S. 255 / Nr. 46 Gleichheit vor dem Gesetz (Rechtsverweigerung) (d)

BGE 59 I 255

46. Urteil vom 9. Dezember 1933 i. S. Schlumpf gegen Koch.


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Regeste:
Begehren um Rechtsöffnung auf Grund eines zweiseitigen Vertrages. Frage der
Beweislastverteilung.

Durch öffentlich beurkundeten Vertrag vom 21. April 1932 hat der heutige
Rekursbeklagte Heinrich Koch dem Rekurrenten Kaspar Schlumpf die Liegenschaft
«Sommerhaus» in Hochdorf, in der eine Wirtschaft betrieben wird, samt
Wirtschaftsmobiliar mit Nutzen- und Schadensanfang auf 3. Mai 1932 verkauft.
Der Kaufpreis betrug 118000 Fr. Für einen gestundeten Rest desselben von 5906
Fr. 06 Cts., verzinslich zu 4 1/2% und abzahlbar in jährlichen Raten von 500
Fr. je am 3. Mai, sollte eine Grundpfandverschreibung zu Gunsten des
Verkäufers auf der Liegenschaft errichtet werden, was geschah. Ziffer 6 der
Kaufbedingungen lautet: «Verkäufer garantiert für einen Minimalumsatz von
40000 Fr. Diese Summe versteht sich aus dem reinen Wirtschaftsbetrieb». Die
Eigentumsübertragung im Grundbuch (Fertigung) hat am 19. Mai 1932
stattgefunden und es hat der Rekurrent das Kaufsobjekt angetreten. Mit Brief
vom 18. März 1933 teilte er dem Rekursbeklagten mit, dass der zugesicherte
Umsatz bisher nicht erreicht worden sei; statt 3333 Fr. monatlich, die nötig
wären, um auf die Jahressumme

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von 40000 Fr. zu kommen, hätten die Umsätze durch schnittlich im Monat nur
2800 Fr. betragen; es ergebe sich so ein jährlicher Ausfall von 6000 Fr., für
dessen Folgen der Verkäufer haftbar gemacht werde. Der Rekursbeklagte verhielt
sich gegenüber dieser Mitteilung ablehnend. Nach Verfall des ersten
Jahreszinses auf dem Kaufpreisreste von 5906 Fr. 06 Cts. und der ersten
Abzahlungsrate desselben hob er für die beiden Beträge (266 Fr. 77 Cts. + 500
Fr.) Betreibung auf Grundpfandverwertung an und verlangte auf erhobenen
Rechtsvorschlag die provisorische Rechtsöffnung. Der Rekurrent erhob die
Einrede der Tilgung durch Verrechnung, unter Berufung auf eine ihm wegen der
angeblichen Unrichtigkeit der Umsatzgarantie zustehende Minderwerts-,
eventuell Schadenersatzforderung im Betrage von mindestens 15000 Fr. (Art.
205
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 205 - 1 Liegt ein Fall der Gewährleistung wegen Mängel der Sache vor, so hat der Käufer die Wahl, mit der Wandelungsklage den Kauf rückgängig zu machen oder mit der Minderungsklage Ersatz des Minderwertes der Sache zu fordern.
1    Liegt ein Fall der Gewährleistung wegen Mängel der Sache vor, so hat der Käufer die Wahl, mit der Wandelungsklage den Kauf rückgängig zu machen oder mit der Minderungsklage Ersatz des Minderwertes der Sache zu fordern.
2    Auch wenn die Wandelungsklage angestellt worden ist, steht es dem Richter frei, bloss Ersatz des Minderwertes zuzusprechen, sofern die Umstände es nicht rechtfertigen, den Kauf rückgängig zu machen.
3    Erreicht der geforderte Minderwert den Betrag des Kaufpreises, so kann der Käufer nur die Wandelung verlangen.
, Art. 28
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 28 - 1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
1    Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
2    Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen.
in Verbindung mit Art. 41 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
. OR). Durch Entscheid vom 22. August
1933 erteilte der Amtsgerichtspräsident von Hochdorf dem Rekursbeklagten die
begehrte provisorische Rechtsöffnung für die Betreibungssumme samt
Verzugszinsen, mit der Begründung: Es wäre Sache des Rekurrenten gewesen, den
behaupteten Gegenanspruch glaubhaft zu machen, was ihm nicht gelungen sei.
Gegen den Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten hat Kaspar Schlumpf beim
Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Es wird ausgeführt:
Gemäss feststehender Rechtsprechung des luz. Obergerichts und der
schweizerischen Gerichte überhaupt könne ein zweiseitiger Vertrag, wenn der
Schuldner Einwendungen aus demselben, wie insbesondere wegen mangelnder oder
mangelhafter Vertragserfüllung erhebe, nur unter der Voraussetzung als
Rechtsöffnungstitel gelten, dass der Gläubiger die gehörige Erfüllung der ihm
obliegenden Vertragspflichten nachweise (Maximen 1922 Nr. 145; 1928 Nr. 579).
Auch im vorliegenden Falle wäre es demnach am Rekursbeklagten Koch gewesen,
die Richtigkeit der von ihm beim Kauf gegebenen

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Zusicherung über den Umsatz und nicht am Rekurrenten, deren Unrichtigkeit
darzutun. Durch den angefochtenen Entscheid habe der Amtsgerichtspräsident die
Beweislast in willkürlicher Weise umgekehrt und gegen den erwähnten
feststehenden Rechtsgrundsatz sowie gegen die Regel des Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
ZGB verstossen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung,
Nach Art. 82
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 82 - Wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung anhalten will, muss entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, es sei denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur des Vertrages erst später zu erfüllen hat.
OR muss, wer bei einem zweiseitigen (richtiger: gegenseitigen)
Vertrage den Anderen zur Erfüllung anhalten will, entweder selbst bereits
erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, es sei denn, dass er nach dem
Inhalt oder der Natur des Vertrages erst später zu erfüllen hat. Es wird daher
auch demjenigen, der aus einem solchen Vertrag auf Erfüllung klagt,
regelmässig der Beweis dafür obliegen, dass er seinerseits die von ihm zu
machende Gegenleistung entweder bereits gehörig bewirkt oder angeboten hat.
Diese Regel erleidet immerhin nach allgemein anerkannter Auffassung da eine
Ausnahme, wo der beklagte Schuldner den ihm als Gegenleistung übergebenen
Gegenstand ursprünglich widerspruchs- und vorbehaltelos entgegengenommen
hatte, wie es hier auf Seite des Rekurrenten durch die vorbehaltslose
Mitwirkung bei der Eigentumsübertragung im Grundbuch und durch den ebenfalls
vorbehaltslosen Antritt des Besitzes der Liegenschaft geschehen ist. Da ein
solches Verhalten nicht anders denn als eine wenigstens vorläufige Anerkennung
der Vertragsmässigkeit der Leistung, richtigen Erfüllung ausgelegt werden
kann, trifft alsdann auch den Schuldner der Beweis, wenn er nachträglich die
Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Erfüllung, so insbesondere das Fehlen
zugesicherter Eigenschaften der gekauften Sache oder das Vorhandensein von
Mängeln derselben geltend machen will (von TUHR II S. 435; BECKER zu Art. 197
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 197 - 1 Der Verkäufer haftet dem Käufer sowohl für die zugesicherten Eigenschaften als auch dafür, dass die Sache nicht körperliche oder rechtliche Mängel habe, die ihren Wert oder ihre Tauglichkeit zu dem vorausgesetzten Gebrauche aufheben oder erheblich mindern.
1    Der Verkäufer haftet dem Käufer sowohl für die zugesicherten Eigenschaften als auch dafür, dass die Sache nicht körperliche oder rechtliche Mängel habe, die ihren Wert oder ihre Tauglichkeit zu dem vorausgesetzten Gebrauche aufheben oder erheblich mindern.
2    Er haftet auch dann, wenn er die Mängel nicht gekannt hat.

OR Randnummer 19 und 20; OSER-SCHÖNENBERGER zu Art. 82 Randnummer 9 und zu
Art. 197 Randnummer 18; für das deutsche Recht ausdrücklich

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ausgesprochen in § 363 BGB). Freilich ist dabei offenbar an den Fall des
ordentlichen Prozesses gedacht, in dem der Schuldner den Beweis der
unrichtigen oder unvollständigen Erfüllung mit allen an sich zulässigen
Beweismitteln erbringen kann, während er im Rechtsöffnungsverfahren, sobald
ihm einmal die Beweislast auferlegt wird, nur mit solchen Einwendungen gehört
werden darf, die er sofort glaubhaft zu machen vermag. Offenbar mit Rücksicht
hierauf scheint denn auch die Rechtsprechung des luzernischen Obergerichts,
was die Beweislastverteilung bei der Rechtsöffnung betrifft, eine andere, von
dem oben erörterten Grundsatze abweichende zu sein (Maximen VII 1928 Nr. 579,
1922 Nr. 145). Allein einmal war diese Praxis für den erstinstanzlichen
Rechtsöffnungsrichter nicht bindend. Sodann kann auch von einem Verstosse
gegen klares Recht in dem streitigen Punkte deshalb nicht die Rede sein, weil
das SchKG zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen zweiseitige
Verträge ebenfalls als Rechtsöffnungstitel gelten können, nicht durch eine
positive Bestimmung Stellung genommen und ihre Lösung damit der Rechtsprechung
überlassen hat. Die Auffassung, auf der der angefochtene Entscheid beruht, ist
ferner nach dem Gesagten nicht etwa aus allgemeinen rechtlichen Überlegungen
derart unhaltbar, dass sie als willkürlich erklärt werden könnte, selbst wenn
man sie für irrtümlich halten wollte.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 59 I 255
Datum : 01. Januar 1932
Publiziert : 09. Dezember 1933
Quelle : Bundesgericht
Status : 59 I 255
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Begehren um Rechtsöffnung auf Grund eines zweiseitigen Vertrages. Frage der Beweislastverteilung.


Gesetzesregister
OR: 28 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 28 - 1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
1    Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
2    Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen.
41 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
82 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 82 - Wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung anhalten will, muss entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, es sei denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur des Vertrages erst später zu erfüllen hat.
197 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 197 - 1 Der Verkäufer haftet dem Käufer sowohl für die zugesicherten Eigenschaften als auch dafür, dass die Sache nicht körperliche oder rechtliche Mängel habe, die ihren Wert oder ihre Tauglichkeit zu dem vorausgesetzten Gebrauche aufheben oder erheblich mindern.
1    Der Verkäufer haftet dem Käufer sowohl für die zugesicherten Eigenschaften als auch dafür, dass die Sache nicht körperliche oder rechtliche Mängel habe, die ihren Wert oder ihre Tauglichkeit zu dem vorausgesetzten Gebrauche aufheben oder erheblich mindern.
2    Er haftet auch dann, wenn er die Mängel nicht gekannt hat.
205
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 205 - 1 Liegt ein Fall der Gewährleistung wegen Mängel der Sache vor, so hat der Käufer die Wahl, mit der Wandelungsklage den Kauf rückgängig zu machen oder mit der Minderungsklage Ersatz des Minderwertes der Sache zu fordern.
1    Liegt ein Fall der Gewährleistung wegen Mängel der Sache vor, so hat der Käufer die Wahl, mit der Wandelungsklage den Kauf rückgängig zu machen oder mit der Minderungsklage Ersatz des Minderwertes der Sache zu fordern.
2    Auch wenn die Wandelungsklage angestellt worden ist, steht es dem Richter frei, bloss Ersatz des Minderwertes zuzusprechen, sofern die Umstände es nicht rechtfertigen, den Kauf rückgängig zu machen.
3    Erreicht der geforderte Minderwert den Betrag des Kaufpreises, so kann der Käufer nur die Wandelung verlangen.
ZGB: 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
BGE Register
59-I-255
Stichwortregister
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schuldner • richtigkeit • bundesgericht • koch • beweislast • gegenleistung • frage • obliegenheit • provisorische rechtsöffnung • grundbuch • einwendung • monat • zweiseitiger vertrag • wille • umsatz • erfüllung der obligation • entscheid • zusicherung • willkürverbot • begründung des entscheids
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