
Quelle : Bundesgericht
Status : 59 I 85
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 60 KUVG: Versicherungspflichtige Betriebe, Allgemeines: nicht versicherungspflichtig ist die...


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1906/VI/312 • 1906/VI/314