S. 33 / Nr. 3 Nulla poena sine lege (d)

BGE 58 I 33

3. Urteil vom 6. Februar 1932 i. S. Walter gegen Obergericht des Kts, Aargau.

Regeste:
Es bildet eine Verletzung des Grundsatzes «Nulla poena sine lege» und
Rechtsverweigerung, wenn mehrere Beischläfer, die sich gegenüber einem
unehelichen Kinde mit Rücksicht auf die Möglichkeit der Schwängerung der
Mutter durch ihren Beischlaf zu Unterhaltsbeiträgen verpflichtet haben und
diese Pflicht nicht erfüllen, als «Eltern, welche ihre Familienpflichten
beharrlich... vernachlässigen und ihre Angehörigen dadurch in Notstand
versetzen», bestraft werden.


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A. - Durch «Alimentenverpflichtung» vom 7. Mai 1920 hat der Rekurrent sich
verpflichtet, in der «Vaterschaftssache W.» zu bezahlen: an die Mutter für
Entbindungs- und Unterhaltskosten 100 Fr. und an das Kind Klara einen
Unterhaltsbeitrag von monatlich 20 Fr. Eine gleichlautende Verpflichtung hatte
ein Karl Rüedin eingegangen. Am 8. Oktober 1920 hat der Gemeinderat von
Oftringen die beiden Alimentationsverpflichtungen genehmigt und beschlossen,
von einer Schadenersatzklage gegen einen weitern «Beteiligten» (der seine
«Beteiligung» in Abrede stelle und dem nur auf dem Wege einer Strafklage
beizukommen wäre, von der Vater W. abzusehen bitte) Umgang zu nehmen.
Der Rekurrent hat in der Folge durch Aberkennungsklage seine
Alimentationsverpflichtung angefochten und zwar wegen Willensmängeln. Die
Klage wurde vom Kantonsgericht von Obwalden am 5. Mai 1925 abgewiesen. Der
Amtsvormund von Zofingen als Vertreter der beklagten Partei hatte u. a.
geltend gemacht: die W. sei geistig nicht normal; der Geschlechtsverkehr mit
einer solchen Person sei nach aarg. Strafrecht ein Delikt; von einer
Strafklage sei mit Rücksicht auf religiöse Bedenken des Vaters W. Umgang
genommen worden; dagegen sei eine Schadenersatzklage gegen die verschiedenen
Beischläfer möglich gewesen; es sei dann zu einer Verständigung gekommen; der
Rekurrent habe gewusst, dass auch Rüedin zu Alimentationsleistungen
herangezogen werde; es bestehe keine Sicherheit, dass der Rekurrent nicht der
Vater des Kindes sei; die Forderung sei übrigens nicht eine solche aus
Familienrecht, sondern aus Delikt.
Der Rekurrent war säumig in der Erfüllung seiner Alimentationspflicht
gegenüber dem Kinde W. Er wurde deshalb vom Bezirksgericht von Zofingen am 19.
Dezember 1927 und am 12. Mai 1930 bestraft, das erste Mal mit vier Wochen
Gefängnis, das zweite Mal mit 6 Wochen korrektionellem Zuchthaus. Die

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Verurteilungen stützten sich auf den § 2 des (ersten) Ergänzungsgesetzes
betreffend die Strafrechtspflege vom 7. Juli 1886, der, soweit hier in
Betracht kommend, lautet:
«Zuchtpolizeilich werden bestraft:
III. Eltern, welche ihre Familienpflichten beharrlich und trotz
vorausgegangener Warnung durch den Gemeinderat vernachlässigen und ihre
Angehörigen dadurch in Notstand versetzen.»
Im Laufe des ersten Verfahrens war am 24. Oktober 1927 ein Vergleich
abgeschlossen worden, insbesondere über die Nachzahlung der verfallenen
Alimentationsbeiträge.
Eine neue Anzeige gegen den Rekurrenten wegen Nichterfüllung seiner
Alimentationspflicht führte zu einer dritten Verurteilung durch das
Bezirksgericht von Zofingen (am 16. Juni 1931) zu einer Zuchthausstrafe von
zwei Monaten. Die Beschwerde des Rekurrenten gegen dieses Urteil wurde vom
Obergericht des Kantons Aargau am 6. November 1931 mit folgender Begründung
abgewiesen: «Der Beschwerdeführer will aus dem Wortlaut des § 2 III ErgG I und
dem Vorwort des Regierungsrates zu diesem Gesetz herleiten, dass der
Gesetzgeber mit dieser Strafdrohung nur Ehemänner und Ehefrauen habe -treffen
wollen, dass sich also diese Vorschrift nicht auf die Verletzung der
Alimentationspflicht gegenüber ausserehelichen Kindern beziehe, da diese nicht
zum Familienband gehören. Diese Auffassung ist unzutreffend. Allerdings sind
zu dieser Frage weder in den Grossratsverhandlungen vom 31. März und 7. Juli
1886, noch in den Begleitbotschaften des Regierungsrates vom 17. Februar und
21. Mai 1886 Wegleitungen gegeben werden. Allein nach dem Urteil des
Obergerichtes vom 3. Dezember 1903, das ausdrücklich auf eine ständige Praxis
verweist, ist der strafrechtliche Schutz der zitierten Vorschriften den
ausserehelichen Kindern in gleichem Masse zu gewähren wie den ehelichen, da
die Alimentationspflicht familienrechtlicher Natur ist, auch wenn ein Zuspruch
unter

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Standesfolge nicht stattgefunden hat (VJS 04 75 No. 48). An dieser Praxis hat
das Obergericht seither festgehalten und insbesondere auch nach dem
Inkrafttreten des ZGB nichts geändert (OG v. 4. November 1927 i. S. E. B.).
Auch nach dem ZGB ist die Vaterschaftsklage, auch wenn sie nur auf
Geldleistung geht, keine obligationen-rechtliche, sondern eine
familienrechtliche Leistungsklage (BGE 39 II 501, EGGER, Art. 307, I b und
319, 3). Es fragt sich nur, ob die Sachlage eine andere sei, wenn die
Alimentationsverpflichtung nicht in einem Vaterschaftsprozess festgestellt,
sondern freiwillig übernommen wurde, wie dies im vorliegenden Fall seitens des
Beklagten geschah. Das Bundesgericht hat festgestellt, dass die Verpflichtung
zu Alimenten an ein aussereheliches Kind auch ausser gerichtlich und formlos
in verbindlicher Weise übernommen werden könne, gleichwie die Parteien in
einem Prozesse sich über die Alimentations- und sonstigen Geldansprüche
aussergerichtlich vergleichen können, so kann auch der als präsumtiver Vater
in Anspruch genommene den ihm gegenüber geltend gemachten Geldanspruch
anerkennen. Der Rechtsanspruch ist dann nicht die Vaterschaft, sondern die
Anerkennung eines Geldanspruches (VJS 20 116 No. 33 und BGE 44 II 5). Anderer
Ansicht ist EGGER Art. 302 Ziffer 3 und Art. 319 Ziff. 7 und 8. Fest gestellt
ist ferner, dass auch mehrere Beischläfer sich freiwillig zu
Unterhaltsbeiträgen verpflichten können (BGE 48 II 194). Wenn nun auch nach
dem Gesagten die vom Beklagten eingegangene Alimentenverpflichtung vom 7. Mai
1920, sowie der Vergleich vom 24. Oktober 1927 als obligationenrechtliche
Verpflichtungen zu bezeichnen sind, so ist dies für die Bestrafung des
Beklagten nicht von Bedeutung. Der strafrechtliche Elternbegriff ist für sich
auszulegen an Hand des strafrechtlichen Zweckes. Zweck des § 2 III des ErgG.
ist, zu verhüten, dass Kinder durch Pflichtvernachlässigung der zu ihrem
Unterhalt verpflichteten Personen in Notstand versetzt werden. Die Pflicht zur
Sorge für das Kind ist also unter

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Strafschutz gestellt und Voraussetzung für die Bestrafung ist lediglich, dass
der Beklagte wirklich, dh. rechtlich zum Unterhalt desjenigen, dessen
Vernachlässigung gegen ihn geltend gemacht wird, verpflichtet sei (VJS 22 78).
Im vorliegenden Fall trifft dies zu. Es ist für die Anwendung des § 2 III ErgG
I irrelevant, ob der zu Unterhaltsbeiträgen Verpflichtete der eheliche oder
der durch Statusklage festgestellte aussereheliche Vater ist, ob er durch
Vaterschaftsprozess zu Alimenten verpflichtet wurde, oder ob er die
Alimentationspflicht freiwillig übernommen hat. Alle diese Personen fallen
unter den Begriff der «Eltern» des § 2 III ErgG I. Eine andere Auslegung würde
dem Sinn und Zweck dieser Gesetzesbestimmung widersprechen und zu
Unbilligkeiten führen gegenüber denen, die aus irgend welchen Gründen einen
Prozess vermeiden wollen. Auch diesen Personen soll zur wirksameren
Durchführung der eingegangenen Verpflichtung im Interesse des Kindes und mit
Rücksicht auf die natürliche Verwandtschaft mit diesem der strafrechtliche
Schutz gewährt werden. Auf einem ähnlichen Standpunkt steht auch die
Gerichtspraxis anderer Kantone (SJZ 16. Jahrgang 106 No. 64 und 26. Jahrgang
69 No. 13), sowie auch der Entwurf zu einem schweiz. Strafgesetzbuch (Art.
184).»
B. - Gegen dieses Urteil hat Walter den staatsrechtlichen Rekurs ergriffen mit
dem Antrag auf Aufhebung. Angerufen werden Art. 19 KV (nulla poena sine lege),
Art. 4 und 59 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV. In der Begründung wird aus geführt, dass § 2 III des
I. Ergänzungsgesetzes auch bei weitestgehender Auslegung auf den Fall des
Rekurrenten nicht zutreffe, da dieser nicht unter den Begriff «Eltern»
gebracht werden könne, das Kind W. ihm gegenüber nicht Angehöriger sei und von
einer familienrechtlichen Pflicht nicht die Rede sein könne. Es möge
allenfalls noch angehen, dass der ohne Standesfolge zu Alimenten verurteilte
natürliche Vater unter den § 2 III subsumiert werde; das gleiche könne aber
nicht für

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denjenigen gelten, der aussergerichtlich eine Unterhaltspflicht für das
uneheliche Kind übernehme; hier fehle es an jeder rechtswirksamen Feststellung
der Vaterschaft und handle es sich nur um eine obligationenrechtliche
Verpflichtung. Insbesondere treffe dies zu für eine vertragliche Verpflichtung
mehrerer Beischläfer. Das Strafrecht könne keinen besondern Eltern- und
Vaterbegriff haben. In Betracht kommen könne nur der zivilrechtliche oder der
physiologische Vater. Vollends, unhaltbar sei die Auffassung des
Obergerichtes, § 2 III 1 . c. habe die Sicherstellung jeder Art
Unterhaltspflicht gegenüber einem Kinde im Auge. Bisher sei das Obergericht
nie so weit gegangen wie gegenüber dem Rekurrenten.
C. - Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau haben die
Abweisung des Rekurses beantragt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die aarg. KV stellt in Art. 19 den Grundsatz nulla poena sine lege auf
(«Niemand soll anders als in den durch das Gesetz bezeichneten Fällen...
gerichtlich verfolgt... werden.»). Dieser Grundsatz ist verletzt nicht nur,
wenn ein Strafurteil sich auf keine Strafnorm stützt, sondern auch, wenn es
auf der Anwendung einer Strafnorm beruht, welche die Grenzen der zulässigen
Auslegung von Strafnormen überschreitet. Das Bundesgericht ist häufig in die
Lage gekommen, die Bedeutung des Satzes nulla poena sine lege zu bestimmen in
Hinsicht auf den ganz unbestimmten Talbestand des § 1 des aarg.
Zuchtpolizeigesetzes («Vergehen gegen die öffentliche Ruhe, Ordnung,
Sicherheit und Sittlichkeit werden zuchtpolizeilich bestraft», sofern sie
nicht der kriminellen Bestrafung unterliegen). Hier wurde daraus gefolgert,
dass keine Handlung gestützt auf die Bestimmung bestraft werden darf, die
darunter auch bei weitestgehender Auslegung nach allgemeinen strafrechtlichen
Grundsätzen nicht subsumiert werden kann (BGE

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27 I S. 339; 35 I S. 760), wobei neben der Beziehung auf die öffentliche
Ordnung usw. auch die allgemeine Strafwürdigkeit der Handlung eine Rolle
spielt. Der Rekurrent ist aber nicht verurteilt worden nach der allgemeinen
Norm des § 1 des Zuchtpolizeigesetzes, sondern gestützt auf einen speziellen
Rechtssatz, der die böswillige Verletzung von Familienpflichten seitens der
Eltern unter Strafe stellt. Bei einer Bestimmung dieser Art ist entscheidendes
Kriterium einer zulässigen Verurteilung vom Standpunkt jenes
Verfassungsgrundsatzes aus, ob man es noch zu tun hat mit einer blossen, wenn
auch sehr weitgehenden, Interpretation des Gesetzes, oder aber mit der
Schaffung eines neuen Straftatbestandes im Wege der Analogie. Das erstere
verstösst nicht gegen den Satz nulla poena sine lege, wohl aber das letztere
(BGE 44 I S. 213; 46 I S. 215 f.; s. auch HAFTER, Schweiz. Strafrecht 10 ff.).
In der Missachtung des Grundsatzes nulla poena sine lege liegt dann auch
zugleich eine Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV, eine materielle Rechtsverweigerung.
Dagegen kann eine Verletzung von Art. 59 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV hier nicht in Betracht
kommen, da es sich bei der Verurteilung des Rekurrenten um eine Strafe, nicht
um ein Exekutionsmittel, handelt.
2.- Nach § 2 III des I. aarg. Ergänzungsgesetzes betreffend die
Strafrechtspflege sind zuchtpolizeilich straf" bar: «Eltern, welche ihre
Familienpflichten beharrlich und trotz vorausgegangener Warnung durch den
Gemeinderat vernachlässigen und ihre Angehörigen dadurch in Notstand
versetzen.» Der Rekurrent soll sich dieses Deliktes schuldig gemacht haben,
indem er die vertraglich geschuldeten Unterstützungsbeiträge für das Kind W.
nicht bezahlt hat. Die Bestimmung stellt nicht die böswillige Verletzung von
Familien- oder Alimentationspflichten allgemein oder wenigstens Kindern
gegenüber unter Strafe, sondern nur diejenige seitens der «Eltern» d. h.
seitens Vater oder Mutter. Der Rekurrent muss daher, um nach § 2 III 1 . c.
bestraft werden zu können,

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unter den Begriff des Vaters im Sinne des Gesetzes gebracht werden können. Ist
es nicht der Fall, so kann dann auch von Verletzung von «Familienpflichten»
gegenüber einem «Angehörigen» nicht die Rede sein.
Das Gesetz denkt in erster Linie an die ehelichen Eltern. Es ist aber eine
durchaus zulässige und gegebene Auslegung, wenn es auch auf Adoptiv- und
Pflegeeltern angewendet wird und ferner auch auf den unehelichen Vater. Das
letztere zunächst dann, wenn der Vater das Kind nach Art 303
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 303 - 1 Über die religiöse Erziehung verfügen die Eltern.
1    Über die religiöse Erziehung verfügen die Eltern.
2    Ein Vertrag, der diese Befugnis beschränkt, ist ungültig.
3    Hat ein Kind das 16. Altersjahr zurückgelegt, so entscheidet es selbständig über sein religiöses Bekenntnis.
ZGB anerkannt hat
oder wenn es ihm mit Standesfolge richterlich zugesprochen worden ist (Art.
323). Ist der Beklagte nur zu einem Unterhaltsgeld an das Kind verurteilt
worden (Art. 319), so ist zwar Gegenstand der Verurteilung nicht die
Feststellung der Vaterschaft, sondern eine blosse Vermögensleistung (BGE 39 II
S. 501
ff.); aber die Tatsache der ausser ehelichen Vaterschaft wird doch
immerhin in den Motiven des Urteils festgestellt, und das wird genügen, um die
Person als Vater im Sinne des § 2 III 1 . o. erscheinen zu lassen. Diesem Fall
wird man auch noch denjenigen gleichstellen dürfen, wo die aussereheliche
Vaterschaft sich nicht aus einem Urteil, sondern aus einem gewöhnlichen,
formlosen Vergleich ergibt, sei es dass sie darin ausdrücklich anerkannt ist,
sei es, dass sie als Motiv des Vergleiches angenommen werden kann. Wenn hierin
auch wiederum keine familienrechtlich irgendwie mass gebende Feststellung der
Vaterschaft liegt (BGE 44 II No. 2), so ist doch nicht ausgeschlossen, dass
eine solche aussergerichtliche tatsächliche Feststellung der Vaterschaft auf
dem Boden des § 2 III 1 . o. beachtet wird. Das geht über die Grenzen einer
blossen ausdehnenden Auslegung nicht hinaus.
Der Rekurrent ist aber auch nicht Vater in diesem Sinn. Er hat sich zwar zu
Unterhaltsbeiträgen an das Kind W. vertraglich verpflichtet; doch kann der
Gedanke einer Anerkennung der Vaterschaft mit diesem Akt nicht verbunden
werden. Es kamen ja drei Personen

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als Schwängerer in Frage, von denen zwei gleichzeitig veranlasst werden
konnten, Unterhaltsbeiträge vertraglich zu übernehmen. Welche der drei
Personen Vater des Kindes ist, war und ist unsicher und nicht feststellbar.
Aus der Alimentationsverpflichtung des Rekurrenten kann daher nicht mehr als
die Möglichkeit gefolgert wer den, dass er der Vater des Kindes sein könnte,
wobei eine gleich grosse Möglichkeit für die beiden andern Beischläfer
besteht. Es handelt sich bei dieser Sachlage im Hinblick auch auf Art. 314
Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
ZGB überhaupt nicht um eine familienrechtliche Unterstützungspflicht,
auch nicht im weitesten Sinne, sondern um eine rein obligationenrechtliche,
wie denn der Amtsvormund im Zivilprozess betreffend die Gültigkeit der
Verpflichtung erklärt hat, es sei eine solche aus Delikt (Beischlaf mit einer
geistig nicht normalen Frauensperson) (vgl. BGE 48 II S. 194 ff.).
Es ist unmöglich, den Begriff der Eltern oder des Vaters auf dieses Verhältnis
anzuwenden. Wenn auch der Elternbegriff des § 2 III 1 . c. als solcher des
Strafrechtes weiter verstanden werden mag, als derjenige des Zivilrechtes, so
geht es doch nicht an, etwas darunter zu fassen, was schon nach dem
allgemeinen Sprachgebrauch nicht dar unter fallen und auch nach der
massgebenden Zivilrechtsordnung nicht als ein elternähnliches
familienrechtliches Verhältnis gelten kann. Damit sind die Schranken
zulässiger Auslegung überschritten und ist das Gebiet der Analogie betreten.
Nicht weil er irgendwie als Vater aufgefasst werden könnte, wird der Rekurrent
bestraft, sondern weil der Richter findet, § 2 III 1 . c. beruhe auf dem
allgemeinen Prinzip der Strafwürdigkeit der bös willigen Verletzung einer
Unterhaltspflicht, speziell gegen über einem Kinde, und treffe daher auch auf
eine Person zu, die sich zu Alimenten verpflichtet hat, ohne dass ihre
Vatereigenschaft festgestellt oder feststellbar wäre, und die rechtlich daher
Nichtvater ist. Das ist aber gerade der im Strafrecht unzulässige
Analogieschluss aus dem

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dem Gesetz zu Grunde liegenden Gedanken. Das Gesetz hat diesem allgemeinen
Gedanken nur Ausdruck gegeben in einer Strafnorm, welche die Eltern angeht;
der Richter erstreckt sie auf einen andern weitern Personenkreis und schafft
damit, neben dem § 2 III, einen neuen, weitern Straftatbestand.
Das Obergericht beruft sich auf seine Gerichtspraxis und nimmt auch Bezug auf
diejenige anderer Kantone in der Anwendung ähnlicher Strafnormen. Auch im Wege
der Gerichtspraxis und des Gewohnheitsrechtes kann indessen ein neuer, im
Gesetz nicht enthaltener Straftatbestand nicht wohl aufgestellt werden
(abgesehen vom Falle, wo mangels Kodifikation das Strafrecht eines Kantons
überhaupt ganz oder teilweise auf Gewohnheitsrecht beruht, BGE 39 I S. 42; 46
I S. 206). Die zitierten aargauischen Entscheide gehen übrigens auch nicht so
weit wie das angefochtene Urteil: der eine betrifft eine Person, deren
aussereheliche Vaterqualität feststand (VJR 1904 No. 48), der andere den
geschiedenen Ehegatten und Vater (VJR 1922 No. 28 b). Auch die angeführten
ausserkantonalen Urteile haben einen andern Sinn. § 148 des zürch. StGB
bedroht Eltern und Pflegeeltern mit Strafe, die ihre Familienpflichten
gegenüber Kindern gröblich verletzen. Diese Bestimmung wird auch angewendet
auf den unehelichen Vater, der, wenn auch ohne öffentliche Beurkundung, die
Vaterschaft anerkannt hat (SJZ 16 S. 106). Ähnlich verhält es sich mit der st.
gallischen Bestimmung (StGB Art. 191 «Eltern und Pflegeeltern...») und der st.
gallischen Praxis (das Urteil SJZ 25 S. 69 bezieht sich auf einen im Sinne von
Art. 319
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 319 - 1 Die Eltern dürfen die Erträge des Kindesvermögens für Unterhalt, Erziehung und Ausbildung des Kindes und, soweit es der Billigkeit entspricht, auch für die Bedürfnisse des Haushaltes verwenden.
1    Die Eltern dürfen die Erträge des Kindesvermögens für Unterhalt, Erziehung und Ausbildung des Kindes und, soweit es der Billigkeit entspricht, auch für die Bedürfnisse des Haushaltes verwenden.
2    Ein Überschuss fällt ins Kindesvermögen.
ZGB zu Alimenten verurteilten ausserehelichen Vater).
Richtig ist, dass der Entwurf eines schweiz. StGB in Art. 184 eine
weitergehende Bestimmung enthält, die jeden, der aus Arbeitescheu oder
Liederlichkeit eine auf Gesetz, Vertrag, Richterspruch oder administrativer
Verfügung beruhende Unterhalts- oder Unterstützungspflicht nicht erfüllt,
nicht nur die Eltern, mit Strafe

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bedroht. Eine solche umfassendere Norm mag ihre Berechtigung de lege ferenda
haben. De lege lata besteht aber im Kanton Aargau nur der engere Rechtssatz,
der sich an die Eltern richtet und der, wie ausgeführt, nach dem Grundsatz
nulla poena sine lege nicht auf Personen erstreckt werden kann, die, ohne als
Eltern gelten zu können, eine Unterstützungspflicht haben.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Aargau vom 6. November 1931 aufgehoben.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 58 I 33
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 06. Februar 1932
Quelle : Bundesgericht
Status : 58 I 33
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Es bildet eine Verletzung des Grundsatzes «Nulla poena sine lege» und Rechtsverweigerung, wenn...


Gesetzesregister
BV: 4 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
ZGB: 303 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 303 - 1 Über die religiöse Erziehung verfügen die Eltern.
1    Über die religiöse Erziehung verfügen die Eltern.
2    Ein Vertrag, der diese Befugnis beschränkt, ist ungültig.
3    Hat ein Kind das 16. Altersjahr zurückgelegt, so entscheidet es selbständig über sein religiöses Bekenntnis.
314 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
319
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 319 - 1 Die Eltern dürfen die Erträge des Kindesvermögens für Unterhalt, Erziehung und Ausbildung des Kindes und, soweit es der Billigkeit entspricht, auch für die Bedürfnisse des Haushaltes verwenden.
1    Die Eltern dürfen die Erträge des Kindesvermögens für Unterhalt, Erziehung und Ausbildung des Kindes und, soweit es der Billigkeit entspricht, auch für die Bedürfnisse des Haushaltes verwenden.
2    Ein Überschuss fällt ins Kindesvermögen.
BGE Register
39-I-35 • 39-II-495 • 44-I-204 • 44-II-3 • 48-II-194 • 58-I-33
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
aargau • aberkennungsklage • allgemeines strafrecht • analogie • aussereheliches kind • aussergerichtlicher vergleich • bedürftigkeitsrente • begründung des entscheids • beklagter • bundesgericht • entscheid • erfüllung der obligation • familie • familienrechtliche pflichten • frage • geldleistung • gemeinderat • gerichts- und verwaltungspraxis • geschlechtsverkehr • inkrafttreten • kantonsgericht • kv • leistungsklage • maler • mass • monat • mutter • nachzahlung • norm • notstand • nulla poena sine lege • obwalden • regierungsrat • richterliche behörde • richtigkeit • richtlinie • sprachgebrauch • statusklage • stelle • strafanstalt • strafgesetzbuch • treffen • unterhaltskosten • unterhaltspflicht • unterstützungspflicht • vater • vaterschaftsklage • verurteilter • verurteilung • verwandtschaft • weiler • weisung • wille • willkürverbot • zivilprozess • zuchthausstrafe
SJZ
1 S.6 • 16 S.106 • 25 S.69