S. 336 / Nr. 57 Beamtenrecht (d)

BGE 58 I 336

57. Auszug aus dem Urteil vom 6. Oktober 1932 i. S. O. S. gegen S.B.B.
(Pensionskasse).


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Regeste:
1. Pensionsanspruch. - 1. Bei disziplinarischen Entlassungen prüft die
Gerichtsinstanz im Prozess um Kassenleistungen selbständig. ob die Massnahme
verschuldet ist, auch wenn gegen die Entlassung selbst nicht Beschwerde
geführt wurde (Art. 60 , Abs. 2 BtG.
2. Als Entlassung «ohne eigenes Vorschulden» des Versicherten im Sinne von
Art. 24, Abs. 2 der Statuten der Pensions- und Hilfskasse der SBB gilt die
disziplinarische Entlassung, wenn sie im Kassenprozess als ungerechtfertigt
befunden wird.

A. - Der Kläger O. S. ist im Jahre 1905 als Arbeiter in den Bahndienst
eingetreten. Er bekleidete zuletzt, unter dem neuen Beamtengesetz, das Amt
eines Bahnhofarbeiters. Er wurde auf den 31. März 1930 disziplinarisch
entlassen, nachdem er in der ihm gegenüber durchgeführten Untersuchung hatte
zugeben müssen, dass er die dem Zugführer der SBB E. D. gehörende Handtasche
im Wert von ungefähr 20 Fr., die er auf dem Bahnsteig gefunden hatte,
unberechtigterweise mit nach Hause genommen und ein Jahr lang, d. h. bis sie
durch die Polizei abgeholt wurde, dort aufbewahrt hat und dass er ausserdem im
November 1928 vom Kohlenvorrat einer Privatbahn einige Lokomotivbriketts und
unter zwei Malen grössere Mengen Kohlenabfälle entwendet und für sich
verwendet hat. Die Entlassungsverfügung, datiert vom 28. Februar 1930, ist dem
Kläger am 10. März 1930 eröffnet worden.
Eine Disziplinarbeschwerde an das Bundesgericht, die der Kläger gegen die
Entlassungsverfügung erhoben hatte, hat er nachträglich zurückgezogen, nachdem
sich ergeben hatte, dass sie verspätet eingereicht worden war. Er hat

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sich dabei die Geltendmachung allfälliger Ansprüche an die Pensions- und
Hilfskasse vorbehalten.
Die Generaldirektion der SBB hat dem Kläger eine jährliche Unterstützung
gemäss Art. 56 Beamtengesetz von 1260 Fr. (50% der Pension) vom 29. März 1933
an zugesprochen, als dem Zeitpunkt, in welchem die Einlagen des Klägers in die
Pensionskasse im Betrage von 3769 Fr. 75 Cts. konsumiert sein werden.
B. - Mit Klageschrift vom 31. März 1932 erhebt S. Anspruch auf eine
lebenslängliche Pension von jährlich 2520 Fr. vom 1. April 1930 an und
Nachzahlung der seit dem 1. April 1930 verfallenen Monatsbetreffnisse, nebst
5% Zins vom jeweiligen Verfalltage an, eventuell auf eine jährliche Pension
von 2520 Fr. vom 1. April 1930 bis 29. März 1933 und eine um die Unterstützung
nach Art. 56 Beamtengesetz gekürzte Teilpension vom 29. März 1933 an, nebst 5%
Zins auf den bisher verfallenen Monatsbetreffnissen, - unter Kostenfolge.
Die Verfehlungen des Klägers seien nicht geeignet, die Entlassung zu
rechtfertigen, sie seien nicht schwer oder fortgesetzt und jedenfalls nicht
verschuldet, da sie in einem Zustande von Unzurechnungsfähigkeit begangen
worden seien, was durch ein ärztliches Gutachten nach gewiesen werde. Der
Kläger sei geisteskrank und deshalb invalid. Ausserdem leide er an den
Nachwirkungen eines im Jahre 1927 erlittenen Unfalls. Der Kläger sei deshalb
pensionsberechtigt.
C. - Die Generaldirektion der SBB beantragt Abweisung der Klage unter
Kostenfolge. Der Kläger sei wegen Unredlichkeiten im Dienste entlassen worden.
Die disziplinarische Entlassung sei in Rechtskraft erwachsen und könne nicht
nachträglich im Pensionsprozess als ungerecht fertigt angefochten werden.
Demnach seien weder die Handlungen des Klägers noch die Verschuldensfrage neu
zu beurteilen. Die Einwendungen des Klägers gegen die disziplinarische
Entlassung hätten im Beschwerdeverfahren vorgebracht werden sollen.

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Vorsorglich wird ausgeführt: Unredlichkeiten im Dienst seien zu den schwersten
Dienstpflichtverfehlungen zu rechnen, weshalb die Entlassung verfügt werden
durfte. Die Notlage des Klägers sei kein Grund, die Bedeutung seiner
Verfehlungen herabzusetzen, da der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte, sich
die nötigen Mittel auf unanfechtbare Weise zu beschaffen. Auch sei ihm die
Widerrechtlichkeit seines Handelns durchaus bewusst gewesen.
Disziplinarrechtlich seien seine Handlungen als schwere und fortgesetzte
Dienstverletzungen zu charakterisieren im Sinne von Art. 31, Abs. 4
Beamtengesetz. Die Entlassung sei angezeigt und notwendig gewesen, um so mehr
als die Handlungen des Klägers infolge der polizeilichen Erhebungen nicht nur
in Personalkreisen, sondern auch bei der Bevölkerung von Rapperswil bekannt
geworden waren.
Der Kläger sei nicht invalid, sondern wegen seiner Verfehlungen entlassen
worden. Er habe auch zunächst versucht, seine Wiederanstellung zu erwirken.
Erst nachträglich habe er die Pensionierung verlangt. Seine Verfehlungen habe
er zu verantworten; auch wenn er Psychopath und deshalb nicht voll
zurechnungsfähig sei, so habe er doch die Tragweite seiner Verfehlungen
erkennen können...
D. - Im Schriftenwechsel haben die Parteien ihre Anbringen bestätigt. Auf
Befragen wiederholt die Beklagte, dass Versicherten, die wegen Verfehlungen
irgendwelcher Art aus dem Dienstverhältnis entlassen werden müssen, nach
bestehender Praxis keine Pensionen gewährt werden können. Auf den gleichen
Standpunkt stellt sich auch die Versicherungskasse der Bundeszentralverwaltung
für ihren Bereich.
E. - Ein vom Kläger eingereichtes ärztliches Gutachten der Herren Dr. C.
Ulrich und Dr. H. Schabelitz in Zürich vom 6. Juli 1930 kommt zum Ergebnis
dass S. ein schwerer Psychopath und nicht voll zurechnungsfähig ist und es
auch zur Zeit seiner Verfehlungen nicht

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war. Es wird darin festgestellt, dass S. aus einer mit Psychopathie und
Geisteskrankheiten schwer belasteten Familie hervorgegangen ist, dass sein
Vater Trinker war, wegen eines Eigentumsdeliktes aus dem Bahndienst entlassen
wurde und sehr früh starb, sodann, dass mehrere seiner Geschwister
Psychopathen sind mit Ausnahme eines Bruders, eines in Olten stationierten
Zugführers, der ein durchaus feiner Mensch geworden sei. Auch die 4 Kinder des
Klägers seien missraten.
Der Oberarzt der SBB stellt in seinem Amtsbericht vom 10. Dezember 1930 fest,
dass S. zur Zeit seiner Entlassung nicht invalid war und seinen Dienst als
Güterarbeiter weiter hätte versehen können, wenn er nicht wegen seiner
Verfehlungen entlassen worden wäre. S. könne für sein Tun und Lassen, für sein
Benehmen und seine Handlungen nicht voll verantwortlich gemacht werden, er sei
nicht voll zurechnungsfähig. Bei den Ausführungen des von der Klagpartei
eingelegten Gutachtens über die Familie des Klägers handle es sich um Angaben,
die nicht ärztlich nachgeprüft worden seien; auch in andern Beziehungen sei
das Gutachten nicht schlüssig. Dagegen stimmt der Oberbahnarzt aus eigenen
Überlegungen und Untersuchungen den Schlussfolgerungen des Gutachtens zu mit
folgender Begründung:
«... Nehme ich aus dem Gutachten des Psychiaters, was mir aus den Akten, aus
der Untersuchung und den Aussagen von Befragten als klar erwiesen erscheint,
und stelle ich dazu die Erhebungen, die ich noch gemacht habe, so komme ich
zur Auffassung, dass es sich bei S. tatsächlich um einen Anlagedefekt, um eine
angeborene Psychopathie handelt, wobei allerdings der Begriff «Psychopathie»
im weiten Sinne aufgefasst ist, und nicht auf eine Geisteskrankheit schliessen
will, sondern auf eine defekte geistige Anlage. Ich habe eingangs genauer
umschrieben, wie ich diesen Anlagedefekt auffasse: Mangelhafte Anlage und
mangelhafte Entwicklung auf intellektuellem und ethisch-moralischem Gebiet.
Mit

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dieser Annahme scheinen mir dann auch alle die dem Laien auffälligen Mängel,
wie Rappelköpfigkeit, Rechthaberei, Besserwissenwollen, Jähzorn,
Lügenhaftigkeit, Eigensinn, Leidwercherei erklärt. Für den ethischen und
moralischen Tiefstand spricht mehr als deutlich genug das Verhalten in der
Ehe, bezw. gegenüber der Familie und namentlich der zweiten Frau.... Ich bin
nun wirklich auch der Auffassung, dass ein Mann mit einem solchen Anlage
defekt, einer solchen intellektuellen Minderwertigkeit und moralischen
Haltlosigkeit nur vermindert zurechnungsfähig sein könne für alles, was er tut
und unterlässt. Am meisten wird der Defekt sich geltend machen auf
moralisch-ethischem Gebiet; aber wir müssen zugeben, dass in einem gewissen
Grade sicher auch die Intelligenz gefehlt hat, selbständige Zusammenhänge zu
folgern und vielleicht auf diesem Wege eine mangelhafte moralische Einstellung
zu korrigieren.
»Gewiss sind solche Leute nicht geeignet für den Dienst bei der Verwaltung und
hätte man die Möglichkeit, solche Charaktere auszuscheiden, so würde man sie
natürlich vom Dienst fernhalten. S. war aber immerhin nicht ein derart
typischer Psychopath, dass er ohne weiteres hätte auffallen müssen. Offenbar
hat er sich in jüngeren Jahren viel korrekter und vernünftiger benommen, sonst
wäre er doch wohl nicht angestellt und behalten worden. Er war im Dienst auch
nicht unbrauchbar trotz aller Ruppigkeit und schlechter
Charaktereigenschaften, sonst hätte man ihn schon früher bei irgend einer
Gelegenheit anfassen und vielleicht untersuchen müssen. Ich würde also nicht
übereinstimmen mit einer Annahme, dass dieser Mann von jeher wegen seiner
Psychopathie untauglich gewesen wäre zum Dienst bei der Bahn. Hätte man in
einem früheren Zeitpunkt, als er jung war, S. wegen Psychopathie ablehnen
wollen, so hätte vielleicht der Psychiater erklärt: Gewiss ist der Mann
Psychopath im weitesten Sinne des Wortes; aber solche Psychopathen sind sehr
viele vorhanden, die sehr Tüchtiges leisten. Es

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kommt also nach meiner Auffassung zur rein juristischen, gewissermassen
richterlichen Abschätzung der Frage des Selbstverschuldens bei der Entlassung.
Ich glaube kaum, dass S. vor Gericht frei gesprochen worden wäre wegen
Unzurechnungsfähigkeit, wenn er seine Diebstähle vor Gericht hätte
verantworten müssen. Aber ich glaube bestimmt, und gebe da Dr. Ulrich recht,
dass er nur vermindert verantwortlich ist für seine Handlungen, die zur
Entlassung Anlass gegeben haben.»
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Der Kläger ist wegen Dienstpflichtverletzungen disziplinarisch aus dem
Bahndienst entlassen worden. Die Disziplinarverfügung ist in Rechtskraft
erwachsen. Der Kläger hat die Beschwerdefrist versäumt. Die Beklagte stellt
sich in erster Linie auf den Standpunkt, damit sei die Frage, ob die
Entlassung als unverschuldet zu gelten habe, präjudiziert; sie könne im
Prozess um Kassenleistungen nicht mehr erörtert werden.
Nach Art. 60 , Abs. 2 Beamtengesetz (BtG) entscheidet das Bundesgericht bei
Beurteilungen von Ansprüchen auf Kassenleistungen wegen «Auflösung des
Dienstverhältnisses» selbständig darüber, ob die Massnahmen vom Versicherten
verschuldet ist. Wenn die disziplinarische Entlassung unter den Begriff
«Auflösung des Dienstverhältnisses» fällt, so hat das Bundesgericht im
Kassenprozess die Verschuldensfrage zu prüfen, auch wenn die
Entlassungsverfügung direkt nicht angefochten worden ist. Es scheint nun bei
den Kassenbehörden die Meinung zu bestehen, dass mit der Ausdrucksweise des
Gesetzes nur auf die Fälle administrativer Entlassung Bezug genommen werde,
speziell auf Art. 55 BtG, und dass die disziplinarische Entlassung darunter
nicht zu verstehen sei. Die Beklagte hat dies allerdings nicht direkt aus
gesprochen. Sie hat sich auf die Rechtskraft der Entlassungsverfügung berufen
und weiterhin erklärt, dass nach ihrer Auffassung Versicherten, die wegen

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Verfehlungen irgendwelcher Art aus dem Dienstverhältnis entlassen werden
müssen, keine Pensionen gewährt werden sollen. Dagegen hat sich die
Versicherungskasse für die Beamten der Bundeszentralverwaltung auf Befragen
dahin ausgesprochen, dass die Fassung des Art. 60 , Abs. 2 BtG als Hinweis auf
Art. 55, also die administrative Auflösung des Dienstverhältnisses aus
wichtigen Gründen, anzusehen sei., Dieser Auffassung kann nicht gefolgt
werden. Denn von der «Auflösung des Dienstverhältnisses» handelt der ganze VI.
Abschnitt des Gesetzes (Art. 52-57), der neben andern Beendigungsgründen auch
die disziplinarische Entlassung berücksichtigt, soweit sie nicht in anderem
Zusammenhang geregelt ist und deshalb einer weitern Erörterung nicht mehr
bedurfte. So gilt besonders Art. 56 (Unterstützungen in Fällen verschuldeter
Entlassung) für die administrative und für die disziplinarische Entlassung,
und die vorläufige Dienstenthebung nach Art. 52 , als vorsorgliche Massnahme,
ist einheitlich geordnet für Administrativ- und für Disziplinarfälle. Auch
Art. 55 , Abs. 1 BtG lässt nach seinem Wortlaut die Auffassung zu, dass die
disziplinarische Entlassung unter den allgemeinen Begriff der Auflösung des
Dienstverhältnisses fällt. Wenn demnach Art. 60 , Abs. 2 BtG die selbständige
Überprüfung des Verschuldens durch die Gerichtsinstanz bei Auflösung des
Dienstverhältnisses ohne Einschränkung anordnet, so muss angenommen werden,
dass darunter grundsätzlich alle Auflösungsgründe zu verstehen sind, somit
auch die Disziplinarfalle (vgl. IM HOF: Das öffentliche Dienstverhältnis, in
Ztschr. f. schweiz. Recht, n. F. 48 S. 441 a).
Diese Regelung, die sich aus dem Sprachgebrauch des Gesetzes ergibt, war
beabsichtigt. Vor Erlass des Beamtengesetzes waren allerdings administrative
Streitigkeiten, wozu auch die Verschuldensfrage bei Entlassungen gehört, den
Verwaltungsbehörden zu endgültiger Beurteilung zugewiesen. Die richterlichen
Behörden, die damals über Kassenleistungen zu befinden hatten, waren an die

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Erledigung jener Vorfrage durch die Verwaltung gebunden (Botschaft des
Bundesrates vom 18. Juli 1924 zum Beamtengesetz S. 194 f., BBl. 1924 III. S.
194
), was durch die Gerichtspraxis bestätigt wurde (Entscheidungen des eidg.
Versicherungsgerichtes 1927 S. 127, Nr. 35 und S. 132, Nr. 36). - Der Entwurf
des Bundesrates zum Beamtengesetz stand auf dem gleichen Boden. Man glaubte,
dass mit der Ausscheidung der Zuständigkeit zwischen Verwaltungsbehörden und
Gerichten im Sinne der bisherigen Ordnung eine klare Situation geschaffen
werde. Unter den Beispielen, mit denen dieser Vorschlag begründet wurde, sind
die Entlassungen wegen Pflichtwidrigkeiten besonders aufgeführt (Botschaft
a.a.O. und S. 259, Art. 58 und 60 des Entwurfes). Die vorgeschlagene
Kompetenzausscheidung wurde aber nicht zum Gesetz erhoben. Massgebend war
dabei die Überlegung, dass die Prozesse über Ansprüche auf Kassenleistungen
mit der Einführung der eidgenössischen Verwaltungsgerichtsbarkeit in den
Geschäftskreis des Bundesgerichtes verwiesen und im direkten
verwaltungsrechtlichen Prozess vor Bundesgericht abgeurteilt werden sollten.
Es wurde bemerkt, dass die Frage des Verschuldens im Entlassungsfalle als
Vorfrage im Kassenstreit schon nach Art. 194 Abs. 2 OG vom Bundesgericht
selbständig zu prüfen sein werde, was in Art. 60 Abs. 2 BtG, um jeden Zweifel
auszuschliessen, überdies noch ausdrücklich ausgesprochen wurde. Zwischen
administrativer und disziplinarischer Entlassung wurde dabei nicht
unterschieden (Sten. Bulletin 1920, Ständerat S. 16'J Votum Baumann); im
Hinblick auf die Ausführungen der bundesrätlichen Botschaft wäre dies gewiss
geschehen. wenn die Nachprüfung der Verschuldensfrage bei Kassenprozessen
infolge disziplinarischer Entlassung hätte ausgeschlossen werden sollen Art.
60, Abs. 2 Beamtengesetz hat demnach den Zweck, die Vorfrage im Kassenprozess
in allen Entlassungsfällen der Prüfung durch die Gerichtsinstanz
vorzubehalten.
Dass sich die nämliche Frage im

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verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren gegenüber der
Disziplinarverfügung als solcher, und zwar hier als Hauptfrage, stellt, ist
kein Grund, sie im Kassenprozess nach Art. 60 , Abs. BtG von der selbständigen
Beurteilung durch die Gerichtsinstanz auszuschliessen, nachdem das Gesetz die
disziplinarische Beschwerde und den Kassenprozess in verschiedene Verfahren
verweist, deren Vereinigung weder vorgeschrieben ist noch überhaupt in allen
Fällen durchführbar wäre. Die gewählte Ordnung entspricht übrigens dem
verschiedenen Charakter der beiden Ansprüche. Die Disziplinarbeschwerde ist
gerichtet auf Beseitigung der unmittelbaren Folgen der disziplinarischen
Entlassung. Sie muss dementsprechend binnen kurzer Frist erhoben und
durchgeführt werden. Die Ansprüche auf Kassenleistungen betreffen dauernde
Verhältnisse, weshalb sie nicht an eine kurze Beschwerdefrist gebunden werden,
sondern dem direkten verwaltungsrechtlichen Prozess vorbehalten bleiben unter
Einräumung einer zweijährigen Frist zur Klage (Art. 17, Abs. 3 der Statuten
beider Kassen). Es ist gewiss auch sachlich richtig, den entlassenen Beamten,
der die Disziplinarverfügung als solche nicht mehr anfechten kann, z. B. weil
er die Beschwerdefrist versäumt hat oder überhaupt nicht in der Lage war,
seine Einwendungen gegen die Disziplinierung innert der Beschwerdefrist
vorzubringen, von der Erhebung allfälliger Ansprüche auf Kassenleistungen
wegen unverschuldeter Entlassung nicht von vornherein auszuschliessen.
Die Einwendung der Beklagten, die Rechtskraft der Entlassungsverfügung lasse
nicht zu, dass im Kassenprozess geprüft werde, ob die Entlassung verschuldet
sei, ist demnach als mit der gesetzlichen Regelung und mit dem praktischen
Bedürfnis nicht vereinbar abzulehnen. Die Beklagte hat übrigens diese
Einwendung in einem andern Falle, den das Bundesgericht zu beurteilen hatte
und wo ebenfalls die Disziplinarverfügung hingenommen und lediglich Ansprüche
auf Kassenleistungen geltend gemacht worden waren, nicht erhoben.

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Die Kassenverwaltung hat sich damals darauf beschränkt, die Ablehnung des
Anspruches auf Kassenleistungen aus materiellen Gründen zu beantragen (Jakob
gegen SBB (Pensionskasse), Urteil vom 14. Juli 1931).
2.- Nach Art. 24, Abs. 2 der Kassenstatuten haben Anspruch auf Pension die
Versicherten, die «ohne eigenes Verschulden» entlassen worden sind. Die
Bestimmung kann ihrem Wortlaut nach dahin verstanden werden, dass jedes
Verschulden genügt, um Kassenansprüche auszuschliessen, was dazu führen würde,
die Pensionsberechtigung stets zu verneinen, wenn der Versicherte irgendwie
durch sein Verhalten zu der Entlassung Anlass gegeben hat.
Wie es sich in dieser Beziehung bei administrativen Entlassungen verhält, kann
dahingestellt bleiben. Hier handelt es sich nur darum, welche Bedeutung der
Vorschrift bei disziplinarischen Entlassungen zu kommt. Diese Frage stellte
sich vor Erlass des Beamtengesetzes nicht, weil damals die disziplinarische
Entlassung durch die Wahlbehörde und deren Bestätigung durch allfällig in
Betracht kommende obere Verwaltungsbehörden ohne weiteres auch jede
Möglichkeit ausschloss, Ansprüche auf Kassenleistungen zu erheben. Anders
verhält es sich nun nach der Regelung, welche die Beamtengesetzgebung
getroffen hat und die bei Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit
beibehalten und bestätigt wurde. Danach ist der Anspruch auf Kassenleistungen
nicht mehr durch die Tatsache der Entlassung präjudiziert; er wird im
gerichtlichen Verfahren gemäss Art. 60 , Abs. 2 BtG frei beurteilt. Wenn dabei
aber, wie nachgewiesen wurde, die Frage des Verschuldens vom Bundesgericht
selbständig zu prüfen ist, so muss eine disziplinarische Entlassung dann als
«unverschuldet» im Sinne der Statuten gelten, wenn sie sich bei Nachprüfung im
Kassenprozess als ungerechtfertigt erweist. Das Verschulden; das den Anspruch
auf die Pension ausschliesst, muss ein solches sein, das die disziplinarische
Entlassung zu begründen vermag.

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Wollte man weitergehen und gestützt auf den Wortlaut von Art. 24, Abs. 2 der
Kassenstatuten jedes Verschulden als hiefür genügend gelten lassen, so ergäbe
sich eine unlösbare Unstimmigkeit zwischen der Ordnung in Art. 60 , Abs. 2 BtG
einerseits und Art. 24, Abs. 2 der Kassenstatuten anderseits. Die Vorschrift
in Art. 24, Abs. 2 der Kassenstatuten muss in der Begrenzung verstanden
werden, die durch die Beamtengesetzgebung aufgestellt wurde. Dies deshalb weil
praktisch keine disziplinarischen Entlassungen vorkommen, die nicht in
irgendeiner Beziehung durch das Verhalten des Beamten, nämlich durch
Pflichtwidrigkeiten, veranlasst sind. Bei jeder Entlassung wird der Nachweis
möglich sein, dass ein gewisses Verschulden des Beamten vorliegt. Wollte man
annehmen, dass Art. 24. Abs. 2 der Kassenstatuten ein anderes, geringeres
Verschulden im Auge habe als dasjenige, das die Entlassung rechtfertigt, so
würde die Ordnung in Art. 60 , Abs. 2 BtG, wonach im Kassenprozess die
Verschuldensfrage vom Gericht frei überprüft werden soll, praktisch
illusorisch, was nicht der Sinn einer ausdrücklich und bewusst zum Gesetz
erhobenen Regelung sein kann.
Bestätigt wird diese Auslegung durch die Ausführungen der bundesrätlichen
Botschaft zum VDG. Wird im disziplinarischen Beschwerdeverfahren nach Art. 33
ff. VDG eine Entlassung als nicht gerechtfertigt befunden, so hat der Beamte,
der nicht wieder angestellt wird, Anspruch auf eine Entschädigung. Bei der
Bemessung der Entschädigung ist nach der Botschaft des Bundesrates (S. 82 BBl.
1925 II. S. 262
) darauf Rücksicht zu nehmen, dass dem Beschwerdeführer gemäss
den Statuten der Versicherungskasse für das Personal der allgemeinen
Bundesverwaltung oder der Pensions- und Hilfskasse für das Personal der
Bundesbahnen Ansprüche zustehen, die ebenfalls festzusetzen und deren
allfälliger Einfluss auf die Schadenersatzforderung zu prüfen ist. Es wurde
somit anerkannt, dass dem entlassenen Beamten, wenn sich die Entlassung als
ungerechtfertigt erweist, Kassenansprüche

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zustehen, was nicht der Fall wäre, wenn die Verschuldens frage bei
disziplinarischen Entlassungen im Hinblick auf Kassenansprüche anders, d. h.
strenger, zu beurteilen wäre als hinsichtlich der Entlassung selbst.
Als unverschuldet im Sinne von Art. 24, Abs. 2 der Kassenstatuten muss demnach
die disziplinarische Entlassung gelten, wenn sie als ungerechtfertigt befunden
wird, d. h. wenn die Verwaltung den Beamten, unter Berücksichtigung aller in
Betracht fallenden Verhältnisse, wegen seiner Verfehlungen nicht hätte
disziplinarisch entlassen dürfen.
3.- Die Dienstpflichtverletzungen, die Anlass zur disziplinarischen Entlassung
des Klägers gaben, sind an und für sich jedenfalls so schwerwiegend, dass
unter gewöhnlichen Verhältnissen zu einer Entlassung geschritten werden
durfte.... Indessen hat sich herausgestellt, dass die Verfehlungen des Klägers
auf einer schweren psychopathischen Veranlagung beruhen. Dies ergibt sich
nicht nur aus dem ärztlichen Gutachten, das der Kläger in zwischen eingeholt
hat, sondern es ist auch die Meinung des Oberarztes der Bundesverwaltung, die
dieser auf Grund einer selbständigen Untersuchung und medizinischen
Beurteilung des Falles geäussert hat. Der Oberarzt erklärt, dass der Kläger
für seine Handlungen nur vermindert zurechnungsfähig ist. Er glaubt
allerdings, der Kläger wäre bei einer strafgerichtlichen Aburteilung seiner
Handlungen nicht freigesprochen worden. Dies mag richtig sein. Für die
Beurteilung der Sache nach Disziplinarrecht ist es aber nicht ausschlaggebend;
denn hier frägt es sich nur, ob die disziplinarische Entlassung, die schwerste
Disziplinarstrafe, zulässig war, dagegen nicht, ob der Kläger überhaupt keine
Verantwortung für seine Handlungen zu tragen hat, ob er überhaupt nicht zu
bestrafen ist, was für einen Freispruch im Strafverfahren notwendig gewesen
wäre.
Unter dem Gesichtspunkte des Disziplinarrechts ist nun aber festzustellen,
dass die zwar wiederholten, aber

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doch im einzelnen in Anbetracht der Umstände, besonders der Notlage des
Klägers, etwas milder zu beurteilenden Verfehlungen eine weitere Erklärung und
Entschuldigung in seiner psychischen Veranlagung finden, was dazu führt, die
Anwendung der schwersten Disziplinarstrafe als der Sachlage nicht ganz gerecht
werdend zu bezeichnen. Selbstverständlich ist zu fordern, dass auch Beamte,
die psychisch belastet sind, ihre gesetzwidrigen Neigungen bekämpfen und
überwinden, was das Bundesgericht wiederholt festgestellt hat. Deshalb sind
disziplinarische Entlassungen nicht ausgeschlossen bei Verfehlungen, die auf
krankhafter Veranlagung beruhen (vgl. die nicht publizierten Urteile i. S.
Fähndrich vom 19. Februar 1931 und Jakob vom 14. Juli 1931). Derartige
Veranlagungen können aber auch unter Umständen ein hinreichender Grund sein,
die Anwendung der schwersten Disziplinarstrafe als unangemessen erscheinen zu
lassen. Das trifft im vorliegenden Falle zu, wo die Verfehlungen an und für
sich eine verhältnismässig milde Beurteilung verdienen.... Unter
Berücksichtigung dieser besondern Verhältnisse erscheint es als richtig, die
Entlassung, als die schwerste Disziplinarmassnahme, als ungerechtfertigt zu
bezeichnen und dem Kläger die ihm wegen ungerechtfertigter und daher ohne sein
Verschulden im oben umschriebenen Sinne verfügter Entlassung zustehenden
Ansprüche an die Versicherungskasse zuzusprechen.
4.- (Quantitativ.)
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird begründet erklärt.
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Document : 58 I 336
Date : 01. Januar 1931
Published : 06. Oktober 1932
Source : Bundesgericht
Status : 58 I 336
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : 1. Pensionsanspruch. - 1. Bei disziplinarischen Entlassungen prüft die Gerichtsinstanz im Prozess...


Legislation register
BtG: 52  55  60
OG: 194
BGE-register
58-I-336
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1924/III/194 • 1925/II/262