S. 280 / Nr. 47 Bekämpfung der Tuberkulose (d)

BGE 58 I 280

47. Urteil des Kassationshofs vom 26. September 1932 in Sachen
Bundesanwaltschaft gegen Käch.

Regeste:
Art. 9 BG vom 13. Juni 1928 betreffend die Massnahmen gegen die Tuberkulose:
Begriff des Geheimmittels. Erw. 2 und 4. Art. 44 Vollz. Verordnung vom 20.
Juni 1930 zum Tuberkulosegesetz: Gesetzmässigkeit. Erw. 3.

A. - Der Kassationsbeklagte ist Leiter der Kakus-Werke in Solothurn, die sich
mit der Herstellung und dem Vertrieb der Heilsalben und Spezialitäten der Frau
Wetterwald sel. von Biberist befassen. Im Prospekt der Kakus-Werke empfahl er
u. a.: «Kakus-Thee. Spezielle Mischung wie Blutreinigungstee, Tee gegen
Lungenleiden, Nieren- und Blasenleiden, Wassersucht, Magen leiden, Gelbsucht,
Nervosität, Husten und Heiserkeit, Rheumatismus und Gicht, Appetitlosigkeit,
Schlaflosigkeit, Bettnässe. Auf Wunsch wird für jede Krankheit Tee nach
bewährten Rezepten hergestellt und billig berechnet». Angefügt sind Zeugnisse,
die u. a. betreffen

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Asthma, chronischer Lungen- und Luftröhrenkatarrh, Lungen- und
Kehlkopfkatarrh.
Wegen dieser Anpreisungen wurde gegen den Kassationskläger ein Strafverfahren
wegen Übertretung des Tuberkulosegesetzes und der Tuberkuloseverordnung ein
geleitet. Das Richteramt Solothurn-Lebern verfügte, es sei der Strafanzeige
keine Folge zu geben; und das Obergericht des Kantons Solothurn bestätigte auf
Beschwerde hin diesen Entscheid.
B. - Dagegen erhebt die Bundesanwaltschaft rechtzeitig und formrichtig die
Kassationsbeschwerde ans Bundesgericht.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Die Bundesanwaltschaft hat nach Ablauf der Beschwerdefrist ein
baselstädtisches Strafdossier eingelegt, wonach der Kassationsbeklagte wegen
Übertretung des Tuberkulosegesetzes zu Busse verurteilt worden ist. Dieser
Dossier darf berücksichtigt werden. Dem Bundesgericht steht es frei, in den
aus dem einen Kanton an es gelangenden Straffällen Akten über konnexe oder
verwandte Straffälle aus andern Kantonen beizuziehen.
2.- Art. 9 BG vom 13. Juni 1928 betreffend Mass nahmen gegen die Tuberkulose
verbietet die Ankündigung, die Feilhaltung und den Verkauf von Geheimmitteln
zur Behandlung der Tuberkulose. Art. 44 der Verordnung vom 20. Juni 1930 zu
diesem Gesetz bestimmt:
«Als Geheimmittel im Sinne von Art. 9 des Gesetzes gelten alle Stoffe,
Stoffmischungen, einfachen oder zusammengesetzten Präparate -, die zur
Verhütung oder Behandlung der Tuberkulose angepriesen werden und deren Natur,
Zusammensetzung und Herstellungsart nicht bekannt oder deren Wirkung nicht in
wissenschaftlich einwandfreier Weise nachgewiesen ist. Unmassgeblich ist
dabei, ob die Tuberkulose in der Anpreisung als solche oder mit einem ihrer
Symptome (Lungenschwindsucht, Auszehrung, Bluthusten, chronischer
Lungenkatarrh, Drüsen. Knochenfrass, Skrofulose usw.) bezeichnet ist.»

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Unter «Stoffen, Stoffmischungen, einfachen und zusammengesetzten Präparaten»
sind auch rein pflanzliche, nicht nur chemische Präparate, somit auch
Teekräuter und Mischungen von solchen, roh oder verarbeitet, zu verstehen. Die
Natur, Zusammensetzung- und Herstellungsart solcher Teepräparate ist dann
nicht bekannt, wenn sie für den Verbraucher nicht offensichtlich und im
Prospekt oder auf der Verpackung und dergleichen nicht angegeben ist. Ob der
Fachmann sie bestimmen könne, ist dabei entgegen der Annahme der Vorinstanz
(die sich auf einen Bericht der Hirschapotheke in Solothurn stützte)
unerheblich.
Diese Bedingungen, die für sich allein schon ein Präparat zum Geheimmittel im
Sinne von Art. 44 VO machen, werden von dem vom Kassationsbeklagten
angepriesenen Kakustee erfüllt. Es kommt dazu, dass nach den verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz auch «seine Wirkung nicht in wissenschaftlich
einwandfreier Weise nachgewiesen ist», was auch für sich allein genügt, um ein
angebliches Heilkraut zum Geheimmittel zu machen.
3.- Die Annahme der Vorinstanz, dass der Kakus-Tee kein Geheimmittel im Sinne
von Art. 44 VO sei, beruht also auf unrichtiger Auslegung dieser
Verordnungsvorschrift. Dass diese Vorschrift über den Gesetzesinhalt
hinausgehe, lässt sich nicht behaupten. Nach Art. 18 des Tuberkulosegesetzes
erlässt der Bundesrat die zur Durchführung des Gesetzes notwendigen
Ausführungsverordnungen. Die Tuberkuloseverordnung ist also von der
zuständigen Behörde erlassen. Dass in Ausführungsverordnungen des Bundesrates
für im Gesetze aufgestellte Begriffe Legaldefinitionen aufgestellt werden
dürfen, wenn das im Interesse der Gesetzesvollziehung und der Rechtssicherheit
liegt, entspricht einem allgemein anerkannten Grundsatz des schweizerischen
Bundesstaatsrechts. Wie weit in dieser Legaldefinition der Begriff des
Geheimmittels zu fassen war, hängt in erster Linie von

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gesundheitspolizeilichen Erwägungen ab, deren Überprüfung sich dem
Bundesgericht entzieht.
4.- Es bleibt noch zu prüfen, ob der Kakus-Tee als Mittel «zur Behandlung der
Tuberkulose» angepriesen worden sei. Die Anklagebehörden haben das angenommen,
und zwar mit Recht. Denn angepriesen wurde er ausdrücklich als Mittel gegen
Lungenleiden. Unter solchen versteht man aber im gewöhnlichen Sprachgebrauch
die Lungentuberkulose; jedenfalls umfassen die Lungenleiden auch die
Lungentuberkulose. Dass es auf den gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht ankomme,
lässt sich schlechterdings nicht behaupten. Das Verbot des
Geheimmittelvertriebs soll doch das Publikum vor Produkten schützen, die
angeblich die Tuberkulose heilen sollen, ohne diese Wirkung zu haben. Dann
aber kommt es darauf an, ob das Publikum die Anpreisung eines Produktes so
versteht, dass dieses tuberkulöse Erkrankungen zu heilen vermöge.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Kassationsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts des
Kantons Solothurn vom 7. April 1932 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz
zurückgewiesen zur Eröffnung des Strafverfahrens.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 58 I 280
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 26. September 1932
Quelle : Bundesgericht
Status : 58 I 280
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 9 BG vom 13. Juni 1928 betreffend die Massnahmen gegen die Tuberkulose: Begriff des...


BGE Register
58-I-280
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