S. 442 / Nr. 76 Prozessrecht (d)

BGE 58 II 442

76. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Oktober 1932 i. S. Straub gegen
Kanton Bern.

Regeste:
Der Berufung an das Bundesgericht (Art. 56 f . OG) unterliegen auch
Entscheidungen. die von kantonalen Verwaltungsbehörden in
Zivilrechtsstreitigkeiten unter Anwendung eidgenössischer Gesetze gefällt
wurden.

A. - Mit Entscheid vom 11. Februar 1932 hat der Oberamtmann von Olten-Gösgen
den Beklagten verpflichtet, der Direktion des Armenwesens des Kantons Bern ab
1. Februar 1932 an die Kosten der Unterstützung seines Bruders Otto Straub
monatlich 25 Fr. beizutragen, solange diese Unterstützung andaure.

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B. - Eine hiegegen eingereichte Beschwerde wurde vom Regierungsrat des Kantons
Solothurn am 10. Mai 1932 abgewiesen, worauf der Beklagte die Berufung an das
Bundesgericht erklärte mit dem Antrag, die Klage abzuweisen.
Die Klägerschaft beantragte, auf die Berufung nicht einzutreten, eventuell sie
abzuweisen.
Das Bundespericht zieht in Erwägung:
1.- Die Klägerschaft kann sich zur Begründung ihres Antrages auf
Nichteintreten auf die bisherige Praxis des Bundesgerichtes berufen, welche
Art. 56 OG, der von den durch die «kantonalen Gerichte» entschiedenen
Zivilrechtsstreitigkeiten spricht, dahin ausgelegt hat, dass der Entscheid
einer Verwaltungsbehörde, auch wenn er eine Zivilsache betreffe, nicht durch
Berufung an das Bundesgericht weitergezogen werden könne (vgl. BGE 39 II 681
und 40 II 187 Erw. 1). Bei erneuter Prüfung kann indessen an dieser
Rechtsprechung nicht festgehalten werden.
Der Wortlaut des Gesetzes ist zu eng. Es besteht kein Grund zur Annahme, der
Gesetzgeber habe nur einen Teil der Entscheidungen, die unter Anwendung
eidgenössischer Gesetze über Zivilrechtsstreitigkeiten ergehen, der
Überprüfung durch das Bundesgericht unterstellen wollen, andere, nämlich
diejenigen, welche nicht durch Gerichte ausgefällt werden, dagegen nicht.
Diese Auffassung hätte zur Folge, dass überall da, wo nicht von Bundesrechts
wegen der Entscheid über einen Zivilstreit dem Richter vorbehalten wurde, den
Kantonen die Möglichkeit bliebe, ihn den Verwaltungsbehörden zuzuweisen und
damit der Kontrolle durch das Bundesgericht zu entziehen. Dieses Ergebnis kann
jedoch nicht der Absicht des Gesetzgebers entsprechen, der im Gegenteil die
einheitliche Anwendung des gesamten eidgenössischen Zivilrechtes auf dem
ganzen Gebiet des Bundes gewährleisten wollte. Da nun für die nicht
ausdrücklich

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der zivilrechtlichen Beschwerde unterstellten Fälle als zivilrechtliches
Rechtsmittel nur die Berufung in Frage kommt, ist diese als das zulässige
Rechtsmittel anzusehen, obschon die Bestimmungen über sie auf die
Gerichtsentscheide zugeschnitten sind (vgl. JÄGER, Motive zur Rev. des OG., S.
74, siehe aber jetzt Art. 94 OG; vgl. auch WEISS, Die Berufung an das
Bundesgericht, S. 29). Und da der Streit über die Unterstützungspflicht
gegenüber Verwandten unzweifelhaft zivilrechtlicher Natur ist, wäre die
Zulässigkeit der Berufung gemäss Art. 56 OG an sich gegeben.
2.- Indessen fehlt es an dem gemäss Art. 59 OG erforderlichen Streitwert...
Der unterstützungsberechtigte Bruder des Beklagten ist unbestrittenermassen
nicht erwerbsunfähig, sondern nur infolge der gegenwärtigen Krise
vorübergehend ohne Verdienst. Unter diesen Umständen kann aber nicht davon
ausgegangen werden, der Beklagte werde durch die verlangten Beiträge mit
mindestens 4000 Fr. belastet.
Demnach erkennt das Bundesgericht. Auf die Berufung wird nicht eingetreten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 58 II 442
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 13. Oktober 1932
Quelle : Bundesgericht
Status : 58 II 442
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Der Berufung an das Bundesgericht (Art. 56 f. OG) unterliegen auch Entscheidungen. die von...


Gesetzesregister
OG: 56  59  94
BGE Register
39-II-679 • 40-II-185 • 58-II-442
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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