S. 386 / Nr. 63 Beamtenrecht (d)

BGE 58 I 386

63. Urteil vom 21. Dezember 1932 i. S. H. A. gegen S. B. B. (Kreis I).

Regeste:
Den Beamten, der alkoholgefährdet ist, darf die Verwaltung zu vollständiger
Abstinenz verpflichten. Der Beamte, der eine solche Abstinenzverpflichtung
bricht, begeht eine Dienstpflichtverletzung; diese darf disziplinarisch
geahndet werden, in schweren Fällen mit Entlassung.


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A. - Der Beschwerdeführer, geboren 1884, ist 1907 in den Dienst der
Bundesbahnen eingetreten als Hülfsarbeiter im Bahnhof Basel; er wurde dann
Gepäckarbeiter, seit 1910 in definitiver Stellung. 1914 wurde er nach Biel
versetzt als Güterarbeiter I. Klasse und 1919 zum Vorarbeiter I. Klasse beim
Güterdienst befördert. Im Jahre 1916 war er wegen Trunkenheit im Dienst
diszipliniert worden. In den Jahren 1923/24 hat er eine 12 monatige
Alkoholentwöhnungskur in der Anstalt Nüchtern (Kirchlindach) durchgemacht. Bei
seiner Wiederaufnahme in den Bahndienst musste er sich nach den bestehenden
Vorschriften zu dauernder Abstinenz verpflichten. Er hielt das
Abstinenzversprechen nicht und wurde wegen Trunkenheit im Dienst an zwei
aufeinanderfolgenden Tagen (21. und 22. Dezember 1926) auf den 1. Januar 1927
ins Provisorium versetzt und seiner Stellung als Vorarbeiter enthoben
(Degradierung), wobei er ein neues Abstinenzversprechen eingehen musste. Auf
den 1. Dezember 1929 wurde er, zur Aufmunterung, wieder als Beamter
aufgenommen und blieb seither in der Stellung eines Bahnhofarbeiters. Nachdem
im November 1931 zur Kenntnis der Bahnorgane gekommen war, dass A. sein
Abstinenzversprechen seit 1 1/2 Jahren, also kurz nach seiner Wiederaufnahme
ins Beamtenverhältnis, nicht mehr gehalten hatte, wurde ihm am 4. Dezember
1931 ein neues Abstinenzversprechen abgenommen. Bei diesem Anlass war ihm
geschrieben worden: «Alle Bediensteten, für welche unsere Verwaltung das
finanzielle Opfer einer Kur in einer Trinkerheilanstalt bringt, sind
verpflichtet, ein Abstinenzversprechen bis zum Ende ihrer Eisenbahnerlaufbahn
streng einzuhalten, ansonst sie ihre disziplinarische Entlassung zu gewärtigen
haben. - Nun vernehmen wir, dass Sie ohne Wissen Ihrer Vorgesetzten Ihr
Abstinenzversprechen bereits seit 1 1/2 Jahren gebrochen haben. Wir wären
somit berechtigt, Sie ohne weiteres Ihres Amtes zu entsetzen. Für dieses Mal
wollen wir aber davon absehen, unserer Kreisdirektion einen Antrag von solcher

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schwerer Tragweite für Sie zu stellen. Wir fordern Sie jedoch auf. eine neue
Abstinenzverpflichtung von unbeschränkter Dauer einzugehen, mit dem Bemerken,
dass, wenn Sie diese nicht streng halten sollten, Sie für die daraus
erwachsenden Konsequenzen allein verantwortlich wären.»
Am 21. März 1932, wenige Tage nachdem der Beschwerdeführer das
Dienstaltergeschenk für fünfundzwanzigjährige Dienstleistung bezogen hatte,
erschien er in angetrunkenem Zustande im Dienst, was durch den Bahnarzt dem er
zugeführt wurde, wie folgt festgestellt worden ist: «Der trübe Blick, die
etwas lallende Sprache, der schwankende Gang und der Geruch nach Schnaps aus
dem Munde liessen eindeutig feststellen, dass A. im Augenblicke der
Untersuchung noch betrunken war. Von einer Untersuchung des Blutes konnte
deshalb abgesehen werden». Bei der Einvernahme durch die Bahnorgane gab A. an,
er habe seit der neu eingegangenen Abstinenzverpflichtung hie und da einmal
ein Glas Wein getrunken, so auch am Tage vor dem dienstlichen Vorfall, was der
Grund gewesen sein müsse, weshalb er am folgenden Tage nach dem Mittagessen
das Bedürfnis gehabt habe, Wein zu trinken. Der Beschwerdeführer wurde sofort
im Dienste eingestellt und nach Abschluss der Disziplinaruntersuchung durch
Verfügung vom 3. Juni auf den 15. Juni 1932 entlassen. In der
Entlassungsverfügung wird unter anderem aus geführt: «Nachdem wir Ihnen derart
unser Wohlwollen gezeigt hatten, dadurch, dass wir Sie nach Ihrer Trunkenheit
im Dienst am 21. und 22. Dezember 1926 nicht disziplinarisch entliessen und
dass wir Sie zwei Jahre später sogar noch durch Ernennung zum definitiven
Arbeiter rehabilitierten, durften wir mit Sicherheit annehmen, dass Sie von da
an ein tadelloses Verhalten zeigen würden. Nun haben Sie aber, trotz unserer
erneuten Warnung vom 30. November 1931, Ihr Abstinenzversprechen vom 4.
Dezember 1931 am 21. März 1932 gebrochen und sich der Trunkenheit im Dienst
schuldig gemacht... Diese

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erneute Trunkenheit im Dienst, die eine schwere Verletzung Ihrer
Dienstpflichten darstellt, beweist, dass Sie, bei allen unsern Bestrebungen,
Ihnen aufzuhelfen, nach wie vor ein- unverbesserlicher Trinker sind, den wir
nicht länger in unserem Dienst behalten können.» Das Betragen des
Beschwerdeführers bedeute eine schwere Übertretung der Art. 22 und 24 BtG.
B. - Die Entlassungsverfügung ist rechtzeitig an das Bundesgericht
weitergezogen worden. Es wird beantragt Aufhebung der Entlassung und Anordnung
der Wiedereinsetzung des Beschwerdeführers in das Beamtenverhältnis mit
Rückwirkung auf den Entlassungstag, eventuell Zuerkennung einer Entschädigung
wegen ungerechtfertigter Entlassung, unter Kostenfolge. Der Beschwerdeführer
habe sich seit einer Reihe von Jahren dienstlich und ausserdienstlich korrekt
aufgeführt. Die Vorfälle, die mehr als 5 Jahre zurückliegen, seien nach Art.
32 Abs. 4 BtG bei der Begründung der Entlassungsverfügung nicht in Betracht zu
ziehen. Wegen des Bruches eines Abstinenzversprechens allein dürfe die
schwerste Disziplinarstrafe, die Entlassung, nicht verfügt werden. Er sei an
sich keine Dienstpflichtverletzung im Sinne von Art. 31 BtG, sofern nicht die
Verrichtungen des Beamten schwer darunter leiden oder dessen Lebenswandel mit
der Würde seiner Stellung nicht mehr vereinbar sei. Die mildern
Disziplinarstrafen, die das Gesetz vorsehe, seien beim Beschwerdeführer nicht
angewandt worden. Sie hätten genügt, um ihn auf den Weg zur Besserung zu
führen. Besonders stossend wirke, dass der Beschwerdeführer entlassen worden
sei, nachdem ihm wenige Tage vor her die Anerkennung für fünfundzwanzigjährige
gute Dienstleistung ausgesprochen worden war. - Der Beschwerdeführer sei
erblich belastet. Seine Eltern hätten an Aufregungszuständen gelitten, ein
Onkel mütterlicherseits sei ein Trinker gewesen, eine Tochter desselben
unheilbar geisteskrank und ein Sohn dem Trunke verfallen. Auch zwei Tanten
väterlicherseits seien geistig

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anormal gewesen, ein Bruder des Beschwerdeführers ein unheilbarer Trinker. Es
rechtfertige sich deshalb die psychiatrische Begutachtung des
Beschwerdeführers. Sollte sich dabei ergeben, dass dessen Handlungsweise auf
krankhafter Veranlagung beruht, wäre die Entlassung schon aus diesem Grunde
aufzuheben.
Für den Fall, dass die Wiedereinstellung des Beschwerdeführers nicht
angeordnet würde, käme eine Entschädigung wegen ungerechtfertigter Entlassung
in Frage, welche unter Berücksichtigung seines Lohnausfalles und seiner
sonstigen Verhältnisse festzusetzen wäre, besonders unter Berücksichtigung der
Tatsache, dass der Beschwerdeführer für eine Familie von 4 Kindern, von denen
2 noch schulpflichtig sind, zu sorgen habe.
C. - Die Kreisdirektion I der S.B.B. beantragt Abweisung der Beschwerde. Der
Bruch des Abstinenzversprechens sei eine Dienstpflichtverletzung. Nachdem die
Verwaltung seit Jahren die ihr zustehenden Mittel zur Bekämpfung des
Alkoholmissbrauches des Beschwerdeführers angewendet hatte, sei eine andere
Massnahme als die Entlassung nicht mehr in Betracht gekommen. Die Anerkennung
für fünfundzwanzigjährige Dienstleistung komme nach der Verwaltungspraxis
jedem Beamten zu, wenn nicht besondere Gründe für deren Verweigerung
vorliegen. Dass der Beschwerdeführer wieder zu trinken begonnen hatte, sei der
Verwaltung übrigens im mass gebenden Zeitpunkte nicht bekannt gewesen. A. sei
nicht erblich belastet. Er hätte sich enthalten können, wenn er gewollt hätte.
D. - Im Schriftenwechsel haben die Parteien ihre Äusserungen bestätigt. - In
der mündlichen Schlussverhandlung hat der Vertreter des Beschwerdeführers
seine Anträge dahin ergänzt, dass eventuell eine mildere Bestrafung durch das
Gericht angeordnet werde. Der Vertreter der Verwaltung hat den Antrag auf
Abweisung bestätigt. Der Beschwerdeführer selbst war an der Verhandlung nicht
anwesend.

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Verpflichtung eines Beamten zu vollständiger Abstinenz für die ganze
Dauer des Dienstverhältnisses ist eine dienstliche Notwendigkeit bei
Funktionären, die alkoholgefährdet sind, besonders bei Beamten, denen die
Verwaltung die Möglichkeit geboten hat, eine Alkoholentwöhnungskur
durchzumachen. Vollständige Abstinenz ist in solchen Fällen erfahrungsgemäss
das einzige Mittel, um den Beamten diensttauglich zu erhalten und die richtige
Erfüllung seiner dienstlichen Obliegenheiten sicher zustellen. Das
Abstinenzversprechen wird auferlegt, um der Verwaltung zu ermöglichen, das
Dienstverhältnis, das sie an sich im Hinblick auf den mit der dienstlichen
Stellung unverträglichen Alkoholmissbrauch aufzulösen genötigt wäre,
fortzusetzen. Die Abstinenzverpflichtung bildet in diesen Fällen eine
Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses. Sie bedeutet
allerdings einen tiefen Eingriff in die persönlichen Verhältnisse des Beamten,
doch wird sie ihm auferlegt in seinem eigenen Interesse am Fortbestand seiner
Beschäftigung im öffentlichen Dienst.
Der Beamte, der ein derartiges Abstinenzversprechen nicht hält, begeht eine
Dienstpflichtverletzung. Darauf! ob der Bruch des Versprechens sich im Dienste
auswirkt, etwa die unmittelbare Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten
oder konkrete Störungen des Betriebes herbeiführt, kommt es nicht an. Der
Alkoholiker bildet eine Gefahr für den öffentlichen Dienst. Die Verwaltung hat
die Pflicht, Störungen des Dienstes durch das pflichtwidrige Verhalten des
Beamten zu vermeiden, weshalb sie schon den Bruch des Abstinenzversprechens an
sich als Dienstpflichtverletzung ansehen darf (Art. 21 Abs. 1 BtG).
2.- Dem Beschwerdeführer ist die Verpflichtung zur vollständigen Abstinenz
während der ganzen Dauer des Dienstverhältnisses zunächst im Jahre 1924
auferlegt

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worden im Anschluss an eine Entwöhnungskur. Später wurde die Verpflichtung
wiederholt erneuert. Ende 1926, anlässlich eines schweren Falles von
Trunkenheit im Dienst, welcher mit Degradation und Versetzung ins Provisorium
disziplinarisch geahndet wurde, und 1931, nachdem sich herausgestellt hatte,
dass der Beschwerdeführer, der 1929 - im Hinblick auf sein Wohlverhalten
während eines zweijährigen Provisoriums und in der Erwartung weitern
Wohlverhaltens - wieder als Beamter aufgenommen worden war, seit 1 1/2 Jahren,
also kurze Zeit nach seiner Wiedereinsetzung in das Beamtenverhältnis, die
Abstinenz aufgegeben hatte. Damals wurde ihm die Entlassung bei neuer
Verfehlung eindringlich angedroht. Die Untersuchung anlässlich des Vorfalles
im März 1932 (Trunkenheit im Dienst) ergab, dass der Beschwerdeführer auch das
neue Versprechen nicht gehalten hat.
Die Verfehlungen des Beschwerdeführers sind jedenfalls so schwer, dass die
Entlassung verfügt werden durfte. Allerdings ist der Vorfall im März 1932
nicht als Rückfall im Hinblick auf die 1926 angeordnete Disziplinierung zu
behandeln (Art. 32 Abs. 4 BtG). Dies hindert indessen nicht, in Betracht zu
ziehen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich während längerer Zeit wegen
seiner Trunksucht als Beamter eingestellt war. Er hat unmittelbar nach seiner
Wiedereinsetzung zu trinken angefangen und auch das neue Abstinenzversprechen,
das ihm deswegen auf erlegt wurde, offenbar von Anfang an übertreten. Er hat
durch sein Verhalten bewiesen, dass er die Verpflichtungen, die ihm zur
Erhaltung seiner dienstlichen Stellung überbunden werden mussten, nicht ernst
nimmt. Er hat sich nicht, wie in der Beschwerde behauptet worden ist, seit 5
Jahren wohlverhalten, sondern vielmehr seit 1930 den Verpflichtungen, die ihm
das Verbleiben im Dienste ermöglichen sollten, fortwährend zuwidergehandelt,
was die Entlassung rechtfertigt.
Der Beschwerdeführer hat die Entlassung verschuldet. Er hat aus den vielfachen
Ermahnungen seiner

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Vorgesetzten und des Bahnarztes, sowie aus den Massnahmen, die die Verwaltung
ihm gegenüber zu ergreifen gezwungen war, ersehen müssen, dass er durch sein
pflichtwidriges Verhalten seine Stellung als Beamter gefährdet. Dass seine
Zurechnungsfähigkeit derart herabgesetzt wäre, dass die Verantwortlichkeit für
sein pflichtwidriges Verhalten verneint werden müsste, ist nicht anzunehmen.
Der Beschwerdeführer ist kein geborener Trinker. Er ist offenbar erst im Alter
von 30 Jahren nach seiner Übersiedelung nach Biel (1914) zum Trinker geworden.
Er unterliegt auch nicht einem unwiderstehlichen Drange zum Trinken; denn er
hat sich während der Jahre, in denen er im provisorischen Dienstverhältnisse
stand, enthalten können. Er hat es vielmehr von dem Zeitpunkte an, in dem ihn
die Verwaltung auf Wohlverhalten hin wieder als Beamter angenommen hatte, am
guten Willen fehlen lassen. Dies hat er zu verantworten. Eine psychiatrische
Expertise erscheint unter den geschilderten Verhältnissen nicht als angezeigt.
Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 58 I 386
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 21. Dezember 1932
Quelle : Bundesgericht
Status : 58 I 386
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Den Beamten, der alkoholgefährdet ist, darf die Verwaltung zu vollständiger Abstinenz verpflichten...


Gesetzesregister
BtG: 21  22  24  31  32
BGE Register
58-I-386
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
trunkenheit • verhalten • tag • wohlverhalten • dauer • bundesgericht • alkoholismus • disziplinarische entlassung • wein • biel • onkel • stelle • schwerer fall • kind • anhörung oder verhör • entscheid • angehöriger der armee • begründung des entscheids • beendigung • beamter
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