S. 565 / Nr. 92 Sachenrecht (d)

BGE 57 II 565

92. Urteil der II Zivilabteilung vom 18. Dezember 1931 i. S. Gewerbebank
Zürich gegen Kanton Zürich.

Regeste:
Die Verantwortlichkeit der Kantone für Schaden aus der Grundbuchführung
umfasst die Amtspflichtsverletzungen der Grundbuchbeamten schlechthin.
Inwiefern besteht sie auch für die Fälschung eines Schuldbriefes? (Erw. 1.)
Frage nach dem Selbstverschulden des Erwerbers eines gefälschten Schuldbriefes
(Erw. 2).
ZGB Art. 955, OR Art. 44.

A. - Walter Müller, der damals vorübergehend Eigentümer der für 10000 Fr.
brandversicherten Liegenschaft Klausstrasse 40 in Zürich war, die im
Grundprotokoll A Band 27 Seite 234 des Grundbuchkreises Riesbach

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Zürich eingetragen ist, hatte sie am 17. April 1924 mit einem
Inhaberschuldbrief von 17000 Fr. im 4. Rang mit Vorgang von 75000 Fr. belastet
und diesen der Filiale Zürich-Enge der Schweizerischen Volksbank verpfändet.
Als Müller, der noch ein paar Liegenschaften besass, später Substitut des
Grundbuchverwalters dieses Grundbuchkreises wurde, eignete er sich im Jahre
1929 eines der amtlichen Schuldbriefformulare an und verwendete es zur
Fälschung des erwähnten Schuldbriefes, wobei er den Inhalt dem Grundprotokoll
entnahm, den Amtsstempel des Grundbuchverwalters und das Amtssiegel des
Grundbuchamtes aufdrückte und die Unterschriften sowohl des
Grundbuchverwalters Notar Alb. Bachmann als des Bezirksgerichtspräsidenten
Billeter aus beim Grundbuchamt liegenden entkräfteten Schuldbriefen
durchpauste. Den derart gefälschten Schuldbrief verpfändete Müller am 5. Juni
1929 für ein Darlehen von 13000 Fr. der Klägerin, welche seit Herbst 1928 16
von J. Geser, einem gewerbsmässigen Geldverleiher, und einen von Lachmund auf
Müller gezogene Wechsel für den Betrag von insgesamt rund 14000 Fr. sich
ausstellen lassen oder diskontiert hatte, wovon jeweilen zur gleichen Zeit
meist etwa 4-5000 Fr. im Umlauf waren.
Im Sommer 1930 wurde Müller wegen dieser und weiterer Fälschungen des gleichen
Schuldbriefes in Strafuntersuchung gezogen, und im Herbst wurde der Konkurs
über ihn eröffnet. Ihre Darlehensforderung von noch 12937 Fr. 50 nebst Zins zu
6% vom 5. Dezember 1930 an meldete die Klägerin am 3. Oktober 1930 im
Konkursverfahren an mit dem Erfolg integraler Kollokation in der 5. Klasse und
machte sie am 24. September auch im Strafverfahren adhäsionsweise geltend. Das
Obergericht des Kantons Zürich verurteilte am 9. Dezember 1930 Müller wegen
wiederholter vorsätzlicher Amtspflichtverletzung, wiederholter Fälschung
öffentlicher Urkunden und wiederholten ausgezeichneten Betruges

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zur Arbeitshausstrafe von 2 ½ Jahren und verpflichtete ihn, «den nachstehenden
Geschädigten den gestifteten Schaden gemäss seiner Anerkennung zu ersetzen und
zwar der Gewerbebank Zürich mit 12937 Fr. 50 nebst 6% Zins seit 5. Dezember
1930...». Nach einer Auskunft des Konkursamtes Wiedikon Zürich ist aus dem
Konkurs über Müller für die Gläubiger der 5. Klasse keine Dividende zu
erwarten.
B. - Mit der vorliegenden beim Bundesgericht eingereichten Klage verlangt die
Klägerin Verurteilung des Kantons Zürich zum Schadenersatz im Betrage von
12937 Fr. 50 nebst 6% Zins seit 5. Dezember 1930.
C. - Der Beklagte trägt auf Abweisung der Klage an, eventuell auf Reduktion
der Klageforderung nach richterlichem Ermessen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. - Art. 955 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 955 - 1 Die Kantone sind für allen Schaden verantwortlich, der aus der Führung des Grundbuches entsteht.
1    Die Kantone sind für allen Schaden verantwortlich, der aus der Führung des Grundbuches entsteht.
2    Sie haben Rückgriff auf die Beamten und Angestellten der Grundbuchverwaltung sowie die Organe der unmittelbaren Aufsicht, denen ein Verschulden zur Last fällt.
3    Sie können von den Beamten und Angestellten Sicherstellung verlangen.
ZGB, auf den die Klage gestützt wird, hat seine
definitive Fassung:
«Die Kantone sind für allen Schaden verantwortlich, der aus der Führung des
Grundbuches entsteht» erst durch die parlamentarische Redaktionskommission
erhalten. In der parlamentarischen Einzelberatung war widerspruchslos die
bundesrätliche Vorlage (Art. 994) zum Beschluss erhoben worden, lautend:
«Die Kantone sind für allen Schaden verantwortlich, der in der Führung des
Grundbuches von den Beamten und Angestellten der Grundbuchverwaltung...
verursacht wird.»
In dem im übrigen gleichlautenden Vorentwurfe des Justizdepartementes (Art.
998) hatten die Worte: «in der Führung des Grundbuches» gefehlt; dieser Zusatz
wurde in der Fassung: «durch rechtswidrige Führung des Grundbuches» von der
Expertenkommission (Protokoll 3 S. 342/5) beschlossen (und dabei als
«redaktionell» bezeichnet), um klarzustellen, dass keine Haftbarkeit der
Kantone für die Grundbuchvermessung und

Seite: 570
die Schätzungen bestehe. Hieraus ergibt sich ohne weiteres die Unbegründetheit
der vom Beklagten vertretenen Auffassung, dass die staatliche Haftpflicht für
die Grundbuchbeamten im schweizerischen Rechte ganz anders gestaltet,
namentlich auf einen engern Kreis von Handlungen eingeschränkt sei als im
deutschen Recht, wo § 12 der Grundbuchordnung lautet:
«Verletzt ein Grundbuchbeamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm obliegende
Amtspflicht, so trifft den Beteiligten gegenüber die im § 839 BGB bestimmte
Verantwortlichkeit anstelle des Beamten den Staat...»
Weder durch die ursprüngliche Verlängerung, noch durch die spätere Verkürzung
des Textes der massgebenden Vorschrift anlässlich der redaktionellen
Bereinigung, wobei der seinerzeit ebenfalls als bloss redaktionell
bezeichnete, jedenfalls nur der Verdeutlichung dienende Zusatz plötzlich
sprachlich zum Kerne derselben gemacht wurde, wollte an der von Anfang an in
Aussicht genommenen staatlichen Haftpflicht für irgendwelche
Amtspflichtverletzungen der Grundbuchbeamten gegenüber Dritten etwas geändert,
insbesondere die staatliche Haftpflicht auf solche Amtspflichtverletzungen
beschränkt werden, welche Bucheintragungen zum Gegenstand haben, wozu freilich
auch die Ausstellung (echter) Pfandtitel zu rechnen ist (vgl. BGE 51 11 S.
389). Es wäre nicht einzusehen, wieso der Bundesgesetzgeber hätte dazu kommen
können, die Ordnung der zivilen Folgen eines Teiles der
Amtspflichtverletzungen der Grundbuchbeamten den Kantonen zu überlassen (Art.
61
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 61 - 1 Über die Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, können der Bund und die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung abweichende Bestimmungen aufstellen.
1    Über die Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, können der Bund und die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung abweichende Bestimmungen aufstellen.
2    Für gewerbliche Verrichtungen von öffentlichen Beamten oder Angestellten können jedoch die Bestimmungen dieses Abschnittes durch kantonale Gesetze nicht geändert werden.
OR), während bezüglich der Amtspflichtverletzungen der Betreibungs- und
Konkursbeamten, der Zivilstandsbeamten und der Mitglieder der
Vormundschaftsbehörden eine umfassende bundesrechtliche Ordnung getroffen
worden ist und zwar ebenfalls mit kantonaler Haftpflicht, freilich nur
subsidiärer. Daher ist unbehelflich der an sich freilich zutreffende Einwand
des Beklagten, dass es kein Akt der Grundbuchführung ist, wenn ein
Grundbuchbeamter einen von einem andern

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Grundbuchbeamten, sei es auch des gleichen Grundbuchkreises, ausgestellten
Schuldbrief fälscht (und umso weniger natürlich, wenn er einen in eigenen
Nutzen ausgestellten Schuldbrief zur Begebung bringt). Ebenso zieht der
Beklagte dem mit der staatlichen Haftpflicht für die Grundbuchbeamten
verfolgten Zwecke zu enge Grenzen, wenn er ihn dahin bestimmen will, dass «das
Publikum, welches sich von Gesetzes wegen für gewisse Rechtsgeschäfte an das
Grundbuchamt wenden muss, sich darauf verlassen kann, dass dieses
Rechtsgeschäft den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht», und wenn er
darauf abstellen will, dass Müller «nicht eine Handlung vornahm, welche von
ihm als Grundbuchführer verlangt wurde». Solcher Schutz wird nicht zum
wenigsten deshalb gewährt, weil dem Grundbuchbeamten ermöglicht ist, von sich
aus auf den Bestand der dinglichen Rechte an Grundstücken einzuwirken. Des
Schutzes bedürftig und nicht weniger würdig ist gerade auch derjenige, welcher
in seinen dinglichen Rechten beeinträchtigt wird, ohne dass er irgendein
Grundbuchgeschäft abgeschlossen hätte, weil der Grundbuchbeamte ohne Anmeldung
und trotz Fehlens irgendeines Rechtsgrundgeschäftes doch Eintragungen
(Löschungen) und Pfandtitelausstellungen vornehmen (freilich nicht darf, aber)
kann, die auf den Verlust dinglicher Rechte hinauslaufen können oder aber das
verbriefte dingliche Recht doch nicht zur Entstehung gelangen lassen (vgl. z.
B. Art. 864
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 864 - 1 Zur Übertragung der Schuldbriefforderung bedarf es der Übergabe des Pfandtitels an den Erwerber.
1    Zur Übertragung der Schuldbriefforderung bedarf es der Übergabe des Pfandtitels an den Erwerber.
2    Lautet der Titel auf den Namen einer Person, so bedarf es ausserdem des Übertragungsvermerkes auf dem Titel unter Angabe des Erwerbers.
, 867
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 864 - 1 Zur Übertragung der Schuldbriefforderung bedarf es der Übergabe des Pfandtitels an den Erwerber.
1    Zur Übertragung der Schuldbriefforderung bedarf es der Übergabe des Pfandtitels an den Erwerber.
2    Lautet der Titel auf den Namen einer Person, so bedarf es ausserdem des Übertragungsvermerkes auf dem Titel unter Angabe des Erwerbers.
, 963
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 963 - 1 Die Eintragungen erfolgen auf Grund einer schriftlichen Erklärung des Eigentümers des Grundstückes, auf das sich die Verfügung bezieht.
1    Die Eintragungen erfolgen auf Grund einer schriftlichen Erklärung des Eigentümers des Grundstückes, auf das sich die Verfügung bezieht.
2    Keiner Erklärung des Eigentümers bedarf es, wenn der Erwerber sich auf eine Gesetzesvorschrift, auf ein rechtskräftiges Urteil oder eine dem Urteil gleichwertige Urkunde zu berufen vermag.
3    Die mit der öffentlichen Beurkundung beauftragten Beamten können durch die Kantone angewiesen werden, die von ihnen beurkundeten Geschäfte zur Eintragung anzumelden.
ff., 973 ZGB)
Vorliegend hat Müller als Grundbuchbeamter seine Amtspflichten dadurch
verletzt (und ist deswegen auch gebührend bestraft worden), dass er sich
amtliche Schuldbriefformulare zum Zwecke missbräuchlicher Verwendung
aneignete, über die er als Substitut des Grundbuchverwalters des Kreises
Riesbach-Zürich verfügen konnte; dass er das Grundprotokoll benützte, um den
Inhalt des Schuldbriefes festzustellen, den er sich zu fälschen vornahm; dass
er alte auf dem Grundbuchamt verwahrte Schuldbriefe benützte, um die
Unterschriften

Seite: 572
des Grundbuchverwalters und des Bezirksgerichtspräsidenten nachzuahmen; dass
er dem gefälschten Schuldbrief die ihm als Substituten des Grundbuchverwalters
zur Verfügung stehenden Amtsstempel des Grundbuchverwalters und
Grundbuchamtssiegel aufdrückte. Wenn der Beklagte darauf hinweist, dass
mutatis mutandis dies alles und überhaupt die ganze Fälschung und Betrügerei
auch einem beliebigen Dritten möglich gewesen wäre - also dem Müller auch nach
Auflösung des Beamtenverhältnisses oder bezüglich eines von einem andern
Grundbuchamt ausgestellten Schuldbriefes -, so ist zunächst zu erwidern, dass
hier die Rechtsfolgen von wirklich begangenen Amtspflichtverletzungen zu
beurteilen sind, was ohne Rücksicht darauf zu geschehen hat, ob der gleiche
Erfolg vielleicht auch ohne Amtspflichtverletzung hätte erzielt werden können.
Zudem wird sich nicht leugnen lassen, dass für einen beliebigen Dritten, der
keine Gewandheit in der Ausstellung von Pfandtiteln hat, ja sogar für einen
frühern Grundbuchbeamten nach Auflösung des Beamtenverhältnisses eine
derartige Fälschung mit nicht leicht überwindlichen Schwierigkeiten verbunden
ist, welche sich einem - zudem im betreffenden Kreis - amtierenden
Grundbuchbeamten nicht als Hemmnisse entgegenstellen. Sollten, wie der
Beklagte heute vorbringen lässt, die amtlichen Schuldbriefformulare im Kanton
Zürich auf eine Weise vertrieben und verwahrt werden, dass sie weiten Kreisen
des Staatspersonals zugänglich sind, so mag sich der Beklagte dagegen
vorsehen, dass ihm nicht hieraus einmal eine Verantwortlichkeit erwachse. Und
was das Amtssiegel anbelangt, so könnte durch blosses Aufkleben des von einer
authentischen Urkunde losgelösten Deckblattes der Oblate keinesfalls die
Prägung auch auf der Rückseite ersichtlich gemacht werden, wie es hier
geschehen und geeignet ist, im Glauben in die Echtheit der Urkunde zu
bestärken. Gerade durch das Aufdrücken seines Amtssiegels auf den gefälschten
Schuldbriefen ist Müller als Grundbuchbeamter aufgetreten

Seite: 573
- und zwar jedem späteren Erwerber gegenüber -, auf welches Erfordernis der
Beklagte Gewicht legen will. Ob dann Müller selbst als Privatperson (oder wer
immer) den gefälschten Schuldbrief durch Privatrechtsgeschäft der Klägerin
verpfändet habe, ändert hieran nichts, und insbesondere auch nichts an der
Verpflichtung des Beklagten zum Ersatze des ganzen Schadens. Belanglos ist,
dass die Amtspflichtverletzung des Müller, für welche der Beklagte haftet,
nicht die einzige Schadensursache war, sondern dass der schädigende Erfolg
erst durch Hinzutreten eines weitern Deliktes (des gleichen Müller) erzielt
werden konnte, das zwar seinerseits an die vorausgegangene
Amtspflichtverletzung anknüpfte, für das jedoch der Beklagte nicht mehr
einzustehen hat. Aus diesem Grunde ist die Fälschung der Unterschriften und
die betrügerische Verwendung des gefälschten Schuldbriefes im Verhältnis zum
Beklagten als Mitverschulden eines Dritten anzusehen; allein dieses vermag ihn
in keiner Weise zu entlasten (vgl. BGE 56 II S. 401 Erw. 5). Endlich kommt
darauf nichts an, dass der Klägerin bereits im Strafurteil gegen Müller
Schadenersatz zugesprochen worden ist. Freilich konnte die Klägerin nicht von
Müller als dem einer Amtspflichtverletzung schuldigen Grundbuchbeamten
persönlich Schadenersatz fordern, wohl aber wegen seines ausserdem begangenen
gemeinen Verbrechens. Indessen hat sie weder das eine noch das andere getan,
sondern adhäsionsweise ihre Darlehensforderung geltend gemacht, und es ist
nicht erfindlich, wieso das Strafgericht dazu kommen konnte, gleichwohl
adhäsionsweise eine Schadenersatzforderung zuzusprechen (vgl. § 192 der
zürcherischen Strafprozessordnung und STRÄULI, Bemerkung 1 dazu).
2. - Dass Umstände, für welche die Klägerin einstehen müsse, auf die
Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt haben (Art. 44
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
1    Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
2    Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen.
OR),
kann dem Beklagten nicht zugegeben werden. Der von der Klägerin vorher
gepflogene Wechselverkehr mit Müller hatte

Seite: 574
sich auf Summen beschränkt, welche für den Besitzer mehrerer Liegenschaften
nichts verdächtiges an sich haben und, wie übrigens auch die Beteiligung des
Geser, nur den Schluss auf starke Immobilisierung, nicht auch auf «schwere
Überschuldung» aufdrängen. Dass dieser Wechselverkehr etwa nicht
ordnungsgemäss vor sich gegangen sei, ist nicht aufgezeigt worden. Und wenn es
der Klägerin habe auffallen müssen, dass Müller nun plötzlich über einen
bankfähigen Pfandtitel verfüge, so begründete dies noch keinen Verdacht, dass
der Titel nicht in Ordnung gehen könnte; darum aber, ob es bei der Rückgabe
des Titels durch den bisherigen Inhaber (z. B. einen Faustpfandgläubiger) mit
rechten Dingen zugegangen sei, brauchte sich die Klägerin nicht zu kümmern.
War es schliesslich wirklich undenkbar, dass der bisherige Inhaber, auch ohne
vorgängig befriedigt worden zu sein, den Titel zu anderweitiger
vorteilhafterer Verwertung vorderhand dem Müller anvertraut hatte, dem seine
Inhabertitel anvertrauen zu müssen das Publikum von Verwaltungs wegen genötigt
war? Ebensowenig brauchte zum Aufsehen zu mahnen, wenn der Schuldbrief in
keiner Weise zerknittert oder beschmutzt war, da es sich ja nicht um ein zum
Umlaufe bestimmtes Papier handelte, welches vielmehr bisher sehr wohl erst
durch eine Hand gegangen sein konnte. Sodann hätte die Fälschung der
Unterschriften des Grundbuchverwalters und des Bezirksgerichtspräsidenten auch
von demjenigen, welchem diese Namenzüge geläufig sind, erst bei näherer
Betrachtung erkannt werden können, wozu jedoch, wie gesagt, keine Veranlassung
bestand, zumal angesichts des aufgedrückten Amtssiegels. Der Hinweis des
Beklagten auf das in Haarschrift aufgedruckte Jahr (1928) des Druckes des
verwendeten Formulars ist unangebracht; es konnte umsoweniger zufälligerweise
in die Augen springen, als Müller es in raffinierter Weise verundeutlicht
hatte.
3. - Unbestrittenermassen hätte der der Klägerin

Seite: 575
verpfändete Schuldbrief volle Deckung, für den ebenfalls unbestrittenen
Restbetrag ihres Darlehens geboten, wenn er echt gewesen wäre. Trotzdem im
Konkursverfahren über Müller die Verteilung noch nicht stattgefunden hat, darf
der von der Klägerin erlittene Schaden füglich auf diesen ganzen Betrag
bemessen werden gestützt auf die von der Konkursverwaltung erteilte Auskunft
über die Ergebnislosigkeit des Konkurses, wozu noch kommt, dass die Klägerin
dem Beklagten die Abtretung eines allfälligen Dividendenanspruches anbietet,
wobei sie zu behaften ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird zugesprochen und dem Beklagten davon Akt gegeben, dass die
Klägerin ihm die auf ihre Darlehensforderung entfallende Dividende aus dem
Konkurs über Walter Müller abtritt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 57 II 565
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 18. Dezember 1931
Quelle : Bundesgericht
Status : 57 II 565
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Die Verantwortlichkeit der Kantone für Schaden aus der Grundbuchführung umfasst die...


Gesetzesregister
OR: 44 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
1    Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.
2    Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen.
61
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 61 - 1 Über die Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, können der Bund und die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung abweichende Bestimmungen aufstellen.
1    Über die Pflicht von öffentlichen Beamten oder Angestellten, den Schaden, den sie in Ausübung ihrer amtlichen Verrichtungen verursachen, zu ersetzen oder Genugtuung zu leisten, können der Bund und die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung abweichende Bestimmungen aufstellen.
2    Für gewerbliche Verrichtungen von öffentlichen Beamten oder Angestellten können jedoch die Bestimmungen dieses Abschnittes durch kantonale Gesetze nicht geändert werden.
ZGB: 864 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 864 - 1 Zur Übertragung der Schuldbriefforderung bedarf es der Übergabe des Pfandtitels an den Erwerber.
1    Zur Übertragung der Schuldbriefforderung bedarf es der Übergabe des Pfandtitels an den Erwerber.
2    Lautet der Titel auf den Namen einer Person, so bedarf es ausserdem des Übertragungsvermerkes auf dem Titel unter Angabe des Erwerbers.
867  955 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 955 - 1 Die Kantone sind für allen Schaden verantwortlich, der aus der Führung des Grundbuches entsteht.
1    Die Kantone sind für allen Schaden verantwortlich, der aus der Führung des Grundbuches entsteht.
2    Sie haben Rückgriff auf die Beamten und Angestellten der Grundbuchverwaltung sowie die Organe der unmittelbaren Aufsicht, denen ein Verschulden zur Last fällt.
3    Sie können von den Beamten und Angestellten Sicherstellung verlangen.
963
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 963 - 1 Die Eintragungen erfolgen auf Grund einer schriftlichen Erklärung des Eigentümers des Grundstückes, auf das sich die Verfügung bezieht.
1    Die Eintragungen erfolgen auf Grund einer schriftlichen Erklärung des Eigentümers des Grundstückes, auf das sich die Verfügung bezieht.
2    Keiner Erklärung des Eigentümers bedarf es, wenn der Erwerber sich auf eine Gesetzesvorschrift, auf ein rechtskräftiges Urteil oder eine dem Urteil gleichwertige Urkunde zu berufen vermag.
3    Die mit der öffentlichen Beurkundung beauftragten Beamten können durch die Kantone angewiesen werden, die von ihnen beurkundeten Geschäfte zur Eintragung anzumelden.
BGE Register
56-II-396 • 57-II-565
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • schaden • kreis • grundbuch • unterschrift • schadenersatz • zins • wille • bundesgericht • darlehen • weiler • konkursverfahren • entscheid • sachenrecht • selbstverschulden • verurteilung • berechnung • rang • jahreszeit • akte
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