S. 194 / Nr. 29 Gerichtsstand (d)

BGE 57 I 194

29. Urteil vom 27. Juni 1931 i. S. Siegrist gegen Obergericht Aargau.

Regeste:
1. Art. 21 Abs. 2. Betäubungsmittelgesetz: Der Sondergerichtsstand der
Teilnahmehandlung (vor dem für den Haupturheber zuständigen Richter) besteht
nur, wenn die Vereinigung der beiden Verfahren möglich ist: Erw. 2.
2. Verhältnis des Gerichtsstands der Teilnahme zum Gerichtsstand der
Realkonkurrenz (Art. 21 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 2 BMG)? Erw. 3.
3. Zulässigkeit der Beschwerde, wenn ein unzuständiger Richter das Urteil über
die Teilnahme schon gefällt hat? (Art. 23 BMG). Erw. 3.

A. - Das aargauische Obergericht hat am 30. Januar 1931 den Rekurrenten wegen
Übertretung von Art. 11 BG vom 2. Oktober 1924 betreffend die Betäubungsmittel

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(BMG) und wegen Beihilfe zu in Basel begangenen Übertretungen des gleichen
Art. 11 zu Gefängnis, Busse und den Kosten verurteilt.
B. - Gegen dieses am 14. Februar 1931 zugestellte Obergerichtsurteil hat der
Rekurrent am 23. Februar 1931 die Kassationsbeschwerde angemeldet und sie am
26. Februar 1931 schriftlich begründet, mit der Beifügung, dass diese
Begründung allenfalls gemäss Art. 23 BMG als staatsrechtliche Beschwerde zu
behandeln sei.
Es wird ausgeführt:
Die Beihülfe sei kein selbständiges Delikt, sondern Teilnahme an einem fremden
Delikt. Eine Bestrafung des Gehilfen könne also nur erfolgen, wenn ein
Hauptdelikt vorliege. Hier aber sei das in Basel gegen die Haupttäter
eingeleitete Verfahren (wegen deren Nichteinbringlichkeit) eingestellt worden.
Jedenfalls sei der Aargauer Richter zur Aburteilung der Teilnahme an einem in
Basel begangenen Delikt örtlich nicht zuständig.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. - Das Bundesgesetz vom 2. Oktober 1924 betreffend die Betäubungsmittel
bestimmt:
Art. 21: «Die Strafverfolgung erfolgt entweder am Orte, wo das Vergehen
begangen worden ist, oder am Wohnort des Angeschuldigten. In keinem Falle
dürfen für das gleiche Vergehen mehrere strafrechtliche Verfolgungen
eintreten. Das Verfahren ist an dem Orte durchzuführen, an welchem es zuerst
eröffnet worden ist.
Das Verfahren gegen Gehilfen oder Begünstiger findet zu gleicher Zeit und vor
dem nämlichen Richter statt wie dasjenige gegen den Haupturheber.»
Art. 22: «Wenn ein Vergehen in mehreren Kantonen begangen wurde, so hat
derjenige Kanton, in welchem das Verfahren zuerst eröffnet wurde, das Recht,
die Stellung und nötigenfalls die Auslieferung aller Mitschuldigen aus andern
Kantonen behufs Beurteilung zu verlangen oder

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diese Kantone zur Sicherung des Urteilsvollzuges zu veranlassen.
Wenn ein Täter mehrere zusammenhängende Delikte in verschiedenen Kantonen
verübt hat, so soll über ihn nach eben diesen Grundsätzen in einem und
demselben Verfahren entschieden werden.»
Art. 23: «Das Bundesgericht entscheidet als Staatsgerichtshof über
Streitigkeiten, die sich aus der Anwendung von Art. 21 und 22 ergeben.
Wenn also der Rekurrent nebenbei auch die Einrede erbebt, er wäre für seine
Teilnahmehandlungen gegebenenfalls nicht vom aargauischen, sondern von dem für
die Haupttäter zuständigen basel-städtischen Richter zu beurteilen, so ist
diese Einrede nach den eben zitierten Art. 21 und 22 und demnach gemäss Art.
23 BMG im staatsrechtlichen Verfahren zu behandeln. Denn dieses Verfahren
steht - wie schon für den analogen Art. 52 LMPG entschieden worden ist (BGE 44
I S. 83
) - nicht nur den am Kompetenzkonflikt beteiligten Behörden, sondern
auch dem Angeschuldigten selbst offen.
2. - Die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des aargauischen Richters zur
Verfolgung des Rekurrenten für seine Teilnahme an den Widerhandlungen anderer
ist unbegründet:
a) Nach Art. 21 und 22 BMG befindet sich der allgemeine Gerichtsstand für
Widerhandlungen gegen dieses Gesetz am Wohnort des Angeschuldigten oder am
Begehungsort der Tat. Ein Sondergerichtsstand besteht dagegen unter anderem
für den Gehilfen und Begünstiger. Diese werden von dem für den Haupturheber
örtlich zuständigen Richter verfolgt.
Der Sondergerichtsstand der Teilnahmehandlung besteht aber nur, wenn das
Verfahren gegen den Teilnehmer mit demjenigen gegen den Haupturheber verbunden
werden kann. Fehlt diese Möglichkeit, weil das Verfahren gegen den
Haupturheber allenfalls schon abgeschlossen ist, so wird auch der Teilnehmer
an seinem allgemeinen

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Gerichtsstand des Ortes, wo er selbst gehandelt hat oder wo er selber wohnt,
verfolgt - sofern wenigstens für ihn nicht ein anderer Sondergerichtsstand
begründet ist.
Das folgt vor allem aus dem Wortlaut des Gesetzes selbst. Denn wenn Art. 21
Abs. 2 BMG das Verfahren gegen Gehilfen und Begünstiger «zu gleicher Zeit und
vor dem nämlichen Richter» wie dasjenige gegen den Haupturheber stattfinden
lässt, so kann das nur so verstanden werden, dass er mit diesem im gleichen
Verfahren abgeurteilt werden solle; in gleicher Weise, wie nach Art. 22 BMG
eine Widerhandlung der mehreren Mittäter oder der eine Täter für die mehreren
Widerhandlungen im gleichen Verfahren zu beurteilen ist. Ist das nicht
möglich, so fehlt die Voraussetzung, unter welcher der Teilnehmer dem Richter
des Haupturhebers überwiesen werden soll.
Diese Auslegung entspricht auch der Absicht des Gesetzes. Der allgemeine
Gerichtsstand befindet sich deswegen am Wohnort oder am Begehungsort, weil die
Handlung mit diesen Orten am engsten verknüpft ist. Bloss weil die Vereinigung
des Verfahrens mit demjenigen in konnexen Sachen ganz besondere Vorteile mit
sich bringt, tritt gegebenen Falles der allgemeine Gerichtsstand vor dem
besonderen der Mittäterschaft, der Tatmehrheit oder der Teilnahme zurück. Wo
dagegen mit der Unmöglichkeit der Verfahrensverbindung die besondern Vorteile
der Überweisung des einen Angeschuldigten an den Richter des andern nicht mehr
bestehen, hat es auch keinen Sinn mehr, diesen seinem eigenen natürlichen
Richter zu entziehen.
b) Gegen die Haupturheber der Widerhandlungen, an denen der Rekurrent als
Gehilfe teilgenommen hat, war nun wohl in Basel-Stadt seinerzeit ein
Strafverfahren eingeleitet worden. Doch wurde dieses Verfahren in der Folge,
und zwar vor Ausfällung des angefochtenen Obergerichtsurteils, sistiert.
Die Sistierung des gegen den Haupturheber gerichteten

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Verfahrens schliesst zwar an sich die Einbeziehung auch des Teilnehmers in
dieses Verfahren noch nicht aus; denn wo die Sistierung beispielsweise nur bis
zur Erledigung eines Inzidentverfahrens erfolgt, geht in Wirklichkeit die
Instruktion, wenn auch momentan vor einer andern Instanz und in einem andern
Rahmen, weiter. Das Verfahren ist noch hängig und kann ohne Nachteil für die
eine oder die andere Partei auf einen Teilnehmer ausgedehnt werden. - Hier
aber erfolgte die Sistierung des gegen die Haupturheber gerichteten
Verfahrens, weil diese flüchtig waren und ihre Auslieferung nicht erwirkt
werden konnte. Die Sistierung bedeutet also in Wirklichkeit die Einstellung
des gegen die Haupturheber gerichteten Verfahrens - die allerdings einer
spätern Wiederaufnahme nicht im Wege steht, nur dass im Interesse weder des
strafberechtigten Staates noch des Rekurrenten selber mit dessen Aburteilung
wegen Teilnahme bis dahin zugewartet werden kann. Der letztere muss also
notwendig für sich abgeurteilt werden, und dann eben nach dem Ausgeführten
nicht von dem Richter, der für den Haupturheber zuständig wäre.
Dass in diesem Falle die aargauischen Gerichte zuständig seien, hat der
Rekurrent nicht in Abrede gestellt.
3. - Bei dieser Sachlage braucht nicht geprüft zu werden, ob eine Gutheissung
der staatsrechtlichen Beschwerde nicht schon deswegen ausgeschlossen sei, weil
das Urteil über den Rekurrenten nun eben gefällt und eine neuerliche
Beurteilung durch den basel-städtischen Richter auch bei dessen
grundsätzlicher Zuständigkeit kaum mehr der Absicht des Gesetzgebers
entsprechen würde (vgl. BGE 44 I 36).
Ebenso erübrigt sich ein Entscheid darüber, ob der aargauische Richter nicht
auch ohne Rücksicht auf die Unmöglichkeit, den Rekurrenten zusammen mit den
Haupturhebern in Basel-Stadt zu verfolgen, zu dessen Verfolgung örtlich
zuständig gewesen wäre deswegen, weil der Rekurrent hier noch als Urheber
anderer

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zusammenhängender Delikte verfolgt worden ist. Das angefochtene
Obergerichtsurteil stutzt sich allerdings gerade hierauf und macht dafür Art.
22 Abs. 2 BMG geltend, wonach ein Angeschuldigter für die mehreren
zusammenhängenden Widerhandlungen in einem Verfahren abzuurteilen sei. In der
Tat kommen Art. 21 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 2 BMG miteinander in Konflikt.
sobald jemand der Begehung eigener und damit zusammenhängend der Teilnahme an
Widerhandlungen anderer zugleich beschuldigt wird. Beide Vorschriften sind
dann ihrem Wortlaut nach anwendbar und beide führen zu einem verschiedenen
Resultat. Welche der beiden Vorschriften gegebenenfalls vorgehe, wird
insbesondere davon abhängen, ob die Verknüpfung zwischen Teilnahme und
Haupthandlung oder diejenige zwischen der Teilnahme und den damit
realkonkurrierenden Handlungen des gleichen Teilnehmers die engere sei. Aber
entschieden zu werden braucht das, wie schon erwähnt, deswegen nicht, weil
Art. 21 Abs. 2 BMG hier überhaupt nicht in Frage kommt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. - Soweit sich die Beschwerde als staatsrechtliche darstellt, wird sie
abgewiesen.
2. - Die Akten werden dem Kassationshof überwiesen zur Beurteilung der
Beschwerde, insoweit sie sich als Kassationsbeschwerde darstellt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 57 I 194
Date : 01. Januar 1931
Published : 27. Juni 1931
Source : Bundesgericht
Status : 57 I 194
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : 1. Art. 21 Abs. 2. Betäubungsmittelgesetz: Der Sondergerichtsstand der Teilnahmehandlung (vor dem...


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