S. 528 / Nr. 82 Obligationenrecht (d)

BGE 57 II 528

82. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. November 1931 i. S.
Weber, Huber & Cie. gegen «Rimba».

Regeste:
Kaufvertrag mit einer Aktiengesellschaft als Verkäuferin, die vor Erfüllung
durch eine andere Aktiengesellschaft in fusionsähnlicher Weise mit Aktiven und
Passiven übernommen und im Handelsregister gelöscht wird. Der Käufer ist zur
Annahme der neuen Schuldnerin gehalten, wenn ihm nicht wichtige Gründe zur
Seite stehen.

A. - Durch Vertrag vom 4. November 1930 verpflichtete sich die Mineralöl und
Benzin A. G. in Zürich, der Beklagten, Weber, Huber & Cie in St. Gallen, in
der Zeit zwischen Januar und April 200 Tonnen prima polnisches Mineral-Gasöl
frachtfrei Petrowitz oder Makoschau-Transit und unverzollt zu liefern, zahlbar
zu Dollar 1,46 per 100 kg 14 Tage nach Versand.
Am 22. Dezember 1930 kam zwischen der Mineralöl & Benzin A. G. und der Robert
Josef Jecker A. G. in Zürich ein Vertrag zu stande, durch den diese jene auf
Grund ihrer Bilanz per 31. Dezember 1930 mit Aktiven

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und Passiven in sich aufnahm und die Firma in «Rimba» Rob. Jos. Jecker
Mineralöl & Benzin A. G. Zürich» abänderte. Der Übernahmepreis entsprechend
dem Aktivsaldo der Bilanz von 118266 Fr. 42 Cts. wurde den Aktionären der
Mineralöl & Benzin A. G. durch Übergabe von 62 voll liberierten Aktien der
Rob. Jos. Jecker A. G. vergütet und der Verwaltungsratspräsident der Mineralöl
& Benzin A. G. wurde in den Verwaltungsrat der «Rimba», gewählt. Am 7. Januar
1931 wurde die Mineralöl & Benzin A. G. unter Hinweis auf den Beschluss der
Generalversammlung vom 23. Dezember 1930 und auf den Vertrag vom 22. Dezember
1930 im Handelsregister gelöscht... Mitte Januar 1931 wurde der Beklagten
durch Rundschreiben mitgeteilt, dass die Mineralöl & Benzin A. G. durch die
«Rimba» mit Aktiven und Passiven übernommen worden sei. Sofort nach Empfang
dieser Mitteilung antwortete die Beklagte, sie sei mit der Übertragung des
Vertrages vom 4. November 1930 auf die «Rimba» nicht einverstanden und
betrachte ihn als annulliert. Die «Rimba» hielt darauf am Vertrage fest.
B. - Am 5. Mai 1931 hat die «Rimba» gegen Weber, Huber & Cie Klage mit den
Rechtsbegehren erhoben:
1. Es sei gerichtlich zu erkennen, der zwischen der Beklagten und der Firma
Mineralöl & Benzin A. G. Zürich am 4. November 1930 geschlossene Vertrag sei
am 1. Januar 1931 auf die Klägerin übergegangen.
2. Die Beklagte sei daher verpflichtet, von der Klägerin 200 Tonnen Ia
polnisches Mineral-Gasöl per 30. April 1931 abzunehmen und der Klägerin den
Kaufpreis von 15184 Fr. zuzüglich 6% Zins seit 30. April 1931 zu bezahlen...
C. - Durch Urteil vom 16. Juli 1931 hat das Handelsgericht des Kantons St.
Gallen die Klage gutgeheissen, jedoch den Zinsfuss auf 5% herabgesetzt.
D. - Gegen diesen Entscheid hat die Beklagte rechtzeitig und in der
vorgeschriebenen Form die Berufung an das Bundesgericht erklärt...
E. - ...

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. - Wenn eine eigentliche Fusion zwischen den beiden Aktiengesellschaften
stattgefunden hätte, wäre der Beklagten als Gläubigerin der Schuldnerwechsel
aufgezwungen worden, d. h. es hätte ihrer Zustimmung ohnehin nicht bedurft,
sieht doch OR Art. 669 gerade deshalb gewisse Sicherungen zugunsten der
Gläubiger vereinigter Aktiengesellschaften vor (BACHMANN, Kommentar, Ziff. 7
zu OR Art. 669). Es ist jedoch fraglich, ob im vorliegenden Fall eine Fusion
angenommen werden kann, denn die Aktien der Robert Josef Jecker A. G., die den
Gesellschaftern der übernommenen Gesellschaft übergeben wurden, stammten aus
einem Vorrat der übernehmenden Gesellschaft; eine neuere Auffassung im
Schrifttum erblickt in einem solchen Vorgang mangels Kapitalerhöhung keine
Vereinigung, sondern eine Geschäftsveräusserung mit Gegenleistung in Aktien
(HEYMANN, Aktienrechtliche Fusion, Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht
und Konkursrecht Bd. 92 S. 230, FISCHER, Die Aktiengesellschaft, in
Ehrenberg's Handbuch Bd. 3, 1. Abteilung S. 418, WIELAND, Handelsrecht Bd. II
S. 362 und die dort zitierte weitere Literatur). Das Handelsgericht konnte
diese den Begriff der Fusion betreffende Streitfrage jedoch offen lassen, denn
es muss mit ihm davon ausgegangen werden, dass auch bei einer blossen
Geschäftsübernahme mit Aktiven und Passiven der Vorbehalt der Zustimmung des
Gläubigers zum Schuldnerwechsel dadurch berührt wurde, dass Schuldnerin eine
Aktiengesellschaft war, bei welcher die Beklagte als Gläubigerin angesichts
der steten Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse mit der Möglichkeit
entweder einer Fusion oder einer Geschäftsübernahme von Anfang an rechnen
musste. Die Vorinstanz hat mit Fug ausgeführt, dass der Verkehr mit einer
Aktiengesellschaft deswegen und weil stets Schiebungen in der Zusammensetzung
der Mitglieder und des leitenden Personals vorkommen

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können, einen unpersönlichen Charakter erhalte. In Übereinstimmung mit dem
Handelsgericht und in Anlehnung an eine neuere Richtung der handelsrechtlichen
Literatur, die den Begriff des Unternehmens und seiner Kontinuität in den
Vordergrund rückt (WIELAND, Handelsrecht I S. 295) ist daher für den Fall, wo
Schuldnerin eine Aktiengesellschaft war, zu erkennen, dass bei gewissen
Vertragsverhältnissen, zu denen, Sonderfälle vorbehalten, wegen seines
unpersönlichen Charakters auch der Kauf zählt, der Gläubiger zur Annahme des
neuen Schuldners, der Aktiven und Passiven übernommen hat, gezwungen ist, wenn
der alte Schuldner untergegangen ist, es wäre denn, dass er wichtige Gründe
gegen die übernehmende Gesellschaft anführen könnte. Solche wichtige Gründe
sind hier, mit Ausnahme der Angelegenheit Schwarz, nicht angerufen worden. Im
übrigen ist noch beizufügen, dass die Nachfolge des Erwerbers des einem
weggefallenen Schuldner gehörenden Vermögens in die Schuldpflicht an sich
nicht nur ohne Beeinträchtigung des gläubigerischen Rechtes möglich ist,
sondern dass sie unter Umständen zur Wahrung und Erhaltung der für den
Gläubiger gegenüber dem ursprünglichen Schuldner erworbenen Rechtsstellung
geradezu geboten ist (STROHAL, Schuldpflicht und Haftung S. 50). Diese
Rechtsprechung kann sich freilich nicht auf Art. 181
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 181 - 1 Wer ein Vermögen oder ein Geschäft mit Aktiven und Passiven übernimmt, wird den Gläubigern aus den damit verbundenen Schulden ohne weiteres verpflichtet, sobald von dem Übernehmer die Übernahme den Gläubigern mitgeteilt oder in öffentlichen Blättern ausgekündigt worden ist.
1    Wer ein Vermögen oder ein Geschäft mit Aktiven und Passiven übernimmt, wird den Gläubigern aus den damit verbundenen Schulden ohne weiteres verpflichtet, sobald von dem Übernehmer die Übernahme den Gläubigern mitgeteilt oder in öffentlichen Blättern ausgekündigt worden ist.
2    Der bisherige Schuldner haftet jedoch solidarisch mit dem neuen noch während dreier Jahre, die für fällige Forderungen mit der Mitteilung oder der Auskündigung und bei später fällig werdenden Forderungen mit Eintritt der Fälligkeit zu laufen beginnen.66
3    Im übrigen hat diese Schuldübernahme die gleiche Wirkung wie die Übernahme einer einzelnen Schuld.
4    Die Übernahme des Vermögens oder des Geschäfts von Handelsgesellschaften, Genossenschaften, Vereinen, Stiftungen und Einzelunternehmen, die im Handelsregister eingetragen sind, richtet sich nach den Vorschriften des Fusionsgesetzes vom 3. Oktober 200367.68
OR berufen, denn darin
ist die Frage nicht entschieden, was zu geschehen habe, wenn die vorgesehene
kumulative Schuldpflicht während zwei Jahren wegen Löschung des alten
Schuldners nicht möglich ist; es handelte sich also darum, da es auch an einem
Gewohnheitsrecht gebricht, eine Lücke des Gesetzes gemäss Art. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
1    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2    Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
3    Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.
ZGB
auszufüllen.
2. - Wenn man nicht so weit hätte gehen wollen, hätte sich immerhin noch die
Frage aufgeworfen, ob die Ablehnung der Klägerin als Schuldnerin durch die
Beklagte nicht rechtsmissbräuchlich gewesen wäre. Die Beklagte hat sich darauf
beschränkt, zu bestreiten, dass der Preissturz auf Öl Grund ihrer Ablehnung
gewesen sei, aber sie

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hat keinen andern Grund angegeben. Art. 2 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB bezieht sich
grundsätzlich auch auf das dem Gläubiger durch Art. 181
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 181 - 1 Wer ein Vermögen oder ein Geschäft mit Aktiven und Passiven übernimmt, wird den Gläubigern aus den damit verbundenen Schulden ohne weiteres verpflichtet, sobald von dem Übernehmer die Übernahme den Gläubigern mitgeteilt oder in öffentlichen Blättern ausgekündigt worden ist.
1    Wer ein Vermögen oder ein Geschäft mit Aktiven und Passiven übernimmt, wird den Gläubigern aus den damit verbundenen Schulden ohne weiteres verpflichtet, sobald von dem Übernehmer die Übernahme den Gläubigern mitgeteilt oder in öffentlichen Blättern ausgekündigt worden ist.
2    Der bisherige Schuldner haftet jedoch solidarisch mit dem neuen noch während dreier Jahre, die für fällige Forderungen mit der Mitteilung oder der Auskündigung und bei später fällig werdenden Forderungen mit Eintritt der Fälligkeit zu laufen beginnen.66
3    Im übrigen hat diese Schuldübernahme die gleiche Wirkung wie die Übernahme einer einzelnen Schuld.
4    Die Übernahme des Vermögens oder des Geschäfts von Handelsgesellschaften, Genossenschaften, Vereinen, Stiftungen und Einzelunternehmen, die im Handelsregister eingetragen sind, richtet sich nach den Vorschriften des Fusionsgesetzes vom 3. Oktober 200367.68
OR verliehene
Wahlrecht.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 57 II 528
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 04. November 1931
Quelle : Bundesgericht
Status : 57 II 528
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Kaufvertrag mit einer Aktiengesellschaft als Verkäuferin, die vor Erfüllung durch eine andere...


Gesetzesregister
OR: 181
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 181 - 1 Wer ein Vermögen oder ein Geschäft mit Aktiven und Passiven übernimmt, wird den Gläubigern aus den damit verbundenen Schulden ohne weiteres verpflichtet, sobald von dem Übernehmer die Übernahme den Gläubigern mitgeteilt oder in öffentlichen Blättern ausgekündigt worden ist.
1    Wer ein Vermögen oder ein Geschäft mit Aktiven und Passiven übernimmt, wird den Gläubigern aus den damit verbundenen Schulden ohne weiteres verpflichtet, sobald von dem Übernehmer die Übernahme den Gläubigern mitgeteilt oder in öffentlichen Blättern ausgekündigt worden ist.
2    Der bisherige Schuldner haftet jedoch solidarisch mit dem neuen noch während dreier Jahre, die für fällige Forderungen mit der Mitteilung oder der Auskündigung und bei später fällig werdenden Forderungen mit Eintritt der Fälligkeit zu laufen beginnen.66
3    Im übrigen hat diese Schuldübernahme die gleiche Wirkung wie die Übernahme einer einzelnen Schuld.
4    Die Übernahme des Vermögens oder des Geschäfts von Handelsgesellschaften, Genossenschaften, Vereinen, Stiftungen und Einzelunternehmen, die im Handelsregister eingetragen sind, richtet sich nach den Vorschriften des Fusionsgesetzes vom 3. Oktober 200367.68
ZGB: 1 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
1    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2    Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
3    Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.
2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
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57-II-528
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aktiengesellschaft • beginn • beklagter • bewilligung oder genehmigung • bilanz • bundesgericht • charakter • empfang • entscheid • frage • gegenleistung • handelsgericht • kaufpreis • literatur • polnisch • rechtsbegehren • schuldner • schuldnerwechsel • tag • treib- und brennstoff • unternehmung • verwaltungsrat • vorinstanz • vorrat • weiler • zins • zinsfuss