BGE 57 II 121
19. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. März 1931 i. S. Kohler gegen Bau-
und Holzarbeiter-Verband der Schweiz.
Seite: 121
Regeste:
Die Ausschliessung aus dem Verein wird beim Fehlen einer gegenteiligen
statutarischen Bestimmung erst wirksam, wenn sie von dem in letzter Linie dazu
berufenen (oberen) Vereinsorgan ausgesprochen werden ist, und kann nicht
vorher gerichtlich angefochten werden. ZGB Art. 65 Abs. 1, 66 Abs. 1, 72 Abs.
3.
A. - Den Statuten des beklagten Vereines ist zu entnehmen:
Art. 1: ... Der Sitz befindet sich am Orte der jeweiligen Vorortssektion. Die
Vorortssektion ... befindet sich zurzeit in Zürich.
Art. 2: ... Zu den nächstliegenden Aufgaben des Verbandes gehören:
a) Gründung von Sektionen an allen Orten, wo Arbeiter ... in der Bau- und
Holzindustrie ... beschäftigt sind.
Art. 3: ... Die Mitgliedschaft ist in derjenigen Sektion oder Berufsgruppe zu
erwerben und zu erhalten, in deren Gebiet das Mitglied arbeitet...
Art. 10: Der Ausschluss eines Mitgliedes kann erfolgen, durch den
Zentralvorstand auf Antrag der Mehrheit einer Sektionsversammlung, wenn
dasselbe...
Art. 11: 1. Der Ausschluss muss von der Sektion dem Ausgeschlossenen unter
Angabe der Gründe schriftlich mitgeteilt werden.
2. Dem Ausgeschlossenen ist eine Frist von 14 Tagen eingeräumt, innert welcher
er bei der Beschwerdekommission
Seite: 122
rekurrieren kann. Letztere hat den Fall innert vier Wochen zu erledigen.
Während dem Rekursverfahren dauert die Mitgliedschaft weiter.
3. Die Ausgeschlossenen können gegen ihren Ausschluss beim Verbandstag als
höchste Instanz appellieren.
Art. 34: 1. Alle zwei Jahre findet ein Verbandstag statt...
B. - Am 13. Oktober 1927 schrieb die Sektion Basel des beklagten Vereines an
den Kläger, ihr Mitglied, «dass der Zentralvorstand den Beschluss der
Sektionsversammlung vom 23. September a. c. gutgeheissen hat und Sie somit aus
dem Bau- und Holzarbeiterverband ausgeschlossen sind». (Folgt die hier nicht
interessierende Begründung.) «Es steht Ihnen das Recht frei, innert 14 Tagen
von heute ab, bei der Beschwerdekommission ... Beschwerde zu führen.» Die
Beschwerdekommission wies die vom Kläger geführte Beschwerde am 11. November
1927 ab... Am 5. Juni 1928 erklärte der Anwalt des Klägers an den
Zentralvorstand des beklagten Vereines «zu Handen des Verbandstages» die
Appellation «an den Verbandstag 1928», der auf den 8. bis 10. Juni anberaumt
war. Am folgenden Tag wurde geantwortet, «dass gemäss Art. 11 des
Verbandsstatutes nur die Mitglieder das Recht haben, an die Verbandsinstanzen,
inklusiv Verbandstag Anträge zu stellen»..., worauf der Kläger noch persönlich
die Appellation an den Verbandstag erklärte... In der Folge verlangte der
Kläger mehrmals Entscheidung über seine an den Verbandstag erklärte
Appellation, und am 29. April 1929 setzte er dem Zentralvorstand des beklagten
Vereines «Frist bis zum 15. Mai 1929, um über seine Appellation einen
Entscheid zu treffen», mit dem Beifügen: «Sollte ich bis zum 15. Mai a. c.
ohne Antwort Ihrerseits sein, so fasse ich Ihr Stillschweigen als Abweisung
der Appellation auf und werde in Zürich Klage gegen Sie einreichen». Der
Kläger erhielt keine Antwort.
C. - Am 30. Mai 1929 erhob der Kläger die vorliegende Klage mit dem Antrag auf
Aufhebung seines Ausschlusses
Seite: 123
aus dem beklagten Verband und Feststellung, dass er vollberechtigtes Mitglied
des beklagten Verbandes geblieben ist.
D. - Die erste Instanz, das Bezirksgericht Zürich, hat am 19. Dezember 1929
festgestellt, dass der Kläger Mitglied des beklagten Verbandes geblieben ist,
und ist im übrigen auf die Klage nicht eingetreten.
Auf Berufung des Beklagten hin, wogegen der Kläger nur auf Abweisung der
Berufung antrug, hat das Obergericht des Kantons Zürich am 19. November 1930
die Klage abgewiesen.
E. - Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht
eingelegt mit dem Antrag, «es sei ... das Urteil der ersten Instanz vom 19.
Dezember 1929 zu bestätigen und demgemäss die Klage gutzuheissen.»
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
... Zur Entscheidung steht, ob der Kläger noch Mitglied des beklagten Vereines
sei - unabhängig von der Frage, ob er seine Ausschliessung aus dem beklagten
Vereine mit der vorliegenden Klage habe gerichtlich anfechten können.
Angesichts der gegebenen Verhältnisse spitzt sich diese Frage dahin zu, ob der
Kläger bereits aus dem beklagten Verein ausgeschlossen sei oder nicht. Sie ist
im Gegensatze zur Vorinstanz zu verneinen.
Nach Art. 65 Abs. 1
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907 CC Art. 65 - 1 L'assemblée générale prononce sur l'admission et l'exclusion des membres, nomme la direction et règle les affaires qui ne sont pas du ressort d'autres organes sociaux. |
|
1 | L'assemblée générale prononce sur l'admission et l'exclusion des membres, nomme la direction et règle les affaires qui ne sont pas du ressort d'autres organes sociaux. |
2 | Elle contrôle l'activité des organes sociaux et peut les révoquer en tout temps, sans préjudice de leurs droits reconnus conventionnellement. |
3 | Le pouvoir de révoquer existe de par la loi lorsqu'il est exercé pour de justes motifs. |
von Mitgliedern, und nach Art. 72 Abs. 3
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907 CC Art. 72 - 1 Les statuts peuvent déterminer les motifs d'exclusion d'un sociétaire; ils peuvent aussi permettre l'exclusion sans indication de motifs. |
|
1 | Les statuts peuvent déterminer les motifs d'exclusion d'un sociétaire; ils peuvent aussi permettre l'exclusion sans indication de motifs. |
2 | Dans ces cas, les motifs pour lesquels l'exclusion a été prononcée ne peuvent donner lieu à une action en justice. |
3 | Si les statuts ne disposent rien à cet égard, l'exclusion n'est prononcée que par décision de la société et pour de justes motifs. |
Vereinsbeschluss, der von der Vereinsversammlung gefasst wird (Art. 66 Abs. 1
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907 CC Art. 66 - 1 Les décisions de l'association sont prises en assemblée générale. |
|
1 | Les décisions de l'association sont prises en assemblée générale. |
2 | La proposition à laquelle tous les sociétaires ont adhéré par écrit équivaut à une décision de l'assemblée générale. |
ZGB), erfolgen, wenn die Statuten hierüber keine Bestimmung enthalten. Der
beklagte Verein umfasst nun freilich zu viele und zu verstreut wohnende
Mitglieder, als dass Mitgliederversammlungen abgehalten werden könnten. Sein
oberstes Organ ist nach Art. 34 der Statuten der Verbandstag, an dem
hauptsächlich die Delegierten der örtlichen Sektionen teilzunehmen berufen
sind. Vereinsbeschlüsse können somit nur vom Verbandstag
Seite: 124
gefasst werden (in gewissen, hier nicht interessierenden Fällen unter
Vorbehalt der Verwerfung oder aber Bestätigung in der Urabstimmung, Art. 32
der Statuten). Dass es für die Ausschliessung von Mitgliedern keines
derartigen Vereinsbeschlusses des Verbandstages bedürfe, ist in den Statuten
nicht genügend klar zum Ausdruck gebracht, im Gegenteil bezeichnet Art. 11
Ziff. 3 derselben ausdrücklich den Verbandstag als höchste Instanz für die
Ausschliessung. Freilich stellt Art. 10 der Statuten die Ausschliessung
zunächst dem Zentralvorstand anheim. Wenn sich das betroffene Mitglied bei
dessen Beschluss beruhigt, so kann es dabei sein Bewenden haben, ohne dass der
Verbandstag irgendwie mit der Ausschliessungsfrage belasst werden muss. Will
es sich aber der Ausschliessung nicht unterwerfen, so steht ihm binnen
gemessener Frist der Rekurs an die Beschwerdekommission zu Gebot. Weist diese
den Rekurs ab und beruhigt sich das betroffene Mitglied jetzt, so gilt
ebenfalls, dass es bei der derart ausgesprochenen Ausschliessung das Bewenden
haben kann, ohne dass der Verbandstag über die Ausschliessungsfrage Beschluss
fassen muss. Dagegen hängt die Wirkung des Ausschliessungsbeschlusses der
Beschwerdekommission davon ab, dass das betroffene Mitglied ihn anerkenne, was
zu tun oder nicht zu tun ihm freisteht. Will es sich der Ausschliessung auch
jetzt nicht unterziehen, so kann es an den Verbandstag «appellieren», der dann
erst «als höchste Instanz» den massgebenden Ausschliessungsbeschluss zu fassen
berufen ist. Etwas Gegenteiliges darf nicht daraus hergeleitet werden, dass in
Art. 11 Ziff. 2 der Statuten bestimmt ist, die Mitgliedschaft daure während
dem Rekursverfahren vor der Beschwerdekommission weiter; denn an die Auslegung
von Statuten darf nicht in gleicher Weise wie an die Auslegung von
Rechtsvorschriften mit juristischen Interpretationsnormen, namentlich dem
argumentum e contrario herangetreten werden. Wollte mit dem juristischen
Sprachgebrauch operiert werden, so würde sich übrigens nicht mit weniger Grund
Seite: 125
sagen lassen, dass Appellationen regelmässig aufschiebende Wirkung haben, wie
es auch der natürlichen Auffassung eher entspricht. Bedeutungsvoller ist schon
die Überlegung, dass es bedenklich erscheinen müsste, ein Vereinsmitglied ohne
ausdrückliche Statutenbestimmung seiner (bei Gewerkschaftsverbänden besonders
ausgebildeten) Mitgliedschaftsrechte zu berauben, so lange noch dahinsteht, ob
die Ausschliessung auch von dem in letzter Linie dazu berufenen Vereinsorgan
beschlossen werde, m.a.W. letzterem Beschluss wesentlich nur die Wirkung einer
Wiederaufnahme zuzugestehen. Dies erschiene höchstens dann als angängig, wenn
dem «ausgeschlossenen» Mitglied schon gegen den Beschluss der
Beschwerdekommission die gerichtliche Anfechtung zu Gebote stünde, damit es
ohne Verzug die nötigen Vorkehren für die Wiedereinsetzung in seine
Mitgliedschaftsrechte treffen könnte und nicht zunächst noch bis auf zwei
Jahre (vorliegend noch länger) zuwarten müsste, bis wieder ein Verbandstag
stattfinden kann. Allein das Nebeneinanderhergehen der Appellation an den
Verbandstag und der gerichtlichen Anfechtung der Ausschliessung erweist sich
als durchaus unpraktisch: würde doch die Anfechtungsklage, ja sogar ein
allfällig inzwischen gefälltes gerichtliches Urteil gegenstandslos, wenn der
Verbandstag die Appellation gutheissen sollte, und erst recht unlösbar wäre
die Prozesslage dann, wenn der Verbandstag zwar ebenfalls den Ausschluss
beschlösse, jedoch aus anderen Gründen. Beim Fehlen ausdrücklicher
gegenteiliger Statutenbestimmungen ist überhaupt davon auszugehen, dass das
aus einem Verein ausgeschlossene Mitglied erst dann gegen seine Ausschliessung
gerichtliche Klage soll erheben können, wenn dasjenige Vereinsorgan, welches
nach den Statuten oder nach dem Gesetz in letzter Linie berufen ist, über den
Ausschluss zu befinden, diesen ausgesprochen hat. Erst wenn die gerichtliche
Klage der einzige Behelf gegen die Ausschliessung darstellt, bei der es sonst
das Bewenden haben würde, also nicht schon, wenn
Seite: 126
noch die Anrufung eines höheren Vereinsorganes zu Gebote steht, liegt ein
zureichender Grund dafür vor, dem ausgeschlossenen Vereinsmitglied staatlichen
Rechtsschutz zu gewähren, weil die Absicht des Gesetzgebers dahin ging, «die
Vereine ihre inneren Angelegenheiten möglichst selbständig ordnen zu lassen
und die richterliche Überprüfung eines Vereinsausschlusses seinem Inhalte nach
auf ein Mindestmass zu beschränken» (BGE 51 II S. 241). In diesem Sinne haben
denn auch die Organe des beklagten Vereines selbst gegen die seinerzeit in
Basel gegen die dortige Sektion angestrengte Klage die Einwendung erhoben, der
Kläger könne noch an den Verbandstag gelangen. Und zwar wurde von der
Vorinstanz festgestellt, dass vor ihr (und der ersten Instanz) nicht
bestritten worden sei, es habe damals eine derartige urkundliche
Meinungsäusserung des Zentralvorstandes vorgelegen, der besondere Beachtung zu
schenken ist, weil sie darauf schliessen lässt, dass die Statuten bis anhin
auf diese Weise gehandhabt worden sind. Dazu kommt noch, dass der
Zentralvorstand dem daraufhin die Appellation an den Verbandstag erklärenden
Anwalt des Klägers bedeutete, nur die «Mitglieder» seien befugt, Anträge an
den Verbandstag zu stellen, also denjenigen noch als Mitglied gelten lässt,
dessen Ausschluss von der Beschwerdekommission beschlossen worden ist. Der
Vorinstanz mag zugegeben werden, dass dieses lange Schweben der
Ausschliessungsfrage mit praktischen Unzukömmlichkeiten verbunden ist, die
indessen nicht unüberwindlich sind (und übrigens nicht mehr im gleichen Masse
bestehen, seitdem im Jahre 1929 Art. 11 Ziff. 2 Satz 2 der Statuten dahin
abgeändert wurde, dass «während dem Rekursverfahren die Rechte und Pflichten
des Mitgliedes ruhen», was sich ohne weiteres auch auf die Zeit bis zum
nächsten Verbandstag anwenden lässt, nachdem es einmal ausdrücklich bestimmt
worden ist)
... Mit dem Schreiben vom 29. April 1929 zielte der Kläger zunächst wie schon
früher wiederholt darauf ab,
Seite: 127
dass der Verbandstag einen Entscheid über seine Appellation treffe, und im
Falle des Ausbleibens des Entscheides während der gesetzten Frist gedachte er
die gleiche Rechtslage herbeizuführen, welche durch die Abweisung der
Appellation entstanden wäre, nämlich die in Art. 75
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907 CC Art. 75 - Tout sociétaire est autorisé de par la loi à attaquer en justice, dans le mois à compter du jour où il en a eu connaissance, les décisions auxquelles il n'a pas adhéré et qui violent des dispositions légales ou statutaires. |
Monatsfrist für die gerichtliche Anfechtung seiner Ausschliessung in Gang zu
setzen. Indessen leuchtet ohne weiteres ein, dass dieser Versuch fehlschlagen
musste, da es dem mit der Ausschliessung bedrohten Vereinsmitglied unmöglich
anheimgegeben werden darf, die Entscheidung darüber dem statutarisch dazu
berufenen (oberen) Vereinsorgan auf diese Weise aus den Händen zu winden und
über dessen Kopf hinaus die Ausschliessungsfrage vor Gericht zu bringen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin begründet erklärt, dass das Urteil des Obergerichtes
des Kantons Zürich vom 19. November 1930 aufgehoben und das Urteil des
Bezirksgerichtes Zürich vom 19. Dezember 1929 wieder hergestellt wird.