204 Strafreeiltsi

HI. KRIEGSVERORDNUNGEN ÜBER DIE LEBENSMITTELVERSORGUNG

ORDONNANCES DE GUERRE CONCERNANT L'ALIMENTATION DU PAYS

31. Urteil des Kessationshol's vom 3. Dezember 1918 i. S. Bloch gegen
Staatsanwaltschaft Basektadt. Antrag der Kassationsbeschwerde (Art. 172
OG). Anwend-

barkeit der BRV betr. Kriegswucher vom 10. August 1914

und des Art. 4 BRB betr. Verkauf von Butter und Käse,

vom 27. November 1915, auf die der Zeit der Geltung dieser Erlasse
angehörenden Tatbestände auch noch seit ihrer Aufhebung. Art. 1
litt. c_BRV vom 10. August

1914 (teilweise auch BRB vom 18. April 1916): Begrifi der

Einkäufe, die das gewöhnliche Gescliaftsbedürfnis erheb--

lich übersteigen , sowie der Absicht, aus einer Preissteige-

rung geschäftlichen Gewinn zu ziehen .

A. Die Kassationskläger, die Brüder Sigmund und Berthold Bloch, von denen
der erstere deutscher Staatsangehöriger, der letztere sehweizerbürger
ist., betrieben als Inhaber der Kollektivgesellschaft S. Bloch &
Cie in Basel vor dem Kriege einen Handel mit Deich und ähnlichen
Gegenständen. _Seit dem Oktober 1915 warfen sie sich auf den Handel
mit Lebensmitteln, hauptsächlich Fetten aller Art, und mit gewissen
Bedarfsgegenständen, wie Seife und Schwefel. Ihr Umsatz bei diesem neuen
Geschäftsbetrieb belief sich innert weniger als Jahresfrist auf mehrere
Millionen Franken. Das vorliegende Strafverfahren wegen Kriegswuchers
umfasst eine grosse Zahl von Transaktionen in Schweinefett, Kokoshutter,
Kochfett und dergleichen aus der Zeit von anfangs Dezember 1915 bis
anfangs April 1916, während welcher die bundesrätliche Verordnung (BRV)
gegen, die Verteuerung von

Kriegsverordnungen über die Lebensmittelversorgung. N° 31. 205

Nahrungsmitteln und andern unentbehrlichen Bedarfsgegenständen vom
10. August 1914 und der Bundesratsbeschluss (BBB) betr. Verkauf von Butter
und Käse vom 27. November 1915 in Kraft standen. Die beiden Firmeninhaber
sind für diese Geschäfte (mit Ausnahme eines einzigen, an dem Berthold
Bloch allein beteiligt war, das aber für die Kassationsinstanz keine
besondere Rolle mehr spielt) unbestrittenermassen in gleicher Weise
verantwortlich. Sie kauften die Ware überall und in allen erhältlichen
Mengen zusammen : teils von Grossfirmen, teils in Detailgeschäften durch
Aufkäufer, als welche namentlich ein Abraham, genannt Jules Dreher und
ein Michael Blum für sie tätig waren. Ihr Geschäftszweck ging, wie
sie selbst in der Untersuchung erklärt und die kantonalen Instanzen
als richtig angenommen haben, allgemein dahin, die aufgekauite Ware
dem Export zuzuführen. Und zwar erfolgten ihre Verkäufe entweder an
inländische Firmen, die von den Vorinstanzen als Schieber bezeichnet
werden, oder an sog. ausländische Einkaufsstellen in der Schweiz,
insbesondere an die österreichische Einkaufsst'elle Haas in Zürich. Unter
der aufgekauften Ware befand sich auch solche, die mit der SSS Klausel
odermit Bedingungen, wie strikte nur für Schweizerkonsum oder nur
an Schweizerfirmen abzu-geben , belastet war. Diese wurde jeweilen an
inländische Firmen verkauft und erst bei den weitem Transaktionen durch
Unterdrückung jener Klausel oder Bedingung disqualifiziert. Die Ware kam
in Verpackungen aller Art und Grösse, je nach der Herkunft, zusammen und
wurde teils in eigenen Geschäftsräumlichkeiten der Firma Bloch, teils in
den LagerhänSern der SBB und im Badischen Bahnhof in Basel aufbewahrt,
bis sie abgeschoben werden konnte. . ' Das Strafgericht des Kantons
Basel-Stadt als erste Instanz erklärte am 8. Mai MIS Sigmund und Berthold
_ Bloch der. Uebertretung des ,Art. I litt._c BRV vom 10. August 1914,
sowie des Art. 4 BRB vom 27. November

206 Strafrecbt.

1915 (ausser in den Fällen Wiener Einkaufsstelle Haas, Volderauei und
Emilio Pollak) schuldig und verurteilte ,sie darnach in Verbindung
mit Art. 33 BStrR zu je 6 Monaten Gefängnis und je 15, 000 Fr. Busse,
bei Nicht bezahlung innert drei Monaten zu je einem weitern Jahr
Gefängnis ; ferner sprach es gegen Sigmund Bloch gemäss Art. 5 BStrB
die Landesverweisung auf 10 Jahre aus.

Auf Appellation der beiden setzte das Appellationsgericht mit Urteil vom
4. September 1918 die Strafe auf je 4 Monaten Gefängnis und je 12,000
Fr. Busse herab und strich die Landesverweisung Sigmund Blochs.

B. Gegen dieses Urteil des Appellationsgerichts haben Sigmund und
Berthold Bloch mit getrennten Eingaben ihrer Vertreter beim Bundesgericht
Kassations-v beschwerde erhoben.

Der Antrag Sigmunds geht dahin, das appellationsgerichtliche Urteil sei
in seinem ganzen Umfange aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung
an das Appellationsgericht .zurückzuweisen.

Berthold beantragt, es sei das angefochtene Urteil autzuheben und er
von Schuld und Strafe freizusprechen, eventuell die über ihn verhängte
Strafe erheblich zu reduzieren, insbesondere durch Annullierung der
Freiheitsstrafe; eventuell sei die Sache unter Aufhebung des

, angefochtenen zur Ausfällung eines neuen Urteils an die Vorinstanz
zurückzuweisen....

C. Die Staatsanwaltsehaft des Kantons Baselstadt

hat Abweisung beider Kassationsbeschwerden beantragt.

Der Kassationshof zieht in Erwägung :

1. 1n prozessualer Hinsicht ist m'bemerken, dass. auf den Antrag der
Beschwerde Berthold Blochs, soweit er eine direkte Abänderung des
angefochtenen Urteils verlangt, nach der durch Art. 172 OG bestimmten
Kompetenz des Kassationshofes nicht eingetreten werden kann; doch führt
dieser zu weitgehende Antrag nach der

Kriegsverordnungen über die'Lebeusnüttelversorgung. N° 31. 207

neuern feststehenden Rechtsprechung des Kassations-v hofes (im Gegensatz,
zum Entscheide in AS 27 I S. 544) nicht dazu, die Beschwerde überhaupt
als unzulässig zu erklären. ss

2. Die beiden Bestimmungen, auf Grund deren die Kassationsldäger
verurteilt worden sind, standen zur Zeit der Verurteilung nicht mehr in
Kraft. Art. 1 litt. cBRV vom 10. August 1914 ist durch Art. 1 litt. c
des diese Verordnung abändernden und ergänzenden Bundesratsbeschlusses
vom 18. April 1916 ersetzt worden, und Art. 4 BBB vom 27. November
1915 ist auf 1. Juni 1916, mit dem Inkraftreten des diesen Beschluss
ersetzenden und ausdrücklich aufhebenden Bundesratsbeschlnsses vom
27. Mai 1916 betr. Verkauf von Butter und Käse, der eine ihm entsprechende
Bestimmung nicht mehr enthält,. dahingefallen. Trotzdem finden die beiden
Bestimmungen auf den vorliegenden, der Zeit ihrer Geltung angehörenden
Tatbestand noch Anwendung. Denn inbezug auf die Strainorm des Art. 1 na. c
BBB vom lo. August 1914 ist, wie der Kassationshof im Falle Lieb-lich (AS
43 I S. 136) festgestellt hat, mit dem BRB vom 18. April 1916 überhaupt
keine materielle Rechtsänderung eingetreten. Jedenfalls kann der neue
Erlass, der bei gleicher Strafdrohung den Deliktstatbestand des Art. 1
litt. c näher nmschreibt. nicht als milder bezeichnet werden und deshalb
hier nicht etwa aus dem Gesichtspunkt der Rückwirkung des milderen Rechtes
in Betracht fallen. Inbezug auf Art. 4 BRB vom 27. November 1915 aber
ist durch BRB vom 1. August 1916 der BBB vom 27. Mai 1916 dahin ergänzt
worden, dass Zuwiderhandlungen gegen Art. 4 BBB vom 27. November 1915,
die vor dem 1. Juni 1916 begangen worden sind, nach Art. 5BRB vom 27 . Mai
1916 (der die ursprüngliche Strakdrohung des Art. 6 BBB vom 27. November
1915 wörtlich übernommen hat) bestraft werden. Damit hat der Gesetzgeber
selber bestimmt, dass auch Übertretungen des Art. 4 BBB vom 27. November
1915, die bei dessen Dahiniall, mit dem

208 . Strafrecht.

Ausserkrafttreten des Beschlusses, noch nicht beurteilt waren, in
gleicher Weise zu bestrafen sind, wie wenn sie sischon vorher zur
Beurteilung gelangt wären. Nun ist der in dieser Weise ergänzte BBB
vom 27. Mai 1916 allerdings seinerseits schon durch BBB vom 27. August
1916 bet-r. die Versorgung des Landes mit Milch und Milchprodukten,
Art. 9, als auf den Zeitpunkt dahintallend erklärt werden, in
dem die vom Volkswirtschaftsdepartement festgesetzten Preise
für Käse und Butter in Kraft treten (was dann laut Verfügung des
Schweiz. Volkswirtschaftsdepartements vom 15. September 1916 betr. den
Verkauf von Butter und Käse, Art. 7, auf den 20. September 1916 geschehen
ist), allein mit dem ausdrücklichen Vorbehalt : Zuwiderhandlungen,
die vor diesem Zeitpunkt begangen wurden, werden indessen auch nachher
auf Grund des genannten Beschlusses (d. h. des Bundesratsbeschlusses vom
27. Mai 1916) erledigt . somit sind die hier zur Beurteilung stehenden
Übertretungen des Art.4BRB vom 27. November 1915 als solche auch heute
noch strafbar. 3. Nach Art. 1 litt. c BBB vom 10. August 1914 wird
bestraft (mit Gefängnis und Busse bis zu 10,000 Fr. oder mit Busse
allein), wer in der Absicht, aus einer Preissteigerung geschäftlichen
Gewinn zu ziehen, im Inland Einkäufe von Nahrungsmitteln oder anderen
unentbehrlichen Bedarfsgegenständen macht, die seine gewöhnlichen
Geschäfts- oder Haushaltungsbedürknisse erheblich übersteigen . Das
Zutreffen dieser Strafnorm wird von den KassationSklägern nach zwei
Richtungen bestritten : in objektiver Hinsicht, weil die inkriminierten
Einkäufe nicht ihr gewöhnliches Geschäftsbedürinis überstiegen hätten,
und in subjektiver Hinsicht, weil sie dabei nicht die Absicht gehabt
hätten, aus einer Preissteigerung geschäftlichen Gewinn zu ziehen.

a) Um Einkäufe, die das gewöhnliche Geschäftsbedürfnis übersteigen,
handelt es sich sinngemäss nicht nur dann, wenn ein gewisses
Geschäftsbedürtnis vorliegt , über das die Einkäufe hinausgehen. sondern
a for-tion"

A. _ _

+

Kriegsvcrordnungen über die Lebensmittelversorgung; N° 31. MS auch dann,
wenn für die Einkäufe überhaupt kein Gig ' schäftsbedürfnis anerkannt
werden kann; denn ist das Gesehättsbedürtnis gleich null, so übersteigt es
eben jeder gleichwohl vorgenOmmene Einkauf.' Unter ' dem ge-wöhnlichen
Geschäftsbedürfnis sodann ist nach den Ausführungen im Urteil Lieblich
(a. a.O., S. 135) ein legitimes Geschäftsbedürfnis in dem Sinne zu
verstehen, dass der es befriedigende Warenumsatz darauf gerichtet sein
muss, die Ware an die inländischen Konsumenten abzugeben oder doch dieser
ihrer Zweckbestimmung in irgend einer Weise näher zu bringen . Essollten
mit jener nähern Bezeichnung des GeschäftsbedürfniSses, noch allgemeiner
gesprochen, solche Geschäfte in Lebensmitteln und andern unentbehrlichen
Bedarfsgegenständen als illegitim und irregulär ausgeschlossen werden. die
als volkswirtschaftlich überflüssig und schädlich erscheinen, indem sie
im Wirtschaftsleben des Landes keinerlei nützliche Funktion erfüllen,
sondern bloss privatWirtschaftlichen Spekulationen dienen und dabei die
Wirtschaftsorganisation stören, insbesondere durch Herbeil'ührung von
Preissteigerungen allgemein nachteilig'wirken. Him-unter aber fällt der
Geschäftsbetrieb der Kassationskiäger in seinem ganzen, vom kantonalen
Richter herüeksichtigten Umfange. Illegitim und irregulär war es vor
allem, wenn die Kassationskläger Waren, namentlich Speisefette, in grossem
Massstabe durch Aufkäufer in Detailgeschäften zusammenkaufen liessen. Denn
diese Waren hätten gemäss ihrer schon erfolgten Bereitstellung zur Abgabe
an die Konsumenten unmittelbar in den inländischen Konsum übergehen
sollen und-sind durch den Auikaut seitens der KaSsationskläger
dieser Zweck-bestimmung entfremdet worden. Sie derart aus der
Verteilungsorganisation wieder heraüszuziehen, war volkswirtschaftlich
nicht nur nutzlos, sondern schädlich. Ebenso erweisen sich ohne weiteres
als illegitim und irregulär die Einkäufe yon Klau selware, da diese als
solche nur für den inländischen Konsum bestimmt war, Während

AS l uns H-

210 sinkt-ecki-

die Kassatinnskläger sie erwerben, um sie dem Export zuzuführen. Ferner
aber waren, ohne Rücksicht auf die Art. des Einkaufes und die
ursprüngliche Bestimmung der Wäre, illegitim und irregulär auch
diejenigen Einkäufe, deren Ware an inländische Firmen, die als Schieber
zu qualifizieren sind, weiter gegeben wurde. Denn der Schieber ist unter
allen Umständen, mag er für den Export arbeiten (was wohl die Regel sein
wird) oder nicht, ein volkswirtschaftlich nicht nur nutzloser, sondern
geradezu schädlicher Zwischenbändler, und wer einge-kauft-e Ware an
einen solchen weiterverkaui't, tritt damit selber in die Schieberreihe
ein. Als einem gewöhnlichen Gesehäftshedürfnis entsprechend könnten
somit vorliegend höchstens Geschäfte mit Einkauf der Ware bei Grossfirmen
und direktem Weiterverkauf an ausländische Einkaufsstellen in Frage
kommen. Allein abgesehen davon, dass solche Geschäfte in den Akten
nirgends ausgeschieden, insbesondere von den Kassationsklägern selbst
nicht namhaft gemacht worden sind, kann es sich dabei nach der ganzen Art
des streitigen Geschäftsbetriehes, der durch die systematische Benutzung
aller Gelegenheiten zu Sammeleinkäufen mit Spekulation in der Richtung
des Exportes gekennzeichnet wird, doch wohl nur um zufällige Erscheinungen
handeln, denen ein Ausnahmecharakter umso weniger beigelegt werden darf,
als die mitschaitliehe Notwendigkeit ode1 wenigstens utzhchkeit auch
dieser Einschiehung der Kassations-klager zwischen inländische Grossfiimen
und die im Inlande e1nge11chteten ausländischen Einkaufsstellen nicht
dargeta'n ist.

Nun Wenden die KassatiOnSklägei in diesem Punkte ein, ih1e Geschäfte
seien durch die Kompensationsund Ausfuhrpolitik der Bundesbehm den
gewissermassen legitimieit werden. Es habe in der betreffenden Zeit
entgegen dei 'gegenteiligen Feststellung der kantonalen Instanzen,
die einer bei den Akten liegenden Auskunft der OberzolldirektiOn
widersprechein der Schweiz

Kriegsverordnungen über die Lebensmitt'clversorgung. N° 31. 211

kein Mangel an speise-fett geherrscht. Vielmehr seien damals zu
Kompensationszweeken und auf Grund von staatlichen Abkommen bedeutende
Mengen Fett zur Ausfuhr nach Oesterreich und Deutschland freigegeben
worden. Speziell die österreichische Einkaufsstelle habe vom Dezember 1915
bis zum Mai 1916 Ausfuhrbewilligungen für 50 Tonnen 'Schweinesclnnalz
und 418 Tonnen Fett erhalten. Dadurch-seien Teile des in der Schweiz
vorhandenen Fettes für die Ausfuhr bestimmt worden, und zwar, um dadurch
andere notwendige Bedarfsartikcl heie.inzubekommen Die inkriminierte
Geschäftstätigkeit habe dann bestanden, dieses Fett der Ausfuhr,
also seiner Bestimmung, näher zu bringen , sie sei eine Reaktion
der Kompensaticnsabkommen und aus dem Kornpensationsgesichtspunkte
volkswirtschaftlich nützlich gewesen. Diese Argumentation geht fehl. Die
Kassationskläger hatten, wie das appellationsgerichtliche Urteil mit
Recht sagt, im Zeitpunkte ihrer Einkäufe keine Ausfuhrbe-Williguugen
für die eingekauite Ware und wussten nicht, ohsolche erteilt
Würden, sondern liessen es einfach darauf ankommen, ob die Ausfuhr
dieser Waren schliesslich möglich sein, werde. Wenn auch durch die
Ausiuhrzu-Sicherungen zu Kompensationszwecken in den Abkommen mit
auswärtigen Staaten ein ideeller Teil des War-enthstandes in der Schweiz
zur Ausfuhr bestimmt werden mochte, so lag darin doch keineswegs die
Erlaubnis für die inländische Handelsweit, die Ausscheidung dieses Teils
in der von den Kassationsklägern praktizierte-n Weise vorzunehmen. Denn
zur Ausfuhr waren die bereits in die inländischen Detaiigeschäftc
gelangten, sowie die klauselgemäss dem Inlandskonsuin vorbehaltenen
Waren gewiss nicht bestimmt. Auch vermag der Ausfuhrzweck die Betätigung
des Schieherbandels schlechterdings nicht zu rechtfertigen, und selbst
die direkte VVarenverniittluug der KassationSkläger an ausländische
Ei]:kaufsstelien in. der Schweiz darf unbedenklich als wirtschaftlich
überflüssiger Zwischenhandel angesprochen

212 Strafrecht.

werden, dadiese Einkaufsstellen'doch wohl in der Lage gewesen Wären,
sich die zur Ausfuhr bewilligten Warenmengen unmittelbar von den in
Betracht fallenden Lieferanten zu beschaffen, sofern ihnen dieser reguläre
Handelsweg eben nicht durch das e Schiebertum .verlegt werden wäre. Es
ist deshalb unerheblich, ob zur Zeit der inkriminierten Einkäufe in
der Schweiz Mangel an Speisefett herrschte. Zudem erweist sich diese,
auf die Aussagen von Sachverständigen in einem andern Strafprozesse
(Ritter und Ramp) gestützte Feststellung des kantonalen Richters
keineswegs als ehren-widrigAus der dagegen angerufenen Auskunft der
Oberzolldirektion über die Einund Ausfuhr von Speisefetten u. dgl. in
den Jahren 1913, 1915, 1916 und zum Teil 1917 ergibt sich freilich, dass
die Einfuhr-Von 1915 /16 diejenigen von 1913 erheblich überstieg; doch
ist in der Auskunft selbst erläuternd auf den inländi'Schen Mehrbedarf
an Schweineschmalz zufolge der 'seit Kriegsbeginn stark reduzierten
Einfuhr von frischer Butter und des Ausfalls in der Fettgewinnung
beim Schlachten des aus dem Auslande bezogenen Viehs hingewiesen. Die
vergleichende Vürdigung jener Einfuhrzii'fern ist daher nicht geeignet die
fragliche Feststellung zwingend zu entkräften. Ferner hat der kantonale
Richter, speziell das Strafgericht, verbindlich festgestellt, dass die
enormen Aufkäufc der Kassationskläger nicht. ohne Einfluss auf die rapid
steigenden Detailfettpreise geblieben sind-. In dieser Tatsache der stark
preissteigernden Wirkung des inkriminierten Geschäftsbetriebe-s aber
zeigt sich deutlich dessen illegitimer und irregulärer Charakter. Die
Vorinstanzen haben demnach das Erfordernis erheblichen Uebersteigens
des gewöhnlichen Geschäftsbedürfnisses vorliegend ohne Rechtsirrtum als
erfüllt erachtet.

b) Bei der Auslegung des (im BRB vom 18. April 1916 wörtlich
beibehaltenen) subjektiven Erfordernisses der Absicht, aus einer
Preissteigerung geschäftlichen Gewinn zu ziehen , istdavon auszugehen,dass
sich duKriegsverordnungen über die; LebensmittelVersorgung. N° 31. 218 _

inassgebende Inhalt einer Bechtsvorschrift nicht sowohl danach bestimmt,
was bei ihrer Aufstellung gedacht worden ist, als vielmehr nach dem
darin objektiv zum Ausdruck gebrachten, ihrem immanenten Willen. Und zwar
ist der Richter für die Ermittlung dieses Willens auch auf dem Gebiete
des Strafrechts nicht auf die Würdigung des Wortlautes der Vorschrift
beschränkt, sondern darf über einen dem uni/erkennbaren Sinn nicht
Völlig entsprechenden Wortlaut hinaus auf diesen Sinn selbst abstellen;
nur darf er dabei nicht bis zu dem strafrechtlich allerdings verbotenen
Analogieschluss der Ableitung einer an sich neuen Vorschrift aus dem
Prinzip, das der bestehenden Vorschrift zugrunde liegt fortschreiten. ss
. -

Nach den Kassationsklägern hätte Art. 1 litt. c BBB vom 10. August 1914
nur die A uf sp e i c h e r ung von Waren im Auge und wäre deshalb auf
sie nicht anwendbar: Zu einer Preissteigerung brauche es einegewisse
Zeit ; folglich müsse die Absicht darauf gehen, diese Zeit abzuwarten
und dann mit Gewinn zu verkaufen, also unterdessen die gekaufte W'are
aufzuspeichern; wer es nicht auf solche Aufspeicherung abgesehen habe,
sondern exportiere oder doch auf die Ausfuhr hinarbeitv, wolle von der
Preisdiiferenz zwischen Inland und Ausland, nicht von der Preissteigerung
im Inland profitieren. Das aber sei bei ihnen der Fall gewesen.

Gegenüber diesem Standpunkt mag zugegeben werden, dass der Bundesrat
bei Aufstellung der in Rede stehenden Vel-ordnungsvorschrifssl;
vom 10. August 1914 zunächst an den Fall der Warenaufspeicherung
gedacht zu haben scheint. Das Kreisschreiben des Schweiz. Justiz- und
Polizeidepartements an die Kantonsregierungen vom gleichen Tage erwähnt
eingangs unter den Gründen, die zum Erlass der Verordnung geführt haben,
in der Tat, dass von Einzelnen und Verbänden Nahrungsmittel in Mengen
aufgespeichert werden, die deren Bedürfnisse weit übersteigen, und dass
auf Lebensmittelmärlcten

214 ' SLrafre'chtsi

gewisse Bedarfsgegenstände nicht mehr erhältlich sind (831 1914 IV
S. 40). Immerhin ist in der speziellen Erläuterung des Kreisschreibens
zu Art. l litt. 'c dannvon Aufspeicherung nicht mehr die Rede, sondern es
wird dort einfach gesagt (a. a. O., S. 42), dass das übermässige Aufkaulen
in gewinnsüchtiger Absicht geschehen sein müsse. Und namentlich verwendet
die Verordnungsbestimmung selbst den Ausdruck Aufspeicherung nicht. Ihr
Wortlaut steht also der im Urteil Lieblich (u.a.O.

S. 136) vertretenen Auffassung, dass die Absicht, aus einer
Preissteigerung geschäftlichen Gewinn zu ziehen, auch dann vorliegen
kann, wenn der Käufer die Ware ohne Aufspeicherung d. 11. so rasch
als möglich weiterVerkauft hat, nicht entgegen. Unter dem Preis im
Ausdruck Preissteigerung'ist der Marktpreis zu verstehen, zu dem
Waren, wie Lebensmittel und andere unentbehrliche Bedarfsgegenstände,
die einen solchen Preis haben, allgemein gehandelt werden und mit dem
daher der Spekulant naturgemäss rechnen muss. Nun ist allerdings ,bei
den gegenwärtigen desorganisierten Verhältnissen des Marktes dieser
Waren ein fester Marktprcis im normalen Sinne in weitem Umfang nicht
mehr vorhanden. Allein die unter solchen Verhältnissen vereinbarten
Preise beruhen gleichwohl auf einer, wenn auch unsicher-n, vielfach
rein subjektiven Abschätzung der Marktlage durch die Beteiligten und
können insofern immerhin als Markt-preise bezeichnet werden. Wenn
ein spekulativer Käufer von Lebensmitteln oder andern unentbehrlichen
Bedarfsgegenständen diese sofort zu einem höheren Preise wettet-verkaqu
so erklärt sich auch dieser höhere Preis aus der Annahme der Beteiligten,
dass die Ware nach der Marktlage im Momente des Geschäftsabschlusses
soviel wert sei, und es kommt darin somit eine Preissteigerung zum
Ausdruck. Tatsächlich haben denn auch solche Käufe zu höheren Preisen,
generalisiert gedacht, einen preissteigernden Einfluss auf die
Marktlage. Auch ein Käufer, der nicht aufspeichern, sondern so rasch als

iirng'eu-orsîmingm} fiber die Lebens-minelversorguug. NO 31. 215

möglich mit Gewinn weiter-verkaufen Wiz], spekuliert also darauf,
dass die Marktlage, so wie sich ihm darstellt, einen höheren Preis
erzielen lasse, d. h. auf eine Preissteigerung. Folglich kann,
angesichts des irregulären Marktes, mit dem man es hier zu tun hat,
die Absicht, aus einer Preissteigerung geschäftlichen Gewinn zu ziehen,
nichts anderessein,alsdie Spekulation aufdie Marktla g EUR. Sie aber
bedingt eine Aufspeicherung nicht notwendig, wenn sich hierin auch die
wesentliche Spekulationsabsicht am reinsten und typischsten ,kundgeben
mag. Diese Auffassung bedeutet keine unzulässige extensive Auslegung
des Verordnungstextes; gegenteils erscheint die Auslegung, welche eine
abwartende Warenaufspeicherung verlangt, als restriktiv, indem sie dem
einfachen Ausdruck Preissteigerung die engere Bedeutung von allgemeiner
Preissteigerung heilegt und die besonderen Verhältnisse des gegenwärtigen
Marktes der fraglichen Waren ausser Acht lässt, also jedenfalls dem Sinn
der Vorschrift nicht gerecht wird.

Na ch jener richtigen Auslegung ist aber die Anwendung der Vorschrift
auch beim Handel in der Richtung der Ausfuhr nicht grundsätzlich
ausgeschlossen. Gerade dieser Handel dürfte hauptsächlich den Markt
der-organisiert haben, indem darin in solchem Umfange höhere als die
dem Markte für den Inlandskonsum entsprechenden Preise, selbst reine
Phantasieund Willkür-preise, bezahlt worden zu sein scheinen, dass sogar
von einem besonderen Exportmarktpreis, neben dem Inlandskonsummark'tpreis
gesprochen wird. Eine Spekulation auf die Marktlage, im Sinne der Lage des
I n la n d sma rk t e s, wird zwar vielleicht dann nicht anzunehmen sein,
wenn der Käufer selber ausführen will, und es sich um reine Arbitrage,
d. 11. um die Ausnutzung der Preisdifierenz zwischen dem ausländischen
und dem inländischen festen Marktpreise, handelt. Doch ist diese Frage
hier nicht praktisch und kann daher oiken bleiben, da die Kassationskläger
feststehender-messen nicht direkt ausführen, son-

216 _ . Strafrecht;

dern, .wie sie tatsächlich vorgegangen sind, auf dem inländischen
Markt weiter-verkaufen wollten, wenn auch im Bewusstsein, dass die
umgesetzte Ware, sei es schon von ihrem Käufer, sei es erst von einem
späteren Erwerber, ausgeführt werden Würde. Diese Transaktionen der
Ka ssationskläger gehören also dem Inlandsmarkte an, und soweit das
Ausfuhrmoment dabei eine Rolle spielte, geschah es als preissteigendes
Moment a u f d c m I n la n d sm a r 11 t e. Der höhere Preis, den die
Kassationskläger erzielten und zu erzielen beabsichtigten, beruhte auf
einer Preissteigerung der Ware im Inland. Sie .spekulierten somit, wenn
auch unter Berücksichtigung des Ausfuhrmomentes, auf die in l ä n d i
s c h e M ar k tl a g e, speziell auf die Lage des Exportmarktes, der,
im Sinne der erwähnten Unterscheidung, zusammen mit dem Konsummarkte
und in Wechselwirkung zu ihm den Inlandsmarkt bildet. Mit dieser näheren
Präzisierung ist, auch was den Handel in der Exportrichtung betrifft,

an dem i. S. Lieblieh. (a. a. O., S. 136) eingenommenen

Standpunkte festzuhalten. Auch das in Rede stehende Tatbestandsmerkmal
triikt daher vorliegend zu. c) (Feststellung des dolus der
Kassationskläger) 4. (Uebei tietung des Alt./1 BRB vom 27. November 191 5)
Demnach affermi der Kassalionsliof:

Die Kassationsbeschwerden werden abgewiesen.

32; Urteil des Kassation'shofs vom 3. Dezember 1918 S. Piranian gegen
Staatsanwaltschafb Zürich..

A1L. 1 li tt; a BHV betr. Kriegswueher vom los-August 1914. : Begriff und
Bestimmung des Gewinns, (der den üblichen Geschèiftsgewinn übersteigt .

A. Mit Urteil vom 29. August 1918 hat das Obergerieht des Kantons Zürich
(III. Kammer) m Bestätigung des 'Entscheides der ersten Instanz die
heutigen Kassation'skläger Badwaga'n und Martiros Piranian, welehe

unter der Firma Gebrüder Piranian in Thalwil, wo sie s

Kriegsvererclnnngcn über die I ehensmiitelversorgunLi. N° 32 217

eingebürgert sind, ein. Kolonialwarengesehäft mit ursprünglich
Mittelund namentlich Kleinhandel betreiben, der Uebertretung von
Art. ilitt ._a der BundesratsVerordnung vom 10. August 1914 gegen die
Verteuerung von Nahrungsmitteln und unentbehrlichen Bedarfsgegenständen
(Verbot des Forderns von P1eisen für solche Gegenstände, diegegenühei
dem Ankaufspreiseinen Gewinn ergeben _Wiirdesin, der den üblichen
Geschäftsgewinn übersteigt), sowie von Art. 1 _liit. (: des zugehörigen
Bundesratsheschlusses vom 18. April 1916 (Verbot desAuikaufens
solcher Gegenstände, um sie, wenn auch. nur vorübergehend, ihrer
bestimmungsgemässen Verwendung zu entziehen und aus einer Preissteigerung
geschäftlichen Gewinn zu ziehen ) schuldig erklärt und verurteilt : -

Badwagan Piranian zu 14 Tagen Gefängnis und 4000 Fr. Geldhusse,

Martiios Piranian zu 8 Tagen Gefängnis und 2000 F. Geldbusse, .

beide Geldhussen für den Fall der Unerhältlichkeit binnen 3 Monaten
umgewandelt m je ein. Jahr Gefängnis

Das Vergehen nach Art. 1 litt. a BRV vom 10. August 1914 wurde eiblickt
in 7Giossumsätzen in Kaffee (je über 1000 kg, zusammen 27, 251 kg)
aus der Zeit vom 5112 und Api 11 1916 mit Binttogewinnen von 7, 2%
bis 13, 3 %, sowie in 2 Umsätzen in Saeharin (je ökg) vom Februar 1916
mit einem Bruttogewinn von 50 %, und das Vergehen nach Art. 1 litt. c
BBB vom 18. April 1916 in 9 GroSsgesehäften in Kaffee (je über 1000 kg,
zusammen 84,655 kg) aus der Zeit von Ende April bis Anfangs Juli 1916.

B. Gegen dieses Urteil haben die Gebrüder Piranian gemeinsam die
Kassationsheschwerde an des Bundesgericht ergriffen mit dem Antrag, dieses
wolle das Urteil aufheben und sie von Schuld und" Strafe freisprechen. _
C. Die Staatsanwaltsehaft des Kantons Zürich hat eine Besehwerdeantwort
nicht erstattet.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 44 I 204
Datum : 03. Dezember 1918
Publiziert : 31. Dezember 1919
Quelle : Bundesgericht
Status : 44 I 204
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 204 Strafreeiltsi HI. KRIEGSVERORDNUNGEN ÜBER DIE LEBENSMITTELVERSORGUNG ORDONNANCES


Gesetzesregister
OG: 172
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
ausfuhr • butter • busse • spekulation • monat • speisefett • vorinstanz • kassationshof • tag • verurteilter • wille • menge • transaktion • unternehmung • entscheid • basel-stadt • frage • bundesgericht • kaffee • bedingung
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