S. 62 / Nr. 13 Urheberrecht (d)

BGE 57 I 62

13 Urteil des Kassationshofes vom 16. Februar 1931 i. S. Reichner gegen
Staatsanwaltschaft Zürich.

Regeste:
Urheberrecht an Werken der bildenden Kunst.
Kriterien. - Der Nützlichkeitszweck schliesst den Urheberrechtsschutz nicht
aus. - Auch Reklamen- bezw. Plakatzeichnungen können Werke der bildenden Kunst
sein (Erw. 3 und 4).
Abtretung des Urheberrechtes (Erw. 6).
Voraussetzungen für die Strafbarkeit einer Urheberrechtsverletzung (Erw. 3-ó).
Nachahmung ausländischer Werke (Erw. 1 und 3).

A. - Die Firma Bamberger & Hertz betreibt ein grosses Herren-Kleidergeschäft
in Deutschland. Ihr Hauptdomizil

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ist Köln, doch besitzt sie in verschiedenen andern deutschen Städten
Zweigniederlassungen, u. a. auch in München. Im Jahre 1927 erstellte das
Münchnergeschäft einen Katalog, der in zwei Ausgaben, einer ersten im Oktober
1927 und einer zweiten an Weihnachten 1927, erschien. Dieser Katalog hat
äusserlich das Aussehen und die Form eines mit einem dunkelgrauen Filzhut mit
schwarzem Band, sowie mit einem braun und grau karrierten Mantel gekleideten
Herrn, der den Mantelkragen aufgeschlagen hat, so dass nur ein schmaler
Streifen des Gesichtes sichtbar ist. Der Mann hält die Hände in den
Manteltaschen, aus denen ein zeitungsartiges weisses und rotes Blatt
herausragt. Am untern Mantelsaum ist mit weissen Buchstaben die Firma
Bamberger & Hertz aufgedruckt. Und in der untern rechten Ecke steht mit roten
Buchstaben der Name des Künstlers, der das Bild geschaffen hat, H. Ehlers. Die
erste Ausgabe weist in der Mitte des vorderen Mantelsaumes einen kleinen
Einschnitt auf, der bei der zweiten Ausgabe fehlt. Der Inhalt des Kataloges
besteht aus einer Reihe von von Kunstmaler Ernst Kretschmann geschaffenen
Herrenmodenzeichnungen nebst Preisangaben und zugehörigem Reklametext. In der
ersten Ausgabe findet sich u. a. die Abbildung zweier mit Ulstermänteln
gekleideter Herren, wovon der eine einen gewöhnlichen Strassenanzug nebst Hut
mit schwarzem Bande, der andere aber Kniehosen und karrierte Strümpfe, sowie
eine englische Mütze trägt. In der zweiten (Weihnachts-) Ausgabe sind u. a.
ein Skifahrer in moderner Skikleidung, sowie ein mit einem Schlafrock
bekleideter, auf der Lehne eines Sofas sitzender, eine Cigarre rauchender Herr
abgebildet. Letztere Zeichnung ist mit «K» gezeichnet, während auf den andern
Bildern jede Angabe des Autors fehlt. Dieser Katalog wurde in einer
Spezialenveloppe versandt, auf welcher in verkleinertem Masstab dieselbe
Herrenfigur, wie sie der Katalogumschlag aufweist, wiedergegeben ist.
Gleichzeitig mit der Versendung dieses Kataloges erliess die Firma Bamberger &
Hertz in den Münchner Neuesten Nachrichten

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eine Reihe von Zeitungsinseraten, auf welchen jeweils wiederum diese
Herrenfigur als «freundlicher Herr» bezeichnet, mit abwechselndem Beiwerk und
entsprechendem Text abgebildet war. Auf einer dieser Annoncen wurde er in
Begleitung einer Gruppe von Kindern dargestellt, die mit ebenfalls
aufgeschlagenen Mantelkragen, ihn freudig bestaunend neben ihm
einherschreiten. Diese Zeichnung stammt von Kunstmaler Karl Wolfgang Böhmer,
dessen Namenszug dem Bilde beigesetzt ist. Sodann wurde das Motiv des
«freundlichen Herrn» auch als Figur für ein Plakat verwendet, welches in den
Strassen Münchens in zwei verschiedenen Ausführungen (wovon die eine auf das
Weihnachtsfest Bezug nahm) angeschlagen wurde.
Moritz Reichner, der seinerseits in Winterthur ein Herrenkleidergeschäft
betreibt, verfolgte diesen Reklamefeldzug, um ihn nachher in der Hauptsache
nachzuahmen. Er erstellte einen Katalog, der demjenigen der Firma Bamberger &
Hertz in der äussern Aufmachung völlig gleich sah, nur dass er am untern
Mantelsaum seine Firma «M. Reichner, Winterthur» statt diejenige von Bamberger
& Hertz aufdruckte. Auch liess er den Namen des Künstlers, H. Ehlers, sowie
den bei der ersten Ausgabe des Kataloges von Bamberger & Hertz am vordern
Mantelsaum angebrachten Einschnitt weg. Der Katalog selbst enthält genaue
Wiedergaben der drei vorgenannten Modebilder: der beiden Herren in
Ulstermänteln, des Skifahrers, sowie des rauchenden Herrn im Schlafrock. Er
ahmte auch die verschiedenen Inserate mit dem «freundlichen Herrn» als
Leitmotiv nach, insbesondere dasjenige mit der Kindergruppe, wobei er aber
wiederum den Namenszug des Künstlers, W. Böhmers, wegliess. Und zwar liess er
diese Inserate im Landboten, dem Tagblatt der Stadt Winterthur, sowie teils
auch im Winterthurer Stadtanzeiger erscheinen; Des ferner liess er auch ein
Plakat des «freundlichen Herrn» anfertigen, das in Winterthur angeschlagen
wurde.

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B. - Gestützt hierauf reichten Bamberger & Hertz, sowie die erwähnten Künstler
H. Ehlers, Wolfgang Böhmer und Ernst Kretschmann bei der Bezirksanwaltschaft
Winterthur Strafklage gegen Reichner ein, weil in den fraglichen Nachahmungen
sowohl hinsichtlich der Zeichnungen als auch des verwendeten Textes eine
vorsätzliche Verletzung des Urheberrechtes zu erblicken sei. Sie beantragten,
Reichner sei mit 500 Fr. zu büssen, die noch vorhandenen Plakate seien zu
zerstören, dem Reichner sei zu verbieten, die geistigen Produkte der Anzeiger
weiterhin nachzuahmen, sodann sei das Urteil mit der Begründung auf Kosten des
Angeschuldigten im Landboten, im Winterthurer Stadtanzeiger und in den weitern
Blättern, in denen die Plagiate allenfalls noch erschienen seien, je einmal zu
veröffentlichen.
C. - Auf Grund dieser Anzeige wurde eine Strafuntersuchung gegen Reichner
eingeleitet, in welcher dieser die ihm vorgeworfenen Nachahmungen an sich
zugestand, dagegen behauptete, sich hiezu berechtigt gehalten zu haben, weil
die in Frage stehenden Reklamen nirgends den Vermerk «Nachdruck oder
Nachahmung verboten» enthalten hätten.
Im Verlaufe des Untersuchungsverfahrens wurden Bamberger & Hertz sowie die
erwähnten Künstler rogatorisch angefragt, ob sie einen ausdrücklichen
Strafantrag gegen Reichner stellen, oder ob sie es vorzögen, auf die
Strafverfolgung zu verzichten und sich gütlich mit dem Angeschuldigten
auseinanderzusetzen. Daraufhin antworteten Bamberger und Kretschmann, dass sie
ausdrücklich einen Strafantrag gegen Reichner stellen. Böhmer erklärte, er
habe kein Interesse an einer Strafverfolgung, und Ehlers bemerkte, nachdem er
die Unzulässigkeit des Verhaltens des Reichner hervorgehoben hatte, dass er
sich die ausdrückliche Strafantragstellung einstweilen vorbehalte, weil er
sich erst mit den anderen Interessenten ins Benehmen setzen wolle.
Gestützt auf das Untersuchungsergebnis überwies die

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Bezirksanwaltschaft Winterthur Reichner dem Gericht mit dem Antrag, er sei der
vorsätzlichen Verletzung des Urheberrechtes an Werken der Literatur und Kunst
im Sinne von Art. 42 Ziff. 1 des bezüglichen Bundesgesetzes vom 7. Dezember
1922 schuldig zu erklären und in Anwendung dieser Bestimmung in Verbindung mit
Art. 50 Ziff. 1 des genannten Gesetzes mit einer Geldbusse von 100 Fr. zu
bestrafen. Die Anzeiger hielten an ihren in der Strafanzeige gestellten
Anträgen fest und verlangten ausserdem 100 Fr. als Schadenersatz.
D. - Mit Urteil vom 9. Oktober 1930 hat das Obergericht des Kantons Zürich den
Angeschuldigten der vorsätzlichen Verletzung von Art. 2 des
Urheberrechtsgesetzes schuldig erklärt und zu 200 Fr. Busse verurteilt, an
deren Stelle bei Unerhältlichkeit innert dreier Monate 20 Tage Gefängnis
treten würden. Die noch vorhandenen Klischees seien zu konfiszieren und
hernach zu zerstören. Das Entschädigungsbegehren der Anzeiger wurde
abgewiesen. Das Obergericht erblickte zwar keine Urheberrechtsverletzung in
der Nachahmung des fraglichen Reklametextes (da dieser nicht als ein Werk der
Literatur im Sinne des Urheberrechtsgesetzes erachtet werden könne), wohl aber
darin, dass Reichner die fraglichen Reklamezeichnungen unverändert für seine
eigene Geschäftsreklame verwendet habe.
E. - Hiegegen hat Reichner am 20. Oktober 1930 (der 19. Oktober war ein
Sonntag) die Kassationsbeschwerde an das Bundesgericht erklärt mit dem
Begehren, er sei in Aufhebung des angefochtenen Entscheides von Schuld und
Strafe freizusprechen. Eventuell sei die Angelegenheit zwecks Ergänzung des
Tatbestandes an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt die Abweisung der
Beschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. - Bamberger & Hertz sowie die erwähnten Künstler,

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die Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer erstattet haben, sind deutsche
Staatsangehörige, und die in Frage stehenden, vom Beschwerdeführer
nachgeahmten Erzeugnisse sind in Deutschland erstmals veröffentlicht worden.
Nun sind sowohl Deutschland, wie die Schweiz, seinerzeit der Revidierten
Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst vom 13.
November 1908 (AS neue Folge Bd. 26 S. 939 ff.) beigetreten, welche in Art. 4
Abs. 1 bestimmt, dass die einem Verbandslande angehörigen Urheber sowohl für
ihre unveröffentlichten als für ihre zum ersten Male in einem Verbandslande
veröffentlichten Werke in allen Verbandsländern mit Ausnahme des
Ursprungslandes des Werkes diejenigen Rechte geniessen, welche die
einschlägigen Gesetze den inländischen Urhebern gegenwärtig einräumen oder in
Zukunft einräumen werden, sowie die in dieser Übereinkunft besonders
eingeräumten Rechte. Die Frage der Schutzfähigkeit der hier im Streite
liegenden Erzeugnisse beurteilt sich daher auf Grund des Bundesgesetzes betr.
das Urheberrecht an Werken des Literatur und Kunst vom 7. Dezember 1922 (AS NF
Bd. 39 S. 65 ff.; in der Folge mit URG bezeichnet) in Verbindung mit den
Vorschriften der erwähnten Übereinkunft (vgl. auch Art. 6 Abs. 3
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 6 Begriff - Urheber oder Urheberin ist die natürliche Person, die das Werk geschaffen hat.
URG).
2. - Der Beschwerdeführer stellt sich in erster Linie auf den Standpunkt, dass
der von Bamberger & Hertz verfasste und verwendete, von ihm teilweise
nachgeahmte Reklametext nicht als ein Werk der Literatur im Sinne der in Frage
stehenden Bestimmungen erachtet werden könne. Das braucht hier nicht
untersucht zu werden; denn die Vorinstanz hat (was dem Beschwerdeführer bei
Ausarbeitung seiner Beschwerdeschrift offenbar noch nicht bekannt war) dem
Text einen urheberrechtlichen Schutz versagt, wobei es, da das Urteil von
Seiten der Staatsanwaltschaft oder der Strafanzeiger nicht angefochten worden
ist, sein Bewenden hat.
3. - Dagegen fragt es sich. ob die Vorinstanz, was der

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Beschwerdeführer ebenfalls bemängelt, die erwähnten bildlichen Darstellungen:
die in mehrfachen Varianten und mit verschiedenem Beiwerk dargestellte Figur
des sog. «freundlichen Herrn», sowie die verschiedenen Modezeichnungen mit
Recht als dem Urheberrechtsschutz unterstehende Erzeugnisse erachtet hat. Der
Beschwerdeführer bestreitet, dass den fraglichen Darstellungen die Eigenschaft
von Kunstwerken im Sinne des Urheberrechtsgesetzes beigemessen werden könne,
weil es hiezu einer «Weltschöpfungsidee» bedürfe und hier nur rein
gewerblichen Zwecken dienende Reklamebilder vorliegen. Dieser Einwand ist
nicht zu hören. Allerdings ist richtig, dass ein Reklamebild bezw. ein Plakat
der Nützlichkeit dienen solle. Es ist bestimmt, das Publikum auf eine Firma
bezw. auf gewisse Erzeugnisse und Einrichtungen aufmerksam zu machen. Dieser
Nützlichkeitszweck schliesst jedoch einen Urheberrechtsschutz keineswegs aus.
Das neue Urheberrechtsgesetz führt in Art. 1 unter den diesem Schutze
unterstehenden Werken der bildenden Künste ausdrücklich auch die Werke der
«angewandten» Kunst auf. Hiedurch wurde der Schutz, entgegen der bisherigen
gesetzlichen Ordnung, bewusst und absichtlich ausgedehnt, indem man erwog,
dass eine Kunstschöpfung trotz ihrer unmittelbar praktischen Verwendung, d. h.
auch dann geschützt werden müsse, wenn sie sich mit einem Produkt der
gewerblichen Tätigkeit verbindet (vgl. das Votum des Berichterstatters
Wettstein im Ständerat, Sten. Bull. StR. 1920 S. 364). Der vom
Beschwerdeführer für seine Auffassung angeführten, auf dem früheren Gesetz
fussenden Literatur und Rechtsprechung kommt daher nach dieser Richtung heute
keine Bedeutung mehr zu, und es braucht infolgedessen hierauf nicht näher
eingetreten zu werden. Das Kriterium, das ein Erzeugnis als eine künstlerische
Schöpfung erscheinen lässt, liegt nach dem neuen Urheberrechtsgesetz
ausschliesslich darin, dass es zu deren Erschaffung einer neuen, originellen
geistigen Idee bedurfte, die durch das fragliche Werk ihren positiven Ausdruck

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gefunden hat (vgl. auch E. PIOLA-CASELLI, Diritto di autore S. 185). So hat
denn auch das Bundesgericht reine Nutzbauten (i. c. Mietshäuser), weil diese
eine originelle Fassadengliederung aufwiesen, als Werke der Baukunst im Sinne
des Urheberrechtsgesetzes erachtet und deshalb für schutzfähig erklärt, und
zwar ausdrücklich sowohl nach ihrer Zweckmässigkeitsbestimmung als nach der
sog. ästhetischen Bestimmung hin (BGE 56 II S. 417 ff. - vgl. auch den
ungedruckten Entscheid vom 1. Februar 1927 i. S. Buntpapierfabrik A.-G. gegen
Pfeiffer und Kirschbaum, in welchem die Schutzfähigkeit von Tapeten
grundsätzlich bejaht worden ist).
Bei dieser Sachlage ist aber kein Zweifel, dass auch Reklamezeichnungen bezw.
Plakate urheberrechtlichen Schutz geniessen, sofern sie die vorerwähnte
Voraussetzung erfüllen. Ob man sie hiebei unter die Werke der zeichnenden
Kunst bezw. der Malerei, der Lithographie etc. oder aber, im Hinblick auf
ihren reinen Nützlichkeitszweck, unter diejenigen der angewandten Kunst
einreihen will, spielt hier keine Rolle; denn auch das Revidierte Berner
Übereinkommen, dessen Bestimmungen vorliegend mitzuberücksichtigen sind, sieht
in seinem Artikel 2 einen Schutz für beide Arten von Werken vor, nur dass
dieser mit Bezug auf die letzteren als obligatorisch, d. h. von der
Landesgesetzgebung unabhängig, vorgeschrieben ist, während er hinsichtlich der
«Erzeugnisse des Kunstgewerbes» (d. h. der «Werke der angewandten Kunst» i. S.
des URG) lediglich dann gewährt werden muss, wenn die innere Gesetzgebung des
Landes dies gestattet. Unbehelflich ist auch der Hinweis des Beschwerdeführers
darauf, dass hier bei Erfüllung der notwendigen Formalitäten allenfalls ein
markenrechtlicher Schutz hätte in Frage kommen können; denn das schliesst
(sowenig wie eine allfällige Schutzfähigkeit auf Grund des Bundesgesetzes
betr. gewerbliche Muster und Modelle) den Urheberrechtsschutz nicht aus (vgl.
Art. 5
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 5 Nicht geschützte Werke - 1 Durch das Urheberrecht nicht geschützt sind:
1    Durch das Urheberrecht nicht geschützt sind:
a  Gesetze, Verordnungen, völkerrechtliche Verträge und andere amtliche Erlasse;
b  Zahlungsmittel;
c  Entscheidungen, Protokolle und Berichte von Behörden und öffentlichen Verwaltungen;
d  Patentschriften und veröffentlichte Patentgesuche.
2    Ebenfalls nicht geschützt sind amtliche oder gesetzlich geforderte Sammlungen und Übersetzungen der Werke nach Absatz 1.
URG, sowie die Ausführungen des Berichterstatters de DARDEL im
Nationalrat, Sten. Bull. NR 1923 S. 260).

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4. - Es fragt sich nun aber, ob die hier in Frage stehenden Reklamezeichnungen
als originelle geistige Schöpfungen zu erachten seien. Mit Bezug auf die Figur
des sog. «freundlichen Herrn» ist dies ohne Bedenken zu bejahen; denn wenn es
sich hiebei auch im Grunde genommen um eine blosse Modenzeichnung handelt und
die Darstellung eines in einen Mantel mit aufgeschlagenem Kragen gehüllten
Mannes an sich noch nicht ohne weiteres eine originelle Schöpfung darzustellen
vermag, so muss doch die gesamte Ausführung dieser Figur als eigenartig
bezeichnet werden. Es ist dem Künstler gelungen, mit wenigen, charakteristisch
stilisierten Strichen die Gestalt eines wohlgekleideten Herrn darzustellen,
dessen markante Silhuette sofort in die Augen springt und der - zumal in der
farbigen Ausführung, wie sie die Reklame und der Katalogumschlag aufweisen -
in der Erinnerung haften bleibt. Als originell muss aber auch die Kindergruppe
bezeichnet werden, die Böhmer der Figur des sog. «freundlichen Herrn» bei
einer späteren Reklamezeichnung beigefügt hat. Es handelt sich hier nicht um
puppenhafte Kindergestalten, sondern um die lebenswahre, geschickte
Darstellung einer Schar gutgekleideter Kinder und Jünglinge, die in frohem
Zuge, ebenfalls mit hochgeschlagenen Kragen, neben dem «freundlichen Herrn»,
den sie fröhlich bestaunen, einherschreiten. Die einzelnen Gestalten sind
selbständig charakterisiert und durch eine einheitliche Komposition
zusammengehalten, so dass das Gesamtbild das Gepräge einer selbständigen
künstlerischen Schöpfung aufweist. Fraglicher erscheint die Schutzfähigkeit
der drei genannten Katalogzeichnungen, der beiden Herren in Ulstermänteln, des
Skifahrers und des Herrn im Schlafrock. Allein auch diesen kann bei näherer
Betrachtung eine gewisse Originalität nicht abgesprochen werden. Sie
unterscheiden sich von bloss klischeehaften Modezeichnungen, wie sie oft in
Katalogen von Warenhäusern zur Anpreisung billiger Massenartikel zu finden
sind. Auch hier hat es der Künstler verstanden, Figuren darzustellen,

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die in Haltung und Gebärde eine persönliche Note verraten. Dass es sich
hiebei, wie übrigens auch bei den übrigen hier in Frage stehenden
Erzeugnissen, nicht um Kunstschöpfungen von weittragender Bedeutung handelt,
spielt für die Frage ihrer Schutzfähigkeit keine Rolle. Es genügt, dass ihnen
eine gewisse Originalität anhaftet, deren Wert an sich jedoch vom Richter
weder zu beurteilen noch zu berücksichtigen ist (vgl. auch POUILLET, Traité de
la propriété littéraire et artistique S. 544 Nr. 565). Natürlich umfasst der
Schutz nur diejenigen Elemente eines Werkes, die sich als Neuschöpfungen
erweisen. Insofern kann somit das Mass der Originalität eines Werkes von
Bedeutung sein. Das ist jedoch vorliegend, wo Erzeugnisse in Frage stehen, die
bis in alle Einzelheiten hinein nachgeahmt worden sind, ohne Belang. Der
Tatbestand der Urheberrechtsverletzung erscheint somit bezüglich aller
vorgenannten Reklamezeichnungen, sowie auch des fraglichen Plakates, als
erfüllt.
5. - Art. 46
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 46 Tarifpflicht - 1 Die Verwertungsgesellschaften stellen für die von ihnen geforderten Vergütungen Tarife auf.
1    Die Verwertungsgesellschaften stellen für die von ihnen geforderten Vergütungen Tarife auf.
2    Sie verhandeln über die Gestaltung der einzelnen Tarife mit den massgebenden Nutzerverbänden.
3    Sie legen die Tarife der Schiedskommission (Art. 55) zur Genehmigung vor und veröffentlichen die genehmigten Tarife.
URG erfordert als Voraussetzung für die Strafbarkeit einer
solchen Verletzung den Vorsatz des Täters. Auch dieser muss ohne weiteres als
gegeben erachtet werden. Wäre sich der Beschwerdeführer der Unrechtmässigkeit
seines Handelns nicht bewusst gewesen, so hätte er nicht den Namenszug Ehlers
und Böhmers, der auf den von ihm nachgeahmten Schöpfungen dieser Künstler
angebracht war, auf seinen eigenen Erzeugnissen geflissentlich weggelassen.
Wenn er das auf der Katalogzeichnung des Herrn im Schlafrock von Kretschmann
angebrachte «K» stehen gelassen hat, so ist dies wohl
lediglich darauf zurückzuführen, dass er sich der Bedeutung dieses Zeichens
gar nicht bewusst geworden ist, sondern es für eine blosse Verzierung gehalten
hat.
6. - Endlich kann nicht zugegeben werden, dass die Vorinstanz Art. 47
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 47 Gemeinsamer Tarif - 1 Sind mehrere Verwertungsgesellschaften im gleichen Nutzungsbereich tätig, so stellen sie für die gleiche Verwendung von Werken oder Darbietungen einen gemeinsamen Tarif nach einheitlichen Grundsätzen auf und bezeichnen eine unter ihnen als gemeinsame Zahlstelle.
1    Sind mehrere Verwertungsgesellschaften im gleichen Nutzungsbereich tätig, so stellen sie für die gleiche Verwendung von Werken oder Darbietungen einen gemeinsamen Tarif nach einheitlichen Grundsätzen auf und bezeichnen eine unter ihnen als gemeinsame Zahlstelle.
2    Der Bundesrat kann weitere Vorschriften über ihre Zusammenarbeit erlassen.
URG
verletzt habe, wonach die Strafverfolgung nur auf Antrag einzutreten hat. Es
mag dahingestellt bleiben, ob in den Aussagen Böhmers und Ehlers im
Strafverfahren ein Rückzug des von ihnen

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ursprünglich gestellten Strafantrages zu erblicken sei; denn auf all Fälle
haben Bamberger & Hertz an ihrem Antrag in vollem Umfange festgehalten. Nun
haben aber alle drei Künstler in ihrer Befragung erklärt, dass sie die
fraglichen Zeichnungen im Auftrage von Bamberger & Hertz ausgeführt hätten.
Die letztern sind daher zum mindesten insoweit in deren Urheberrechte
eingetreten, als die Reproduktion und Veröffentlichung der fraglichen
Zeichnungen zum Zwecke der gewerblichen Reklame in Frage steht (vgl. auch BGE
22 S. 1321 Erw. 4). Der Antrag von Bamberger & Hertz genügt daher für die
Strafverfolgung des Beschwerdeführers, da sich Reichner ja gerade nach dieser
Richtung eine unerlaubte Nachahmung hat zu schulden kommen lassen. Er will
allerdings behaupten, Bamberger & Hertz hätten ihren Strafantrag nur in ihrer
Eigenschaft als Urheber der gesamten Reklameidee, sowie des bezüglichen Textes
erhoben. Das trifft nicht zu. In der Strafanzeige war ausdrücklich darauf
hingewiesen worden, dass Bamberger & Hertz zur Ausführung ihrer Idee «eine
Reihe erstklassiger Künstler in ihren Dienst» gestellt hätten und dass dann
aus der Zusammenarbeit der Reklameabteilung der Firma mit diesen Künstlern die
verschiedenen Reklamemittel (Inserate, Plakate, Kataloge usw.) hervorgegangen
seien. Damit hatten Bamberger & Hertz ihren Urheberrechtsanspruch an den
fraglichen Zeichnungen zur Genüge kund gegeben; und wenn die in Frage
stehenden Künstler neben ihnen ebenfalls als Antragsteller aufgetreten waren,
so konnte dies deshalb geschehen, weil der eigentliche Urheber trotz Abtretung
seiner Urheberrechte immer ein sog. Individual-Idealrecht an seinem Werke
behält (vgl. auch BÜCHLER, Die Übertragung des Urheberrechts S. 33; H. J.
MEYER, Das Urheberrecht an den Werken der Malerei, Zürcher Dissertation 1923
S. 46).
Demnach erkennt der Kassationshof: Die Kassationsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 57 I 62
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 16. Februar 1931
Quelle : Bundesgericht
Status : 57 I 62
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Urheberrecht an Werken der bildenden Kunst.Kriterien. – Der Nützlichkeitszweck schliesst den...


Gesetzesregister
URG: 5 
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 5 Nicht geschützte Werke - 1 Durch das Urheberrecht nicht geschützt sind:
1    Durch das Urheberrecht nicht geschützt sind:
a  Gesetze, Verordnungen, völkerrechtliche Verträge und andere amtliche Erlasse;
b  Zahlungsmittel;
c  Entscheidungen, Protokolle und Berichte von Behörden und öffentlichen Verwaltungen;
d  Patentschriften und veröffentlichte Patentgesuche.
2    Ebenfalls nicht geschützt sind amtliche oder gesetzlich geforderte Sammlungen und Übersetzungen der Werke nach Absatz 1.
6 
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 6 Begriff - Urheber oder Urheberin ist die natürliche Person, die das Werk geschaffen hat.
46 
SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 46 Tarifpflicht - 1 Die Verwertungsgesellschaften stellen für die von ihnen geforderten Vergütungen Tarife auf.
1    Die Verwertungsgesellschaften stellen für die von ihnen geforderten Vergütungen Tarife auf.
2    Sie verhandeln über die Gestaltung der einzelnen Tarife mit den massgebenden Nutzerverbänden.
3    Sie legen die Tarife der Schiedskommission (Art. 55) zur Genehmigung vor und veröffentlichen die genehmigten Tarife.
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SR 231.1 Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG) - Urheberrechtsgesetz
URG Art. 47 Gemeinsamer Tarif - 1 Sind mehrere Verwertungsgesellschaften im gleichen Nutzungsbereich tätig, so stellen sie für die gleiche Verwendung von Werken oder Darbietungen einen gemeinsamen Tarif nach einheitlichen Grundsätzen auf und bezeichnen eine unter ihnen als gemeinsame Zahlstelle.
1    Sind mehrere Verwertungsgesellschaften im gleichen Nutzungsbereich tätig, so stellen sie für die gleiche Verwendung von Werken oder Darbietungen einen gemeinsamen Tarif nach einheitlichen Grundsätzen auf und bezeichnen eine unter ihnen als gemeinsame Zahlstelle.
2    Der Bundesrat kann weitere Vorschriften über ihre Zusammenarbeit erlassen.
BGE Register
56-II-413 • 57-I-62
Stichwortregister
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frage • plakat • zeichnung • literatur • weiler • strafantrag • strafanzeige • inserat • vorinstanz • strafverfolgung • urheber • kassationshof • deutschland • angewandte kunst • stelle • malerei • vorsatz • ware • berichterstattung • wille
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