S. 62 / Nr. 9 Bundesstrafrecht (d)
BGE 58 I 62
9. Urteil das Kassationshofes vom 8. Februar 1932 i. S. Staatsanwaltschaft
Baselland gegen Müller.
Regeste:
Art. 61 BStR: ~ Bundesakte 0: Erw. 1.
- Zahlungsanweisung beim Postcheck und Mandatskarton beim Mandat als
Bundesakte. Erw. 1.
- auch inbezug auf den vorgedruckten und den vom Postbenützer geschriebenen
Text. Erw. 1.
- Auszahlungsrechnungen, Monats- und Hauptbilanzen der Post stellen als
Bundesakte. Erw. 2.
Die Vernichtung einer Zahlungsanweisungsurkunde durch einen Postbeamten fällt
unter Art. 61 BStR, nicht unter Art. 57 Abs. 3 PVG. Die von einem Postbeamten
begangene Fälschung, Verfälschung oder Zerstörung von postamtlichen
Bundesakten erfüllt zugleich den Tatbestand des Amtspflichtsverletzung. Erw.
4.
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A. - Der Kassationsbeklagte hat als Postverwalter von Pratteln der ihm
anvertrauten Postkasse verschiedentlich Geldbeträge entnommen und diese
Unterschlagungen dadurch zu verheimlichen versucht, dass er auf bereits
ausbezahlten Zahlungsanweisungen die Eintragungen der Beträge abänderte und
eine solche Zahlungsanweisung vernichtete, und dass er in den
Auszahlungsrechnungen und in den Monats- und Hauptbilanzen falsche
Eintragungen vornahm.
Gestützt auf diesen Tatbestand hat das Kriminalgericht Baselland am 29. August
1929 den Kassationsbeklagten wegen fortgesetzter Unterschlagung gemäss den §§
140 und 138/2, wiederholter Urkundenfälschung gemäss § 69 und wegen
Vernichtung einer Privaturkunde gemäss § 76 des Strafgesetzes zu fünf Monaten
Gefängnis verurteilt. Das Obergericht des Kantons Baselland hat am 24.
November 1931 auf Appellation der Staatsanwaltschaft das
Kriminalgerichtsurteil bestätigt mit der Abänderung, dass der
Kassationsbeklagte ferner der Amtspflichtverletzung gemäss § 53 lit. f des
Bundesstrafrechtes schuldig erklärt und ausser zu den fünf Monaten Gefängnis
noch zu 100 Fr. Busse, eventuell zehn weitern Tagen Gefängnis verurteilt
wurde.
B. - Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft des Kantons Baselland
rechtzeitig und formrichtig die Kassationsbeschwerde ans Bundesgericht
eingereicht, mit der Begründung:
In der Verfälschung von Zahlungsanweisungen sei entgegen der Ansicht der
kantonalen Gerichte eine Fälschung nicht von Privaturkunden, sondern von
Bundesakten im Sinne von Art. 61 BStR zu erblicken.
Werde die Zahlungsanweisungsurkunde als eine Bundesakte betrachtet, so könne
die Beseitigung und Zerstörung einer solchen nur entweder nach Art. 61 BStrG
oder nach Art. 57 Postverkehrsgesetz (absichtliche Verletzung der
Beförderungspflicht) beurteilt werden.
Die Verfälschung richtiger Eintragungen in den
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Auszahlungsrechnungen falle ebenfalls unter Art. 61 BStR, denn auch diese
Rechnungen seien Bundesakten.
Das Obergericht habe die Amtspflichtverletzung nur in den Falschbuchungen
erblickt. Aber auch die übrigen strafbaren Handlungen des Kassationsbeklagten
fielen unter die Amtspflichtverletzung und zwar in Idealkonkurenz, mit diesen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung
1.- Der Kassationshof hat bereits in BGE 39 I S. 245 ausgeführt, dass unter
einer Bundesakte im Sinne von Art. 61 BStR eine «unter dem Namen oder der
Unterschrift oder dem Siegel einer Bundesbehörde oder eines Bundesbeamten
verfasste Schrift» im Sinne desselben Art. 61 BStR zu verstehen ist. Er hat
das damit begründet, dass anders die Verfälschung einer Bundesakte nach
Bundesrecht (Art. 61), die Fälschung einer Bundesakte dagegen allenfalls (d.
h. wenn sie nicht zugleich eine unter dem Namen, der Unterschrift oder dem
Siegel einer Bundesbehörde verfasste Schrift ist) nach kantonalem Recht zu
beurteilen wäre, oder umgekehrt die Fälschung einer unter dem Namen oder der
Unterschrift oder dem Siegel einer Bundesbehörde oder eines Bundesbeamten
verfassten Schrift nach Bundesrecht, ihre Verfälschung dagegen allenfalls nach
kantonalem Recht.
An dieser Auffassung ist festzuhalten. Es ist deshalb hier in erster Linie zu
prüfen, ob die vom Kassationsbeklagten verfälschten oder vernichteten
Zahlungsanweisungen als Bundesakten in diesem Sinne, d. h. als unter dem Namen
oder der Unterschrift oder dem Siegel einer Bundesbehörde oder eines
Bundesbeamten verfasste Schriften anzusehen sind:
Der ganze Vorgang der Überweisung eines Geldbetrages vom Anweisenden an den
Empfänger durch die Post wird ausgewiesen durch eine geschlossene Reihe von
Urkunden, die im Besitze teils des Anweisenden, teils des Empfängers und teils
der Post sich befinden. Die Zahlungsanweisung
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beim Postscheck und der Mandatskarton beim Postmandat insbesondere bleiben im
Gegensatz zum «Empfangsschein» für den Anweisenden und dem «Abschnitt» für den
Empfänger im Besitze der Post als Kassenbeleg dafür, dass der darin genannte
Betrag vom Anweisenden einbezahlt und dem Empfänger ausbezahlt, bezw. dem
Konto des anweisenden Postscheckinhabers belastet und demjenigen des
empfangenden Postscheckinhabers gutgeschrieben worden ist, und zwar dient er
als Kassenbeleg der Einzahlungs- und der Auszahlungsstelle sowohl in ihrem
Verrechnungsverkehr unter sich, wie gegenüber dem Anweisenden und dem
Empfänger.
Die Bedeutung eines Kassenbelegs nehmen aber Zahlungsanweisung und
Mandatskarton erst mit den von den betreffenden Poststellen angebrachten
Dienstvermerken (Poststempel, Nummern) an. Erst dann beurkunden sie für sich
allein sowie im Zusammenhang mit den übrigen auf dieses Anweisungsgeschäft
sich beziehenden Urkunden gewisse, in Abwicklung dieser Anweisung ausgeführte
postamtliche Handlungen, während sie ohne diese Vermerke nur den von einem
Postbenützer der Post erteilten Auftrag zur Vornahme dieser postamtlichen
Handlungen beurkunden. Eine im Postverkehr verwendete Urkunde, welche erst
durch den Stempel einer Poststelle ihre spezifische urkundliche Bedeutung
erhält, ist aber eine Bundesakte im oben umschriebenen Sinne: ein unter dem
Namen, der Unterschrift oder dem Siegel einer Bundesbehörde oder eines
Bundesbeamten verfasstes Schriftstück; und zwar kommt die Bedeutung einer
Bundesakte nicht nur dem Stempel und den übrigen Dienstvermerken, sondern dem
gesamten - dem vorgedruckten und dem vom Anweisenden geschriebenen - Texte zu,
denn mit dem Poststempel (oder der Unterschrift des Postbeamten) wird der
gesamte Urkundeninhalt zur Erklärung dieser Post stelle, bezw. dieses
Postbeamten gemacht.
Damit leuchtet ein, dass die Verfälschung einer Zahlungsanweisungsurkunde auch
bloss in dem vom
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Anweisenden geschriebenen Text den Tatbestand der Verfälschung einer
Bundesakte erfüllt. Sie lässt das betreffende Organ der eidgenössischen
Postverwaltung etwas anderes beurkunden, als was es in Wirklichkeit beurkundet
hat; sie stellt die Verfälschung einer postamtlichen Erklärung dar.
2.- Nach dem in Erwägung 1 Ausgeführten müssen auch die vom
Kassationsbeklagten verfälschten Auszahlungsrechnungen, Monats- und
Hauptbilanzen als Bundesakte und ihre Verfälschung deshalb wie diejenige der
Zahlungsanweisungen nach Art. 61 BStR behandelt wer den (vgl. BGE 34 I 118).
3.- Ist die Zahlungsanweisungsurkunde eine Bundesakte im Sinne von Art. 61
BStR, so ist auch ihre Zerstörung nach Bundesstrafrecht, nicht nach kantonalem
Strafrecht, zu beurteilen. Die hier anwendbare Bundesstrafvorschrift ist
wiederum Art. 61 BStR und nicht, wie die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf
BUSER «das Postverkehrsgesetz» eventuell meint, Art. 57 Abs. 3 des
Postverkehrsgesetzes. Die Zahlungsanweisungsurkunde ist, wie die Vorinstanz zu
Recht bemerkt, keine Postsendung, auf deren Aushändigung der Postbenützer
einen (in Art. 57 Abs. 3 strafrechtlich sanktionierten) Anspruch hat, sondern
eine Urkunde über eine Postsendung, welche im Besitze der Postverwaltung
verbleibt.
4.- Während die Bundesaktenverfälschung von jedem Deliktsfähigen begangen
werden kann, kann die Amtspflichtverletzung des Art. 53 lit. f BStR nur von
Bundesbeamten begangen werden. Das Delikt der Amtspflichtverletzung ist also
nicht durch dasjenige der Bundesaktenverfälschung konsumiert, sondern durch
eine und dieselbe Handlung werden gegebenenfalls beide Delikte miteinander
begangen. Das Gleiche gilt von der nach kantonalem Recht sich beurteilenden
Unterschlagung zum Nachteil der eidgenössischen Postverwaltung, die, weil von
einem Bundesbeamten in Ausübung seines Amtes begangen, zugleich den Tatbestand
der Amtspflichtverletzung erfüllt.
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5.- Die Sache ist daher unter Aufhebung des vor instanzlichen Urteils an die
Vorinstanz zurückzuweisen zur Schuldigerklärung ausser nach kantonalem Recht
wegen Unterschlagung (in welcher Beziehung das heute angefochtene Urteil
rechtskräftig ist) noch nach eidgenössischem Recht wegen Verfälschung und
Zerstörung von Bundesakten und wegen Amtspflichtverletzung, liegend in der
Unterschlagung und der Verfälschung und Zerstörung von Zahlungsanweisungen.
Die Strafe wird dabei gemäss Art. 33 BStR und in Berücksichtigung von Art. 32
BStR im übrigen nach freiem Ermessen neu auszufällen sein.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Kassationsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Basel-Landschaft vom 24. November 1931 aufgehoben und die Sache zur
Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen .