BGE 57 II 170
29. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. März 1931 i. S. Müller
gegen Bucheli.
Regeste:
Beweis des mündlichen Vertragsschlusses über die Errichtung einer einfachen
Gesellschaft, Art. 530 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 530 - 1 Gesellschaft ist die vertragsmässige Verbindung von zwei oder mehreren Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes mit gemeinsamen Kräften oder Mitteln. |
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1 | Gesellschaft ist die vertragsmässige Verbindung von zwei oder mehreren Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes mit gemeinsamen Kräften oder Mitteln. |
2 | Sie ist eine einfache Gesellschaft im Sinne dieses Titels, sofern dabei nicht die Voraussetzungen einer andern durch das Gesetz geordneten Gesellschaft zutreffen. |
Substantiierungspflicht. Tat- und Rechtsfrage beim Indizienbeweis. OG Art. 81.
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A. - Der Kläger, Franz Müller, war Prokurist im Geschäftsbureau Häfliger in
Luzern. Er suchte die während seines Wehrdienstes anlässlich der
Grenzbesetzung erlittene Einkommenseinbusse durch Verwertung seiner Kenntnisse
bei Nebengeschäften und Spekulationen wieder einzuholen. Der ihm bekannte
Beklagte, Anton Bucheli, Buchdrucker, wohnte im gleichen Stadtviertel und
beschäftigte sich ebenfalls mit der Anbahnung von Gelegenheitsgeschäften. Im
Jahre 1920 traten sie in nähere Beziehungen miteinander, und in der Folge
wurden zahlreiche Transaktionen mit mehr oder weniger Spekulationscharakter
durchgeführt, auf die im Einzelnen in den Erwägungen einzutreten ist und bei
welchen es meistens der Kläger war, der kraft seiner Erfahrung und seines
Einblickes bei Häfliger die Gelegenheit nachweisen und die erforderlichen
Korrespondenzen, Eingaben und Verwaltungen besorgen konnte, während Bucheli in
der Hauptsache die notwendigen Mittel und vor allen Dingen seinen Namen gab,
um den Kläger vor einem Konflikt mit seinem Arbeitgeber und dessen Kunden zu
verschonen. Nach der Darstellung Müllers währe freilich vor den einzelnen
Geschäften eines Tages mündlich die Errichtung einer einfachen Gesellschaft
mit Teilung des Gewinnes beschlossen worden, so dass heute die rechtliche
Beurteilung des Verhältnisses keine Schwierigkeiten bereiten würde, sondern
nur die Abrechnung aufzustellen und über die Höhe des zu teilenden Gewinnes zu
entscheiden wäre.
Im Anfang des Jahres 1926 begannen sich die Beziehungen der Parteien zu
trüben. Am 29. Dezember 1925 hatte der Kläger dem Beklagten eine Abrechnung
«über den gegenseitigen Kassenverkehr» gesandt, und am 22. Dezember 1925 und
31. Januar 1926 hatte er ihn gebeten, eine Aufstellung über das Vermögen aus
den «gemeinsamen Käufen und Verkäufen» zu machen und ihm gleichzeitig 15000
Fr. auf Rechnung seines Gewinnanteiles zu übermitteln; er wünsche Klarheit und
die Früchte seiner mehrjährigen Arbeit zu erlangen.
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Der Beklagte schwieg zuerst und nahm dann nach einer neuen Aufforderung des
Klägers vom 10. März 1926 einen zunächst ausweichenden, später ablehnenden
Standpunkt ein; Müller sei bei einzelnen Geschäften gar nicht beteiligt
gewesen, bei andern habe er zwar als Ratgeber mitgewirkt, niemals aber als
Gesellschafter, und für seine Müheverwaltung sei er durch die beiden Zahlungen
von 1500 Fr. am 20. Juli 1923 und von 5000 Fr. am 20. Juli 1924 reichlich
entschädigt worden.
B. - Am 23. Juli 1926 hat Franz Müller gegen Anton Bucheli Klage mit den
Rechtsbegehren erhoben:
«1. Hat der Beklagte an den Kläger 21486 Fr. 60 Cts. nebst Zins zu 5% seit dem
Friedensrichtervorstand zu bezahlen?
2. Hat der Beklagte an den Kläger folgende Werttitel herauszugeben: (folgt
eine Aufzählung von Grundpfandtiteln).»
3.-6.... (Feststellung gemeinsamen Eigentums an einer Anzahl von Grundstücken
und Werttiteln).
C. - Der Beklagte hat die Klage bestritten und Widerklage über folgende
Streitfragen erhoben:
«1. Hat der Kläger und Widerbeklagte anzuerkennen und an den Beklagten und
Widerkläger zu bezahlen:
a) 2128 Fr. nebst 6% Zins seit 5. Dezember 1923,
b) 5349 Fr. nebst 6% Zins seit 10. September 1924?
2.-3....»
D. - Das Amtsgericht Luzern-Stadt hat am 19./20. Februar 1930 die Klage in der
Höhe von 16363 Fr. 65 Cts. nebst Zins zu 5% seit 15. Juli 1926 gutgeheissen.
E. - Nachdem beide Parteien gegen dieses Erkenntnis appelliert hatten, hat das
Obergericht des Kantons Luzern am 19. September 1930 in teilweiser Gutheissung
der Berufung des Beklagten erkannt:
«Der Beklagte und Widerkläger hat dem Kläger und Widerbeklagten 12212 Fr.
nebst Zins zu 5% seit 15. Juli 1926 zu bezahlen».
F. - Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig
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und in der vorgeschriebenen Form die Berufung an das Bundesgericht erklärt und
Gutheissung der Klage und Abweisung der Widerklage, eventuell Rückweisung an
die Vorinstanz zur Ermittlung des ihm zustehenden Anspruches auf den
Gesellschaftsgewinn beantragt.
Der Beklagte hat sich der Berufung angeschlossen und den Antrag auf Abweisung
der Klage und Gutheissung der Widerklage gestellt.
H. - (Ergebnisse einer Instruktionsverhandlung.)
Aus den Erwägungen:
Der Kläger hat behauptet, er habe vor den einzelnen Geschäften, die den
Streitgegenstand bilden, mit dem Beklagten einen Vertrag über die Errichtung
einer einfachen Gesellschaft eingegangen, dessen Bestimmungen auf diese
Geschäfte anzuwenden seien. Da er es ist, der aus dem Vertragsschluss Rechte
ableitet, hat er ihn zu beweisen (ZGB Art. 8). Ein direkter, unmittelbar auf
die gegenseitigen und übereinstimmenden Willensäusserungen der Parteien
gerichteter Beweis fiel jedoch zum vornherein nicht in Betracht, weil weder
ein schriftlicher Vertrag aufgesetzt, noch eine schriftliche Bestätigung einer
mündlichen Abmachung erfolgt ist; selbst nach der Darstellung des Klägers soll
die Abrede nur mündlich und unter vier Augen geschehen sein. Der Kläger ist
daher ganz auf die indirekte Beweisführung durch Indizien angewiesen, d. h.
auf den Nachweis von Tatsachen, die selber den Rechtsanspruch nicht zu
begründen vermögen, die aber nach ihrer regel- und erfahrungsgemässen
Bedeutung einen zuverlässigen Schluss auf die Wahrheit der zum Beweis
verstellten, rechtsbegründenden Tatsachen gestatten (BGE 54 II S. 478 ff.;
HEUSLER, Grundlagen des Beweisrechtes, Archiv für zivilistische Praxis Bd. 62
S. 228). Die Beschränkung auf den Indizienbeweis enthebt jedoch den Kläger
nicht von der Substantiierungspflicht; die zur Annahme eines mündlichen
Vertragsschlusses unter Anwesenden unerlässlichen Tatsachen, auf die aus den
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förmlich erwiesenen Tatsachen zu schliessen gewesen wäre, hätte er jedenfalls
zu behaupten gehabt. Man kann nicht sagen, dass er dieser Auflage nachgekommen
sei. Erstens verwickelt er sich in einen Widerspruch über die Zeit des
behaupteten Vertragsschlusses. In der Klage (S. 2) wird der Tatbestand so
dargestellt, dass die Abmachung der Gesellschaft vor der Durchführung des
ersten Geschäftes einmal auf dem Heimweg der Parteien von der Arbeit erfolgt
sei. In der Widerklageantwort (S. 4) dagegen heisst es wörtlich: «Nachdem sie
bereits einige Gelegenheitsgeschäfte nach dieser Formel erfolgreich
durchgeführt und die Verteilung anstandslos und formlos vorgenommen hatten,
war die Grundlage für weitere Gelegenheitsgeschäfte geschaffen worden. Keine
Abmachung irgendwelcher Art wurde in Schriftform gebracht». Daraus wäre zu
folgern, dass die Gesellschaft erst nachträglich, nach den ersten Geschäften,
verabredet worden wäre. Auffallenderweise ist man aber nicht nur über die
äussern Umstände, Ort und Zeit der mündlichen Abrede im Unklaren, sondern es
fehlen auch jegliche Behauptungen über den genauen Inhalt derselben. Der
Kläger hat nur behauptet, man habe abgemacht, dass der Gewinn den
Gesellschaftern je zur Hälfte zukommen solle. Damit ist es nicht getan. Nach
Art. 530
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 530 - 1 Gesellschaft ist die vertragsmässige Verbindung von zwei oder mehreren Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes mit gemeinsamen Kräften oder Mitteln. |
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1 | Gesellschaft ist die vertragsmässige Verbindung von zwei oder mehreren Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes mit gemeinsamen Kräften oder Mitteln. |
2 | Sie ist eine einfache Gesellschaft im Sinne dieses Titels, sofern dabei nicht die Voraussetzungen einer andern durch das Gesetz geordneten Gesellschaft zutreffen. |
zwei oder mehreren Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes mit
gemeinsamen Mitteln. Es wäre daher notwendig gewesen, dass der Kläger auch
Behauptungen über die Verabredung der essentialia negotii aufgestellt hätte,
also über die Punkte, die notwendig den Gegenstand einer mündlichen Abmachung
gebildet hätten, so über die Art der zu tätigenden Geschäfte, d. h. den
Gesellschaftszweck, und über die Beiträge an Geld und Arbeit, aber auch über
Nebenpunkte, die üblicherweise bereinigt werden, z. B. über Dauer und
Kündigung der Gesellschaft. Die Dürftigkeit der Angaben des Klägers über die
Besprechung, an der man einig geworden sein soll, muss als auffallend
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werden, auch wenn man seine Behauptungen als hinreichende Substantiierung des
Vertragsschlusses gelten lassen wollte.
Das zahlreiche vom Kläger zusammengetragene Material aus der Zeit der
einzelnen Geschäfte vermag die fehlende Substantiierung und den Nachweis des
angeblich vorangegangenen Vertragsschlusses natürlich nicht zu ersetzen. Er
besteht nicht etwa aus konkludenten Handlungen in dem Sinne, dass diese den
rechtsgeschäftlichen Willen an Stelle einer ausdrücklichen Willenserklärung in
sich schliessen würden; denn wenn der mündliche Vertragsabschluss
vorausgegangen sein sollte, wie der Kläger dartut, konnte das gesamte spätere
Verhalten der Parteien, für das Rechtsgeschäft offenbar nicht mehr konstitutiv
sein; es konnte darin weder eine konkludente Offerte, noch eine konkludente
Annahme liegen. Das erwähnte Material fällt daher zum vorneherein nur als
Indizienmaterial in Betracht, unter Vorbehalt der später zu behandelnden
Frage, ob die Parteien bei einzelnen Geschäften ein Gesellschaftsverhältnis
eingehen wollten; die Untersuchung der Vorinstanzen hatte sich darauf zu
beschränken, ob die Indizien schlüssig seien, m.a.W., die entscheidende Frage
war die, ob aus den vorhandenen Indizien auf den tatsächlichen Abschluss eines
mündlichen Vertrages unter Anwesenden, auf den tatsächlichen Austausch von
Willensäusserungen (OR Art. 1) zu schliessen sei, nicht aber, ob das
Verhältnis, das sich nachher zwischen den Parteien entwickelt hat, rechtlich
am Besten unter die Bestimmungen über die einfache Gesellschaft subsumiert
würde; denn die juristische Tätigkeit der Auslegung und Subsumtion durch den
Richter hat selbstverständlich erst zu erfolgen, wenn der Gegenstand der
Auslegung und Subsumtion des Parteiwillens, die tatsächlichen Äusserungen
desselben, erwiesen sind. Wenn das Obergericht nach Prüfung der Indizien daher
wiederholt ausgeführt hat, für den Bestand eines Gesellschaftsverhältnisses
liege nichts vor, so ist nach dem Gesagten sein Entscheid dahin aufzufassen,
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dass die Parteien weder ausdrücklich, noch durch schlüssige Handlungen ihren
Willen erklärt haben, zur Durchführung der geplanten Geschäfte eine einfache
Gesellschaft mit Teilung des Gewinnes einzugehen. Darin liegt eine
tatsächliche Feststellung der Vorinstanz, an die das Bundesgericht gemäss OG
Art. 81 gebunden ist. Nach seiner ständigen Praxis ist beim Zustandekommen
eines Vertrages Tatfrage und seiner Kognition entzogen, was die Parteien, aus
den indizierenden Tatsachen zu folgern, gesagt und getan haben müssen. (Vgl.
WEISS, Berufung S. 175, 216 ff.; BGE 33 II S. 249, 274; 38 II S. 199; 40 II S.
154; 41 II S. 32; 50 II S. 228; 54 II S. 478.) Die Auffassung des
Vorderrichters hierüber entzieht sich nach der Praxis der Nachprüfung
insbesondere auch insoweit, als die Tatsachenfeststellung, wie hier, nicht auf
besonderer prozessualer Beweisführung, sondern auf Schlussfolgerungen beruht
(WEISS, Berufung, S. 253; BGE 54 II S. 479). Ist das Bundesgericht aber daran
gebunden, dass in Wirklichkeit keine generelle, mündliche Gesellschaftsabrede
zwischen den Parteien getroffen worden sei, so ergibt sich daraus ohne
weiteres, dass die anschliessende Rechtsfrage, ob im vorliegenden Fall ein
durchgehendes Gesellschaftsverhältnis anzunehmen sei, verneint werden muss.
Der Kläger beruft sich demgegenüber zu Unrecht auf den bundesgerichtlichen
Entscheid in Sachen Frischknecht gegen Müller vom 27. April 1907 (BGE 33 II S.
249); denn auch dort ist die Erforschung dessen, was die Parteien in
Wirklichkeit erklärt haben, ausdrücklich als Tatsachenfeststellung bezeichnet
worden. «Soweit dagegen» hat das Bundesgericht ausgeführt, «die rechtliche
Bedeutung der festgestellten Erklärungen, Worte und Handlungen der Parteien zu
untersuchen ist, handelt es sich um die rechtliche Würdigung der Tatsachen».
Hier sind nun keine Erklärungen, Worte oder Handlungen festgestellt worden,
welche einen Vertragsschluss, eine übereinstimmende Willensmeinung der
Parteien ausmachen könnten. So wird die vorbehaltene Rechtsfrage,
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welche rechtliche Bedeutung den Äusserungen zur Zeit des Vertragsschlusses
zukomme, belanglos. «So wie der Fall heute liegt, hat man es daher einzig mit
der ausschliesslich vom kantonalen Prozessrecht beherrschten Frage zu tun, ob
Indizien von hinreichendem Gewicht für die zu erweisenden, entscheidenden
Tatsachen vorhanden sind» (BGE 54 II S. 479), eine Frage, die das Obergericht,
wie gesagt, in verbindlicher Weise verneint hat.
Daran ändert auch das vom Kläger eingereichte Rechtsgutachten des Herrn Prof.
Götzinger nichts. Es ist am 22. Juli 1927, also zu einer Zeit erstattet
worden, als die für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz noch nicht gemacht worden waren. Mit der
Abgrenzung der Tat- von den Rechtsfragen setzt sich der Verfasser denn auch
nicht auseinander, sondern er setzt den tatsächlichen Abschluss eines
mündlichen Vertrages voraus. Das hängt offenbar mit den ihm von seinem
Mandanten gemachten Angaben zusammen. Im Eingang des Gutachtens heisst es:
«Das von Ihnen mit B. abgeschlossene Rechtsverhältnis karakterisiert sich
zweifellos als Gesellschaftsvertrag... Nach dem mündlichen Vertrag war es
verstanden, dass B. sowohl Ankauf als Verkauf der gemeinschaftlichen Aktiven
auf seinen eigenen Namen bewerkstelligen sollte.» Daraus geht mit aller
wünschenswerten Deutlichkeit hervor, dass Prof. Götzinger von der heute für
das Bundesgericht eben nicht bewiesene Tatsache ausging, es sei zwischen den
Parteien mündlich eine Gesellschaft verabredet worden.