S. 268 / Nr. 44 Eisenbahnrecht (d)
BGE 58 I 268
44. Auszug aus dem Urteil vom 22. September 1932 i. S. S. B. B. gegen Aargau.
Regeste:
1. Streitigkeiten zwischen Bund (SBB) und Kantonen über
Entschädigungsforderungen nach Art. 16, Abs. 1 des Eisenbahngesetzes werden
vom Bundesgericht im direkten verwaltungsrechtlichen Prozess nach Art. 17 ff.
VDG beurteilt.
2. Wenn öffentliche Werke des Staates oder der Gemeinden bestehende
Bahnanlagen durchkreuzen müssen, so hat die
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Bahnunternehmung die Inanspruchnahme der Bahnanlagen für die Durchleitung
unentgeltlich zu gestatten und allfällige Aufwendungen für einen infolge des
neuen Werkes notwendig gewordenen vermehrten Bahnschutz selbst zu tragen.
Einen Beitrag der Bahn an die Kosten der Errichtung des neuen Wertes statuiert
die Eisenbahngesetzgebung dagegen nicht.
A. - Im Jahre 1929 hat der Kanton Aargau eine Korrektion des Holzbaches, eines
linksseitigen Zuflusses der Bünz, im Zusammenhang mit der Bünzkorrektion von
Wohlen bis Dottikon (III. Abschnitt) durch geführt laut Dekret des Grossen
Rates vom 19. Mai 1925. Die Kosten der Holzbachkorrektion waren auf 240000 Fr.
veranschlagt worden. Dem Kanton war eine Bundessubvention von 80000 Fr.
(331/3%) zugesichert worden; 25% der Kosten wurden vom Kanton übernommen, 41
2/3% sollten von den beteiligten Gemeinden gedeckt werden unter Beizug der
interessierten Grundeigentümer (§§ 4 und 9 des Dekretes).
Vor der Korrektion kreuzte der Holzbach die Bundesbahnlinie Dottikon-Wohlen
(aargauische Südbahn) bei Km. 70,010. Durch die Korrektion kam die Kreuzung
des Bahnkörpers, ein gewölbter Betondurchlass von 3 m lichter Weite, auf Km.
69.325, südwestlich des bisherigen Durchlasses zu liegen. Das erforderliche
Brückenprovisorium wurde, auf Auftrag des Wasserbauamtes des Kantons Aargau
vom 23. Mai 1929 hin, von den SBB errichtet, wobei sich die Baudirektion des
Kantons Aargau die Erörterung der Kostenverteilung vorbehalten hatte
(Schreiben vom 27. Juni 1929).
Die SBB haben dem Wasserbauamt des Kantons Aargau für die Ein- und Ausbau der
Notbrücke anlässlich der Erstellung der Holzbachbrücke am 23. Dezember 1929
Rechnung gestellt... Die Baudirektion des Kantons Aargau verweigert die
Zahlung, um die massgebenden Rechtsverhältnisse auf dem Prozesswege
feststellen zu lassen.
B. - Mit Klage vom 20. Januar 1932 belangt deshalb die Kreisdirektion II der
SBB den Kanton Aargau auf
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Bezahlung von 5061 Fr. 45 Cts. nebst Zins zu 5% seit dem 23. Dezember 1929,
unter Kostenfolge.
Der Regierungsrat des Kantons Aargau beantragt Abweisung der Klage unter
Kostenfolge. Die Verpflichtung der SBB, die eingeklagten Kosten der Notbrücke
für die Holzbachkorrektion selbst zu übernehmen, ergebe sich aus § 9 der
Südbahnkonzession, die auf die SBB übergegangen sei, wenn man davon ausgehe,
dass die Bachkorrektion als Verlegung eines bestehenden Wasserlaufes zu gelten
habe, somit für die Bahn nur den Ausbau eines alten Durchlasses bedeute.
Betrachte man dagegen den Durchlass als ein neues, erst nach Errichtung der
Bahn erstelltes Bauwerk, so seien die Kosten der Notbrücke, als einer
Vorrichtung zum Schutze der Bahn und ihres Betriebes, nach Art. 15 des
Bundesgesetzes über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen auf dem Gebiete der
schweizerischen Eidgenossenschaft, vom 23. Dezember 1872, (EG) von der
Bahnunternehmung zu tragen. Schliesslich habe der Kanton auch unter dem
Gesichtspunkt einer Kostenverteilung zwischen ihm und der Bahn mit der
Übernahme der Kosten der definitiven Brücke mehr gleistet, als dem ihm
allenfalls obliegenden Anteil am Gemeinschaftsbau entsprechen würde...
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Zuständigkeit des Bundesgerichtes ist gegeben sowohl nach Art. 48 ,
Ziff. 1 OG als auch nach Art. 17, Abs. 1 VDG. Unter Art. 48 , Ziff. 1 OG fällt
die Streitigkeit als eine zivilrechtliche in dem besonderen Sinne, der ihm in
ständiger Praxis beigelegt wurde, unter Art. 17 VDG, weil sie einen
vermögensrechtlichen Anspruch des Bundes aus dem öffentlichen Recht betrifft
(vgl. KIRCHHOFER, Verwaltungsrechtspflege S. 78 ff.), was aus Art. 18, lit. c
VDG in Verbindung mit Art. 50 , Ziff. 2 OG geschlossen werden muss. Wenn
nämlich nach Massgabe dieser Vorschriften die Beurteilung von
Entschädigungsforderungen der Bahnverwaltung an Private, deren Werke das
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Bahngebiet kreuzen (Art. 15, Abs. 2 EG) dem Bundesgericht als
Verwaltungsgericht zugewiesen wird, so müssen erst recht Streitigkeiten
zwischen der Bahn und Kantonen über Entschädigungsforderungen aus Art. 15,
Abs. 1 EG als verwaltungsrechtliche gelten. Für das Verfahren vor
Bundesgericht ist diese Charakterisierung insofern von Bedeutung, als sie die
Verweisung der Streitsache in den direkten verwaltungsrechtlichen Prozess nach
sich zieht (KIRCHHOFER, a.a.O. S. 90 f.).
2.- Der Kanton Aargau ist Unternehmer der Holzbachkorrektion und deshalb
grundsätzlich Träger der damit verbundenen Kosten. Die Notbrücke im Bahndamm,
welche die Bundesbahnen auf Veranlassung der aargauischen Behörden errichtet
haben, ist durch die Bachkorrektion notwendig geworden und bildet einen Teil
der Korrektionsarbeiten. Deren Kosten fallen daher grundsätzlich, als Kosten
der Bachkorrektion, dem Unternehmer zur Last. Allgemeine Gesichtspunkte, die
eine andere Lösung rechtfertigen würden, sind von den Parteien nicht geltend
gemacht worden. Der Beklagte glaubt zu Unrecht, dass Billigkeitsgründe,
besonders die Verteuerung der Bachkorrektion durch die Durchquerung der
Bahnanlage und die Belastung der Baurechnung durch die Kosten des definitiven
Durchlasses durch den Bahndamm, dazu führen müssten, dass die Bahnunternehmung
wenigstens die Kosten der provisorischen Brücke auf sich nehme. Dass ein
bestehendes Werk, hier eine Bahnanlage, die Errichtung eines neuen Werkes
erschwert und verteuert, ist für sich allein kein genügender Grund dafür, der
Bahn einen Teil der Kosten des ihre Anlagen kreuzenden neuen Werkes zu
überbinden. Unter diesem Gesichtspunkte könnte übrigens wohl nur eine
anteilsmässige Beteiligung der Bahn am Brückenbau in Frage kommen, nicht aber
eine Belastung der Bahn mit den Kosten einer speziellen, den Brückenbau
betreffenden Teilarbeit. Jedenfalls lässt sich die Stellungnahme des Beklagten
mit solchen allgemeinen Erwägungen nicht rechtfertigen.
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3.- Aber auch aus den speziellen Bestimmungen der Eisenbahngesetzgebung und
der massgebenden Bahnkonzession ist die Abwälzung der Kosten der Notbrücke im
Bahndamm vom Unternehmer der Bachkorrektion, der sie grundsätzlich zu tragen
hat, auf die Bahnunternehmung nicht zu begründen.
Allerdings schafft Art. 15, Abs. 1 EG Ausnahmeverhältnisse in Fällen, in denen
öffentliche Werke des Staates oder der Gemeinden die Bahnanlagen durchkreuzen
müssen. Er befreit jene öffentlichen Unternehmer von gewissen Lasten, die sie
sonst nach allgemeinen Grundsätzen zu tragen hätten und die privaten
Unternehmern auferlegt werden können, wenn sie Bahnanlagen für ihre Werke in
Anspruch nehmen (Art. 15, Abs. 2 EG). Eine Beteiligung der Bahnunternehmung an
den Kosten der Errichtung des neuen Werkes statuiert er aber nicht. Es wird
darin lediglich angeordnet, dass die Bahn keine Entschädigung beanspruchen
darf für die Benützung ihres Grund und Bodens («Überschreitung ihres
Eigentums») und sodann für einen allfälligen, infolge der Durchleitung
notwendig gewordenen vermehrten Bahnschutz. Das Gesetz nennt neue
Bahnwärterhäuschen, Anstellung von Bahnwärtern, sowie alle übrigen zum Schutze
der Bahn und ihres Betriebes nötigen Vorkehrungen. Diese besonderen Kosten,
die für die Bahn Mehraufwendungen bedeuten im Vergleiche zu denjenigen, die
der bisherige Zustand bedingte, fallen der Bahn allein zur Last. Die Bahn hat
keinen Anspruch auf Ersatz dieser Kosten und muss vor allem die Durchleitung
ohne Entschädigung gestatten, auch wenn ihr dadurch vermehrte Lasten für den
Bahnschutz erwachsen. Dass es sich dabei nicht um die Kosten handelt, die die
Errichtung des Werkes mit sich bringt, ergibt sich, abgesehen von der
Formulierung der Bestimmung, die schon ihrem Wortlaut nach auf den Zustand
abstellt, wie er nach Erstellung des Werkes «geworden» ist, auch aus den
angeführten Fällen: Bahnwärterhäuschen und vermehrte Bahnbewachung werden
notwendig
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durch die Erstellung neuer Strassen, den Fall, der bei Erlass des EG in erster
Linie in Betracht zu ziehen war. Sie setzen den Bestand der neuen Strasse und
ihre Übergabe an den Verkehr voraus. Erst damit werden die genannten
Vorkehrungen notwendig. Das nämliche soll nach Gesetz gelten für die «übrigen
Vorkehrungen zum Schutze der Bahn und ihres Betriebes», also allgemein für
alles, was unter den nämlichen Voraussetzungen, also infolge der veränderten
Verhältnisse notwendig geworden ist. Die Kosten der Veränderung selbst und was
damit zusammenhängt können darunter nicht verstanden werden.
Auch die Konzession für den Bau und Betrieb der aargauischen Südbahn, vom 3.
Mai 1872, bietet keine Grundlage für den Standpunkt der beklagten Partei. § 9
der Konzession, auf den sich der Beklagte beruft, regelt die Verhältnisse beim
Bau der Bahn. Er belastet die Bahn mit sämtlichen Kosten der infolge des Baues
not wendigen Veränderungen. Er kommt hier nicht in Frage. Denn die Korrektion
des Holzbaches hat zur Erstellung eines neuen Bachbettes und damit eines neuen
Durchlasses durch den bestehenden Bahnkörper geführt. Die Kosten eines solchen
neuen Bauwerkes fallen nach § 11 der Konzession ausschliesslich dem Staate,
bezw. den allfällig beteiligten Gemeinden zur Last, sind also nicht von der
Bahnunternehmung zu tragen. Ob der Bahn auf Grund von § 9 der Konzession ein
Teil der Kosten eines Brückenausbaus hätte belastet werden dürfen, wenn die
Korrektion unter Weiterbenützung des bestehenden Durchlasses durchgeführt
worden wäre und lediglich dessen Anpassung an die durch die Korrektion
geschaffenen Verhältnisse bedingt hätte, ist nicht zu erörtern. Auch wenn es
der Fall wäre, liesse sich daraus nicht ableiten, dass die Bahn an die Kosten
eines neuen Durchbruches durch den Bahnkörper beizutragen hätte.
Die Einwendungen, mit denen der Kanton Aargau die grundsätzlich berechtigte
Forderung der Klagpartei ab lehnt. sind demnach unbegründet.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird begründet erklärt. Der Kanton Aargau wird verurteilt, dem
Kläger 5061 Fr. 45 Cts. nebst Zins zu 5% seit 23. Dezember 1929 zu bezahlen.