S. 104 / Nr. 16 Obligationenrecht (d)

BGE 57 II 104

16. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. März 1931 i. S. Baugenossenschaft
Rodtmattstrasse-Militärstrasse gegen Eichin und Brändli.

Regeste:
Werkhaftung OR Art. 58.
Mangelhafte Anlage eines Badezimmers mit geringem Rauminhalt, ohne Ventilation
und ohne hinreichende Isolierung des Kamins. Bedeutung gleicher Anlagen und
der baupolizeilichen Genehmigung. Kausalzusammenhang (Erw. 2).
Mitverschulden der durch Kohlenoxyd Vergifteten, die in fiebrigem Zustand ein
Bad nahm? Berücksichtigung der Umstände (Erw. 3).
Versorgerschaden des Kindes aus geschiedener Ehe (Erw. 4).

A. - Emma Eichin, geschiedene Brändli, bewohnte mit ihrem am 28. Mai 1928
geborenen Kinde Anita Brändli im 1. Stock des der beklagten Baugenossenschaft
gehörenden Hauses Rodtmattstrasse 21 in Bern seit 1. August 1928 eine
Zweizimmerwohnung mit Küche und Badezimmer. Samstag den 2. März 1929 abends
bereitete sie sich in erkältetem Zustand ein Bad. Am andern Morgen, Sonntag
den 3. März 1929, hörten die Mieter das Kind Anita andauernd weinen. Da die
Wohnung nicht geöffnet wurde und ein Unglück zu befürchten war, rief man die
Polizei, welche eindrang und Frau Eichin leblos und nur mit einer Bademütze
bekleidet in der mit Wasser gefüllten Wanne fand. Der sofort herbeigerufene
Gerichtsarzt stellte den Tod fest und kam gestützt auf seine Erhebungen und
auf die Sektion der Leiche zum Ergebnis, dass Frau Eichin infolge einer
Kohlenoxydvergiftung in der Badewanne ertrunken sei. Der Professor der
gerichtlichen Medizin, Dr. Dettling, erstattete dann dem Statthalteramt I in
Bern ein Gutachten,

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auf das in den Erwägungen zurückzukommen ist. Die am 12. August 1896 geborene
Emma Eichin hatte sich am 20. September 1927 in Basel mit Walter Brändli
verheiratet. Aus dieser Ehe war das erwähnte Kind Anita hervorgegangen. Die
Ehegatten waren schon am 24. November 1828 durch das Amtsgericht Bern wieder
geschieden worden. Das Mädchen war der Mutter zur Pflege und Erziehung
zugesprochen und es war der Vater gemäss gerichtlich genehmigter Vereinbarung
verpflichtet worden, einen Beitrag von 75 Fr. bis zum zurückgelegten 5. und
100 Fr. bis zum 20. Lebensjahr an die Kosten des Unterhaltes und der Erziehung
zu entrichten. Brändli war seiner Unterhaltungspflicht jedoch vor und nach dem
Tode seiner geschiedenen Frau nicht nachgekommen. Eine von der
Amtsvormundschaft I Bern eingeleitete Betreibung mit Lohnpfändung hatte zu
einem Verlustschein für den ungedeckten Betrag geführt.
B. - Über die Anlage des Badezimmers und den darin angebrachten Gasbadeofen
«Piccolo», kleines Modell, erstattete Ingenieur Maurer, Chef der
Installationsabteilung des städtischen Gaswerkes in Bern, der unmittelbar nach
der Entdeckung des Unfalles auf das Lokal gerufen worden war, einen Bericht,
in dem er folgende Ursachen angibt:
1) eine zu eng bemessene und aus ungeeignetem Material hergestellte
Steigleitung,
2) einen durch die starke Kälte beeinträchtigten Auftrieb in die
Kaminrohrleitung,
3) die Abzugsbehinderung in der Steigleitung auf der Höhe des zweiten
Stockwerkes,
4) das Fehlen einer kontinuierlichen Belüftung des verhältnismässig kleinen
Baderaumes,
5) das Fehlen von Zug-, Rückstau- und Windeinfallsicherungen, das ganz
besonders zu Beginn der Brenndauer, bei ungefähr 6 Grad Kälte, eine Stauung
der Abgase, eine unvollständige Gasverbrennung, Russen und einen Rückstau
giftiger Gase direkt in Baderaum und Badewanne bewirkt habe.

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C. ...
D. - Am 9. August 1929 haben der Vater der Getöteten, Albert Eichin, und das
Kind Anita, verbeiständet durch den Vormund, Dr. Kistler, Klage gegen die II.
Baugenossenschaft Rodtmattstrasse-Militärstrasse als Hauseigentümerin erhoben.
Das Rechtsbegehren lautet:
«Die Beklagte sei zu verurteilen, den Klägern für den ihnen durch den Tod der
Frau Emma Eichin entstandenen Schaden gerichtlich zu bestimmenden Ersatz nebst
5% Zins seit 2. März 1929 zu bezahlen».
E. ...
F. ...
G. - Der Appellationshof des Kantons Bern hat gestützt auf das
gerichtsmedizinische, sowie ein ausführliches Gutachten von Architekt Mathys
und Ingenieur Stoll die Klage am 6. November 1930 grundsätzlich gutgeheissen
und die Beklagte verurteilt, zu bezahlen:
a) dem Kläger Albert Eichin 490 Fr.,
b) der Klägerin Anita Brändli 4600 Fr.
H. - Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht
ergriffen und den Antrag gestellt, die Klage sei abzuweisen.
J. ...
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. - (Streitwert).
2.- Die Kläger belangen die Beklagte als Eigentümerin des Gebäudes
Rodtmattstrasse 21, insbesondere des Badezimmers und des Badeofens. Sie führen
den Unfall auf eine fehlerhafte Anlage der ganzen Badeeinrichtung im Sinne des
Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OR zurück.
Ein Badezimmer mit Badeeinrichtung und Gasbadofen ist, wie das Bundesgericht
schon in seinem Urteil i. S. Rued gegen Wagner vom 14. Mai 1910 erkannt (BGE
36 II S. 188 ff. und 41 II S. 705) und wie die Beklagte übrigens nicht
bestritten hat, ein Werk im Sinne des Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OR. Ob auch die einzelnen Teile,
z. B. der Ofen und das Kamin,

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als Werke in Betracht fallen, und in welchem Verhältnis ihre Fehler allenfalls
zu einander stünden, braucht daher nicht untersucht zu werden, zumal die
verschiedenen Ersteller der Teile mit Ausnahme des Installateurs, der den Ofen
eingesetzt hat, nicht am Prozesse beteiligt sind.
Die gerichtlichen Sachverständigen Mathys und Stoll sind in ihrem
einlässlichen Gutachten zum Ergebnis gelangt, der Unfall hätte sich nicht
ereignet, wenn
a) das Badezimmer um etwa 50% grösser gewesen wäre, oder
b) wenn es mit einer Ventilationseinrichtung und Zugunterbrechung ausgerüstet
gewesen wäre, womit auch die Dampfdichte heruntergesetzt worden wäre, oder
c) wenn das Kamin besser geschützt worden wäre.
Diese Ausführungen der Experten, die übrigens mit dem Befund des
Gerichtsmediziners im Einklang stehen, sind von der Vorinstanz übernommen
worden und für das Bundesgericht als tatsächliche Feststellungen gemäss OG
Art. 81 verbindlich. Als aktenwidrig sind sie nicht angefochten worden. Ebenso
werden sie durch das Privatgutachten Brunschwiler in keiner Weise erschüttert.
Die von der Beklagten behaupteten Widersprüche im Gutachten der technischen
Experten entziehen sich der Beurteilung des Bundesgerichtes, das sich nicht
mit der Beweiswürdigung zu befassen hat. Die Behauptung von Widersprüchen
beruht übrigens auf einem Missverständnis der von den Experten rekonstruierten
Kausalreihe. Sie wollten im Eingange ihres Gutachtens lediglich sagen, dass
die Grösse des Raumes, der Mangel einer Ventilation, einer Zugunterbrechung
und eines bessern Schutzes des Kamins gegen Kälte nicht die direkten Ursachen
des Unfalles, oder wie sie sich ausdrücken, nicht sein Ausgang gewesen seien.
Diese Ausführungen lassen die Schlussfolgerung dennoch zu, dass auch nur eine
der erwähnten Vorrichtungen den Unfall, d.h. die Entwicklung der primären
Ursache zum Tode der Frau Eichin verhütet hätte.
Aus den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der

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Vorinstanz ergibt sich in rechtlicher Hinsicht ohne weiteres, dass die Anlage
fehlerhaft im Sinne des Art. 58 gewesen ist. Wenn eine solche Einrichtung und
ihre ganze Kombination bei zweckmässiger Bedienung und guter Unterhaltung -
woran es hier nicht gefehlt hat - nicht jeden Schaden, vor allem aber ein so
schweres Unglück ausschliessen, sind sie, unter dem Vorbehalt höherer Gewalt,
eben mangelhaft.
Die Beklagte hat sich freilich darauf berufen, dass in Bern Hunderte von
Badezimmern dieselbe Installation aufweisen. Allein ihr Hinweis auf das
Schrifttum (OSER, Kommentar, 2. Aufl. Note 7 zu Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OR, VON TUHR, OR I S.
361) ist unrichtig; denn dort sollte lediglich gesagt werden, dass der
Gebäudeeigentümer die technischen Vorkehrungen zu treffen habe, die in solchen
Fällen üblich sind und als notwendig gelten, dass ihm aber übermässige
Aufwendungen, die zum Schutze des Publikums in keinem Verhältnis mehr stehen,
nicht zugemutet werden können (vgl. VON TUHR, a.a.O., S. 361). Im vorliegenden
Fall hat die Beklagte selbst und mit Recht nicht behauptet, dass die
unterlassenen, von den Sachverständigen aber als unerlässlich bezeichneten
Massnahmen nicht üblich seien. Das Bundesgericht hat übrigens in ständiger
Praxis daran festgehalten, dass für die Frage, ob das Werk richtig angelegt
sei, nicht bloss auf die bei der Erstellung bestandene Verkehrsübung
abgestellt werden kann, sondern dass das nach den Umständen, besonders nach
der Funktion des Werkes, gebotene Mass an Sorgfalt zu erfüllen ist; ein Abusus
befreit den Werkeigentümer nicht (vgl. BGE 38 II S. 74 und 45 II S. 333; 55 II
S. 83). Diese Auffassung stimmt mit der Literatur überein, denn auch darnach
darf sich der Eigentümer, wenn die Fehlerhaftigkeit der Anlage einmal
festgestellt ist, nicht auf eine Verkehrsübung berufen, denn andere Eigentümer
können für ihre Werke ebenso schlecht sorgen, wie er (vgl. OSER, Kommentar,
Note 7 zu Art. 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OR und VON TUHR, OR I S. 361). Diese Berufung ist

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hier umso weniger stichhaltig, als die Konstruktion von so kleinen Badezimmern
verhältnismässig neu ist, wie auch der medizinische Experte angedeutet hat. Es
ist nicht ausgeschlossen, dass nicht gerade an Hand solcher und ähnlicher
Vorfälle die äusserste Raumersparnis dann als verfehlt erkannt wird, wenn
nicht alle die Sicherheitsmassnahmen ergriffen werden, die sich hier als
notwendig herausgestellt haben. Der Richter darf sich bei Anwendung des Art.
58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
OR und bei der Prüfung der objektiven Gefährdung durch eine Anlage nicht
dadurch beeinflussen lassen, dass Versuche auf dem Gebiet des Bauwesens häufig
gemacht und Neuheiten, die sich noch nicht endgültig bewähren konnten, an
zahlreichen Orten eingeführt worden sind.
Die baupolizeiliche Genehmigung der Pläne schliesst nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtes die Werkhaftung nicht aus (BGE 55 II S. 197 und das Urteil
i. S. Villa c. Haberer vom 21. Januar 1931, BGE 57 II, Erw. 3). Auch den
Tatsachen, dass die Eingabepläne keine genauen Angaben in Bezug auf die
Erstellung der Gasbadeöfen enthielten, dass sie trotzdem gutgeheissen wurden,
dass sie aber auch genehmigt worden wären, wenn die Konstruktion aus den
Plänen ersichtlich gewesen wäre und dass, wie der Bericht des Bauinspektorates
ausführt, vor dem Unfalle in Bern noch keine bau- und feuerpolizeilichen
Vorschriften über die Einrichtung von Gasbadeöfen bestanden, kann im Anschluss
an das erwähnte Urteil I. S. Rued c. Wagner vom 14. Mai 1910 (BGE 36 II S.
190
) kein Gewicht beigelegt werden, denn die polizeilichen Anordnungen
entheben den Werkeigentümer nicht von der eigenen Pflicht, für eine tadellose
Anlage und Unterhaltung seiner Gebäude zu sorgen.
Auch der Kausalzusammenhang ist schliesslich durch die verbindliche
tatsächliche Feststellung erwiesen, dass die Vergiftung und infolgedessen auch
das Ertrinken verhütet worden wäre, wenn das Badezimmer um die Hälfte grösser
gewesen oder mit den angeführten Belüftungs- und

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Abzugsvorrichtungen oder mit einem besser geschützten Kamin versehen gewesen
wäre. Dass nach der Annahme der technischen Experten die Dampfbildung der
unmittelbare Ausgang des Unfalles gewesen sein soll, macht nichts aus; denn
nach der bundesgerichtlichen Praxis kann eine Wirkung auch im Rechtssinne
verschiedene Ursachen haben; die Schadenshaftung setzt nicht voraus, dass die
Tatsache, für die gehaftet wird, die einzige Ursache des Schadens oder die
unmittelbare Ursache gewesen sei. Es genügt irgend ein Glied der Kausalkette,
also auch ein früheres, sofern der Zusammenhang noch als adäquat bezeichnet
werden kann (vgl. BGE 36 II S. 190, 42 II S. 364, 660, 43 II S. 325, 46 II S.
465, 48 II S. 150, 477 und das zitierte Urteil i. S. Villa gegen Haberer).
3. - Nach den Zeugenaussagen war Frau Eichin, als sie sich das Bad
zubereitete, fiebrig und erkältet. Daraus schliessen die technischen Experten,
dass sie die sauerstoffarme Luft nicht wahrgenommen habe, während gesunden
Menschen unter normalen Umständen dies möglich gewesen wäre. Die Experten
drücken sogar ihre Überzeugung aus, Frau Eichin hätte bei voller Gesundheit
den Unfall abzuwenden vermocht, und es sei ihr zu einem Teil als
Unvorsichtigkeit anzurechnen, dass sie in ihrem kranken Zustand ein Bad
genommen habe. Allein mit der Vorinstanz kann deswegen nicht von einem Selbst-
oder Mitverschulden gesprochen werden. Ein heisses Bad kann bei Erkältungen
mitunter heilsam wirken. Dass Frau Eichin den Ofen sachgemäss bedient hat,
steht nach den Ermittlungen der Experten fest. Da Kohlenoxydverbindungen einen
nur geringen oder gar keinen Geruch verbreiten, und da sie
Lähmungserscheinungen hervorrufen kann, wie der Appellationshof weiter
ausführt, nicht bestimmt gesagt werden, die Verstorbene hätte in gesundem
Zustand die Gefahr rechtzeitig bemerkt und abzuwenden vermocht.
Die von den Vorinstanzen vorgenommene, reichliche Herabsetzung des Ersatzes um
einen Drittel rechtfertigt

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sich im Hinblick auf OR Art. 43 Abs. 1 mit Rücksicht auf die grosse Kälte,
welche die Nichtableitung der giftigen Gase bewirkte und die ungenügende
Isolierung des Kamins besonders gefährlich machte. Eine weitere Reduktion
kommt mangels eines Mitverschuldens nicht in Betracht. Nach oben ist das Mass
des Ersatzes durch die Vorinstanz rechtskräftig festgesetzt worden, da die
Kläger ihren Entscheid nicht angefochten haben.
4. - (Beerdigungskosten).
Über den Schaden des Kindes Anita wegen Verlustes ihrer Mutter hat die
Beklagte ausführen lassen, dass ein Versorgerschaden gar nicht entstanden sei.
Brändli sei zur Leistung von Unterhaltungsbeiträgen gehalten, und es könne
nicht deshalb von einem Schaden gesprochen werden, weil er diese Pflicht nicht
erfülle, denn er könne ja betrieben werden. Allein diese Vorwürfe der
Beklagten gegen das angefochtene Urteil gehen fehl. Erstens ist Brändli im
Scheidungsverfahren gemäss ZGB Art. 156
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
Abs. 2 nur zu einem Beitrag «an die
Kosten des Unterhaltes und der Erziehung» seiner Tochter verpflichtet worden,
so dass die Mutter von allem Anfang an auch rechtlich als Versorgerin ihres
Kindes mit in Betracht fiel; ihre Leistungen wären übrigens neben denen
Brändli's desto unentbehrlicher geworden, je älter das Kind geworden wäre.
Sodann fällt als entscheidend ins Gewicht, dass Frau Eichin tatsächlich
sozusagen den vollen Unterhalt des Kindes bestritten hat und weiterhin
bestritten haben würde, denn der geschiedene Ehemann ist überschuldet und
gegenüber seinem Kind auch zahlungsunwillig, wie schon aus den Akten über die
provisorischen Massnahmen während des Scheidungsprozesses hervorgeht. Die
Beklagte kann sich nicht auf seine Verpflichtungen berufen, denn dem Kinde ist
tatsächlich infolge der Fehlerhaftigkeit ihres Werkes ein Schaden entstanden,
indem ihm die Mutter entrissen wurde, die in Wirklichkeit allein für es sorgte
und in der Zukunft gesorgt haben würde. Das Mass des Ersatzes ist ohne
weiteres zu bestätigen.

Seite: 112
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons
Bern vom 6. November 1930 wird bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 57 II 104
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 10. März 1931
Quelle : Bundesgericht
Status : 57 II 104
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Werkhaftung OR Art. 58.Mangelhafte Anlage eines Badezimmers mit geringem Rauminhalt, ohne...


Gesetzesregister
OR: 58
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 58 - 1 Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
1    Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
ZGB: 156
BGE Register
36-II-188 • 38-II-72 • 55-II-194 • 57-II-104
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • bundesgericht • kamin • schaden • vorinstanz • tod • mutter • mass • kausalzusammenhang • ehegatte • versorgerschaden • ingenieur • baupolizei • vater • ehe • gewicht • not • sachmangel • baute und anlage • richtigkeit
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