BGE 57 II 532
83. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. November 1931 i. S.
Emrich gegen Schmitzberger.
Regeste:
Gesetzliche Einführung des Befähigungsnachweises für Zahnärzte. Deren Einfluss
auf den Mietvertrag, den ein nicht diplomierter Zahnarzt bezüglich eines
Hauses abgeschlossen hat, in dem er bis anhin eine Zahnarztpraxis ausgeübt
hat, was ihm von nun an verwehrt ist.
Tatbestand (gekürzt):
A. - Der Kläger, Oskar Eugen Emrich, Zahnarzt in St. Gallen, war bis vor
kurzem Eigentümer des auf dem Gebiet der glarnerischen Gemeinde Mollis, aber
in unmittelbarer Nähe der st. gallischen Gemeinde Weesen gelegenen Chalets «im
Ried», das für eine Zahnarztpraxis eingerichtet war. Nachdem er früher darin
selber den Zahnarztberuf ausgeübt hatte, schloss er am 5. Oktober 1925
hierüber mit der heutigen Beklagten, der im Jahre 1868 geborenen Witwe des
verstorbenen Dr. Schmitzberger, Frau Anna Schmitzberger, die auf Grund eines
ihr von der zahnärztlichen Schule in Zürich ausgestellten Fähigkeitszeugnisses
seit 1904 Inhaberin eines zürcherischen Zahnarztpatentes war, folgenden
Vertrag ab: «Frau Dr. Schmitzberger in Zürich übernimmt ab 1. November 1925
die von Herrn Oskar Eugen Emrich in seinem Hause, Chalet im Ried, Weesen,
bisher geführte Praxis samt Haus, Garten und allem Zubehör, zum Pachtzinse von
500 Fr. monatlich, welcher Betrag aber vierteljährlich bezahlt wird...» Der
Vertrag wurde auf die Dauer von drei Jahren, d. h. vom 1. November 1925 bis 1.
November 1928, abgeschlossen, mit der Abrede, dass wenn er nicht sechs Monate
vor Ablauf gekündigt werden sollte, seine Dauer sich jeweils stillschweigend
um ein Jahr verlängere. Die
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Beklagte bezog dann vertragsgemäss das erwähnte Haus und übte daselbst während
mehreren Jahren die zahnärztliche Praxis aus, die damals auf dem Gebiete des
Kantons Glarus an keinerlei Befähigungsausweise oder andere Voraussetzungen
gebunden war.
Am 1. Mai 1927 genehmigte jedoch die glarnerische Landsgemeinde ein Gesetz,
wonach vom 1. Januar 1928 an die erwerbsmässige Ausübung der zahnärztlichen
Praxis nur noch solchen Personen gestattet wurde, die das eidg. Diplom für
Zahnärzte erworben haben. Dabei wurde aber für die bereits niedergelassenen
Zahntechniker die Ausnahmebestimmung aufgenommen, dass diejenigen, die schon
vor dem 1. Januar 1917 im Kanton Glarus ihrem Berufe oblagen, weiterhin
Zahnbehandlungen an Patienten ausführen dürften, während solche, die sich nach
dem 1. Januar 1917 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes im Kanton Glarus
niedergelassen, sich zur Erlangung einer derartigen Bewilligung einer
einmaligen Prüfung über ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu
unterziehen hatten. Die Führung des Titels Zahnarzt wurde aber nur noch
solchen Personen gestattet, die im Besitze des eidg. Diploms für Zahnärzte
sind.
Die Beklagte ersuchte daraufhin die Regierung des Kantons Glarus, sie,
gestützt auf ihre Ausweise aus dem Kanton Zürich, auch ohne Ablegung einer
Prüfung, zur weitern Berufsausübung im Kanton Glarus zuzulassen. Sie wurde
aber mit ihrem Gesuch abgewiesen, und gleichzeitig wurde ihr eröffnet, dass
sie auch nach bestandener Prüfung ohnehin im Kanton Glarus nur als
Zahntechnikerin, dagegen nicht mehr als Zahnärztin praktizieren dürfte. Die
Beklagte sah daraufhin davon ab, sich dieser Prüfung, zu der sie sich
angemeldet hatte, zu unterziehen. In der Folge liess sie dem Kläger am 27.
August 1927 mitteilen, dass sie den Vertrag vom 8. Oktober 1925 wegen höherer
Gewalt als beendet ansehe und demgemäss von diesem zurücktrete; denn dieser
habe die Möglichkeit der Berufsausübung als Zahnärztin zur notwendigen
Voraussetzung
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gehabt, welche Möglichkeit durch den Erlass des neuen Gesetzes dahingefallen
sei. Die Beklagte bezahlte daraufhin noch den Zins bis 1. November 1927;
denjenigen pro November und Dezember 1927 hinterlegte sie beim Betreibungsamt
Mollis, eine weitere Zahlungspflicht aber lehnte sie ab, auch verliess sie das
Chalet im Ried und kehrte nicht mehr dahin zurück.
B. - Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger von der Beklagten zufolge
Vertragsbruches 15227 Fr. 95 Cts. nebst 5% Zins seit 1. November 1927.
Das Bundesgericht hat die Klage abgewiesen.
Aus den Erwägungen:
1. - Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, gingen die Parteien beim
Abschluss des Vertrages vom 5. Oktober 1925 davon aus, dass die Beklagte das
fragliche Heimwesen miete zum Zwecke, darin die bis anhin vom Kläger geführte
Zahnarztpraxis weiter zu betreiben. Die Möglichkeit, diesen Beruf daselbst
ausüben zu können, war daher eine notwendige Voraussetzung des Vertrages.
Hiezu war indessen die Beklagte angesichts des erwähnten von der Landsgemeinde
am 1. Mai 1927 genehmigten Gesetzes vom 1. Januar 1928 an nicht mehr in der
Lage, da sie nicht Inhaberin des eidg. Zahnarztdiploms ist. Es fragt sich nun,
ob die Beklagte diese in ihrer Person gelegene Unmöglichkeit zu vertreten habe
oder nicht. Wenn dies verneint werden muss, ist ihr auch nicht zuzumuten,
weiterhin den Mietzins für die Liegenschaft, die sie nicht mehr vertragsgemäss
benützen kann, zu bezahlen; denn Art. 119
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 119 - 1 Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen. |
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1 | Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen. |
2 | Bei zweiseitigen Verträgen haftet der hienach freigewordene Schuldner für die bereits empfangene Gegenleistung aus ungerechtfertigter Bereicherung und verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung. |
3 | Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Gefahr nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrages vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht. |
als erloschen gelte, sofern durch Umstände, die der Schuldner nicht zu
verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist. Hierunter ist aber
nicht nur eine absolute Unmöglichkeit zu verstehen, es genügt die relative,
wonach die Leistung mit den einem Schuldner zuzumutenden Opfern nicht bewirkt
werden kann, da ein Gläubiger vom Schuldner nicht mehr verlangen kann.
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als die bona fides gebietet (vgl. auch BECKER, Kommentar zu Art. 97
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 97 - 1 Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle. |
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1 | Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle. |
2 | Für die Vollstreckung gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 11. April 188943 über Schuldbetreibung und Konkurs sowie der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 200844 (ZPO).45 |
371).
2. - Diese Zumutbarkeit hängt vorliegend in erster Linie davon ab, ob nicht
für die Beklagte schon bei Abschluss des Vertrages erkennbar gewesen wäre,
dass der Erlass eines Gesetzes der fraglichen Art schon während der
vereinbarten dreijährigen Vertragsdauer zu erwarten war; denn falls dies
bejaht werden müsste, hätte es die Beklagte selber zu verantworten, wenn sie
trotzdem ohne Vorbehalt einen derartigen Vertrag einging (vgl. auch BGE 54 II
S. 337 f. Erw. 4; 57 II S. 513). Dafür liegen indessen keinerlei Anhaltspunkte
vor. Der Kläger macht heute geltend, nachdem die freie Ausübung des
Arztberufes wenige Jahre vorher im Kanton Glarus aufgehoben worden sei, habe
jeder Fachmann wissen müssen, dass diesem ersten Sanierungsschritt auf dem
Gebiete des Sanitätswesens gelegentlich der zweite bezüglich der freien
Zahnpraxis folgen werde. Dieses Argument ist nicht schlüssig. Die Nachteile,
die die unzweckmässige Behandlung einer Krankheit durch einen Arzt zur Folge
haben kann, sind im allgemeinen unvergleichlich schwerer, als die Schäden, die
aus einer unrichtigen Zahnbehandlung erwachsen können. Der Umstand, dass man
im Kanton Glarus schon vor Abschluss des streitigen Vertrages dazu gelangt
war, die Ausübung der ersteren Berufsart von einem Befähigungsausweis abhängig
zu machen, ist daher kein Beweis dafür, dass demzufolge ohne weiteres auch mit
einer so raschen Einführung des Patentzwanges für Zahnärzte zu rechnen war. Es
ist gerichtsnotorisch, dass in verschiedenen andern Kantonen die Aufhebung der
freien Ausübung des Arztberufes und diejenige der freien Zahnpraxis in viel
grösseren Zwischenräumen erfolgte und dass es heute noch Kantone gibt, die
überhaupt nur für die Ausübung der ersteren Berufsart einen Befähigungsausweis
fordern. Der Kläger behauptet übrigens auch selber nur, man habe damit rechnen
müssen, dass die freie Zahnpraxis «gelegentlich» abgeschafft
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werde; dafür aber, dass dies schon in absehbarer Zeit, d. h. innerhalb der
vorgesehenen Vertragsdauer, zu erwarten war, hat er nichts vorzubringen
vermocht. Wenn er aber diesbezüglich selber im fraglichen Zeitpunkt keinerlei
konkrete Anhaltspunkte besass, so ist nicht anzunehmen, dass die Beklagte als
mit den glarnerischen Verhältnissen nicht vertraute Kantonsfremde damals mehr
gewusst habe, und es kann ihr daher nicht zum Verschulden gereichen, wenn sie
die Möglichkeit der Einführung eines solchen Gesetzes innert der Vertragszeit
damals nicht erwogen und ins Auge gefasst hat.
3. Eine weitere Frage ist die, ob der Beklagten nicht zuzumuten gewesen wäre,
durch Absolvierung der bezüglichen Prüfung den Anforderungen des neuen
Gesetzes zu genügen. Der Erwerb des eidg. Zahnarztdiploms fällt zum
vorneherein ausser Betracht angesichts der umfangreichen Vorbereitungen, die
es hiezu bedurft hätte und die man von der damals bereits 60 jährigen
Beklagten unter keinen Umständen hätte verlangen können. Da die Beklagte
jedoch zur Zeit des Erlasses des fraglichen Gesetzes bereits als Zahnärztin im
Kanton Glarus ansässig war, hätte sie auf Grund der im Gesetze enthaltenen
Ausnahmebestimmungen einen Anspruch besessen, nach Ablegung der darin
aufgeführten kantonalen Prüfung weiterhin als Zahntechnikerin im Kanton tätig
zu sein. Nun hat aber die Vorinstanz festgestellt, dass der damalige
Gesundheitszustand der Beklagten ihr nicht erlaubt hätte, sich dieser Prüfung
zu unterziehen. Diese Feststellung ist tatsächlicher Natur und daher für das
Bundesgericht verbindlich;...
Es ist richtig, dass die Beklagte, als sie um Befreiung von der Absolvierung
der fraglichen Prüfung nachsuchte, sich nicht auf ihren Gesundheitszustand
berufen hat. Daraus ist aber nicht herzuleiten, dass sie selber hierin einen
Hinderungsgrund zur Ablegung dieser Prüfung erblickte; denn dass ihr im
Hinblick darauf die Prüfung völlig erlassen würde, konnte sie unter keinen
Umständen
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erwarten. Es hatte daher auch gar keinen Zweck, in ihrem Gesuch, das sie unter
Hinweis auf ihren Befähigungsausweis von Zürich stellen zu können glaubte, auf
ihren geschwächten Körperzustand hinzuweisen. Dass letzterer nicht allein
ausschlaggebend dafür war, dass die Beklagte davon absah, sich dieser Prüfung
zu unterziehen, mag allerdings zutreffen. Daraus kann jedoch nicht geschlossen
werden, dass die Beklagte demzufolge sich nicht auf die Unmöglichkeit einer
weitern Ausübung ihrer bisherigen Praxis berufen dürfe. Die Beklagte ist
Inhaberin eines Fähigkeitsausweises der zürcherischen Zahnarztschule, auf
Grund dessen sie im offiziellen Verzeichnis der Medizinal-Personen des Kantons
Zürich als Zahnärztin aufgeführt und dementsprechend zur Ausübung dieses
Berufes im Kanton Zürich zugelassen war. Nachdem sie auch im Kanton Glarus
während zwei Jahren eine derartige Praxis unter diesem Titel geführt, kann ihr
nicht zugemutet werden, ihren Beruf von nun an lediglich unter dem Titel
Zahntechnikerin, oder - was dasselbe bedeutet - als «Zahnpraxis» (welche
Benennung ihr nach den Aussagen des Zeugen Jenny ebenfalls gestattet gewesen
wäre) auszuüben.