S. 302 / Nr. 50 Staatsverträge (d)

BGE 58 I 302

50. Urteil vom 7. Oktober 1932 i. S. Schuler gegen Schwyz Justizkommission.

Regeste:
Vollstreckungsbewilligung für ein österreichisches Urteil über eine
persönliche Ansprache, das gegen einen in der Schweiz wohnhaften
aufrechtstehenden Schuldner auf Grund vertraglicher Unterwerfung unter den
betr. Gerichtsstand ergangen ist. Aufhebung gestützt auf Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV wegen
Nichtigkeit

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der Prorogation gemäss Art. 11 des Handelsreisendengesetzes. Geltung der
letzteren Vorschrift mit rückwirkender Kraft selbst für vor Inkrafttreten des
Gesetzes geschlossene bezügliche Vereinbarungen auch gegenüber Art. 2 Ziff. 2
des schweizerisch-österreichischen Vollstreckungsvertrags vom 15. März 1927.

A. - A. Schuler, Sägereibesitzer in Alptal Kanton Schwyz, hat laut
Bestellschein vom 15. Juni 1930 bei der Firma A. Kranner,
Kommanditgesellschaft in Wien, sechs Hemden und zwei Hosen bestellt, dann aber
die Sendung nicht angenommen. Gestützt auf die Bestimmung im Bestellschein
«Beide Parteien unterwerfen sich dem sachlich zuständigen Gericht in Wien»
klagte die Firma A. Kranner den Kaufpreis mit 154 Fr. 50 Cts. beim
Bezirksgericht Wien-Neubau gegen A. Schuler ein. Dieser leistete der Vorladung
zur Verhandlung keine Folge, worauf am 26. Juni 1931 gegen ihn ein
Versäumnisurteil erging, das ihn zur Zahlung des geforderten Kaufpreises und
zur Tragung der Kosten verpflichtete. Die Firma A. Kranner suchte darauf bei
der Justizkommission des Kantons Schwyz um Vollstreckbarerklärung des Urteils
im Kanton Schwyz nach, unter Berufung auf den Vertrag zwischen der Schweiz und
Österreich über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen
vom 15. März 1927. Das Begehren wurde ein erstes Mal abgewiesen, weil gewisse
formelle Erfordernisse fehlten. Als es nach Hebung dieser Mängel wiederholt
wurde, erklärte die Justizkommission mit Beschluss vom 7. Mai 1932 das Urteil
als vollstreckbar.
B. - Gegen diesen Beschluss der Justizkommission hat A. Schuler beim
Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben und beantragt: «Es sei unter
Aufhebung des Beschlusses das Urteil des Bezirksgerichts Wien-Neubau vom 26.
Juni 1931 als nichtvollstreckbar zu erklären.» Es wird angebracht: Die
Bestellung sei durch zwei Reisende der Firma A. Kranner beim Beschwerdeführer
aufgenommen worden. Die im Bestellschein enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung
sei daher nach

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Art. 11 des Bundesgesetzes über die Handelsreisenden. dem nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtes rückwirkende Kraft zukomme, ungültig und
der Schuldner hätte gemäss Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV an seinem Wohnsitz eingeklagt werden
müssen.
C. - Die Beschwerdebeklagte Firma A. Kranner hat die Abweisung der Beschwerde
beantragt. Die Voraussetzungen des genannten Staatsvertrages für die
Vollstreckung des Wiener Urteiles in der Schweiz seien gegeben. Das
Bundesgesetz über die Handelsreisenden habe die Verpflichtungen aus dem
Staatsvertrag nicht einseitig einschränken dürfen und könne gegenüber einer
Vereinbarung, wonach ein österreichisches Gericht zuständig sein solle, nicht
angerufen werden. Das Gesetz sei zudem erst nach Abschluss der Vereinbarung
zwischen den Parteien erlassen worden, und es könne ihm rückwirkende Kraft
nicht beigelegt werden, wofür auf ein Urteil der 4. Kammer des Obergerichtes
Zürich vom 21. April 1932 in Sachen Südtrikot gegen Cassini verwiesen wird.
Die Justizkommission des Kantons Schwyz erklärt, sie habe die
Vollstreckbarkeit des Wiener Urteils gemäss den Bestimmungen des erwähnten
Staatsvertrages ausgesprochen und überlasse es dem Bundesgericht zu
entscheiden, ob das Bundesgesetz über die Handelsreisenden auch auf
Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Schweizern und ausländischen
Kleinhandelsreisenden anwendbar sei und rückwirkende Kraft besitze.
Das Bundespericht zieht in Erwägung:
Art. 11 des Bundesgesetzes über die Handelsreisenden vom 4. Oktober 1930, in
Kraft getreten am 1. Juli 1931 erklärt Vereinbarungen mit
Kleinhandelsreisenden, die beim Aufsuchen von Bestellungen abgeschlossen
werden und wodurch der Käufer auf seinen ordentlichen Gerichtsstand
verzichtet, für nichtig und verpflichtet den Richter diese Nichtigkeit von
Amtes wegen zu berücksichtigen. Nach Fassung und Zweck der Bestimmung kann
kein

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Zweifel darüber bestehen, dass sie sich grundsätzlich auf alle Vereinbarungen
solcher Art bezieht, die in der Schweiz abgeschlossen werden, auch auf
diejenigen mit dem Reisenden eines ausländischen Geschäftes. Dass es sich bei
der heute in Betracht kommenden Gerichtsstandsklausel um eine Abrede handelt,
die im übrigen, sachlich unter die angeführte Vorschrift fällt, ist nicht
bestritten und zudem nicht zweifelhaft. In wiederholten Entscheidungen hat das
Bundesgericht ferner erkannt, dass dem damit aufgestellten Grundsatze
rückwirkende Kraft zukommt und er infolgedessen auch die vor dem Inkrafttreten
des Gesetzes getroffenen Vereinbarungen erfassen muss (vgl. die Urteile in
Sachen Finkelmann gegen Berger vom 6. Mai, in Sachen Kaufmann gegen
Union-Kassenfabrik vom 27. Mai und in Sachen Cassini gegen Südtrikot vom 1.
Juli 1932, durch welches der von der Beschwerde beklagten angerufene Entscheid
des zürcherischen Obergerichtes aufgehoben worden ist). Da der Streit vor dem
Bezirksgericht Wien-Neubau eine persönliche Ansprache betraf, der Rekurrent in
der Schweiz wohnhaft und aufrechtstehend ist und Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV nach feststehender
Rechtsprechung auch gegenüber der Vollstreckung des Urteils eines
ausländischen Gerichtes gilt, muss demnach der angefochtene Entscheid der
Justizkommission wegen Verletzung dieser Verfassungsgarantie aufgehoben
werden, falls nicht etwa die Schweiz kraft einer von ihr eingegangenen
internationalen Bindung zur Anerkennung des als vollstreckbar erklärten
Urteils verpflichtet war. Eine solche Bindung will die Beschwerdebeklagte im
schweizerisch- österreichischen Vollstreckungsabkommen vom 1,5. März 1927
erblicken. Indessen zu Unrecht! Wenn hier die Berufung auf den Wohnsitzrichter
für den Fall ausgeschlossen wird, dass der Beklagte sich durch eine
ausdrückliche Vereinbarung der Zuständigkeit des Gerichtes unterworfen hat,
das in der Sache erkannt hat, so ist dabei das Vorliegen eines gültigen darauf
gerichteten Vertrages, d. h. der Bedingungen vorausgesetzt, welche

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für das Zustandekommen einer rechtlich verbindlichen Willenseinigung allgemein
erforderlich sind. Es kann daher auch einem Vertragsstaate trotz des
Vollstreckungsabkommens nicht verwehrt sein, auf seinem Gebiet getroffenen
derartigen Abreden durch seine interne Gesetzgebung allgemein die Anerkennung
zu versagen, falls sie unter gewissen besonderen, näher umschriebenen
Umständen zustandegekommen sind, welche die Erwirkung der Prorogation als
gegen die guten Sitten verstossend erscheinen lassen, wie es durch Art. 11 des
Handelsreisendengesetzes geschieht. Nach der Erfahrung wären die hier
erwähnten Vereinbarungen zudem in der Regel ohnehin schon wegen Betruges oder
Irrtums anfechtbar. Wen die angeführte Gesetzesvorschrift diese Regel zu
unumstösslicher Vermutung erhebt. so ist die Einschränkung welche das
Anwendungsgebiet von Art. 2 Ziff. 1 des Vollstreckungsabkommens vom 15. März
1927 so erfährt, zu unbedeutend, als dass dadurch das Gleichgewicht der
beiderseitigen Verpflichtungen aus dem Staatsvertrage, das auf diesem Gebiete
so wie so nie ein vollkommenes sein kann, wesentlich gestört zu werden
vermöchte und von einer Missachtung desselben gesprochen werden könnte. Aus
demselben Grunde erscheint der Staatsvertrag auch dadurch nicht als verletzt,
dass der fraglichen Gesetzesbestimmung die rückwirkende Kraft beigelegt wird,
die ihrer Natur und ihrem Zwecke entspricht.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss der Justizkommission des
Kantons Schwyz vom 7. Mai 1932 aufgehoben und das Urteil des Bezirksgerichtes
Wien Neubau vom 26. Juni 1931 als nicht vollstreckbar erklärt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 58 I 302
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 07. Oktober 1932
Quelle : Bundesgericht
Status : 58 I 302
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Vollstreckungsbewilligung für ein österreichisches Urteil über eine persönliche Ansprache, das...


Gesetzesregister
BV: 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BGE Register
58-I-302
Stichwortregister
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