BGE 57 II 457
72. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. September 1931 i. S.
Buser Frères & C o . gegen Thommen's Uhrenfabriken A.-G.
Regeste:
Unlauterer Wettbewerb (Art. 48
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 48 |
Die Nachahmung gemeinfreier Erzeugnisse stellt an sich keinen unlauteren
Wettbewerb dar, wohl aber allenfalls der Vertrieb solcher Produkte, nämlich
dann, wenn ohne Beeinträchtigung des Gebrauchszweckes die Möglichkeit einer
Unterscheidung vom nachgeahmten Erzeugnis gegeben gewesen wäre und der
Nachahmer trotzdem eine abweichende Gestaltung unterlassen hat.
Aus dem Tatbestand:
Die Klägerin, Thommen's Uhrenfabriken A.-G., stellt ein von den bisher
bekannten Erzeugnissen teilweise abweichendes Uhrwerk her, dessen Neuerungen
sie jedoch
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weder patentieren liess noch als gewerbliche Muster hinterlegte. Die Beklagte,
Firma Buser Frères & C o , ahmte dieses Werk in weitgehendem Masse nach und
brachte die Nachahmungen in den Handel.
Gestützt hierauf reichte die Klägerin gegen die Beklagte Klage ein mit dem
Begehren, es sei dieser zu untersagen, ihre Uhr zu kopieren oder andere
Vorkehren zu treffen, die darauf gerichtet und geeignet seien zu bewirken,
dass die beklagtische Uhr mit derjenigen der Klägerin verwechselt werde. Des
fernern verlangte sie Schadenersatz im Betrage von 8000 Fr., sowie die
Veröffentlichung des Urteiles in verschiedenen Fachzeitungen.
Das Bundesgericht wies das Verbot der Nachahmung zurück, untersagte aber der
Beklagten im Sinne der Motive, weiterhin Uhren zu verkaufen, oder auf andere
Weise in den Handel zu bringen, die mit der klägerischen Uhr verwechselt
werden könnten. Des fernern hiess es den Schadenersatzanspruch im reduzierten
Betrage von 2000 Fr. gut. Auch verfügte es die Publikation des Urteils.
Aus den Erwägungen:
2. - Es fragt sich nun, ob und in welchem Masse die Beklagte durch die
festgestellte Nachahmung des streitigen Uhrwerks und dessen Vertrieb Rechte
der Klägerin verletzt habe. Die Klägerin hat ihr Uhrwerk bezw. die darin
angebrachten Änderungen weder patentieren lassen noch als gewerbliches Modell
hinterlegt. Ein Rechtsschutz auf Grund des Patent- bezw. des Muster- und
Modellschutzgesetzes entfällt daher zum vorneherein, und es wird ein solcher
von der Klägerin auch nicht geltend gemacht. Dagegen erblickt diese im
Verhalten der Beklagten einen unlauteren Wettbewerb, indem sich die Beklagte
die von ihr durch kostspielige Versuche gesammelten Erfahrungen zu Nutzen
gemacht habe. Das mag an sich zutreffen. Doch kann dieser Umstand allein nicht
genügen, um eine Nachahmung deshalb als unlauter und
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somit unerlaubt erscheinen zu lassen. Zwar findet sich die gegenteilige
Auffassung in der ausländischen Literatur und Judikatur vertreten (vgl. die
Zitate bei BECHER, Wettbewerbsrecht, S. 70 ff.). Sie ist jedoch auch dort
umstritten und kann jedenfalls für das schweizerische Recht nicht als richtig
anerkannt werden. Wenn das Patentgesetz nur eigentlichen Erfindungen einen
Schutz gewährt und auch diesen nur für eine beschränkte Dauer (nach Art. 10
Pat. Ges. für 15 Jahre) und unter der Voraussetzung, dass die im Gesetze
vorgesehenen Formalitäten erfüllt worden sind, so geschieht dies im Hinblick
auf die Interessen der Allgemeinheit. Jeder kulturelle Fortschritt knüpft in
der Regel an bereits Bestehendes an, er beruht auf einer Nachahmung des Guten
und auf der Fortbildung des Guten zum Bessern; eine erspriessliche Entwicklung
ist daher nur möglich, wenn eine Verwertung und Verwendung des bisher
Erfundenen und Erschaffenen in weitgehendem Masse möglich ist. Dieser
allgemeinen kulturellen Forderung gegenüber haben daher die Interessen der
Einzelnen zu weichen, d. h. es kann ein gewerbliches Immaterialrecht nur in
beschränktem Masse anerkannt werden (vgl. auch SELIGSOHN: Ist die Nachbildung
von Maschinen und andern schutzfreien Gegenständen erlaubt? in der Zeitschrift
für GRUR 31. Jahrgang (1926) Seite 244; KOHLER, Deutsches Patentrecht S. 191).
Infolgedessen soll überhaupt nur bei besonders qualifizierten Leistungen - d.
h. wenn der erzielte Fortschritt auf einer schöpferischen Idee beruht und
nicht lediglich eine rein handwerksmässige Verbesserung darstellt - dem
Erfinder ein Monopol gewährt werden und auch dann nur auf beschränkte Dauer
und unter der Voraussetzung, dass er die Erfindung unter Beobachtung der
gesetzlichen Vorschriften angemeldet hat. Angesichts dieser bewussten und
gewollten Einschränkung des Erfinderschutzes, die in entsprechender Weise auch
mit Bezug auf den Schutz gewerblicher Muster und Modelle vorgenommen wurde,
geht es nun aber nicht an, auf dem
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Umweg über das gemeine Recht, insbesondere unter Heranziehung der Grundsätze
über den unlauteren Wettbewerb, umfassendere Monopolansprüche zu konstruieren,
die der Gesetzgeber in den Sondergesetzen aus höhern Interessen absichtlich
ausgeschlossen hat. In der blossen Nachahmung eines gemeinfreien gewerblichen
Erzeugnisses - und ein solches stellt das klägerische Uhrwerk dar - kann daher
an sich nichts Unerlaubtes erblickt werden, und zwar unbekümmert darum, ob dem
betreffenden nachgeahmten Erzeugnis ein Rechtsschutz zufolge mangelnder
Erfindung, wegen Unterlassung der Anmeldung, oder aber infolge Zeitablaufes
nicht bezw. nicht mehr zukommt (vgl. auch SELIGSOHN, a.a.O. S. 242; POUILLET,
Traité des brevets d'invention 4° édition No 4 S. 6; ALLART, Traité des
brevets d'invention 3e édition No 2, S. 2). Die von den Parteien und der
Vorinstanz des nähern erörterte Frage, ob die Klägerin die von ihr an ihrem
Uhrwerk angebrachten Neuerungen mit Erfolg hätte patentieren lassen, bezw. als
Muster hätte hinterlegen können, ist daher für die Beurteilung des
vorliegenden Rechtsstreites ohne Belang.
4. - Damit ist indessen über das Schicksal der vorliegenden Klage noch nicht
entschieden. Es handelt sich hier nicht um ein Erzeugnis, das die Beklagte zur
Befriedigung eigener Bedürfnisse herstellt. Sie fabriziert die streitige Uhr,
um sie in den Handel zu bringen, und die Klägerin behauptet nun, dass
angesichts der weitgehenden Übereinstimmung der beiden Werke eine
Verwechslungsgefahr geschaffen worden sei, durch die sie, die Klägerin, in
ihrer Kundschaft beeinträchtigt werde. Die Klägerin stützt sich hiebei auf den
vom Bundesgericht in ständiger Praxis anerkannten Grundsatz, wonach der
Vertrieb von Produkten, die zufolge ihrer täuschenden Ähnlichkeit mit bereits
bestehenden anderweitigen Erzeugnissen derselben Herkunft zu einer Irreführung
des Publikums geeignet sind, als unlauter und daher unerlaubt bezeichnet
werden muss (vgl. statt vieler BGE 21 S. 1131). Damit
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soll freilich nicht gesagt sein, dass bei jeder Verwechslungsmöglichkeit der
Vertrieb von Nachahmungen unerlaubt sei. Sofern und soweit die Nachahmung im
Interesse des dem fraglichen Erzeugnisse innewohnenden Gebrauchszweckes
erfolgte, muss eine hiedurch begründete Verwechslungsgefahr in den Kauf
genommen werden, ansonst man wiederum zu einem beinahe unbeschränkten
gewerblichen Immaterialrechtsschutz gelangen würde, der, wie bereits
ausgeführt worden ist, vom Gesetzgeber ausgeschlossen werden wollte. Dagegen
liegt ein unlauteres Verhalten dann vor, wenn ohne Beeinträchtigung des
Gebrauchszweckes die Möglichkeit einer Unterscheidung, sei es durch besondere
Bezeichnung, Ausstattung oder Ausgestaltung, gegeben gewesen wäre, und der
Nachahmer trotzdem, mit Absicht oder aus Fahrlässigkeit, eine abweichende
Gestaltung unterlassen hat; denn wenn auch für die dem fraglichen Erzeugnis
zugrunde liegende Idee der formale gewerbliche Rechtsschutz nicht oder nicht
mehr besteht, so soll für deren Ausnützung doch nicht eine Form gebraucht
werden, die weiter geht, als der Zweck es erheischt, die Idee dem Interesse
der Allgemeinheit dienstbar zu machen (Vgl. auch SELIGSOHN, a.a.O. S. 250; den
Entscheid des österreichischen obersten Gerichtshofes Wien vom 16. April 1929,
abgedruckt in der Zeitschrift für GRUR 34. Jahrgang (1929) S. 1061 f.; den
Bericht von Rechtsanwalt R. VON MOSER an den Congress der Association
littéraire et artistique internationale und der Association internationale
pour la protection de la Propriété industrielle in Budapest über «Die
sklavische Nachahmung nicht geschützter Modelle und Maschinenteile»,
abgedruckt in der Zeitschrift für GRUR 35. Jahrgang (1930) S. 667 f.). Ob eine
konkrete Nachahmung durch sachliche Erwägungen bedingt war, d. h. ob der
Nachahmer sich in genügendem Masse bemüht hatte, seine Nachahmung vom
ursprünglichen Erzeugnis zu unterscheiden, wird hiebei jeweils auf Grund der
gegebenen Umstände zu beurteilen sein.