S. 137 / Nr. 22 Familienrecht (d)

BGE 57 II 137

22. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. März 1931 i. S.
Trummer gegen Regierungsstatthalteramt Burgdorf.


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Regeste:
Das Ehescheidungsurteil im Verhältnis zu voraus gegangenen
Kinderschutzmassnahmen, insbesondere zu dem bereits gegen einen oder beide
Elternteile verfügten Entzug der elterlichen Gewalt. Art. 156 und 283 ff. ZGB.

Aus dem Tatbestand:
A. - Durch Verfügung des Regierungsstatthalteramtes Burgdorf war den Eheleuten
Ernst und Rosa Lüthi-Trummer im Jahre 1923 die elterliche Gewalt über ihre
sieben Kinder entzogen worden.
B. - Im Jahre 1925 schied das Amtsgericht Burgdorf die Ehe der Eltern
Lüthi-Trummer und teilte die Kinder gemäss der von den Parteien vorgelegten
Übereinkunft der Mutter zu.
C. - Am 1. Juli 1930 stellte Frau Trummer, geschiedene Lüthi, das Gesuch um
Wiederherstellung der elterlichen Gewalt über die drei noch minderjährigen
Kinder. Das Gesuch wurde vom Regierungsstatthalteramt Burgdorf und vom
Regierungsrat des Kantons Bern als unbegründet abgewiesen.
Gegen den Entscheid des Regierungsrates ergriff Frau Trummer unter
Wiederholung des vor den Vorinstanzen gestellten Antrages rechtzeitig die
zivilrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht.
Erwägungen:
1. - Über die Gestaltung der elterlichen Gewalt in der Familie Lüthi-Trummer
liegen zwei sich widersprechende Entscheide vor: einmal die Verfügung des
Regierungsstatthalteramtes Burgdorf vom Jahre 1923, durch welche beiden
Elternteilen die elterliche Gewalt entzogen

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worden ist, sodann das Scheidungsurteil des Amtsgerichtes Burgdorf, welches
die elterliche Gewalt der Mutter übertragen hat. Beim Entscheid des
Regierungsstatthalter kann nicht bezweifelt werden, dass er von der
zuständigen Amtsstelle ausgegangen ist. Er besteht somit noch in Kraft, wenn
er nicht durch das Scheidungsurteil aufgehoben wurde. Das ist nicht der Fall.
Für die Wiederherstellung der elterlichen Gewalt sieht Art. 23 des bernischen
Einführungsgesetzes zum Zivilgesetzbuch ein besonderes Verfahren vor dem
Regierungsstatthalter vor. Um ein solches handelte es sich hier nicht. Es
frägt sich daher lediglich noch, ob im Falle der Ehescheidung nicht auch der
Scheidungsrichter zu einer derartigen Massnahme zuständig sei. Dafür könnte
angeführt werden, dass er nach Art. 156 ZGB über die Gestaltung der
Elternrechte das Nötige zu verfügen hat, wobei ein bereits nach Art. 283 ff .
ZGB verfügter Entzug nicht ausdrücklich vorbehalten ist. Der Vorbehalt ergibt
sich aber aus der Sache selbst. Wie das Bundesgericht schon in anderm
Zusammenhang (BGE 56 II 80) festgestellt hat, findet die gerichtliche
Zuständigkeit zur Gestaltung der Elternrechte ihre Begründung wesentlich
darin, dass eine Wahl zwischen den an sich beiden Elternteilen zustehenden,
jedoch durch die Scheidung unvereinbar werdenden Rechten getroffen werden
muss. Zu dieser Wahl nötigt die Scheidung indessen nicht, sofern und soweit
die Elternrechte dem einen oder, wie es hier zutrifft, sogar beiden
Elternteilen auf Grund von Art. 283 ff . ZGB seitens der dafür zuständigen
Behörde bereits entzogen sind. Dann ruft die Auflösung oder Trennung der Ehe
an sich nicht einer neuen Ordnung und die Voraussetzung, unter welcher der
Richter in diesem Punkte einzugreifen hätte, fehlt. In diesem Sinne spricht
denn auch Art. 156 ZGB nur davon, dass dem Richter die bei Scheidung oder
Trennung nötigen Verfügungen übertragen seien. Hieraus folgt, dass das
Amtsgericht die Beschwerdeführerin jedenfalls nicht von sich aus wieder in die
elterliche Gewalt einweisen konnte, der vom

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Regierungsstatthalter ausgesprochene Entzug vielmehr in Kraft geblieben ist.
2. - ....
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 57 II 137
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 19. März 1931
Quelle : Bundesgericht
Status : 57 II 137
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Das Ehescheidungsurteil im Verhältnis zu voraus gegangenen Kinderschutzmassnahmen, insbesondere zu...


Gesetzesregister
ZGB: 156  283
BGE Register
56-II-79 • 57-II-137
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
elterliche gewalt • scheidungsurteil • regierungsrat • ehe • bundesgericht • mutter • entscheid • eltern • begründung des entscheids • wiederholung • vorinstanz