S. 108 / Nr. 17 Erbrecht (d)

BGE 58 II 108

17. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. März 1932 i. S. Müller-Meyer und
Konsorten gegen Meyer.


Seite: 108
Regeste:
ZGB Art. 620/1: Kann der Erbe, dem ein Bauerngut zugewiesen wird, dessen
Überlassung schon vor der endgültigen Erbschaftsteilung verlangen? (Erw. 1).
ZGB Art. 633: Ausgleichung der Zuwendung der Arbeit des mündigen Kindes an die
Eltern. Begriff des gemeinsamen Haushaltes. Bemessungsgrundsätze (Erw. 2).

A. - Der 1874 geborene Kläger ist einer der acht noch lebenden Nachkommen des
Adelrich Meyer in Andermatt, der im Jahre 1924 unter Hinterlassung einer
Erbschaft von 4-500000 Fr. verstorben ist. Seit 1891 widmete sich der Kläger
der Führung des väterlichen Landwirtschafts- und Fuhrhaltereigewerbes, während
der Vater sich mehr und mehr auf die Führung seines Hotels zu den 3 Königen
beschränkte. Als der Kläger etwa 10 Jahre später heiratete, führte er mit Frau
und (3) Kindern in einem dem Vater gehörenden Hause Friedheim Haushalt, dessen
Kosten auch während langer Militärdienste des Klägers in den Jahren 1914 ff.
vom Vater bestritten wurden, der jeweilen gelegentlich auch Lebensmittel in
natura lieferte. Von 1920 an führte der Kläger das Gewerbe auf eigene Rechnung
weiter. Beim Tode des Vaters fand sich ein Testament vor, worin das Haus
Friedheim dem Kläger zum voraus vermacht wurde. Darüber hinaus beanspruchte
der Kläger gestützt auf Art. 620 f . ZGB die Zuweisung der Matte Reussen mit
Stall und der Matte Stalden mit Botenstall zum Ertragswert. Der nach § 13 des
EG zum ZGB für den Kanton Uri hiefür zuständige Gemeinderat von Andermatt
entsprach diesem Begehren, und der Ertragswert wurde auf 12400 Fr. bezw. 6100
Fr.

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geschätzt. Die gegen die Zuweisung beim Regierungsrat und schliesslich beim
Bundesgericht geführte (staatsrechtliche) Beschwerde wurde abgewiesen. Die
hierauf gestützte Anmeldung der Eigentumsübertragung an den Kläger seitens des
Gemeinderates und des Klägers selbst wurde am 30. Dezember 1926 vom
schweizerischen Justiz- und Polizeidepartement als Oberaufsichtsbehörde über
das Grundbuch abgewiesen wegen Fehlens schriftlicher Zustimmungserklärungen
sämtlicher Erben, eines schriftlichen Teilungsvertrages oder eines diese
ersetzenden rechtskräftigen Urteils.
B. - Mit der vorliegenden, durch Provokation des Erbschaftsverwalters
veranlassten Klage gegen vier widersprechende Geschwister verlangt der Kläger
(soweit noch streitig):
1. Die Beklagten haben die Zuteilung der Liegenschaften «Stalden» Wiesland und
Stall H. B. 129 und 404, «Riessen» Wiesland mit Stall H. B. 328 und 325 in
Andermatt nebst zugehörendem Inventar zum Ertragswert laut Schätzung
anzuerkennen, und es sei das Grundbuchamt Uri gerichtlich anzuweisen,
demgemäss die Übertragung dieser Grundstücke auf den Kläger vorzunehmen.
2. Die Beklagten haben den Anspruch des Klägers für langjährige persönliche
Dienste und Arbeit im väterlichen Geschäft pro 1891/1920, total 24000 Fr.
nebst 5% Zins seit 14. August 1924 (Todestag) anzuerkennen.
C. - Das Landgericht Urseren und das Obergericht Uri, letzteres am 11./12.
November 1931, haben erkannt:
1 a) Die Beklagten haben die Zuteilung der Liegenschaften «Stalden Wiesland
mit Stall» H. B. 129 und 404 und «Reussen Wiesland mit Stall» H. B. 328 und
325 Andermatt ... nebst zugehörigem Inventar zum Ertragswerte lt. Schätzung
unter ausdrücklichem Vorbehalt der Rechte der Miterben aus Art. 619
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 619 - Für die Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken gilt das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991541 über das bäuerliche Bodenrecht.
ZGB
anzuerkennen.
Das Grundbuchamt Uri wird angewiesen, die Übertragung dieser Grundstücke auf
Edwin Meyer in diesem Sinne im Grundbuche vorzunehmen.

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1 c) Der Anspruch des Klägers für langjährige persönliche Dienste und Arbeiten
im väterlichen Geschäft wird auf 19200 Fr. ohne Zinsberechtigung festgesetzt.
D. - Gegen dieses Urteil haben die Beklagten die Berufung an das Bundesgericht
erklärt mit den Anträgen:
«Es seien die Rechtsbegehren des Klägers bezw. die Erkenntnisse des
obergerichtlichen Urteils:
1. sub Ziff. 1 lit. a, Alinea 2, wonach das Grundbuchamt Uri angewiesen werden
soll, die Übertragung der unter lit. a angeführten Grundstücke im Grundbuch
vorzunehmen, abzuweisen, eventuell, weil verfrüht abzuweisen, bezw.
aufzuheben;
2. sub Ziff. 1 lit. c, wonach der Anspruch des Klägers für persönliche
Dienstleistungen und Arbeiten im väterlichen Geschäft auf 19200 Fr.
festgesetzt wird, abzuweisen, eventuell sei die Ausgleichssumme angemessen zu
reduzieren»
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die von der Vorinstanz ausgesprochene Ermächtigung des Grundbuchamtes zur
Eintragung des Klägers als Eigentümers der Liegenschaften, deren Zuweisung zum
Ertragswert er nach dem Entscheid der zuständigen Behörde beanspruchen kann,
erweckt keine Bedenken. Wie das Bundesgericht, bereits vor Jahren festgestellt
hat, ist die Erbschaftsteilung schon längst verlangt, und zudem ist sie (durch
Teilung des Mobiliars und von Bargeld) bereits teilweise vollzogen worden.
Unter diesen Umständen kann dem Kläger die sofortige Überlassung der
Liegenschaften - vor der endgültigen Teilung der ganzen Erbschaft - nicht
verweigert werden. Angesichts der Grösse der Erbschaft ist ja nicht zu
befürchten, dass sich nachträglich bei der endgültigen Teilung herausstellen
könnte, der Kläger habe durch die Zuteilung der Liegenschaften mehr als seinen
Erbteil erhalten, so dass er rückleistungspflichtig würde, ohne dass hiefür
ein gesetzliches Pfandrecht hätte rechtzeitig eingetragen werden

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können, dessen genaue Bezifferung vor der endgültigen Teilung nicht wohl
möglich sein wird. Daraus, dass der Charakter und Wert der streitigen
Liegenschaften seit dem Zuweisungsentscheide der zuständigen Behörde eine
Änderung erfahren haben mag, können die Beklagten nichts herleiten. Ist zwar
für die Anrechnung grundsätzlich der Wert im Zeitpunkte der Teilung
massgebend, so kann solchen Erben, welche zur sofortigen Teilung der
teilungsreifen Erbschaftswerte nicht Hand bieten, nicht zugestanden werden,
dass sie aus der ungerechtfertigten Hinausschiebung der Teilung einen Vorteil
ziehen. Den Beklagten stund aber nach dem Gesagten kein Grund mehr zur Seite,
die zur Eigentumsübertragung an den Kläger erforderlichen Formalitäten nicht
zu erfüllen, sobald der Zuweisungsentscheid der zuständigen Behörde
rechtskräftig war. Indessen hängt die Eintragung des Klägers als Eigentümers
noch davon ab, dass er gleichzeitig das Gewinnanteilsrecht der Miterben
vormerken lässt, wie die Vorinstanz zutreffend entschieden hat.
2.- Ebensowenig bestehen Bedenken gegen die Beurteilung des
Ausgleichungsanspruches des Klägers für die Zuwendung seiner Arbeit im
gegenwärtigen Stadium der Erbschaftsteilung vor deren endgültigem Abschlusse
(vgl. BGE 62 II S. 342; 57 II S. 148). Diese Arbeit ist dem Vermögen des
Vaters zu Nutzen gekommen und daher aus dessen Erbschaft auszugleichen; darauf
kommt nichts an, dass die Mutter noch lebt. Im Verhältnis zur ganzen Erbschaft
ist der streitige Ausgleichungsanspruch so klein, dass es für dessen Bemessung
keinen wesentlichen Unterschied ausmacht, dass ein anderer
Ausgleichungsanspruch im Kapitalbetrage von 50000 Fr. noch streitig sein soll.
Eine Ausgleichung gemäss Art. 633
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 633
ZGB können nur «mündige Kinder, die ihren
Eltern in gemeinsamem Haushalt ihre Arbeit ... zugewendet haben»,
beanspruchen. Dabei muss aber dem Begriff des gemeinsamen Haushaltes eine
ausdehnende Auslegung gegeben werden, ansonst offenbare Unbilligkeiten nicht
vermieden werden könnten.

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Dies wird gerade durch den vorliegenden Fall dargetan, wo nicht einzusehen
ist, warum der Kläger für die Zeit seit seiner Verheiratung nicht ebensowohl
sollte eine Vergütung beanspruchen können wie für die vorangegangene Zeit,
während der er im Haushalte der Eltern gelebt haben wird. In diesem weiteren
Sinne darf auch bei vollständiger Trennung der Wohnräume und des Tisches von
gemeinsamem Haushalte gesprochen werden, wenn die Eltern die Bedürfnisse des
Haushaltes des Kindes ebenso bestreiten wie diejenigen ihres eigenen
Haushaltes, das Kind also in der Ausgestaltung seines Haushaltes nicht nach
Massgabe eigener Barmittel frei, sondern von den Eltern abhängig ist. So
verhielt es sich aber hier, wo der Erblasser dem Kläger nicht die für die
Bedürfnisse des Haushaltes seiner Familie erforderlichen Geldmittel zur
Verfügung stellte, aus denen der Kläger hätte für die nötige Wohnung sorgen
und die nötigen Lebensmittel i. w. S. anschaffen, bezw. hiefür seiner Frau das
nötige Haushaltungsgeld geben können, sondern wo der Vater selbst dem Sohne
die Wohnung für seine Familie anwies und deren übrige Lebensbedürfnisse
mindestens teilweise durch Naturalleistungen deckte. Dass die Leistungen des
Vaters nicht zur Bestreitung sämtlicher Haushaltungskosten ausgereicht haben
sollen, sondern dafür auch noch Vermögen der Frau des Klägers habe aufgeopfert
werden müssen, ändert nichts hieran und ist nicht anders zu beurteilen als
Zuschüsse, welche bisweilen Ehefrauen aus ihrem Sondergut über die nach Art.
246
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 246 - Im Übrigen gelten die Bestimmungen über die Teilung von Miteigentum und die Durchführung der Erbteilung sinngemäss.
ZGB geschuldeten Beiträge hinaus an die Haushaltungskasse machen, um sich
nicht mit dem Ehemanne über die Höhe des Haushaltungsgeldes oder wegen
einlaufender Rechnungen herumstreiten zu müssen.
An die Vergütung, welche der Kläger für seine Arbeit zu beanspruchen hat,
braucht er sich die ihm vorausvermachten Liegenschaften nicht anrechnen zu
lassen, weil der Vater nichts derartiges bestimmt hat. Dagegen darf bei der
Bemessung der Vergütung einigermassen

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berücksichtigt werden, dass der Kläger durch jenes Vermächtnis sowie durch die
Übernahme weiterer Erbliegenschaften zum Ertragswerte schon mehr aus der
Erbschaft des Vaters erhält als seine Geschwister. Aber auch dann erscheint
die von der Vorinstanz zugesprochene Ausgleichungssumme von 19200 Fr. nicht zu
hoch. Während den 20 Jahren seit der Mündigkeit des Klägers bis zum Weltkriege
haben die Geschäfte des Vaters derart prosperiert, dass eine über die
dringendsten Lebensbedürfnisse zunächst des Klägers allein, hernach auch
seiner Familie hinausgehende Vergütung von jährlich einigen Hundert Franken
nur billig gewesen wäre. Durch zinstragende Anlage während der langen
Zwischenzeit hätte sich das Kapital mehr als verdoppeln lassen. Selbst wenn
also die Zeit seit 1914 gänzlich ausser Acht gelassen wird, so lässt sich der
von der Vorinstanz ausgeworfene Betrag rechtfertigen? der nicht einmal 1/20
der Erbschaft ausmacht. Mag in diesen letzten Jahren die Arbeit des Klägers
auch bedeutend weniger wertvoll für den Vater gewesen sein, weil der Kläger
ihr oft durch Militärdienst entzogen und zudem der Gewerbebetrieb des Vaters
eingeschränkt wurde, so lässt sich doch kein zureichender Grund finden, um den
Kläger zu einer Rückerstattung der seitherigen Leistungen des Vaters in den
Haushalt zu verpflichten, nachdem die Erwerbs- und Hauswirtschaft in gleicher
Weise wie vorher fortgeführt worden ist.
Ob der Kläger für die Benützung von Liegenschaften des Vaters seit der
Aufhebung der gemeinsamen Wirtschaft im Jahre 1920 Ersatz schulde, ist eine
Frage für sich, die mit seinen Ausgleichungsansprüchen für seine frühere
Arbeit in keinem Zusammenhange steht und durch das gegenwärtige Urteil nicht
berührt wird.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons Uri
vom 11./12. November 1931 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 58 II 108
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 18. März 1932
Quelle : Bundesgericht
Status : 58 II 108
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : ZGB Art. 620/1: Kann der Erbe, dem ein Bauerngut zugewiesen wird, dessen Überlassung schon vor der...


Gesetzesregister
ZGB: 246 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 246 - Im Übrigen gelten die Bestimmungen über die Teilung von Miteigentum und die Durchführung der Erbteilung sinngemäss.
619 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 619 - Für die Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken gilt das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991541 über das bäuerliche Bodenrecht.
620  633
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 633
BGE Register
58-II-108 • 62-II-342
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vater • haushalt • uri • ertragswert • beklagter • stall • bundesgericht • erbschaftsteilung • gemeinsamer haushalt • vorinstanz • erbe • weiler • familie • grundbuch • berechnung • geschwister • wert • gemeinderat • inventar • angewiesener
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