BGE 57 II 180
31. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. April 1931 i. S.
Feierabend gegen Hess.
Regeste:
Anspruch des Ehemannes und der Kinder einer fahrlässig getöteten Frau auf
Ersatz des Versorgerschadens gemäss
Art. 45 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen. |
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1 | Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen. |
2 | Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden. |
3 | Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten. |
Aus dem Tatbestand:
Der Erstkläger, Karl Hess, betreibt in Engelberg ein Malergeschäft, in welchem
er vier bis sechs Gehilfen und Arbeiter beschäftigt. In diesem Gewerbe half
auch seine im Jahre 1894 geborene Ehefrau, Christine Hess geb. Häcki,
tatkräftig mit, indem sie den Verkauf der Farben und von Petrol besorgte,
sowie auch vielfach die Messungen und Berechnungen bei den Kunden vornahm.
Ausserdem besorgte sie ihre beiden 1921 und 1925 geborenen Mädchen Rosmarie
und Edna Zäzilia und führte ohne fremde Hilfe auch den gesamten übrigen
Haushalt, der dadurch,
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dass die Gehilfen und Arbeiter bei Hess Kost und Logis bezogen, nicht
unerheblich belastet war.
Sonntag den 3. Juli 1927 unternahm der Beklagte, Karl Feierabend, mit acht
Personen, unter welchen sich auch die Eheleute Hess befanden, eine Autofahrt
Richtung Gotthard-Furka. In den Schöllenen, oberhalb Göschenen, stürzte der
Wagen aus Verschulden des Beklagten über eine Böschung, wobei Frau Hess
getötet wurde.
Das Bundesgericht sprach auf Klage des Ehemannes und der Kinder der
Verunfallten als Ersatz für Versorgerschaden dem erstern 8000 Fr. und den
beiden letztern je 4500 Fr. zu.
Aus den Erwägungen:
Aus unerlaubten Handlungen entsteht ein Schadenersatzanspruch in der Regel nur
für den, der hievon unmittelbar betroffen wird, nicht auch für Dritte, welche
durch eine Reflexwirkung des Deliktes mittelbar benachteiligt werden. Dieser
Grundsatz findet jedoch bei der Tötung eines Menschen eine Ausnahme, indem in
diesem Falle denjenigen Personen, die infolgedessen ihren Versorger verloren
haben, der hiedurch entstandene Schaden zu ersetzen (Art. 45
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen. |
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1 | Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen. |
2 | Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden. |
3 | Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten. |
«Angehörigen» des Getöteten zudem «unter Würdigung der besonderen Umstände»
eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zuzusprechen ist (Art. 47
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 47 - Bei Tötung eines Menschen oder Körperverletzung kann der Richter unter Würdigung der besonderen Umstände dem Verletzten oder den Angehörigen des Getöteten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen. |
Ansprüche solcher Dritter gehen also nicht, wie beim unmittelbar Geschädigten,
auf Ersatz des gesamten ihnen durch die schädigende Handlung, d.h. die Tötung
ihres Versorgers, entstandenen materiellen Schadens, sondern es wird als
ersatzfähiges Interesse bloss dasjenige erkannt, welches an der Unterstützung
bezw. Versorgung durch die betreffende getötete Person besteht (vgl. BGE 20 II
S. 209; 34 II S. 10 Erw. 7; 53 II S. 124 Erw. 2; 54 II S. 141 Erw. 3 und 224).
Der Beklagte bestreitet nun, dass hier ein solches Interesse in Frage komme,
weil die verunfallte Frau Hess nicht als Versorgerin ihres Ehemannes
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und ihrer Kinder angesprochen werden könne, zumal da der Erstkläger auch ohne
ihre Mithilfe im Haushalt und Geschäft sehr wohl in der Lage sei, für seinen
und seiner Familie Lebensunterhalt aufzukommen. Dieser Auffassung kann nicht
beigetreten werden. Art. 45 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen. |
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1 | Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen. |
2 | Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden. |
3 | Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten. |
Getötete für den ganzen Unterhalt des Ansprechers aufgekommen sei; auch ist
nicht notwendig, dass die Versorgung durch Geld oder andere Sachleistungen
erfolgte, sie kann auch in der Leistung von Arbeit bestanden haben, die dem
Ansprecher die Anstellung fremder Hilfskräfte ersparte und ihm dadurch
ermöglichte, einen Teil seiner Mittel zur Befriedigung anderer dringender
Bedürfnisse zu verwenden. Aus diesen Gründen hat daher das Bundesgericht schon
mehrfach dem Ehemann bei Tötung seiner Ehefrau im Hinblick auf ihre im
Haushalt geleistete Arbeit sowie ihre allfällige Mithilfe im Geschäfte einen
Anspruch aus Art. 45 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen. |
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1 | Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen. |
2 | Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden. |
3 | Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten. |
arbeits- und verdienstunfähig war (vgl. statt vieler BGE 53 II S. 124 ff. Erw.
4). Das ist nun aber ohne Zweifel auch hier gerechtfertigt. Die Vorinstanz hat
festgestellt, dass die verunfallte Frau Hess neben der Pflege ihrer zwei
Kinder den ganzen Haushalt vollständig allein besorgte. Obwohl dies zufolge
des Umstandes, dass die Gehilfen und Arbeiter des Erstklägers bei ihm Kost und
Logis bezogen, allein schon viel Arbeit erforderte, half sie zudem tatkräftig
auch im Geschäfte mit, indem sie den Verkauf von Farben sowie von Petrol
besorgte und vielfach die zeitraubenden Massberechnungen bei den Kunden
vornahm. Nun mag ja richtig sein, dass der Kläger durch den Wegfall dieser
Leistungen nicht direkt in Not geriet; allein dessen bedarf es zur Begründung
eines Anspruches aus Art. 45 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen. |
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1 | Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen. |
2 | Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden. |
3 | Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten. |
mehrfach ausgeführt, dass hiefür eine Unterstützungsbedürftigkeit auf Seiten
des Ansprechers vorliegen müsse (vgl. BGE 37 II S. 367 Erw. 2; 53 II S. 126).
Dies bedeutet aber nicht,
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dass diesem nur dann und insofern ein Schadenersatzanspruch zukomme, wenn er
durch die fragliche Tötung der zur Bestreitung seines gegenwärtigen und
zukünftigen Lebensunterhaltes unumgänglich notwendigen Subsistenzmittel
beraubt wurde; vielmehr genügt, wenn er hiedurch in seiner bisherigen,
standesgemässen Lebensweise beeinträchtigt wurde. Dass eine solche
Beeinträchtigung im vorliegenden Falle stattgefunden haben muss, kann
angesichts der umfassenden, tatkräftigen Arbeitsleistungen der verunfallten
Frau Hess nicht bezweifelt werden. Es steht fest, dass der Erstkläger nach dem
Tode seiner Frau eine Haushälterin anstellen musste; auch ist ohne weiteres
anzunehmen - und von der Vorinstanz implicite anerkannt -, dass er zudem einen
beträchtlichen Erwerbsausfall im Geschäfte erlitten hat; dies kann im Hinblick
auf die ökonomischen Verhältnisse, in denen der Erstkläger sich befindet,
nicht ohne Einfluss auf seinen und seiner Familie Lebenshalt gewesen sein.
Dazu kommt, dass Frau Hess zufolge ihrer Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und
Tüchtigkeit voraussichtlich wohl in der Lage gewesen wäre, im Falle einer
allfälligen zukünftigen Verminderung der Arbeits- und Verdienstfähigkeit ihres
um sechs Jahre ältern Ehegatten in die Lücke einzuspringen, welcher Umstand
nach der ständigen Rechtssprechung des Bundesgerichtes bei der Beurteilung und
Bewertung des Versorgerschadens ebenfalls berücksichtigt werden muss (vgl. BGE
53 II S. 126 und die daselbst angeführten früheren Entscheide; sowie das
Urteil vom 18. Juni 1929 i. S. Bräker gegen Peer, abgedruckt in Bl. f. Z.
Rspr. Bd. XXX No. 1 S. 1/2).
Mit Bezug auf die Kinder ist eine Unterstützungsbedürftigkeit, für die bis
anhin beide Eltern nach Kräften aufzukommen hatten und auch aufgekommen sind,
bis zur Erreichung ihres erwerbsfähigen Alters ohne weiteres anzunehmen. Diese
haben daher dem Beklagten gegenüber Anspruch auf Ersatz sämtlicher Leistungen,
die die Verunfallte ihnen bis zu diesem Zeitpunkte direkt
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(durch persönliche Pflege und Zuwendungen) und indirekt (durch Mithilfe bei
der Beschaffung der nötigen Subsistenzmittel) voraussichtlich zugewendet
hätte, bezw. die sie ihnen zuzuwenden in der Lage gewesen wäre. Dem kann nicht
entgegengehalten werden, dass nunmehr der Vater durch Vermehrung seiner
eigenen Fürsorgetätigkeit, sowie durch Anstellung einer fremden Hülfskraft in
die Lücke getreten sei; denn ein Täter soll nicht daraus Nutzen ziehen können,
dass einer Person, die durch seine Schuld einen Versorger verloren hat,
Unterhaltsansprüche gegen andere Personen erwachsen sind, bezw. dass andere
Personen mit oder ohne Rechtspflicht sich nunmehr des Geschädigten annehmen
(vgl. auch v. TUHR OR Bd. I S. 344/5).
Eine genaue ziffermässige Bemessung des den Klägern entstandenen
Versorgerschadens lässt sich naturgemäss nicht bewerkstelligen. Die Höhe des
Ersatzanspruches ist daher gemäss Art. 42 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 42 - 1 Wer Schadenersatz beansprucht, hat den Schaden zu beweisen. |
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1 | Wer Schadenersatz beansprucht, hat den Schaden zu beweisen. |
2 | Der nicht ziffernmässig nachweisbare Schaden ist nach Ermessen des Richters mit Rücksicht auf den gewöhnlichen Lauf der Dinge und auf die vom Geschädigten getroffenen Massnahmen abzuschätzen. |
3 | Bei Tieren, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden, können die Heilungskosten auch dann angemessen als Schaden geltend gemacht werden, wenn sie den Wert des Tieres übersteigen.26 |
bestimmen. Angesichts der umfassenden Tätigkeit, die Frau Hess im Haushalt und
Geschäft entfaltet hat, dürfte es gerechtfertigt sein, ihren Anteil am
Unterhalt der Kinder auf einen Drittel zu bewerten. Bemisst man diese Kosten
unter Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse pro Kind auf
durchschnittlich 1200 Fr. im Jahre, so beträgt der Schaden für jedes Kind
jährlich rund 400 Fr., welcher Betrag diesen angesichts der ökonomischen
Leistungsfähigkeit der Eheleute Hess voraussichtlich bis zur Erreichung ihres
20sten Altersjahres zugeflossen wäre. Die Kapitalisierung dieses Betrages
(nach PICCARD, Tafel Nr. 10, zu 4 1/2%) ergibt rund das von der Vorinstanz
errechnete Ergebnis, d. h. 4500 Fr. für jedes Kind. Bemisst man - womit nicht
zu hoch gegriffen sein dürfte - entsprechend den Angaben der Kläger den diesen
entstandenen effektiven Gesamtschaden auf jährlich ca. 1400 Fr., so verbleibt
nach Abzug des den Kindern entstandenen Schadens von insgesamt 800 Fr., als
effektiver Schaden des Erstklägers ein Betrag von rund 600 Fr. Davon dürfte
bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände ein
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Drittel als normaler Versorgerschaden in Frage kommen, was angesichts des
Alters des Erstklägers im Zeitpunkte des Unfalles (39 Jahre) kapitalisiert
(nach PICCARD, Tafel Nr. 4, zu 4 1/2%) einen Betrag von rund 3000 Fr.
ausmacht. Bewertet man ferner die Möglichkeit einer späteren durch Alter oder
Krankheit des Erstklägers bedingten allfälligen weitergehenden Versorgung
durch die Verunfallte ex aequo et bono auf 5000 Fr., so erweist sich auch
bezüglich dieser Schadensposition die Berechnungsweise der Vorinstanz als
angemessen.