S. 596 / Nr. 98 Versicherungsvertrag (d)

BGE 57 II 596

98. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. November 1931 i. S. "Guardian" gegen
Gut und Bernheimer.


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Regeste:
Aufwertung von zum schweizerischen Versicherungsbestand einer
nordamerikanischen Lebensversicherungsgesellschaft gehörenden
Markversicherungen.

A. - In den Jahren 1905, 1906 und 1907 schlossen die Kläger, die damals noch
Deutsche waren, jedoch in Diessenhofen wohnten, mit der Beklagten gemischte
Lebensversicherungsverträge für die Dauer von 20 Jahren ab, und zwar der
Kläger Gut gegen eine Jahresprämie von 258.50 Mark mit einer
Versicherungssumme von 5000 Mark, der Kläger Bernheimer gegen Jahresprämien
von 514.50 und 518 Mark mit Versicherungssummen von zweimal 10000 Mark. Der
Abschluss wurde durch die Generalagentur der Beklagten in Zürich vermittelt
und Auszahlung der Versicherungssumme im Bureau der Beklagten in Zürich (bezw.
am kantonalen Domizil der Gesellschaft) vereinbart. Im Einverständnis der
Beklagten bezahlten die Kläger anfangs 1920 statt der künftigen Jahresprämien
einmalige Prämien von 1437.45 bezw. 2426.90 und 3324 Mark.
Als die Versicherungssummen fällig wurden - und wiederholt im Laufe des
nachfolgenden Prozesses -, bot die Beklagte den Klägern den in Anwendung der
deutschen Aufwertungsgesetzgebung im Aufwertungsverfahren vor dem
Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung festgesetzten Prozentsatz an,
nämlich zurückbezogen auf das Jahr 1924 18%, bezw. auf Ende 1930 23,6% der
Goldmarkprämienreserve.
B. - Mit den vorliegenden Klagen verlangten die Kläger ursprünglich
Verurteilung der Beklagten zur Bezahlung von 5000 Reichsmark (= Goldmark) an
den Kläger Gut, und 20000 Reichsmark (= Goldmark) an den Kläger Bernheimer, je
nebst Zinsen.

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Im Appellationsverfahren hielten die Kläger ihre Klagen nur noch in den
Beträgen von (Gut) 2821 bezw. (Bernheimer) 6168 und 5142 Reichsmark (=
Goldmark) aufrecht, welche Beträge den in Goldmark umgerechneten (von beiden
Parteien übereinstimmend angenommenen) Sollprämienreserven entsprechen.
C. - Das Obergericht des Kantons Zürich hat am 4. Juli 1931 die Klage des Gut
im Betrage von 940.35 Reichsmark (Goldmark) und die Klage des Bernheimer in
den Beträgen von 2056 Reichsmark (Goldmark) und 1714 Reichsmark (Goldmark)
nebst Zinsen zugesprochen, im übrigen die Klagen abgewiesen (diese Summen
machen je einen Drittel der am Schlusse von litt. B erwähnten aus).
D. - Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht
eingelegt mit den Anträgen auf Abweisung der Klagen, eventuell Rückweisung.
E. - Die Kläger haben sich der Berufung angeschlossen mit dem Antrag auf
Zusprechung der Klagen in dem vor der Vorinstanz noch aufrechterhaltenen
Umfange.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. - Weil die streitigen Versicherungsverträge in der Schweiz zu erfüllen
sind, gehören sie ungeachtet der Bestimmung des Leistungsgegenstandes in
fremder Währung zum schweizerischen Versicherungsbestande der Beklagten und
ist daher auf sie das schweizerische Recht anzuwenden (Art. 2 Ziff. 1 des
Bundesgesetzes von 1919 über die Kautionen der Versicherungsgesellschaften,
BGE 53 II S. 78 Erw. 1).
2. - Die Gründe, aus denen die zum schweizerischen Versicherungsbestande der
deutschen Gesellschaften gehörenden Versicherungsverträge in fremder
(insbesondere auch deutscher) Währung für die staatliche Hilfe nach dem
Bundesgesetz vom 8. April 1924 von der Aufwertung ausgeschlossen wurden (vgl.
Bundesblatt 1924 I S. 360 der deutschen und der französischen Ausgabe),
verleihen

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andern als deutschen Gesellschaften nicht das Recht, sich der Aufwertung der
zu ihrem schweizerischen Versicherunsbestande gehörenden Versicherungsverträge
in deutscher Währung zu entziehen. Durch die Rechtsprechung sind denn auch
bereits insbesondere schweizerische Gesellschaften zur Aufwertung von
Versicherungen in deutscher Währung verpflichtet werden (BGE 53 II S. 76; 57
II S. 368).
3. - Die Beklagte will sich nur derjenigen Aufwertung unterziehen, welche in
Anwendung der deutschen Aufwertungsgesetzgebung für ihren deutschen
Versicherungsbestand angeordnet worden ist. Trotz grundsätzlicher
Anwendbarkeit des schweizerischen Rechtes auf den streitigen
Versicherungsvertrag könnte die Massgeblichkeit der deutschen
Aufwertungsgesetzgebung daraus hergeleitet werden, dass ihr
währungsrechtlicher Charakter zuzuerkennen sei (wie es NUSSBAUM, Das Geld, S.
142 ff.; OBERMAYER in der Leipziger Zeitschrift für deutsches Recht 1925 S.
1212, das deutsche Reichsgericht, s. juristische Wochenschrift 1928 S. 1208,
NEUMEYER in der juristischen Wochenschrift 1928 S. 137, sowie NUSSBAUM, ebenda
S. 3145 tun). Allein als eigentliches, jede Schuld in früherer deutscher Mark
unmittelbar beherrschendes Währungsgesetz kann das deutsche Aufwertungsgesetz
nicht angesprochen werden, das zur Bestimmung der Leistungspflicht in neuer
Währung nicht auf ein fixes Verhältnis zwischen alter und neuer Währung
abstellt, sondern zunächst auf den Schuldgrund, ja bisweilen sogar auf die
persönlichen Verhältnisse des Schuldners, letzteres gerade für die Aufwertung
von Versicherungsansprüchen (vgl. REICHEL, Zeitschrift für schweizerisches
Recht 1929 S. 170 ff.). Anderseits ist in der bisherigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtes wiederholt die deutsche Aufwertungsgesetzgebung als lex
contractus herangezogen worden (BGE 51 11 S. 311; 54 II S. 318; 57 II S. 368).
Indessen erfassen die im deutschen Aufwertungsgesetz enthaltenen Bestimmungen
über die Aufwertung von Versicherungsansprüchen

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(§§ 59 ff.) nur Ansprüche aus solchen Versicherungsverträgen, welche von der
deutschen Versicherungsaufsichtsgesetzgebung ergriffen werden, was jedoch
nicht zutrifft bezüglich dem schweizerischen Versicherungsbestand einer
nordamerikanischen Gesellschaft. Hier würde also der Gesichtspunkt der lex
contractus versagen, um das deutsche Aufwertungsrecht in der Schweiz zur
Anwendung zu bringen; insbesondere würde er nicht etwa die Verneinung
jeglicher Aufwertung rechtfertigen, weil aus dem Fehlen deutscher Vorschriften
über die Aufwertung anderer Versicherungsansprüche nicht etwa geschlossen
werden darf, solche seien nach der deutschen Aufwertungsgesetzgebung nicht
aufwertbar, wie denn ja die deutschen Gerichte selbst deren Aufwertung nach
allgemeinen Grundsätzen vorzunehmen haben (vgl. MÜGEL, Note 1 zu § 59 des
Aufwertungsgesetzes, und S. 142, sowie Entscheidungen des Reichsgerichts in
Zivilsachen 118 S. 374/5).
4. - Ist also davon auszugehen, dass die Frage nach der Aufwertung
ausschliesslich vom schweizerischen Rechte beherrscht wird, so ist nach dem
Vorgang in BGE 53 II S. 76 für die Entscheidung, ob und inwieweit aufzuwerten
sei, einfach das Gebot des Handelns nach Treu und Glauben als massgebend zu
bezeichnen (Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB). Dass es durchgreife, wird nicht etwa durch den
formalen Charakter des Nennwertprinzipes gehindert (wie NUSSBAUM, a.a.O. S.
124/5 meint und auch das Bundesgericht z.B. bei Formvorschriften in ständiger
Rechtsprechung annimmt). Vom Schuldner, der angesichts der gesunden
Währungsverhältnisse in Mitteleuropa in der Zeit vor dem Kriege nicht im
Unklaren darüber sein kann, dass der Gläubiger (wie übrigens er selbst)
niemals daran gedacht hat, das Nennwertsprinzip könnte derart empfindliche
Entwertungen der geschuldeten Leistung bewirken, wie sie gegen das Ende des
Weltkrieges und nachher eingetreten sind; dass der Gläubiger vielmehr
abgelehnt hätte, die Gefahr einer solchen Entwertung einseitig auf sich zu
nehmen, darf

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füglich gesagt werden, er handle wider Treu und Glauben, wenn er dies doch
nachträglich dem Gläubiger zumuten will. Damit ist auch schon gesagt, dass die
Aufwertung nicht die gänzliche Entwertung, sondern allfällig auch nur eine
erhebliche Verschlechterung der Währung zur Voraussetzung hat, in welcher der
Leistungsgegenstand bestimmt ist. Ebensowenig ist schlechthin entscheidend, ob
im Währungslande selbst Aufwertung stattfindet, sei es von Gesetzes wegen, sei
es durch die Rechtsprechung. Dass Forderungen in der früheren deutschen
Markwährung regelmässig die Aufwertung verdienen, ist bereits ständige
Rechtsprechung des Bundesgerichtes.
5. - Für die Bestimmung des Masses der Aufwertung kann nichts anderes als das
richterliche Ermessen wegleitend sein. Hat der die Aufwertung verlangende
Gläubiger seinerzeit Vorleistungen gemacht, bevor die Währung der Entwertung
anheimfiel, so kann die Aufwertung umso höher sein, wenn sich der Gegenwert
der Vorleistungen noch unvermindert im Vermögen des Schuldners befindet, wenn
also z. B. Vorleistungen in der nachmals entwerteten Währung in
wertbeständigen Vermögensstücken angelegt wurden. Indessen wird dies
vorliegend mit Bezug auf die Prämienreserven von der Vorinstanz in für das
Bundesgericht verbindlicher Weise verneint. Allein ein Teil der bezahlten
Prämien ist dem übrigen Vermögen der Beklagten einverleibt worden, weshalb es
sich rechtfertigt, auch dieses zum Zwecke der Aufwertung heranzuziehen. Hiefür
könnte jedoch der im deutschen Aufwertungsverfahren ermittelte Aufwertungssatz
selbst dann nicht einfach massgebend sein, wenn die Anwendung des deutschen
Aufwertungsrechtes nicht aus dem erwähnten grundsätzlichen Gesichtspunkte
abgelehnt werden müsste: Das Mass der Aufwertung von Versicherungsansprüchen
gegenüber ausländischen Gesellschaften wird dadurch ermittelt, dass auf die
einzelnen Versicherungen des deutschen Versicherungsbestandes gleichmässig
verteilt werden die Summe ihrer aufgewerteten Deckungskapitalien

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und ein nach dem Ermessen des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung zu
leistender Zuschuss aus dem übrigen Vermögen des Versicherers. Diese
Berechnungsweise versagt für Mark-Versicherungen, die nicht zum deutschen (i.
c. zum schweizerischen) Versicherungsbestande gehören, weil ihre
Prämienreserven, die ja ganz anders angelegt worden sein können als die der
deutschen Aufsicht unterworfenen Prämienreserven für den deutschen
Versicherungsbestand, bei der Festsetzung des Aufwertungssatzes in keiner
Weise mitberücksichtigt worden sind. Sodann kann (bei der Bestimmung des
Zuschusses) das Ermessen des deutschen Reichsaufsichtsamtes keine Geltung
beanspruchen für Versicherungen, die nicht seiner Aufsicht unterworfen waren.
(In diesem Sinne denn auch MÜGEL, a.a.O. für die von den deutschen Gerichten
aufzuwertenden Versicherungen, die nicht der deutschen Aufsicht unterstanden.)
Welches das Schicksal der Prämienreserven der zum schweizerischen
Versicherungsbestande der Beklagten gehörenden Markversicherungen war, m.a.W.
welches ihr heutiger Wert (nach erfolgter Aufwertung der sie ausmachenden
Vermögensstücke) ist, geht aus den Akten nicht hervor, und die Beklagte zielt
mit ihrem Rückweisungsantrag nicht auf Beweisabnahme hierüber ab, sondern auf
Beweisabnahmen über das sonstige Vermögen der Beklagten, insbesondere darüber,
dass dieses zur Deckung anderweitiger Verbindlichkeiten gebunden sei. Allein
die Vorinstanz brauchte diesem Beweisantrag nicht Folge zu geben, ohne
deswegen Bundesrecht zu verletzen. Unbestrittenermassen steht die Beklagte
sehr gut, und zwar, wie die Vorinstanz annimmt, nicht weniger gut als die
schweizerischen Versicherungsgesellschaften, denen für ihren deutschen
Versicherungsbestand im deutschen Aufwertungsverfahren eine Aufwertung bis zu
34% des Goldmarkwertes der Prämienreserve auferlegt wurde. Dass der Beklagten
im deutschen Aufwertungsverfahren nur eine geringere Aufwertung zugemutet
worden ist,

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führt die Vorinstanz darauf zurück, dass dem deutschen Reichsaufsichtsamt für
Privatversicherung nicht wohl etwas anderes übrig geblieben sei, als das
Angebot der amerikanischen Versicherungsgesellschaften anzunehmen. Diese
Annahme kann sich auf die Erfahrungstatsache stützen, dass gutstehende, nicht
etwa erst neu gegründete grosse Versicherungsgesellschaften über die
Deckungskapitalien hinaus noch namhaftes Vermögen angesammelt haben, und hält
sich insofern im Rahmen der den kantonalen Gerichten vorbehaltenen
Beweiswürdigung.
Eine weitergehende Aufwertung können die Kläger nicht mit Fug verlangen.
Insbesondere gibt hiefür hier, im Unterschied zu dem in BGE 53 II S. 76
beurteilten Fall, die Art der Versicherung keine Rechtfertigung ab. Zuzugeben
ist freilich, dass die Beklagte auch eine höhere Aufwertung ohne
Schwierigkeiten ertragen könnte, weil ihre nicht zum deutschen, speziell zum
schweizerischen Versicherungsbestande gehörenden und daher untereinander
gleich zu behandelnden Markversicherungen zweifellos wenig zahlreich im
Verhältnis zu allen übrigen gewinnbringenden Geschäften sind. Allein nach dem
die Aufwertung beherrschenden Gebote des Handelns nach Treu und Glauben darf
die Aufwertung den Schuldner nicht schwerer belasten, als sich mit der
Billigkeit verträgt. Dieser Rahmen würde überschritten, wenn schlechthin auf
seine Leistungsfähigkeit abgestellt werden wollte; vielmehr muss die
Aufwertung auch in einem angemessenen Verhältnis zum Gewinn stehen, welchen
die Beklagte mit dem nicht für das Deckungskapital zu reservierenden Teil der
eingezogenen Prämien zu machen in der Lage war.
Die im Jahre 1920 von den Klägern vorgeschlagene und von der Beklagten
angenommene Ablösung der noch geschuldeten Jahresprämien durch eine einmalige
Prämienzahlung für ihren Standpunkt in Anspruch zu nehmen, kann weder der
einen noch der anderen Partei zugestanden werden, da bei beiden Parteien
Spekulationsabsicht obgewaltet haben dürfte.

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Somit ist das angefochtene Urteil im wesentlichen in Anlehnung an dessen
Entscheidungsgründe zu bestätigen, wobei mit der Vorinstanz von einer Änderung
des Urteils der ersten Instanz, die zu einem Drittel (statt 34%) aufgewertet
hat, abzusehen ist, weil bei einer ausschliesslich nach billigem Ermessen zu
treffenden Entscheidung auf einen derart geringfügigen Unterschied nichts
ankommen kann.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Haupt- und Anschlussberufung werden abgewiesen und das Urteil des
Obergerichtes des Kantons Zürich vom 4. Juli 1931 wird bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 57 II 596
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 13. November 1931
Quelle : Bundesgericht
Status : 57 II 596
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Aufwertung von zum schweizerischen Versicherungsbestand einer nordamerikanischen...


Gesetzesregister
ZGB: 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
BGE Register
53-II-76 • 57-II-596
Stichwortregister
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