S. 202 / Nr. 35 Erbrecht (d)

BGE 58 II 202

35. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Juli 1932 i. S. Wagner
gegen Wagner-Kaufmann und Kinder.

Regeste:
Bäuerliches Erbrecht. Art. 620 ff . ZGB.
1. Befinden sieh in einer Erbschaft neben einem landwirtschaftlichen Gewerbe
noch andere Objekte, z. B. Miethäuser, so kann nicht ein Erbe gestützt auf
Art. 620 die Zuweisung des Ganzen verlangen. Erw. 1.
2. Nebenbetrieb im Sinne von Art. 625 ist nur eine Erwerbstätigkeit, die mit
dem Landwirtschaftsgewerbe in einem innern Zusammenhange steht, z. B. eine
Schweinemästerei oder Fuhrhalterei. Erw. 2.

Im Jahre 1923 starb Josef Wagner-Kaufmann, Landwirt im «Brühl» in Stans. Als
Erben hinterliess er vier Söhne aus erster Ehe und eine Witwe mit fünf
minderjährigen Kindern zweiter Ehe. Der unbewegliche Nachlass bestand in 2,345
ha Land, drei Wohnhäusern, einem Stall und einer Holzhütte.
Mit vorliegender Klage verlangte Eduard Wagner, ein Sohn erster Ehe, die
Liegenschaften seien ihm gemäss Art. 620 ZGB zu dem von der kantonalen
Güterschätzungskommission ermittelten Ertragswert von 54000 Fr. ungeteilt
zuzuweisen. Die Klage richtete sich, da die andern

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Söhne erster Ehe auf die Zuweisung verzichtet hatten, gegen die Witwe und die
Kinder zweiter Ehe. Die Beklagten beantragten Abweisung der Klage und
verlangten ihrerseits widerklageweise, dass ihnen die Liegenschaften gemäss
Art. 625 ZGB zum Verkehrswert, den sie auf 60000 Fr. schätzen, zugewiesen
werden.
Von den kantonalen Instanzen wurde die Widerklage gutgeheissen, vom
Bundesgericht Klage und Widerklage abgewiesen.
Aus den Erwägungen:
1.- Ein wenn auch kleines landwirtschaftliches Gewerbe ist im Nachlass
vorhanden: die 2,345 ha offenen, anbaubaren Landes mit den nötigen
Gebäulichkeiten, nämlich der Scheune und demjenigen der drei Häuser, das sich
nach Anlage und Grösse als Wohngelegenheit für den Bewirtschafter des
Heimwesens eignet. Welches der Häuser das ist, kann heute dahingestellt
bleiben. Die zwei verbleibenden Häuser sind zum Vermieten da, gehören daher
nicht zum landwirtschaftlichen Gewerbe. Damit ist bereits gesagt, dass das
Begehren des Klägers, es seien ihm alle Liegenschaften gestützt auf Art. 620
ZGB zum Ertragswerte zuzuweisen, nicht gutgeheissen werden kann, auch wenn er
die subjektiven Voraussetzungen für den Betrieb der Landwirtschaft erfüllt.
2.- Die Zuweisung an die Widerkläger wurde von der Vorinstanz in erster Linie
auf Art. 625 ZGB gestützt, aber zu Unrecht.
Art. 625 regelt den Fall, wo mit einem landwirtschaftlichen Gewerbe ein
anderes Gewerbe als Nebenbetrieb verbunden ist. Unter einem solchen
Nebengewerbe ist eine Erwerbstätigkeit («une industrie» sagt der französische
Text) zu verstehen, die einen innern Zusammenhang mit dem
Landwirtschaftsbetrieb aufweist, sei es dass z. B. die Arbeitskräfte, die
Maschinen des landwirtschaftlichen Gewerbes auch im Nebenbetrieb Verwendung
finden können oder umgekehrt, sei es dass die Produkte

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des einen Betriebes im andern verbraucht werden. Das ist u. a. der Fall bei
einer Fuhrhalterei, deren Knechte, Pferde und Wagen nebenbei dem
Landwirtschaftsbetrieb dienen, bei einer Schweinemästerei, welche die Abfälle
der Landwirtschaft verwertet, während dieser der Schweinedünger zugute kommt.
Nicht so verhält es sich im vorliegenden Falle. Hier sind einfach zwei Häuser
zum Vermieten da. Das Vermieten von Häusern ist aber weder ein Nebenbetrieb
zur Landwirtschaft noch als Regel überhaupt ein Gewerbe. Die Beklagten
scheinen das selbst einzusehen, indem sie subsidiär geltend machen, dass aus
dem Landwirtschaftsbetrieb allein eine Familie nicht unterhalten werden könne,
weshalb ihnen auch die Miethäuser überlassen werden müssen. Diese
Schlussfolgerung ist nicht richtig. Der Umstand, dass der landwirtschaftliche
Teil eines Nachlasses für sich allein keine genügende Existenzgrundlage
bildet, gibt dem Übernehmer keinen Anspruch darauf, dass ihm nach den Regeln
von Art. 620 ff. auch noch andere Nachlassobjekte zugewiesen werden, die weder
zum landwirtschaftlichen Gewerbe gehören noch einen Nebenbetrieb im Sinne des
Gesetzes darstellen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 58 II 202
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 08. Juli 1932
Quelle : Bundesgericht
Status : 58 II 202
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Bäuerliches Erbrecht. Art. 620 ff. ZGB.1. Befinden sieh in einer Erbschaft neben einem...


Gesetzesregister
ZGB: 620  625
BGE Register
58-II-202
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